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Informationen zum Dokument  BGer 4C.223/2006  Materielle Begründung
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BGer 4C.223/2006 vom 07.09.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.223/2006 /zga
 
Urteil vom 7. September 2006
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Mathys,
 
Gerichtsschreiber Luczak.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Albert Romero,
 
gegen
 
Y.________,
 
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf Haltner.
 
Gegenstand
 
Mietvertrag; Kündigung; zweckwidrige Nutzung,
 
Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 4. Mai 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Mit Vertrag vom 28. Juli 1989 mietete X.________ (der Beklagte) von der Rechtsvorgängerin von Y.________ (Kläger) verschiedene Bauten und Unterstände in einer Liegenschaft zum "Betrieb als Werkstätten/Lager und Verkauf gem. HR-Eintrag (als integrierender Bestandteil diesem Vertrag beigeheftet)". Gemäss Ziff. 2 des Vertrages, die unter dem Titel "Verwendungszweck" stand, sollten die Mietobjekte wie folgt genutzt werden: Erdgeschoss zum Betrieb von Werkstätten und als Ausstellungsräume zu Verkaufszwecken, Dachgeschoss zu Lagerzwecken von nicht feuergefährlichen Materialien. Im nächsten Absatz dieser Bestimmung verabredeten die Parteien, dass die gemieteten Objekte keinen anderen als den angegebenen Nutzungsarten zugeführt werden dürften und dass für jede Änderung im Gebrauch der Mietsache eine schriftliche Zustimmung der Vermieterschaft erforderlich sei.
 
A.b Die Parteien gerieten mehrfach in gerichtliche Auseinandersetzungen. Mit amtlichem Formular vom 18. November 2003 kündigte der Kläger das Mietverhältnis auf den 30. Juni 2004 gestützt auf Art. 266g OR aus wichtigen Gründen wegen Verstössen gegen den Mietvertrag, strafbarer Handlungen gegen den Vermieter, schädigender Praktiken des Mieters, Weigerung, beanstandete Mängel zu beheben und Verhinderung von Unterhaltsleistungen.
 
B.
 
Der Kläger beantragte der Schlichtungsbehörde und nach fehlgeschlagenem Einigungsversuch mit Klage vom 9. Dezember 2004 dem Mietgericht des Bezirkes Zürich, dem Beklagten zu befehlen, das Mietobjekt zu räumen und vertragsgemäss sofort abzugeben, unter der Androhung der Bestrafung gemäss Art. 292 StGB im Widerhandlungsfalle. Das Mietgericht schützte die Klage und befahl dem Beklagten am 2. Dezember 2005, sämtliche Mietobjekte bis spätestens 30 Tage nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils ordnungsgemäss zu übergeben, unter Androhung von Zwangsvollstreckung im Unterlassungsfall. Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Berufung des Beklagten am 4. Mai 2006 ab und bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts.
 
C.
 
Der Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, die Aufhebung des Beschlusses des Obergerichts und die Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf kostenfällige Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Wie das Bezirksgericht kam das Obergericht zum Schluss, der Beklagte habe das Mietobjekt gegenüber der vertraglichen Vereinbarung markant erweitert genutzt. Er habe sich nicht auf die vereinbarte Nutzung gemäss dem ursprünglichen Firmenzweck, dem Import und Verkauf von Aussenbordmotoren, Schiffsmotoren, Schlauchbooten und Zubehör, beschränkt, sondern sein Geschäft auf Motorroller und deren Reparatur ausgedehnt, wobei der Handel mit Motorrollern nicht lediglich von untergeordnetem Ausmass sei, wie der Beklagte eingewendet habe. Er lasse die Motorroller im Freien herumstehen, was das Erscheinungsbild der Liegenschaft beeinträchtige. Gerade dies habe der Kläger mit der Beschränkung des Gebrauchs des Mietobjekts auf den Handel mit Schiffsmotoren verhindern wollen, könnten doch Letztere im Gegensatz zu Motorrollern innerhalb der Liegenschaft gelagert werden. Darüber hinaus habe der Beklagte ihm nicht vermietete Grundstücksflächen genutzt, und er habe zeitweise die Durchfahrten versperrt. Auch die Ordnung auf dem Grundstück habe zu erheblichen Beanstandungen Anlass gegeben. Die Mietliegenschaft vermittle einen ungepflegten Eindruck, wie ihn der Vermieter auch bei einer Vermietung zur Führung eines Werkstattbetriebs nicht in Kauf nehmen müsse. Der Kläger habe den Beklagten seit Jahren auf die vertragswidrige Nutzung hingewiesen. Dennoch habe der Beklagte sein Verhalten nicht geändert. Aus diesen Gründen hielt das Obergericht die Kündigung für wirksam.
 
