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Informationen zum Dokument  BGer 4C.253/2006  Materielle Begründung
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BGer 4C.253/2006 vom 26.09.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.253/2006 /zga
 
Urteil vom 26. September 2006
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Favre,
 
Gerichtsschreiber Luczak.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Advokat Dr. Beat Schultheiss,
 
gegen
 
Y.________,
 
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch
 
Advokat Dr. Alex Hediger.
 
Gegenstand
 
Mietvertrag; Erstreckung; Konventionalstrafe,
 
Berufung [OG] gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht,
 
vom 23. Mai 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
In einer zwischen der X.________ AG (Beklagte) als Vermieterin und der Y.________ AG (Klägerin) als Mieterin entstandenen gerichtlichen Auseinandersetzung schlossen die Parteien anlässlich der kantonsgerichtlichen Verhandlung vom 29. April 2003 einen Vergleich, mit welchem unter die am 19. September 2001 wegen Eigenbedarfs gemäss Art. 272 Abs. 2 lit. b OR ausgesprochene Kündigung ein Schlussstrich gezogen werden sollte. Der Vergleich enthält unter Ziff. 2 und 3 folgende Bestimmungen:
 
"Das Mietverhältnis wird bis 30. September 2004 definitiv und letztmalig erstreckt, wobei die Mieterin und Appellantin das Mietverhältnis während der Erstreckungsdauer mit einer 3-monatigen Frist auf jedes Monatsende kündigen kann.
 
Die Vermieterin und Appellatin verpflichtet sich, nach Auszug der Mieterin und Appellantin, das Mietobjekt tatsächlich selber für mindestens 2 Jahre zu nutzen. Wird das Mietobjekt von der Vermieterin und Appellatin nicht - wie zuvor festgelegt - benutzt, bezahlt sie der Mieterin und Appellantin eine Konventionalstrafe von CHF 25'000.--."
 
B.
 
In der Meinung, die Beklagte habe das Mietobjekt nach ihrem Auszug nicht im Sinne von Ziff. 3 des Vergleichs genutzt, belangte die Klägerin die Beklagte vor dem Bezirksgerichtspräsidium Arlesheim auf Zahlung der Konventionalstrafe. Die Bezirksgerichtspräsidentin schützte die Klage am 1. Dezember 2005 vollumfänglich und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von Fr. 25'000.-- Konventionalstrafe nebst 5 % Zins seit 22. Februar 2005 und Fr. 100.-- Zahlungsbefehlskosten in der am Betreibungsamt Zug hängigen Betreibung, deren Fortsetzung sie gestattete. Mit Urteil vom 23. Mai 2006 wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft die von der Beklagten gegen diesen Entscheid ergriffene Appellation ab.
 
C.
 
Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf kostenfällige Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Im kantonalen Verfahren war einzig die Auslegung der Vergleichsklausel über die Konventionalstrafe und insbesondere streitig, was "nach Auszug" und "selber zu nutzen" zu bedeuten habe.
 
1.1 Vertragsbezogene Willenserklärungen sind - wenn kein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille festgestellt werden kann - nach dem Vertrauensgrundsatz so auszulegen, wie sie vom Empfänger nach Treu und Glauben verstanden werden durften und mussten. Dies beurteilt sich nicht nur nach ihrem Wortlaut und dem gesamten Zusammenhang, in dem sie stehen, sondern auch nach den Umständen, die ihnen vorausgegangen und unter denen sie abgegeben worden sind (BGE 132 III 24 E. 4 S. 28; 131 III 280 E. 3.1 S. 286 f., je mit Hinweisen). Zu welchem Ergebnis eine solche Auslegung führt, ist eine Frage der Rechtsanwendung, über welche das Bundesgericht frei entscheidet. Gebunden ist es aber an die Feststellungen des kantonalen Gerichts über die Umstände des Vertragsschlusses und das Wissen der Vertragsparteien (BGE 132 III 24 E. 4 S. 28, 268 E. 2.3.2 S. 274 f., je mit Hinweisen).
 
