BGer I 713/2005 | |||
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BGer I 713/2005 vom 04.09.2006 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess {T 7}
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I 713/05
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Urteil vom 4. September 2006
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IV. Kammer
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Besetzung
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Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön; Gerichtsschreiberin Weber Peter
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Parteien
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G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf Strehler, Dorfstrasse 21, 8356 Ettenhausen TG,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden
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(Entscheid vom 30. August 2005)
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Sachverhalt:
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A.
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Mit Verfügung vom 7. Juli 2004 lehnte die IV-Stelle des Kantons Thurgau gestützt auf ein Gutachten des Spital X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin (vom 21. April 2004), das Begehren des 1961 geborenen G.________ auf eine Rente der Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 25 % ab. Auf Einsprache hin hielt sie an ihrem Standpunkt fest (Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2004).
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B.
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Die dagegen erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 30. August 2005 ab.
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C.
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Der Versicherte lässt unter Beilage eines Berichts des Dr. med. S.________, Facharzt für Innere Medizin FMH (vom 4. Oktober 2005), Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente. Weiter wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
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Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Stellungnahme.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
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2.
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2.1 Kantonales Gericht und Verwaltung haben die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen zum Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen und in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung), zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) sowie zum Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Hinweise zur Aufgabe des Arztes und der Ärztin bei der Invaliditätsbemessung und zur Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschätzung (vgl. auch BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen; AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc [Urteil B. vom 27. November 2001, I 82/01]) sowie zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 2a mit Hinweis; AHI 2001 S. 113 f. Erw. 3a [Urteil V. vom 24. Januar 2000, I 128/98]). Darauf wird verwiesen.
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2.2 Zu betonen bleibt, dass den im Rahmen des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten externer Spezialärztinnen und -ärzte, welche aufgrund eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten Bericht erstatten und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangen, bei der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen ist, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (vgl. auch BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb, mit weiteren Hinweisen).
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3.
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3.1 Nach sorgfältiger und überzeugender Würdigung der umfassenden medizinischen Akten gelangte die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zum Schluss, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung für leichte körperliche Tätigkeiten, mit Tragen von Gewichten von höchstens 20 kg, zu 100 % arbeitsfähig ist. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Sägereimitarbeiter befand sie als zu 75 %, d.h. sechs Stunden täglich, zumutbar. Sie stützte sich bei ihrer Beurteilung in Bestätigung der Verwaltung auf das Gutachten des Spitals X.________ (vom 21. April 2004). Die darin enthaltenen Feststellungen beruhen auf zusätzlichen eigenen Abklärungen (auch anlässlich des Gutachtens zu Handen der SUVA vom 29. Mai 2003) und sind in Kenntnis der Vorakten sowie unter Berücksichtigung der geklagten Beschwerden getroffen worden. Die Ausführungen in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sind einleuchtend und die gezogenen Schlussfolgerungen zu Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit werden nachvollziehbar begründet. Diese im Administrativverfahren eingeholte Expertise externer Spezialärzte erfüllt alle rechtsprechungsgemäss erforderlichen Kriterien (BGE 125 V 352 Erw. 3 mit Hinweisen) für eine beweiskräftige medizinische Entscheidgrundlage (Beweiseignung) und überzeugt zum andern auch inhaltlich (Beweiskraft). Ihr kommt in Übereinstimmung mit der Vorinstanz voller Beweiswert zu (vgl. Erw. 1.2), zumal konkrete Indizien, die gegen deren Zuverlässigkeit sprechen, entgegen den Einwendungen des Beschwerdeführers, nicht erstellt sind. Die Vorinstanz hat mithin zu Recht darauf abgestellt.
