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Informationen zum Dokument  BGer I 316/2006  Materielle Begründung
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BGer I 316/2006 vom 28.08.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
I 316/06
 
Urteil vom 28. August 2006
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Grunder
 
Parteien
 
P.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Bügler, Neuwiesenstrasse 37, 8401 Winterthur,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 21. Februar 2006)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1954 geborene P.________ stellte am 5. November 1996 und nach rechtskräftiger gewordener Ablehnungsverfügung vom 28. Mai 1997 am 18. Januar 2000 erneut ein Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente, welches die IV-Stelle des Kantons Zürich mangels veränderter Verhältnisse abwies (rechtskräftig gewordene Verfügung vom 19. Juni 2000). Auf eine Neuanmeldung vom 16. April 2002 hin tätigte sie berufliche (Fragebogen für den Arbeitgeber vom 12. Juni 2002; Auszug aus dem Individuellen Konto; Abklärungsbericht der beeinträchtigten Arbeitsfähigkeit in Beruf und Haushalt vom 6. Mai 2003) sowie medizinische Abklärungen (Berichte des Dr. med. H.________, Innere Medizin FMH, vom 6. Juni 2002; des Dr. med. F.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 24. Juni 2002 und 10. November 2003; des Spitals X.________, Rheumaklinik und Institut für Physiotherapie mit Poliklinik, vom 13. März 2003; des Dr. med. A.________, Innere Medizin FMH, vom 21. August 2002 und 9. Dezember 2003). Laut Angaben des Spitals X.________ bestehen ein dringender Verdacht auf rheumatoide Arthritis, ein chronisches Panvertebralsyndrom bei leichtgradiger linkskonvexer Skoliose der Lendenwirbelsäule, leichten degenerativen Veränderungen und möglicher Symptomausweitung sowie anamnestisch eine rezidivierende depressive Störung. Mit Verfügung vom 19. März 2004 sprach die IV-Stelle aufgrund eines Invaliditätsgrades von 48 % ab 1. September 2003 eine Viertelsrente zu. Eine Einsprache wies sie ab (Einspracheentscheid vom 27. Dezember 2004).
 
B.
 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher P.________ die Berichte des Spitals X.________ vom 8. Januar 2004 und des Spitals Y.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 2. November 2004 auflegen liess, hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich unter Aufhebung des Einspracheentscheids der IV-Stelle vom 27. Dezember 2004 mit der Feststellung gut, dass die Versicherte ab 1. September 2003 Anspruch auf eine halbe Rente hat (Entscheid vom 21. Februar 2006).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________ unter Auflage der Berichte des Spitals Y.________ vom 5. Februar 2004 sowie des Dr. med. A.________ vom 29. März 2006 beantragen, es sei ihr ab 1. September 2003 eine ganze Invalidenrente auszurichten.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
 
2.
 
Die Vorinstanz hat richtig erkannt, dass die IV-Stelle letztmals mit Verfügung vom 19. Juni 2000, welche infolge unterbliebener Anfechtung rechtskräftig geworden ist, materiell über den streitigen Rentenanspruch befunden hat. Nachdem die Verwaltung auf das Neuanmeldegesuch vom 16. April 2002 eingetreten ist, ist zu prüfen, ob sich die für die Bestimmung des Invaliditätsgrades massgeblichen Bemessungsfaktoren (Anteile Erwerbstätigkeit und Haushaltführung; Arbeitsunfähigkeit; Erwerbsunfähigkeit; Validen- und Invalideneinkommen; Behinderung im Haushaltbereich) im Zeitraum bis Erlass des die Grenze der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis bildenden Einspracheentscheids vom 27. Dezember 2004 (vgl. BGE 129 V 169 Erw. 1) erheblich verändert haben. Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung dieser Frage anwendbaren Rechtsgrundlagen (auch in intertemporalrechtlicher Hinsicht) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
3.1 Die IV-Stelle ging in der Verfügung vom 19. März 2004 und im Einspracheentscheid vom 27. Dezember 2004 davon aus, dass die Versicherte ohne Gesundheitsschaden weiterhin teils erwerbs-, teils in einem anderen Aufgabenbereich (Haushalt) tätig sein würde. Die Vorinstanz hat erkannt, in Anbetracht der gesamten Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 27. Dezember 2004 entwickelt haben, würde die Beschwerdeführerin nunmehr, anders noch als im Zeitpunkt der Verfügung vom 19. Juni 2000, ganztägig erwerbstätig sein. Der Invaliditätsgrad sei daher nicht aufgrund der gemischten, sondern der Methode des Einkommensvergleichs zu bestimmen. Von diesem im letztinstanzlichen Verfahren nicht beanstandeten Ergebnis ist im Folgenden auszugehen.
 
3.2
 
3.2.1 Streitig ist in erster Linie, in welchem Umfang sich die Arbeitsunfähigkeit verändert hat. Fest steht, dass die Beschwerdeführerin den angestammten Beruf als Raumpflegerin nicht mehr auszuüben vermag. Laut vorinstanzlichem Entscheid ist aus dem Bericht des Spitals X.________ vom 13. März 2003 der Schluss zu ziehen, dass die Beschwerdeführerin eine leichtere Tätigkeit halbtags auszuüben vermag, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestritten wird.
 
