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Informationen zum Dokument  BGer 5C.116/2006  Materielle Begründung
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BGer 5C.116/2006 vom 04.09.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5C.116/2006 /bnm
 
Urteil vom 4. September 2006
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
 
Gerichtsschreiber von Roten.
 
Parteien
 
A.________,
 
Beklagte und Berufungsklägerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Fritz Anthamatten,
 
gegen
 
1. XY.________ AG,
 
2. XZ.________ AG,
 
Klägerinnen und Berufungsbeklagte,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Georges Schmid,
 
Gegenstand
 
Löschung einer Nutzniessung; Schadenersatz,
 
Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Zivilgerichtshof I, vom 24. März 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ (fortan: Beklagte) war Alleineigentümerin der Parzelle Nr. 1881 und zusammen mit ihrem Ehemann Miteigentümerin der Parzelle Nr. 1886, beide gelegen in der Bauzone der Gemeinde G.________, Grundbuch H.________. Auf der Parzelle Nr. 1886 stand ein Wohnhaus, in dem die Familie A.________ gelebt hatte. Die beiden Parzellen wurden mehrfach veräussert mit - unter anderem - folgenden Vertragsbestimmungen:
 
A.a Am 26. April 1989 verkauften die Beklagte und die Erben ihres Ehemannes die Parzellen an die Brüder R.________ und S.________, die eine Überbauung planten. Der Wert des Kaufaktes wurde auf eine Million Franken festgesetzt (Art. 10). Als Kaufpreis vereinbarten die Parteien die Zahlung von Fr. 600'000.-- auf den 1. Juni 1989 und die Zahlung von Fr. 100'000.-- beim Auszug aus dem Wohnhaus sowie die Abtretung einer 4 ½ - Zimmerwohnung von rund 100 m² in der künftigen Überbauung (Art. 3). Die Käufer verpflichteten sich ferner, der Beklagten das Wohnhaus bis zu dessen Abbruch zur entschädigungslosen Nutzung zu überlassen (Art. 8) und ihr während der Bauzeit eine 4 ½ - Zimmerwohnung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (Art. 9). In Ergänzung des Kaufvertrags begründeten die Beklagte und die Brüder R.________ und S.________ am 4. Mai 1990 vertraglich ein Kaufsrecht, ein Grundpfand und eine Nutzniessung. Im Sinne von Art. 3 des Kaufvertrags räumten die Brüder R.________ und S.________ der Beklagten ein Kaufsrecht an einem Miteigentumsanteil von 3/10 der Parzellen Nrn. 1881 und 1886 ein, bezogen auf eine 4 ½ - Zimmerwohnung von ca. 100 m² in der künftigen Überbauung. Das Kaufsrecht sollte bis zum Abschluss der Bauarbeiten dauern und für die maximale Dauer von zehn Jahren im Grundbuch vorgemerkt werden (Art. 3 - 5). Die Kaufpreisrestanz von Fr. 100'000.-- gemäss Art. 3 des Kaufvertrags stellten die Brüder R.________ und S.________ durch Übergabe einer Inhabergrundpfandverschreibung an die Beklagte sicher (Art. 7). Die Art. 8 und Art. 9 des Kaufvertrags (Nutzung des Wohnhauses / Mietwohnung) setzten die Parteien um, wie folgt:
 
"Art. 8
 
Im Sinne von Art. 8 des Vertrages vom 26.04.1989 wird z.L. der Parzellen Nos. 1881 und 1886 und z.G. von Frau A.________ und deren Rechtsnachfolgern eine Nutzniessung begründet, und zwar in dem Sinne, als dass A.________ oder deren Rechtsnachfolger die belasteten Parzellen bis zum Zeitpunkt des Abbruches des bestehenden Wohnhauses auf der Parzelle No. 1886 frei und vollumfänglich nutzen darf. Diese Nutzniessung wird im Grundbuch eingetragen.
 
Frau A.________ oder deren Rechtsnachfolger verpflichten sich, diese Nutzniessung zu löschen, und zwar sobald die Abbruchverfügung bezüglich des auf der Parzelle No. 1886 stehenden Wohnhauses durch die zuständige Behörde erteilt wurde. Die jetzigen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger haben zu diesem Zeitpunkt Frau A.________ oder deren Rechtsnachfolgern einen Mietvertrag, wie in Art. 9 des Vertrages vom 26.04.1989 vorgesehen, vorzulegen.
 
Der Stipulationswert dieser Nutzniessung beträgt Fr. 64'752.-- (Franken vierundsechzigtausendsiebenhundertzweiundfünfzig)."
 
