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Informationen zum Dokument  BGer 4P.52/2006  Materielle Begründung
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BGer 4P.52/2006 vom 07.04.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.52/2006 /ast
 
Urteil vom 7. April 2006
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiber Mazan.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Daniel Ordás,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Marco Giavarini,
 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, Postfach 635, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Art. 9, 13, und 30 BV; Art. 6, 8 und 14 EMRK (Zivilprozess; Ausweisung; Rechtsmittel; Sistierung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 9. Januar 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ (Beschwerdeführer) hat mit Vertrag vom 26. Januar 2005 von Y.________ (Beschwerdegegner) ein 4,5-Zimmer-Einfamilienhaus zu einem monatlichen Mietzins von Fr. 3'200.-- gemietet und die Miete am 1. März 2005 angetreten. Kurz nach seinem Einzug nahm der Beschwerdeführer ohne Zustimmung des Beschwerdegegners diverse bauliche Veränderungen am Mietobjekt vor. Mit Schreiben vom 24. Februar 2005 übermittelte der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer einen Nachtrag zum Mietvertrag, in dem alle vom Beschwerdeführer veranlassten baulichen Arbeiten aufgeführt sind und festgehalten wird, dass deren Kosten ausschliesslich zu Lasten des Beschwerdeführers gingen.
 
Nachdem der Beschwerdeführer mit der Zahlung der jeweils auf dem Monatsanfang zu bezahlenden Mietzinse ab Mai 2005 in Verzug gekommen war, forderte ihn der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 6. Juni 2005 auf, innert 30 Tagen die ausstehenden Mietzinse zu bezahlen. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach. Mit Schreiben vom 19. Juli 2005 kündigte der Beschwerdegegner das Mietverhältnis auf den 31. August 2005.
 
B.
 
Am 26. August 2005 wurde die Kündigung vom Beschwerdeführer angefochten. Mit Urteil vom 31. Oktober 2005 trat der Bezirksgerichtspräsident von Arlesheim auf die Kündigungsanfechtung des Beschwerdeführers vom 22. Juli 2005 nicht ein und wies ihn und seine Ehefrau an, das Mietobjekt bis spätestens 7. November 2005, 12.00 Uhr mittags, zu räumen.
 
Gegen dieses Urteil appellierte der Beschwerdeführer am 4. November 2005 ans Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft. Er beantragte, das Urteil vom 31. Oktober 2005 sei aufzuheben und auf die Kündigungsanfechtung sei einzutreten; die Kündigung vom 19. Juli 2005 sei aufzuheben und der Räumungsbefehl abzuweisen. Mit Urteil vom 9. Januar 2006 trat das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft zwar entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers auf die Kündigungsanfechtung ein, erklärte dann aber die Kündigung vom 19. Juli 2005 für gültig.
 
C.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. Februar 2006 beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. Januar 2006 sei aufzuheben.
 
Mit Präsidialverfügung vom 20. März 2006 wurde der staatsrechtlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung gewährt.
 
Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer wirft dem Kantonsgericht eine Verletzung von Art. 30 BV vor, weil es die Beurteilung seines Rechtsmittels gegen den Ausweisungsentscheid an die Hand genommen und ihm damit eine Beurteilung durch die zuständige Dreierkammer des Bezirksgerichts verwehrt habe. Dadurch sei der Anspruch auf den gesetzlichen Richter gemäss Art. 30 BV verletzt worden.
 
Diese Rüge ist unbegründet. Das Ausweisungsbegehren ist in erster Instanz durch den Präsidenten des Bezirksgerichtes beurteilt worden. Dieser hatte nicht allein über die Ausweisung, sondern gestützt auf Art. 274g OR gleichzeitig auch über die Gültigkeit der Kündigung zu befinden. Hätte der Gerichtspräsident ausschliesslich über die Ausweisung befunden, wäre eine Appellation an das Kantonsgericht ausgeschlossen gewesen (§ 17 Abs. 3 des Gesetzes über die Behörden und das Verfahren bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von unbeweglichen Sachen). Wenn aber mit dem Entscheid über die Ausweisung auch der Entscheid über die Kündigungsanfechtung überprüft werden soll, ist gegen den Entscheid die Appellation gegeben (§ 9 Abs. 1 lit. a ZPO/BL). Von einer Verletzung von Art. 30 BV kann keine Rede sein.
 