3.2.2 Gemäss Angaben des Spitals X.________ vom 13. März 2003 war es schwierig abzuschätzen, welchen Anteil die höchstwahrscheinlich bestehende rheumatoide Arthritis an den Beschwerden insgesamt hat. Eine bessere Beurteilung der Prognose könne erst gemacht werden, wenn eine suffiziente Therapie dieser Erkrankung erfolgt sei. Unter dieser Voraussetzung bestehe medizinisch-theoretisch mittelfristig eine 50%-ige Arbeitsfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten. Zur realistischen Einschätzung sei eine vorübergehende Beschäftigung in einem Arbeitsprojekt (z.B. Papiermanufaktur des RAV in Winterthur) sinnvoll. Diesen Ausführungen folgend hat die IV-Stelle mehrere Monate mit dem Erlass der Verfügung vom 19. März 2004 zugewartet (vgl. Stellungnahme des verwaltungsinternen Medizinischen Dienstes vom 26. Mai 2003). Die vom Spital X.________ verordnete medikamentöse Behandlung (Methotrexat, Prednisonstoss) wurde mangels Wirksamkeit im Mai 2003 abgesetzt (vgl. Bericht vom 8. Januar 2004). Auch die danach erfolgten Basistherapien mit Plaquenil (von Mai bis November 2003) und Salazopyrin (März und April 2004) beeinflussten den Gesundheitszustand nicht und wurden schliesslich wegen Nebenwirkungen (Exazerbation der Beschwerden in Handgelenken und Kleinfingern; gastrointestinale Beschwerden) nicht weiter geführt (Bericht des Spitals Y.________ vom 2. November 2004). Angesichts dieser Verhältnisse ist die vom Spital X.________ prognostizierte Verbesserung des Gesundheitszustandes durch eine suffiziente Therapie offenbar nicht eingetreten. Die Auffassung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführerin eine leichte Tätigkeit halbtags auszuüben vermag, ist jedenfalls gestützt auf die Auskünfte des Spital X.________ nicht mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) nachgewiesen. Eher ist anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin wegen der (höchstwahrscheinlich bestehenden) rheumatoiden Arthritis vollständig arbeitsunfähig ist, wovon die IV-Stelle im Zeitpunkt der Verfügung vom 19. März 2004 und des Einspracheentscheids vom 27. Dezember 2004 ausgegangen war.
 
3.2.3 Eine abschliessende Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ist aufgrund der vorhandenden medizinischen Akten nicht möglich. Es ist fraglich, ob sich die vom Spital X.________ vermutete Diagnose einer höchstwahrscheinlich bestehenden rheumatoiden Arthritis angesichts der gestellten günstigen Prognose nach durchgeführter suffizienter, aber erfolglos verlaufener Therapie aufrecht halten lässt. Inwieweit die in den klinischen Untersuchungen erhobenen und anhand von bildgebenden Verfahren sichtbar gewordenen Befunde die angegebenen Beschwerden aus rheumatologischer Sicht erklären, bleibt offen. So vertrat Dr. med. A.________, der die Versicherte neben anderen Ärzten behandelt hat, die Auffassung, die Arbeitsunfähigkeit sei vor allem psychisch begründet (Bericht vom 21. August 2002); im Gegensatz dazu hielt er die Beschwerdeführerin wegen der rheumatoiden Arthritis für vollständig arbeitsunfähig (Bericht vom 9. Dezember 2003). Der behandelnde Psychiater Dr. med. F.________ schätzte die Arbeitsunfähigkeit wegen einer im Vordergrund stehenden somatoformen Schmerzstörung auf ungefähr 60 % ein (Bericht vom 24. Juni 2002); hiegegen hielt er mit Bericht vom 10. November 2003 fest, die als Angst und depressive Störung gemischt (ICD-10 F41.2) zu diagnostizierenden Befunde sowie die Schmerzsymptomatik bei polyarthritischen Beschwerden begründeten eine Arbeitsunfähigkeit von 80 % im zuletzt ausgeübten Beruf als Raumpflegerin. In welchem Umfang die Beschwerdeführerin wegen physischer und psychischer Beeinträchtigungen arbeitsunfähig ist, kann den vorliegenden ärztlichen Auskünften nicht schlüssig entnommen werden. Eine interdisziplinäre medizinische Begutachtung, welche die Ursachen der geklagten Beschwerden ergründet und nachvollziehbar zur Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin Stellung nimmt, drängt sich auf. Die Sache ist daher an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie die notwendigen ärztlichen und allenfalls beruflichen (vgl. Bericht des Spitals X.________ vom 13. März 2003) Abklärungen trifft und hernach über den Anspruch auf Invalidenrente neu befindet.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 21. Februar 2006 und der Einspracheentscheid vom 27. Dezember 2004 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Invalidenrente neu verfüge.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Ausgleichskasse des Kantons Zürich zugestellt.
 
Luzern, 28. August 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
i.V.
 
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