Am 8. Mai 1990 wurden im Grundbuch - so wie vereinbart - das Kaufsrecht vorgemerkt und das Grundpfand wie auch die Nutzniessung eingetragen. Der Eintrag hat den Wortlaut: "L Nutzniessung zL 1881 zG A.________ und Rechtsnachfolger Bel. 317/1990" und "L Nutzniessung zL 1886 zG A.________ und Rechtsnachfolger Bel. 317/1990".
 
A.b Am 1. Juni 1990 verkauften die Brüder R.________ und S.________ die Parzellen Nrn. 1881 und 1886 an P.________. In Anrechnung an den Kaufpreis übernahm P.________ die bestehende Verpflichtung, der Beklagten die Kaufpreisrestanz (Fr. 100'000.--) im abgemachten Zeitpunkt zu bezahlen und in Erfüllung der Kaufsrechtsvereinbarung die zugesicherte 4 ½ - Zimmerwohnung in der geplanten Überbauung (Fr. 300'000.--) zu übertragen (Ziff. 4 und 6 des Kaufvertrags).
 
A.c Auf Grund eines Tauschvertrags vom 8. April 1993 ging das Eigentum an den Parzellen Nrn. 1881 und 1886 auf X.________ über, der die beiden Parzellen am 18. September 2001 wiederum an die XY.________ AG verkaufte. In den jeweiligen Verträgen werden zwar das Kaufsrecht, das Grundpfandrecht und die Nutzniessung gemäss Grundbuchauszug genannt, eine ausdrückliche Überbindung der Pflichten gegenüber der Beklagten mit Bezug auf die Kaufpreisrestanz und den Inhalt der Kaufsrechtsvereinbarung findet sich hingegen nicht mehr. Die Vormerkung des Kaufsrechts wurde mit dem Eigentumsübergang auf die XY.________ AG im Grundbuch gelöscht. X.________ als Alleinaktionär der neuen Eigentümerin weigerte sich, der Beklagten die seinerzeit vertraglich in Anrechnung an den Kaufpreis zugesicherte 4 ½ - Zimmerwohnung in der geplanten Überbauung zu Eigentum zu übertragen.
 
B.
 
Die Gemeinde G.________ erteilte der XZ.________ AG am 18. September 2003 die Bewilligung zur Überbauung der Parzellen Nrn. 1881 und 1886, einschliesslich des Abbruchs bestehender Gebäude. Im November 2004 wurde mit dem Bau begonnen.
 
C.
 
Die XY.________ AG und die XZ.________ AG (fortan: Klägerinnen) hoben am 19. September 2003 ein Verfahren auf Erlass vorsorglicher Massnahmen an mit dem Antrag, Grundpfand und Nutzniessung zu Gunsten der Beklagten im Grundbuch zu löschen. Das Bezirksgericht G.________ entsprach dem Gesuch teilweise und wies das Grundbuchamt an, die beantragten Löschungen vorzunehmen. Die Klägerinnen hatten zuvor gemäss gerichtlicher Anordnung die Kaufpreisrestanz von Fr. 100'000.-- zu Gunsten der Beklagten überwiesen und für die gelöschte Nutzniessung und das nach Ablauf der Vormerkungsdauer gelöschte Kaufsrecht Sicherheiten von insgesamt Fr. 220'000.-- geleistet (Verfügungen vom 3. Oktober und vom 11. November 2003).
 
D.
 
Innert angesetzter Frist leiteten die Klägerinnen den Hauptprozess ein. Sie begehrten, die Rechtmässigkeit der Löschung der Nutzniessung festzustellen und die von ihnen im Massnahmenverfahren geleisteten Sicherheiten freizugeben. Die Beklagte erhob Widerklage. Ihre Schlussanträge vor Kantonsgericht lauteten auf Feststellung, dass die Inhaberobligation mit Grundpfandverschreibung zu Unrecht gelöscht worden sei, und auf Verurteilung der Klägerin 1 zur Zahlung von Fr. 325'000.-- nebst Zins. Das Kantonsgericht Wallis bestätigte die Löschungen des Grundpfandrechts, der Nutzniessung und des Kaufsrechts als rechtens und gab die von den Klägerinnen geleisteten Sicherheiten frei (Dispositiv-Ziff. 1-3). Es wies die Widerklage ab (Dispositiv-Ziff. 4) und auferlegte der Beklagten die Gerichts- und Parteikosten (Dispositiv-Ziff. 5 und 6 des Urteils vom 24. März 2006).
 