1.2 Was die Rechtsgrundlage der Kündigung anbelangt, erwog die Vorinstanz, das Bundesgericht habe in seinem Urteil 4C.255/2004 vom 17. November 2004, E. 5.3 in Abweichung von BGE 123 III 124 E. 2a, wonach Art. 257f OR zu einem vertragsmässigen Gebrauch ganz allgemein verpflichte, die Meinung vertreten, mit Ausnahme der Verletzung der Pflicht zum sorgfältigen Gebrauch der Mietsache und zu Rücksichtnahme auf die Hausbewohner sei bei allen anderen Pflichtverletzungen die Kündigungsmöglichkeit nach Art. 266g OR zu beurteilen, worauf sich der Kläger demnach zu Recht gestützt habe. Selbst wenn die ausserordentliche Kündigung nur nach Art. 257f Abs. 3 OR zulässig sein sollte, wie das Mietgericht angenommen habe, sei angesichts der nicht konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht zu beanstanden, wenn das Mietgericht die aufgrund einer falschen Bestimmung ausgesprochene Kündigung des Vermieters umgedeutet habe. Die Heranziehung der zutreffenden Norm entspreche auch dem Grundgedanken von Art. 18 OR. Im Übrigen läge im Schreiben des Klägers vom 18. Oktober 2003 auch eine hinreichende Mahnung, wie sie nach Art. 257f Abs. 3 OR vorausgesetzt sei, könne doch der Beklagte nicht im Ernst behaupten, er habe nicht gewusst, was er an der Nutzung der Sache ändern solle, nachdem er während Jahren wiederholt auf deren Zweckwidrigkeit hingewiesen worden sei.
 
2.
 
Der Beklagte hält in der Berufung dafür, die von der Vorinstanz angenommenen Kündigungsgründe fielen ausnahmslos unter Art. 257f OR. Die Vorinstanz hätte daher die auf Art. 266g OR gestützte Kündigung für unwirksam erklären müssen.
 
2.1 In BGE 123 III 124 E. 3d S. 128 f. hat sich das Bundesgericht eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die zu Unrecht auf eine bestimmte Vorschrift gestützte ausserordentliche Kündigung wirksam sein kann, wenn sie unter einem anderen Titel zulässig wäre. Danach folgt zwar, wie der Beklagte an sich zutreffend vorträgt, aus dem Begriff des Gestaltungsrechts im allgemeinen ein Umdeutungsausschluss. Dieser reicht indessen nicht weiter als die Gebote der Klarheit, der Unbedingtheit und der Unwiderruflichkeit der Ausübung von Gestaltungsrechten und findet seine Schranken an den Grundsätzen der Rechtsanwendung von Amtes wegen und der unschädlichen Falschbezeichnung analog Art. 18 OR. Wer daher gestützt auf einen klar umschriebenen Sachverhalt eine ausserordentliche Kündigung ausspricht, dem schadet nicht, wenn er - rechtsirrtümlich - als rechtliche Grundlage seiner Gestaltungserklärung eine unrichtige Gesetzesbestimmung anruft, sofern eine Ersatznorm zur Verfügung steht, welche seinen Anspruch stützt. Die unrichtige rechtliche Qualifikation kann ihm diesfalls nicht entgegengehalten werden, und seine Kündigung ist nach Massgabe der sachlich anwendbaren Norm zu beurteilen. Diese Rechtsprechung hat nach wie vor ihre Gültigkeit.
 