2.
 
Weiter wirft der Beschwerdeführer dem Kantonsgericht eine willkürliche Anwendung von § 140 ZPO sowie eine Verletzung von Art. 30 BV vor, weil das Verfahren nach der von ihm erhobenen Einrede der Fälschung einer Privaturkunde nicht sistiert worden sei.
 
2.1 Im kantonalen Verfahren reichte der Beschwerdeführer am 26. Oktober 2005 eine angeblich mit dem Beschwerdegegner getroffene Vereinbarung ins Recht. Nach dieser Vereinbarung hätte der Beschwerdegegner - im Gegensatz zu seinem Schreiben vom 24. Februar 2005, mit dem er jede Beteiligung an den Kosten für die vom Beschwerdeführer veranlassten Bauarbeiten abgelehnt hatte - dem Beschwerdeführer eine Beteiligung an diesen Kosten mit Fr. 39'861.90 zugesichert; weiter hätte sich der Beschwerdegegner verpflichtet, den Mietzins ab Mai 2005 bis und mit April 2006 verrechnungshalber zu erlassen und die Kündigung vom 19. Juli 2005 zurückzuziehen. Dagegen wandte der Beschwerdegegner ein, diese Vereinbarung sei gefälscht, worauf der Beschwerdeführer gestützt auf § 140 ZPO den Antrag stellte, das Verfahren sei bis zur Klärung des Fälschungsvorwurfs im Strafverfahren zu sistieren. Das Kantonsgericht hat die Sistierung aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Erstens seien Mietstreitigkeiten in einem einfachen und raschen Verfahren zu behandeln (Art. 274d Abs. 1 OR). Zweitens sei eine Sistierung dem Beschwerdegegner als Vermieter nicht zuzumuten, weil der Beschwerdeführer weiterhin im Mietobjekt bleiben könnte und zudem gestützt auf die umstrittene Vereinbarung nicht einmal Mietzins zahlen müsste. Und drittens gebe es auf Grund einer "prima vista"-Prüfung verschiedene Anzeichen, die Zweifel an der Echtheit der - undatierten, nur in Kopie und erst an der Verhandlung vom 26. Oktober 2005 vorgelegten - Urkunde aufkommen liessen; diese Vereinbarung würde auf einer kaum plausiblen widersprüchlichen Haltung des Beschwerdegegners beruhen, nachdem dieser noch am 25. Februar 2005 eine Kostenbeteiligung strikte abgelehnt, am 19. Juli 2005 wegen Zahlungsverzuges gekündigt und am 1. September 2005 das Räumungsbegehren gestellt habe.
 
2.2 Die Kritik des Beschwerdeführers an dieser Begründung ist nicht überzeugend. § 140 ZPO schreibt die Sistierung des Verfahrens vor, wenn die Erwahrung des Verdachts auf Fälschung oder Betrug "von Einfluss auf den Entscheid des Prozesses wäre". Im vorliegenden Fall hat das Kantonsgericht ausgeführt, weshalb ein allfälliger Verdacht keinen Einfluss auf den Entscheid des Prozesses hätte. Insbesondere ergibt sich dies aus der vom Kantonsgericht wiedergegebenen Chronologie der Verhältnisse. Gemäss dem Schreiben des Beschwerdegegners vom 25. Februar 2005, mit dem er eine Kostenbeteiligung an den vom Beschwerdeführer vorgenommenen Ausbauarbeiten strikte abgelehnt hatte, waren diese Arbeiten zu diesem Zeitpunkt bereits getätigt. Wenn der Beschwerdeführer die Mietzinszahlungen nach der von ihm behaupteten Vereinbarung ab Mai 2005 eingestellt hat, müsste die Vereinbarung vorher, d.h. zwischen Februar und Mai 2005 getroffen worden sein. Unter diesen Umständen ist einerseits nicht erklärbar, wie der Beschwerdegegner in dieser Vereinbarung die Kündigung vom 19. Juli 2005 zurücknehmen konnte. Andererseits ist nicht verständlich, weshalb der Beschwerdeführer, nachdem er von seinem Vermieter am 6. Juni 2005 zur Zahlung des ausstehenden Mietzinses aufgefordert worden war, nicht einfach auf die umstrittene Vereinbarung verwies und es im Gegenteil auf eine Kündigung und auf ein Ausweisungsbegehren ankommen liess. Unter diesen Umständen durfte das Kantonsgericht davon ausgehen, dass die umstrittene Vereinbarung ohne "Einfluss auf den Entscheid des Prozesses wäre". Insbesondere überzeugt auch der Einwand des Beschwerdeführers nicht, das Kantonsgericht habe "voreilig eine Urkundenfälschung angenommen". § 140 ZPO untersagt dem Zivilrichter nicht, Beweismittel zu würdigen, die zum Gegenstand eines Strafverfahrens gemacht werden können. Die Beweiskraft einer Urkunde kann vom Zivilrichter selbst dann verneint werden, wenn der Strafrichter den Tatbestand einer Urkundenfälschung nicht als erfüllt ansieht.
 