E.
 
Mit eidgenössischer Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, Dispositiv-Ziff. 2 des kantonsgerichtlichen Urteils betreffend Löschung der Nutzniessung aufzuheben, die Sache an das Kantonsgericht zu neuer Entscheidung zurückzuweisen und die Dispositiv-Ziff. 4-6 des angefochtenen Urteils entsprechend abzuändern bzw. anzupassen. Das Kantonsgericht hat keine Gegenbemerkungen angebracht. Eine Berufungsantwort der Klägerinnen ist nicht eingeholt worden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Eine Verletzung von Art. 738 Abs. 1 ZGB erblickt die Beklagte darin, dass das Kantonsgericht für den Inhalt der Dienstbarkeit nicht den Grundbucheintrag "Nutzniessung" als ausschliesslich massgebend betrachtet habe. Aus diesem Eintrag ergebe sich keine zeitliche Begrenzung der Nutzniessung, so dass sie mit dem Tod der Berechtigten endige (Art. 749 Abs. 1 ZGB). Die Umschreibung der Rechte und Pflichten durch den Grundbucheintrag verbiete es, auf den Dienstbarkeitsvertrag abzustellen und daraus eine Befristung oder Resolutivbedingung abzuleiten. Die Löschung der Nutzniessung sei deshalb - entgegen der kantonsgerichtlichen Feststellung - zu Unrecht erfolgt (Ziff. 1 S. 6 f. der Berufungsschrift).
 
Die Rechtsprechung hat auch für die Nutzniessung anerkannt, dass Beendigungsgründe mit dinglicher Wirkung im Errichtungsakt vorgesehen werden können (vgl. BGE 116 II 281 E. 3c S. 285). Die Auslegung des Errichtungsaktes ist indessen an die Schranke des Eintrags gebunden, wo sich nicht mehr die ursprünglichen Parteien des Dienstbarkeitsvertrags gegenüber stehen. Gemäss Art. 738 Abs. 1 ZGB ist der Eintrag für den Inhalt der Dienstbarkeit allein massgebend, soweit sich daraus Rechte und Pflichten deutlich ergeben. Der Dritterwerber kann sich dagegen wehren, dass einer im Grundbuch klar umschriebenen Dienstbarkeit mittels Auslegung des Erwerbsgrundes ein anderer Inhalt beigemessen wird; umgekehrt ist ihm aber auch verwehrt, sich auf den Erwerbsgrund zu berufen, um daraus einen für ihn vorteilhaften Inhalt der Dienstbarkeit abzuleiten, der dem Grundbucheintrag widerspricht. In einem solchen Fall wäre vielmehr die Löschung oder Änderung des Eintrags mittels Grundbuchberichtigungsklage zu verlangen und zu bewilligen, sollte der Grundbucheintrag unter Berücksichtigung des Erwerbsgrundes als ungerechtfertigt erscheinen (vgl. BGE 123 III 461 E. 2c S. 465).
 
Auf diesem von der Rechtsprechung vorgezeichneten Weg sind die Klägerinnen vorgegangen. Die Klägerin 1 ist Dritterwerberin, zumal sie an der Begründung der Nutzniessung im Jahre 1990 nicht mitgewirkt und die nutzniessungsbelasteten Parzellen erst im Jahre 2001 gekauft hat. Gestützt auf den Vertrag über die Nutzniessung, aus dem sich deren zeitliche Begrenzung ergeben soll, hat sie - gemeinsam mit der Klägerin 2 als sicherstellungsverpflichteter Bauherrin - die Löschung der im Grundbuch eingetragenen Belastung ihrer Parzellen vor Gericht begehrt. Sich gegenüber diesem Löschungsbegehren auf die Deutlichkeit des Eintrags zu berufen, ist von vornherein unbehelflich, geht es doch gerade um die Klärung der Frage, ob der vordergründig klare Grundbucheintrag mit dem Erwerbsgrund übereinstimmt und - falls dies nicht zutreffen sollte - berichtigt werden muss. Zur Beantwortung der Streitfrage ist der Inhalt der Dienstbarkeit anhand des Erwerbsgrundes zu ermitteln und mit dem Grundbucheintrag abzugleichen. Das Kantonsgericht hat sich deshalb zu Recht auf den Erwerbsgrund gestützt und den Nutzniessungsvertrag ausgelegt. An der Fragestellung ändert zudem nichts, dass die Beklagte an den Schlussverhandlungen nur mehr Schadenersatz gefordert und an ihrem Antrag nicht festgehalten hat, das Klagebegehren auf Löschung der Nutzniessung abzuweisen bzw. die Unrechtmässigkeit der vorsorglichen Löschung der Nutzniessung festzustellen. Die Frage nach der Rechtmässigkeit der Löschung der Nutzniessung im Grundbuch ist als Voraussetzung des von der Beklagten widerklageweise erhobenen Schadenersatzanspruchs zu prüfen.
 
