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Informationen zum Dokument  BGer 5P.329/2006  Materielle Begründung
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BGer 5P.329/2006 vom 13.09.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.329/2006 /bnm
 
Urteil vom 13. September 2006
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
 
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,
 
gegen
 
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, als Beschwerdeinstanz nach EGZGB, Postfach, 6002 Luzern.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (fürsorgerische Freiheitsentziehung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, als Beschwerdeinstanz nach EGZGB, vom 5. Juli 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ (Beschwerdeführerin) wurde am 17. Mai 2006 wegen akuten psychotischen Zustandes und der bekannten paranoiden Schizophrenie fürsorgerisch die Freiheit entzogen und in das Psychiatriezentrum A.________ eingewiesen. Ihrem Gesuch vom 20. Mai 2006 um sofortige Entlassung entsprach die ärztliche Leitung nicht.
 
B.
 
B.a Mit Beschwerde vom 22. Mai 2006 verlangte die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Willisau erneut die Entlassung aus der Klinik, welchen Antrag der von der Beschwerdeführerin beigezogene Anwalt bestätigte; dieser ersuchte überdies im Namen seiner Mandantin um unentgeltliche Rechtspflege und um seine Einsetzung als unentgeltlicher Rechtsbeistand für die Beschwerdeführerin. Beide Anträge wies die angerufene Instanz mit Entscheid vom 31. Mai 2006 ab. In diesem Entscheid wurden im Einverständnis der Beschwerdeführerin sowohl der vorsorgliche fürsorgerische Freiheitsentzug als auch die Ablehnung des Entlassungsgesuchs der Beschwerdeführerin behandelt.
 
B.b Die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Entscheid eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, als Beschwerdeinstanz nach Art. 67 EGZGB mit Urteil vom 5. Juli 2006 ab.
 
C.
 
Gegen dieses Urteil hat die Beschwerdeführerin beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Begehren, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das Obergericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
 
D.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darstellung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (Rügeprinzip; vgl. BGE 125 I 71 E. 1c S. 76; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Allgemeine Vorwürfe ohne eingehende Begründung dafür, inwiefern welches verfassungsmässige Recht verletzt sein soll, genügen den gesetzlichen Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht (BGE 117 Ia 10 E. 4b). Ebenso wenig tritt es auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ein (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Unzulässig ist sodann der schlichte Verweis auf kantonale Akten (BGE 114 Ia 317 E. 2b S. 318). Nicht einzutreten ist schliesslich grundsätzlich auf neue tatsächliche sowie rechtliche Vorbringen im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 114 Ia 204 E. 1a S. 205; 118 Ia 20 E. 5a S. 26; 129 I 49 E. 3 S. 57). Diesen Voraussetzungen vermag die Beschwerde über weite Strecken nicht zu genügen.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin erblickt in der Einweisung in eine Anstalt im Rahmen des fürsorgerischen Freiheitsentzugs eine Verletzung von Art. 8 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 2 BV. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, ihr werde vorgeworfen, sie habe vor der Einweisung vom 17. Mai 2006 aus ihrer Wohnung heraus Passanten beschimpft und Velofahrer mit Gegeständen beworfen und verletzt. Diese Vorwürfe seien von ihr bestritten worden, jedoch unbewiesen geblieben. Die Beschwerdeführerin äussert sich über mehrere Seiten zu diesen Punkten und behauptet, sie sei zu diesen Vorwürfen auch vom Obergericht nicht angehört worden (Beschwerde S. 14-18 I.).
 
In ihrer sechs Seiten umfassenden kantonalen Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat die durch einen Anwalt verbeiständete Beschwerdeführerin rund eine halbe Seite zur Aufhebung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung geschrieben und sich darin überhaupt nicht zu den Gründen geäussert, die zu ihrer Einweisung in die Anstalt geführt haben. Die Beschwerdeführerin stellte sich vielmehr auf den Standpunkt, massgeblich sei, ob ihr momentaner Gesundheitszustand eine Entlassung erlaube. Die Ausführungen schliessen mit der Behauptung, die Krisensituation sei abgeschlossen, weshalb sie zu entlassen sei. Soweit sich die Beschwerdeführerin in der staatsrechtlichen Beschwerde zum Freiheitsentzug äussert, handelt es sich demzufolge um neue, im vorliegenden Verfahren unzulässige Vorbringen. Abgesehen davon übt die Beschwerdeführerin lediglich appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid und legt übrigens auch nicht dar, vor Obergericht um ihre Anhörung ersucht zu haben. In diesem Punkt ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
 
3.
 
Das Obergericht hat das Beschwerdeverfahren mit Blick auf die knappe und unsubstantiierte Begründung der Beschwerde als aussichtslos betrachtet und der Beschwerdeführerin daher die unentgeltliche Rechtsverbeiständung verweigert. Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr Anwalt habe sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren einlässlich zur Sache geäussert. Der erstinstanzliche Richter habe im Beschwerdeverfahren auf eine Vernehmlassung verzichtet und auf den angefochtenen Entscheid verwiesen. Indem das Obergericht von ihrem Anwalt eine ausführliche Begründung der Beschwerde verlange, den Verweis des erstinstanzlichen Richters auf den angefochtenen Entscheid aber als genügend erachte, verletze es das Gleichheits- und Fairnessgebot (Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) (Beschwerde S. 18 f. II.).
 
