BGer 4C.226/2006 | |||
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BGer 4C.226/2006 vom 07.09.2006 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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4C.226/2006 /ruo
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Urteil vom 7. September 2006
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I. Zivilabteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Corboz, Präsident,
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Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Favre,
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Bundesrichterin Kiss, Bundesrichter Mathys,
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Gerichtsschreiber Mazan.
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Parteien
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A.________,
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Beklagter und Berufungskläger,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Müller,
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gegen
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B.________,
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Klägerin und Berufungsbeklagte.
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Gegenstand
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Arbeitsvertrag; Lohn,
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Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des
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Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz,
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vom 5. April 2006.
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Sachverhalt:
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A.
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Am 17. Februar 2000 unterzeichnete die damals minderjährige B.________ (Klägerin) - vertreten durch ihren Vater C.________ - ein Formular, gemäss dessen Text sie sich bei der von A.________ (Beklagter) betriebenen privaten Coiffeurschule für die Dauer von 36 Monaten als Schülerin anmeldete. Mit Schreiben vom 18. Februar 2000 (recte: 18. März 2000) bestätigte der Beklagte die ins Auge gefasste Ausbildung. Ab dem 16. August 2000 liess sich die Klägerin beim Beklagten als Coiffeuse ausbilden. Am 12. November 2002 brach sie die Ausbildung ab. Die Klägerin geht davon aus, dass sie während dieser Zeit beim Beklagten eine Lehre absolviert habe. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, dass er der Klägerin an der von ihm betriebenen Coiffeurschule Unterricht erteilt habe.
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B.
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Mit Klage vom 14. November 2002 vor Arbeitsgericht des Kantons Luzern forderte die Klägerin vom Beklagten insgesamt Fr. 21'866.80 unter verschiedenen Rechtstiteln. Unter anderem verlangte sie Fr. 12'000.-- als Lohn für die Zeit vom 16. August 2000 bis zum 12. November 2002. Mit Urteil vom 26. Januar 2005 verpflichtete das Arbeitsgericht den Beklagten, der Klägerin Fr. 12'888.80 netto zu bezahlen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem eingeklagten Lohn von Fr. 12'000.-- sowie Kosten für Arbeitsgeräte in der Höhe von Fr. 888.80.
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Dagegen erhob der Beklagte Appellation ans Obergericht des Kantons Luzern. Mit Urteil vom 5. April 2006 verpflichtet das Obergericht des Kantons Luzern den Beklagten, der Klägerin Fr. 12'000.-- zu bezahlen. Dabei handelte es sich um den eingeklagten Betrag für Lohn.
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C.
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Mit Berufung vom 20. Juni 2006 beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 5. April 2006 sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäss die Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Im vorliegenden Fall ist nur noch der von der Klägerin geltend gemachte Lohn in der Höhe von Fr. 12'000.-- umstritten. Das Obergericht qualifizierte das zwischen den Parteien abgeschlossene Vertragsverhältnis als Lehrvertrag (Art. 344 ff. OR). Der Beklagte machte dagegen geltend, dass das zwischen den Parteien abgeschlossene Vertragsverhältnis als Unterrichtsvertrag (Innominatvertrag) zu qualifizieren sei, so dass der eingeklagte Lohn nicht geschuldet sei.
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1.1 Zur Begründung führte die Vorinstanz im Wesentlichen aus, dass das Schwergewicht der vertraglichen Vereinbarung bei der praktischen Ausbildung der Klägerin gelegen sei. Dies sei typisch für eine Berufslehre. Beim Unterrichtsvertrag liege das Schwergewicht der beruflichen Bildung in der schulisch zu vermittelnden Theorie. Vertragszweck und Vertragspflichten der Parteien sprächen damit für einen Lehrvertrag nach Art. 344 ff. OR. Der Lehrvertrag bedürfe zur Gültigkeit gemäss Art. 344a OR der Schriftform. Da jedoch weder in der Anmeldung noch im Bestätigungsschreiben der Lohn, die Probezeit, die Arbeitszeit und die Ferien geregelt seien, welche gemäss Art. 344a Abs. 2 OR zwingend Inhalt des schriftlichen Lehrvertrages sein müssten, leide der Lehrvertrag an einem Formmangel. Dennoch sei der formungültige Vertrag von beiden Parteien erfüllt worden, weshalb der Lehrvertrag gemäss Art. 320 Abs. 3 OR in Verbindung mit Art. 355 OR zu beachten sei. Da die Entgeltlichkeit der Lehrlingsarbeit zu vermuten sei, schulde der Beklagte der Klägerin trotz fehlender ausdrücklicher Lohnvereinbarung einen Lohn. Der eingeklagte Lohn von Fr. 12'000.-- für eine Tätigkeit der Klägerin beim Beklagten während 27 Monaten - entsprechend ca. 445.-- pro Monat - sei sicher nicht zu hoch, weil die Klägerin vorwiegend praktisch am lebenden Modell und damit nutzbringend im Betrieb des Beklagten gearbeitet habe.