2.
 
Die Beklagte macht geltend, das Kantonsgericht habe die für die Auslegung von Dienstbarkeitsverträgen massgebenden Grundsätze verletzt. Sie wendet sich gegen das kantonsgerichtliche Auslegungsergebnis, dass ihre Pflicht, die Nutzniessung bei Vorliegen der Abbruchverfügung löschen zu lassen, nicht an die Überlassung der Wohnung während der Bauphase oder an die Übertragung der noch nicht erstellten 4 ½ - Zimmerwohnung oder in irgend einer Weise an das Kaufsrecht geknüpft worden sei (Ziff. 2 S. 7 ff. der Berufungsschrift und E. 3b S. 11 des angefochtenen Urteils).
 
2.1 Das Kantonsgericht hat keinen wirklichen Parteiwillen festgestellt (vgl. dazu BGE 130 III 554 E. 3.1 S. 557 f.). Die Beklagte erhebt dagegen keine ausnahmsweise zulässigen Sachverhaltsrügen (Art. 55 Abs. 1 lit. d, Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG). Der Erwerbsgrund musste deshalb nach dem Vertrauensgrundsatz so ausgelegt werden, wie er nach seinem Wortlaut und Zusammenhang sowie namentlich mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Dienstbarkeit verstanden werden durfte und musste (BGE 131 III 345 E. 1.2 S. 347; allgemein: BGE 132 III 268 E. 2.3.2 S. 274 f.). Dabei hat der klare Wortlaut Vorrang vor weiteren Auslegungsmitteln, es sei denn, er erweise sich auf Grund anderer Vertragsbedingungen, dem von den Parteien verfolgten Zweck oder weiteren Umständen als nur scheinbar klar. Den wahren Sinn einer Vertragsklausel erschliesst zudem erst der Gesamtzusammenhang, in dem sie steht. Soweit sie für Dritte erkennbar sind, dürfen die Begleitumstände des Vertragsabschlusses oder die Interessenlage der Parteien in jenem Zeitpunkt ergänzend berücksichtigt werden (BGE 128 III 265 E. 3a S. 267; allgemein: BGE 131 III 377 E. 4.2.1 S. 382 und 606 E. 4.2 S. 611 f.).
 
2.2 Die Beklagte ist der Ansicht, die Nutzniessung hätte nur gelöscht werden dürfen, wenn ihr nach Abschluss der Bauarbeiten eine 4 ½ - Zimmerwohnung in der geplanten Überbauung zu Eigentum übertragen worden wäre. Diesbezüglich habe ein Austauschverhältnis bestanden. Da ihr Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der besagten Wohnung nicht erfüllt, die Nutzniessung aber gleichwohl gelöscht worden sei, erweise sich die Löschung der Nutzniessung als ungerechtfertigt und ihre Schadenersatzforderung als begründet.
 