Vorliegend geht es nicht um die Frage, wie eine Stellungnahme der ersten Instanz inhaltlich abgefasst werden muss. Insoweit geht die Berufung der Beschwerdeführerin auf die vorgenannten Bestimmungen an der Sache vorbei. Nach § 133 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG/LU) hat die Beschwerdeschrift eine Begründung zu enthalten. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern das Obergericht diesen Grundsatz im vorliegenden Fall willkürlich angewendet bzw. sich willkürlich darauf abgestützt hat. Die Rüge läuft denn auch darauf hinaus, dass eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zu begründen und zu substantiieren sei, wenn sich die Beschwerde führende Person vor erster Instanz geäussert hat. Diese Ansicht lässt sich jedenfalls dem Wortlaut von § 133 VRG nicht entnehmen und die Beschwerdeführerin legt an dieser Stelle nicht dar, woraus sich eine solche Schlussfolgerung ziehen liesse. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.
 
4.
 
Als Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 2 BV macht die Beschwerdeführerin ferner geltend, das Obergericht habe die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für das erstinstanzliche Verfahren lediglich mit dem Hinweis auf die fehlende Notwendigkeit der Bestellung eines Rechtsbeistandes im Sinne von Art. 397f Abs. 2 ZGB begründet. Vorliegend habe die Beschwerdeführerin aber bereits einen Anwalt mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt gehabt, so dass sich die Frage der Bestellung eines Anwalts gestützt auf Art. 397f Abs. 2 ZGB nicht mehr stellte. Das Obergericht habe seinen Entscheid ungenügend begründet (Beschwerde S. 19 - 21 III.).
 
Die Beschwerdeführerin übersieht dabei, dass auch die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, insbesondere die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands, nicht zuletzt auch davon abhängt, ob sich ein Rechtsbeistand für das Verfahren als notwendig erweist (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV). Das Obergericht hat dies für das erstinstanzliche Verfahren verneint und deshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in diesem Punkt abgewiesen. Diese Begründung entspricht den Anforderungen von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Abgesehen davon behauptet die Beschwerdeführerin auch nicht, sie sei aufgrund der mangelnden Begründung nicht in der Lage gewesen, den Entscheid sachgerecht anzufechten (BGE 112 Ia 109 E. 2b;124 IV 8 E. 2c; 126 I 97 E. 2b). Die Rüge erweist sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.
 
5.
 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Obergericht lehne das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das obergerichtliche Verfahren ab, weil sich die Beschwerde infolge der knappen und unsubstantiierten Begründung als aussichtslos erwiesen habe. Aufgrund der Offizialmaxime und der umfassenden Sachverhalts-, Rechts- und Ermessenskontrolle (§ 65 und 67 EGZGB/LU) sei das Obergericht verpflichtet gewesen, sich mit den Vorbringen der Beschwerdeführerin vor erster Instanz auseinanderzusetzen. Dies habe es unterlassen und damit Art. 6 Ziff. 1 EMRK und 29 Abs. 2 BV verletzt (Beschwerde S. 21 ff. IV.).
 
Die Beschwerdeführerin lässt unerwähnt, dass sich die Aussichtslosigkeit eines Verfahrens danach beurteilt, ob die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die Rechtsbegehren deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Die so genannten Prozesschancen sind in vorläufiger und summarischer Prüfung des Prozessstoffes abzuschätzen, wobei es im Rechtsmittelverfahren um die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs geht (Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 167 f. Ziffer 6). Die Frage lautet, ob das Rechtsmittel offenbar prozessual unzulässig oder aussichtslos ist (BGE 60 I 179 E. 1 S. 182; 78 I 193 E. 2 S. 195). Im Lichte dieser Ausführungen war das Obergericht somit gehalten, die Chancen des Rechtsmittels in summarischer Prüfung auszuloten, was es denn auch getan hat. Da sich die Begründung der Beschwerde in der Tat als sehr knapp und unsubstantiiert erwiesen hat, durfte das Obergericht ohne Verletzung der vorgenannten Bestimmungen die unentgeltliche Rechtspflege verweigern. Schliesslich kann die Beschwerdeführerin auch aus der Offizialmaxime nach § 65 EGZGB/LU sowie der umfassenden Sachverhalts-, Rechts- und Ermessenskontrolle nach § 67 EGZGB/LU nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dass dem Obergericht die Ermessenskontrolle zusteht (§ 67 EGZGB) sagt nichts zum Umfang der Begründung aus. Die in § 65 statuierte Untersuchungsmaxime entbindet die Parteien nicht davon, ihre Eingaben zu begründen (Urteil 5C.207/2004 vom 26. November 2004, E. 2.1). Die Rüge erweist sich damit als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
6.
 
Zusammenfassend ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Diesem Verfahrensausgang entsprechend trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
7.
 
Auf das nicht begründete Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist nicht einzutreten.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird nicht eingetreten.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 750.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, als Beschwerdeinstanz nach EGZGB, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. September 2006
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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