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3.2 Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen vorgebracht wird, vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Insbesondere kann der Beschwerdeführer aus dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten Bericht des Dr. med. S.________ (vom 4. Oktober 2005), welcher die Diagnose "Schweres Cerviko-thoraco-lumbospondylogenes Syndrom" und "Schweres fibromyalgieformes Beschwerdebild mit zahlreichen Myotendinosen" stellte und festhielt, dass die Beschwerden in diesem Jahr deutlich zugenommen hätten, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dr. med. S.________ äussert sich darin, nebst dem, dass er eine Lyme-Borreliose als Ursache der geklagten Beschwerden nun explizit ausschliesst, lediglich zur aktuellen gesundheitlichen Situation des Versicherten (anfangs Oktober 2005) und mithin zum Gesundheitszustand nach dem massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides (1. Dezember 2004), welcher die zeitliche Grenze der richterlichen Ueberprüfungsbefugnis bildet (BGE 129 V 169 Erw. 1). Darauf kann daher vorliegend nicht abgestellt werden. Einer allfälligen erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit diesem Zeitpunkt wäre vielmehr im Rahmen eines neuen Verwaltungsverfahrens Rechnung zu tragen.
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Was die angeführte Einschätzung des Hausarztes Dr. med. R.________ vom 8. Februar 2005 betrifft, welcher von einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 % ausgeht und für die restlichen 50 % nur eine Tätigkeit mit Ruhepausen als möglich erachtet, vermag diese ebenfalls keine begründeten Zweifel am überzeugenden Gutachten des Spital X.________ aufkommen zu lassen. So hat denn dieser in seinem Bericht bestätigt, dass eine nochmalige rheumatologische Beurteilung seinerseits durch Dr. med. U.________ (Bericht vom 21. Januar 2005) zu den gleichen Befunden wie am Spital X.________ führten. Weshalb er trotzdem von der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des Dr. med. U.________, welcher eine leichte Arbeit ebenfalls als möglich bezeichnete, abweicht, wird nicht näher begründet und ist mithin nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang ist der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zugunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc; Urteil F. vom 9. Februar 2006, I 736/05, Erw. 4). Entgegen der weiteren Argumentation des Beschwerdeführers kann zudem mit Verweis auf die zutreffenden Erwägungen im vorinstanzlichen Entscheid festgestellt werden, dass die belastungsabhängigen Schmerzen im Gutachten des Spitals X.________ sehr wohl berücksichtigt worden sind. Überdies wurde dem Versicherten empfohlen, sich während eines akuten Schmerzschubes sofort in der Klinik vorzustellen, um eine allfällig fassbare, systementzündliche Reaktion dokumentieren zu können, was offenbar nie geschah. Im psychischen Bereich konnten laut Gutachten keine Beeinträchtigungen festgestellt werden. Auch in den übrigen Akten sind dafür keine Anhaltspunkte zu finden. Gemäss Gutachten ergaben sich keine Hinweise auf eine depressive Symptomatik oder eine Fibromyalgie-Symptomatik und auch eine Schmerzgeneralisierung war nicht fassbar. Auch Dr. med. U.________ erwähnte keine Fibromyalgie. Bezüglich der von Dr. med. S.________ am 31. März 2003 gestellten Diagnose "Fibromyalgieformes Beschwerdebild" bzw. der von Dr. med. R.________ in der Stellungnahme vom 8. Februar 2005 erwähnten Fibromyalgie gilt sodann festzuhalten, dass eine Fibromyalgie und ihre Folgen mit einer zumutbaren Willensanstrengung vermutungsweise überwindbar sind und eine solche Erkrankung nur ausnahmsweise unter bestimmten - hier nicht gegebenen - Voraussetzungen eine Invalidität bewirkt (BGE 132 V 65).
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Mit Blick auf die gezeigte Ausgangslage sind von ergänzenden medizinischen Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, weshalb auf die beantragte Anordnung eines Obergutachtens unter Einbezug einer zusätzlichen Evaluation des funktionellen Leistungsvermögens (EFL) sowie allenfalls einer psychiatrischen Abklärung verzichtet werden kann (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b).
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4.
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Nicht zu beanstanden ist ferner der von der Verwaltung durchgeführte Einkommensvergleich, woraus ein Invaliditätsgrad von 25 % resultiert und mithin kein Anspruch auf eine Invalidenrente besteht. Der Beschwerdeführer bringt nichts dagegen vor, noch ergeben sich Anhaltspunkte aus den Akten, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, womit sich Weiterungen erübrigen.
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5.
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Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG (in der bis Ende Juni 2006 gültig gewesenen Fassung) keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich mithin als gegenstandslos. Die unentgeltliche Verbeiständung kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird, Rechtsanwalt Dr. Strehler für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
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Luzern, 4. September 2006
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
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