Gegenstand der strittigen Auslegung ist Art. 8 des Vertrags vom 4. Mai 1990. Die Hauptleistungspflichten der Käufer R.________ und S.________ haben in der Bezahlung von insgesamt Fr. 700'000.-- und der Übertragung des Eigentums an einer Wohnung in der geplanten Überbauung bestanden (Art. 3). Zusätzlich haben die Käufer der Beklagten deren Wohnhaus bis zum Abbruch zur entschädigungslosen Nutzung überlassen (Art. 8) und sich verpflichtet, der Beklagten während der Bauzeit, d.h. bis zum Zeitpunkt, wo sie ihre Wohnung in der geplanten Überbauung beziehen könnte, unentgeltlich eine Mietwohnung zur Verfügung zu stellen (Art. 9 des Kaufvertrags). Zur Sicherstellung der übernommenen Pflichten haben die Käufer R.________ und S.________ der Beklagten ein Kaufsrecht an einem Miteigentumsanteil der erworbenen Parzellen, ausmachend die zugesicherte Wohnung in der künftigen Überbauung, eingeräumt (Art. 3-5), ihr für die Kaufpreisrestanz von Fr. 100'000.-- ein Grundpfand bestellt (Art. 7) und zu ihren Gunsten eine Nutzniessung an den verkauften Parzellen begründet, die hätte gelöscht werden sollen, sobald die behördliche Abbruchverfügung erteilt und der Mietvertrag vorgelegt worden wäre (Art. 8 des Vertrags vom 4. Mai 1990). In der strittigen Vertragsklausel wird ausdrücklich auf Art. 8 und Art. 9 des Kaufvertrags verwiesen, nicht hingegen auf Art. 3 des Kaufvertrags. Bereits der Wortlaut von Art. 8 des Vertrags vom 4. Mai 1990 widerlegt die Behauptung der Beklagten, die Nutzniessung habe auch bezweckt, die in Art. 3 des Kaufvertrags enthaltene Pflicht zur Übertragung des Eigentums an einer Wohnung in der geplanten Überbauung abzusichern, und hätte deshalb vor Erfüllung dieser Pflicht nicht gelöscht werden dürfen. Für jede der Hauptleistungspflichten der damaligen Käufer - Übertragung des Eigentums an einer Wohnung, Zahlung der Kaufpreisrestanz und Nutzung des bisherigen Wohnhauses - ist am 4. Mai 1990 ergänzend je ein Sicherungsmittel mit dinglicher Wirkung - Kaufsrecht, Grundpfand und Nutzniessung - vereinbart worden. Für eine doppelte Absicherung einzelner Pflichten, wie sie die Beklagte behauptet, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Der Wortlaut des Vertrags ist diesbezüglich eindeutig.
 
Die kantonsgerichtliche Auslegung, die Löschung der Nutzniessung sei weder an die Übertragung des Eigentums an einer Wohnung in der geplanten Überbauung noch irgendwie an das Kaufsrecht geknüpft worden, kann aus den dargelegten Gründen nicht beanstandet werden.
 
2.3 Die Beklagte begründet ihre Schadenersatzforderung ferner damit, dass die Nutzniessung nur hätte gelöscht werden dürfen, wenn ihr während der Bauarbeiten eine 4 ½ - Zimmerwohnung unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden wäre. Auch diesbezüglich habe ein Austauschverhältnis bestanden. Da ihr Anspruch auf unentgeltliche Benutzung einer Wohnung in der Zeit zwischen ihrem Auszug aus dem Wohnhaus und ihrem Bezug der Wohnung in der geplanten Überbauung nicht erfüllt, die Nutzniessung aber gleichwohl gelöscht worden sei, erweise sich die Löschung der Nutzniessung als ungerechtfertigt und ihre Schadenersatzforderung als begründet.
 
Es fällt auf, dass das Kantonsgericht einen Schadenersatzanspruch unter dem geltend gemachten Rechtstitel nicht geprüft hat. Es hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, die Beklagte verlange Fr. 325'000.-- als Schadenersatz, entsprechend dem gutachterlich ermittelten Verkehrswert für eine 4 ½ - Zimmerwohnung mit rund 100 m² in G.________, die ihr hätte zu Eigentum übertragen werden müssen (vgl. E. 3d S. 13 ff. des angefochtenen Urteils). In ihrer Widerklage hat die Beklagte denn auch geltend gemacht, der durch Expertise zu ermittelnde Wert einer 100 m² grossen Wohnung entspreche der Höhe ihres Schadens (S. 31, act. 141 der kantonalen Akten). In Anbetracht dessen muss das Bundesgericht davon ausgehen, dass die Beklagte einen dadurch entstandenen Schaden, dass ihr während der Bauarbeiten keine Wohnung unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden wäre, im kantonalen Verfahren weder behauptet noch zum Beweis verstellt hat. Ihr heutiges Vorbringen erweist sich deshalb als neu und als im Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; vgl. BGE 132 III 71 E. 1.3.2 S. 77; 125 III 305 E. 2e S. 311/312).
 
Auf die Berufung kann nach dem Gesagten nicht eingetreten werden, soweit die Beklagte ihre Schadenersatzforderung damit begründet, es hätte ihr während der Bauzeit unentgeltlich eine Wohnung zur Verfügung gestellt werden müssen. Bei dieser Verfahrenslage erübrigt sich auch die Überprüfung der kantonsgerichtlichen Auslegung, die Löschung der Nutzniessung sei nicht an die Überlassung einer Wohnung während der Bauphase geknüpft gewesen. Blosse Erwägungen bedeuten keine Beschwer (BGE 130 III 321 E. 6 S. 328).
 
3.
 
Die unterliegende Beklagte wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Wallis, Zivilgerichtshof I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. September 2006
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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