2.3 Damit erweist sich die Auffassung des Beschwerdeführers als unbegründet, dass das Kantonsgericht mit dem Verzicht auf die Sistierung des Verfahrens § 140 ZPO willkürlich angewendet und auch den Anspruch auf den gesetzmässigen Richter gemäss Art. 30 BV (im vorliegenden Fall Zuständigkeit des Strafgerichts Basel-Landschaft zur Beurteilung der Echtheit der Urkunde) verletzt habe.
 
3.
 
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, das Kantonsgericht habe § 139 Abs. 2 ZPO verletzt, indem es die Beweislast für die Fälschung der erwähnten Vereinbarung nicht dem Beschwerdegegner überbunden habe. Durch die voreilige Annahme einer Urkundenfälschung - trotz der sich aus § 140 ZPO ergebenden Unzuständigkeit des Zivilrichters - sei auch der verfassungs- und konventionsrechtlich garantierte Schutz der Wohnung des Beschwerdeführers verletzt worden (Art. 13 BV, § 6 Abs. 2 lit. f KV/BL und Art. 8 EMRK).
 
Auch diese Rügen sind unbegründet. Der Beschwerdeführer verkennt, dass der Beweis für die Tilgung der Mietzinsforderung - durch Zahlung oder durch Erlass bzw. Verrechnung - dem Mieter obliegt. Wenn der Beschwerdeführer den Abschluss einer Vereinbarung behauptet, die den verrechnungsweisen Erlass des vertraglich geschuldeten Mietzinses zum Inhalt haben soll, ist er für diese Behauptung beweispflichtig. An dieser Beweislastverteilung vermag das kantonale Prozessrecht, das in § 139 Abs. 2 ZPO nur die Beweislast für die spezifische Frage der Urkundenfälschung regelt und den Zivilrichter nicht daran hindert, Privaturkunden der freien richterlichen Beweiswürdigung zu unterziehen, nichts zu ändern. Hinzu kommt, dass die Frage der Beweislastverteilung ohnehin gegenstandslos geworden ist, nachdem das Kantonsgericht aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. E. 2) die vom Beschwerdeführer behauptete Vereinbarung für unbewiesen hielt. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist der Richter berechtigt, eine Urkunde gänzlich ausser Betracht zu lassen, wenn er von der Sachdarstellung einer Partei überzeugt ist und die gegenteiligen Behauptungen der anderen Partei für unbewiesen hält. In diesem Fall verletzt eine beschränkte Beweisabnahme die Vorschriften zur Beweislastverteilung nicht (BGE 114 II 289 E. 2 S. 291). Von einer willkürlichen Anwendung von § 139 Abs. 2 ZPO kann daher schon wegen der Gegenstandslosigkeit der Frage der Beweislast keine Rede sein. Wenn das Kantonsgericht von einem Zahlungsverzug des Beschwerdeführers ausgehen durfte, erweist sich ohne Weiteres auch die Rüge als unbegründet, der angefochtene Entscheid verstosse gegen den verfassungs- und konventionsrechtlich garantierten Schutz der Wohnung (Art. 13 BV, § 6 Abs. 2 lit. f KV/BL, Art. 8 EMRK).
 
4.
 
Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. April 2006
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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