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1.2 Dagegen wendet der Beklagte im Wesentlichen ein, dass er mit der Klägerin keinen Lehrvertrag, sondern einen Unterrichtsvertrag abgeschlossen habe. Für die rechtliche Qualifikation des Vertragsverhältnisses sei von entscheidender Bedeutung, dass die Parteien keinen Lohn vereinbart hätten. Da offensichtlich kein Lohn vereinbart und geschuldet sei, könne kein Lehrvertrag vorliegen.
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2.
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Die Parteien sind sich zwar darin einig, dass sie einen Vertrag abgeschlossen haben, vertreten jedoch unterschiedliche Auffassungen über die Vertragsqualifikation. Während die Klägerin von einem Lehrvertrag ausgeht und daraus einen Lohnanspruch ableitet, macht der Beklagte geltend, dass ein Unterrichtsvertrag abgeschlossen worden sei und folglich kein Lohn geschuldet sei.
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2.1 Der Lehrvertrag ist ein Arbeitsvertrag mit der Besonderheit, dass die Arbeit in erster Linie der beruflichen Ausbildung der lernenden Person dient. Durch den Lehrvertrag verpflichtet sich der Arbeitgeber, die lernende Person für einen bestimmten Beruf fachgemäss auszubilden, und die lernende Person, zu diesem Zweck Arbeit im Dienst des Arbeitgebers zu leisten (Art. 344 OR). Der Lehrvertrag ist somit ein Arbeitsvertrag, der zum Zweck der Ausbildung abgeschlossen wurde. Aus der Gesetzessystematik ist zu schliessen, dass der Lehrvertrag eine Unterart des Arbeitsvertrages ist, die aus Elementen der Arbeitsleistung und solchen der Berufsbildung besteht; der Lehrzweck erfüllt sich auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages (BGE 102 V 228 E. 2a S. 231; Frank Vischer, Der Arbeitsvertrag, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/4, 3. Aufl., Basel 2005, S. 292; Manfred Rehbinder, Berner Kommentar, Bern 1992, N. 1 zu Art. 344 OR; Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. Aufl., Zürich 2006, N. 2 zu Art. 344 OR). Das Lehrverhältnis wird zu einem guten Teil auch vom öffentlichen Recht beherrscht (Art. 14 des Berufsbildungsgesetzes vom 13. Dezember 2002 [BBG; SR 412.10]). Zu den eidgenössisch anerkannten Berufen im Sinn des Berufsbildungsgesetzes gehört traditionellerweise auch der Beruf des Coiffeurs bzw. der Coiffeuse (Verordnung über die berufliche Grundbildung Coiffeuse EFZ/Coiffeur EFZ [SR 412.101.220.20]). Wenn eine Ausbildung nicht dem BBG unterstellt ist, ist von einem sog. freien Lehrverhältnis auszugehen, auf welches lediglich die obligationenrechtlichen Bestimmungen anwendbar sind (Adrian Staehelin, Zürcher Kommentar, Zürich 1996, N. 2 zu Art. 344 OR; Chambre d'appel de Genève, Urteil vom 8. September 1987, Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1989 S. 290 ff., E. 3; sinngemäss bestätigt vom Bundesgericht mit Urteil C.478/1987 vom 15. April 1988, JAR 1989 S. 296 ff.). Im Unterschied zum Lehrvertrag ist der Unterrichtsvertrag im Gesetz nicht definiert. In der Regel beinhaltet er die Verpflichtung des Unterrichtsgebers, dem Unterrichtnehmer gegen Zahlung eines Entgeltes persönlich oder durch seine Lehrkräfte in Räumlichkeiten, die von ihm zur Verfügung gestellt werden, die vertraglich umschriebenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln und ihm dauernd oder vorübergehend das Unterrichtsmaterial zu überlassen (Schluep/Amstutz, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2003, N. 419 und 425 Einleitung vor Art. 184 ff. OR; Walter J. Schluep, Innominatverträge, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/2, Basel 1979, S. 918 f.; Mireille Schaffitz, Der Schulvertrag, Diss. Zürich 1977, S. 2 ff.).