2.2 Im vorliegenden Falle hat der Kläger für die ausserordentliche Kündigung mannigfache Gründe angegeben, die nicht ausnahmslos und eindeutig einem speziellen Kündigungsgrund zuzuordnen sind, so die Verweigerung und Vereitelung von Unterhaltsarbeiten, welche auch als Kündigungsgründe im Sinne von Art. 266g OR in Betracht fallen können (Higi, Zürcher Kommentar, N. 51 zu Art. 266g OR). Im Zeitpunkt der Kündigung steht nicht fest, ob im Prozess der Beweis sämtlicher angeführten Gründe gelingen wird. Zudem kann sich die Subsumption der einzelnen beanstandeten Verhaltensweisen unter die zutreffende Gesetzesnorm als schwierig erweisen. Es liefe dem Zweck des Gesetzes zuwider, die ausserordentliche Kündigung wegen einer unrichtigen rechtlichen Qualifikation für ungültig zu erklären, wenn die speziellen Bedingungen, unter denen der Gesetzgeber die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses ermöglichen wollte, tatsächlich gegeben sind und der Gegenpartei aus dem Hinweis auf die unzutreffende Gesetzesnorm keine Nachteile erwachsen (BGE 123 III 124 E. 3d S. 128 f.). Nichts anderes ergibt sich aus dem von Higi, a.a.O., N. 15 zu Art. 266g OR (ebenso SVIT-Kommentar, 2. Aufl., N. 4 zu Art. 266g OR am Ende) für die gegenteilige Auffassung herangezogenen Entscheid des Zürcher Obergerichts (ZR 73/1974 S. 173 Nr. 70). In jenem noch unter dem alten Mietrecht ergangenen Entscheid prüfte das Obergericht die Gültigkeit der Kündigung nicht nur im Lichte des für die Begründung erwähnten allgemeinen Kündigungsgrundes, der nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben war, sondern auch im Lichte eines speziellen, in der Kündigung nicht angegebenen Kündigungsgrundes. Das Obergericht gelangte aber zum Ergebnis, dass nicht sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung des speziellen Kündigungsgrundes gegeben seien.
 
2.3 Wenn der Kläger in seiner Kündigung davon ausging, das Verhalten des Beklagten falle unter die wichtigen Gründe gemäss Art. 266g OR und die Kündigung danach unter Einhaltung der gesetzlichen Frist aussprach, sich aber im Verfahren zeigt, dass aufgrund der beanstandeten Verhaltensweisen des Beklagten die Voraussetzungen für eine Kündigung nach der lex specialis des Art. 257f Abs. 3 OR erfüllt waren, führt dies nach dem Gesagten nicht zur Ungültigkeit der Kündigung. Selbst wenn die Kündigung auf Art. 257f Abs. 3 OR hätte abgestützt werden müssen, wie der Beklagte meint, hielte das angefochtene Urteil demnach im Ergebnis vor Bundesrecht stand. Die Berufung ist daher insoweit unbegründet. Dass der Beklagte genau wusste, worum es dem Kläger bei der Kündigung ging, hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgehalten (Art. 63 Abs. 2 OG).
 
3.
 
Soweit der Beklagte sinngemäss geltend macht, die Kündigung sei auch im Übrigen weder nach Art. 266g OR noch Art. 257f OR gerechtfertigt, erweisen sich seine Vorbringen als unbehelflich.
 
3.1 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden. Ausnahmen von dieser Bindung kommen nur in Betracht, wenn die Vorinstanz bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt hat, wenn ihr ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (Art. 63 Abs. 2 OG) oder wenn der von ihr ermittelte Sachverhalt im Hinblick auf die Anwendung des Bundesrechts der Ergänzung bedarf (Art. 64 OG). Die Partei, die den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu machen (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG; BGE 130 III 102 E. 2.2 S. 106; 115 II 484 E. 2a S. 485 f., je mit Hinweisen). Blosse Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung ist im Berufungsverfahren unzulässig (BGE 127 III 73 E. 6a S. 81; 126 III 10 E. 2b S. 13; 119 II 84 E. 3 S. 85).
 
3.2 Diese Vorschriften missachtet der Beklagte, wenn er sich, ohne das Vorliegen einer der genannten Ausnahmen zu belegen, auf Tatsachen beruft, die im angefochtenen Urteil keine Stütze finden, so wenn er ausführt, er habe nur ab und zu einen Motorroller verkauft und daher den Geschäftszweig bloss geringfügig erweitert oder wenn er sich über die verwendeteten Treibstoffe ausspricht. Damit ist er im Berufungsverfahren nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Sodann unterbreitet der Beklagte dem Bundesgericht seine eigene Beurteilung der im Recht liegenden Fotografien, womit er auf unzulässige Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanz kritisiert. Inwiefern die Vorinstanz ihr Ermessen überschritt, als sie den festgestellten Zustand der Liegenschaft als derart unordentlich einschätzte, dass sich der Kläger nicht mehr damit abfinden musste, zeigt der Beklagte dagegen nicht rechtsgenügend auf. In diesen Punkten ist auf die Berufung nicht einzutreten.
 
4.
 
Aus den dargelegten Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'500.-- wird dem Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Der Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. September 2006
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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