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2.2 Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, dass das Schwergewicht der Ausbildung auf der praktischen Arbeit lag. Die Klägerin habe vorwiegend praktisch - am lebenden Modell - und damit nutzbringend im Betrieb des Beklagten gearbeitet. Zudem führt der Beklagte selbst aus, dass die lebenden Modelle für die an ihnen verrichtete Arbeit einen - um ca. die Hälfte reduzierten - Preis bezahlt hätten. Wenn die Klägerin aber nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vorwiegend praktische Arbeit im Betrieb des Beklagten verrichtet hat, ist davon auszugehen, dass sie in die Arbeitsorganisation des Beklagten eingegliedert war. Sie arbeitete im Wesentlichen im Coiffeursalon des Beklagten für zahlende Kunden und konnte dabei den Beruf als Coiffeuse erlernen. Diese Umstände sprechen dafür, das zwischen den Parteien abgeschlossene Vertragsverhältnis als Lehrvertrag zu qualifizieren. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Parteien keinen Lehrvertrag abgeschlossen haben, der von der zuständigen kantonalen Behörden genehmigt worden wäre (Art. 14 Abs. 3 BBG). Anstatt von einem Lehrvertrag, der dem BBG unterstellt ist, ist von einem freien Lehrvertrag auszugehen, der sich ausschliesslich nach den Bestimmungen des Obligationenrechts richtet. Der Beklagte geht daher zu Unrecht davon aus, dass die Parteien keinen Lehrvertrag, sondern einen Unterrichtsvertrag abgeschlossen hätten. Insbesondere spricht gegen die Annahme eines Unterrichtsvertrages, dass kein Schulgeld vereinbart wurde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, weshalb der Beklagte der Klägerin eine Berufsausbildung in einer Schule verschaffen sollte, ohne im Gegenzug für den von ihm bzw. seinen Lehrkräften erteilten Unterricht ein Entgelt zu erhalten.
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2.3 Nachdem sich ergeben hat, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien als Lehrvertrag zu qualifizieren ist, ist im Folgenden zu prüfen, ob gestützt auf den Lehrvertrag ein Lohn geschuldet ist. Gemäss Art. 344a OR bedarf der Lehrvertrag zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form (Abs. 1). Dabei hat der Vertrag die Art und die Dauer der beruflichen Ausbildung, den Lohn, die Probezeit, die Arbeitszeit und die Ferien zu regeln (Abs. 2). Das Schriftformerfordernis muss alle in Art. 344a Abs. 2 OR genannten Punkte - insbesondere auch die Regelung des Lohns - umfassen (Streiff/von Kaenel, a.a.O., N. 2 zu Art. 344a OR; Rehbinder, Berner Kommentar, a.a.O., N. 1 zu Art. 344a OR; Kramer/Schmidlin, Berner Kommentar, Bern 1986, N. 91 zu Art. 11 OR; a.M. Staehelin, a.a.O., N. 1 zu Art. 344a OR). Im vorliegenden Fall wurde keine vertragliche Vereinbarung über den Lohn getroffen, obwohl der Lohn Gegenstand des schriftlichen Lehrvertrages sein müsste. Der Lehrvertrag leidet daher an einem Formmangel. Dies hat die Ungültigkeit des Vertrages zur Folge (Art. 11 Abs. 2 OR).
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2.4 Ein ungültiges Arbeitsverhältnis, das vom gutgläubigen Arbeitnehmer erfüllt wurde, ist so lange als gültig zu betrachten, bis sich eine Seite von ihm lossagt (Art. 320 Abs. 3 OR). Diese Regelung ist auch auf den Lehrvertrag anwendbar (Art. 355 OR). Im vorliegenden Fall ist die Gutgläubigkeit der Klägerin für die Annahme eines faktischen Lehrverhältnisses zu bejahen, da nicht festgestellt ist, dass sie positive Kenntnis von der Formungültigkeit des Lehrvertrages hatte (vgl. BGE 132 III 242 E. 4.2.4 und 4.2.5 S. 247 f.). Folglich ist für die Dauer vom 16. August 2000 bis zum 12. November 2002, während welcher sich die Klägerin beim Beklagten als Coiffeuse ausbilden liess, von einem faktischen Lehrverhältnis auszugehen. Die Vereinbarung eines Lohnes während des Lehrverhältnisses ist nach der überwiegenden Lehre zwar nicht zwingend, aber üblich (Streiff/von Kaenel, a.a.O., N. 6 zu Art. 345a OR; Staehelin, a.a.O., N. 3 zu Art. 344 OR; Rehbinder/Portmann, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2003, N. 1 zu Art. 344 OR; neuerdings für einen zwingenden Lohnanspruch Vischer, a.a.O., S. 291; Manfred Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, 15. Aufl., Bern 2002, S. 184 f., Rz. 393). Es rechtfertigt sich daher, gestützt auf die Annahme eines faktischen Lehrverhältnisses von einem Anspruch der Klägerin auf den üblichen Lohn auszugehen. In quantitativer Hinsicht ist der von der Vorinstanz zugesprochene Lohn von Fr. 12'000.-- im Verfahren vor Bundesgericht nicht umstritten.
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2.5 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die Vorinstanz das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien zu Recht als Lehrvertrag qualifiziert hat (E. 2.1 und 2.2) und zutreffend angenommen hat, dass der übliche Lohn geschuldet ist (E. 2.3 und 2.4).
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3.
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Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beklagte die Klägerin für das Verfahren vor Bundesgericht eine Prozessentschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 2 OG). Da der Streitwert von Fr. 30'000.-- nicht erreicht wird, ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 343 Abs. 2 und 3 OR).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Berufung wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Der Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. September 2006
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Im Namen der I. Zivilabteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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