1.2 Die Vorinstanz stellte fest, die Konventionalstrafe sei vereinbart worden, weil die Mieterin bezweifelt habe, dass die Vermieterin die Büroräume selbst habe nutzen wollen. Da die Kündigung kurz nach Ablauf der dreijährigen Schutzfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e OR ausgesprochen worden sei, habe die Klägerin befürchtet, dass es sich dabei in Tat und Wahrheit um eine Rachekündigung handle. Vor diesem Hintergrund gelangte die Vorinstanz zum Ergebnis, die Konventionalstrafe sollte nach deren Sinn für den Fall geschuldet sein, dass sich die Kündigung im Nachhinein wegen lediglich vorgeschobenen Eigenbedarfs als missbräuchlich erweisen sollte. Unter "eigener Nutzung" habe die Klägerin bei Abschluss des Vergleichs nach Treu und Glauben verstehen dürfen, dass die Beklagte künftig ihre Geschäftstätigkeit in das von der Klägerin verlassene Mietobjekt verlegen werde. Das habe sie seit dem Auszug der Klägerin nicht getan, sondern sich nach eigenen Angaben bisher fast zwanzig Monate für eine Renovation Zeit gelassen und die Liegenschaft nicht entsprechend deren Gebrauchszweck genutzt. Dadurch habe die Beklagte gezeigt, dass auf ihrer Seite bei Abschluss des Vergleichs kein dringender Eigenbedarf vorgelegen habe, weshalb die Konventionalstrafe geschuldet sei.
 
1.3 Die Beklagte erblickt in dieser Würdigung eine Verletzung von Art. 4 ZGB, mithin von Bundesrecht. Sie macht geltend, der Beginn ihrer Eigennutzung sei im Vergleich nicht festgelegt worden, lediglich deren Mindestdauer. Sie kritisiert den Passus des angefochtenen Urteils, wonach eine Renovationszeit von nunmehr fast 20 Monaten nicht den Vorstellungen der Parteien bei Abschluss des Vergleichs (29. April 2003) entsprochen habe, indem sie darauf hinweist, die Parteien hätten keinerlei Vorstellung über die Renovationsdauer gehabt, weil davon nie die Rede und vor dem Auszug der Mieterin der Umfang der Renovationsarbeiten nicht absehbar gewesen sei. Zudem sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz bei Abschluss der Vereinbarung nicht zeitliche, sondern sachliche Dringlichkeit im Sinne von Ernsthaftigkeit massgebend gewesen.
 
1.4 Richtig ist, dass der dringende Eigenbedarf im Sinne von Art. 271a Abs. 3 lit. a OR nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Zwangs- oder gar Notlage des Vermieters voraussetzt, sondern immer dann gegeben ist, wenn es ihm aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht zumutbar ist, auf die Benutzung der vermieteten Wohnung oder des Hauses zu verzichten. Beim Entscheid über diese Frage sind alle erheblichen Umstände des Falles zu würdigen. Das Erfordernis der Dringlichkeit ist dabei nicht allein zeitlich, sondern auch sachlich zu verstehen. Es müssen Gründe vorliegen, denen auch nach objektiver Beurteilung eine gewisse Bedeutung zukommt (BGE 118 II 50 E. 3d S. 55; Bundesgerichtsurteil 4C.400/2001 vom 4. März 2002 E. 3a, publ. in Pra 2002 Nr. 110 S. 635). Dass der Begriff des dringenden Eigenbedarfs gemäss Art. 272 Abs. 2 lit. d OR anders zu verstehen sein soll, ergibt sich weder aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung noch aus der Lehre (vgl. Bundesgerichtsurteile 4C.139/2000 vom 10. Juli 2000 E. 2b; 4C.362/1995 vom 18. Januar 1996 E. 1c mit Hinweisen). Mit Blick auf die Auslegung der vereinbarten Klausel betreffend die Konventionalstrafe ist indes nicht einzig auf diese Bedeutung des Gesetzes abzustellen, sondern darauf, was die Klägerin unter der implizit gegebenen Zusicherung, die Beklagte werde nach dem Auszug der Klägerin das Mietobjekt "tatsächlich selber für mindestens zwei Jahre nutzen", in guten Treuen verstehen durfte. Weshalb es eine Ermessensüberschreitung bedeuten soll, angesichts der Behauptung des dringenden Eigenbedarfs der Beklagten der Klägerin zuzugestehen, die "Nutzung" dem effektiven Bezug des Mietobjekts innert nützlicher Frist gleichzusetzen, zeigt die Beklagte nicht auf und ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, wenn, wie die Beklagte darlegt, eine Renovation der Mieträumlichkeiten bei den Vergleichsgesprächen nicht thematisiert worden ist. Die Vorinstanz durfte daher bundesrechtskonform annehmen, dringender Eigenbedarf im erwähnten Sinne habe nicht vorgelegen, wenn es sich die Beklagte leisten kann, während mehr als eineinhalb Jahren mit dem Einzug zuzuwarten, zumal die Beklagte entgegen dem üblichen Vorgehen nach eigenen Angaben die Planung der Renovation erst an die Hand genommen hat, nachdem die Klägerin bereits ausgezogen war.
 
2.
 
2.1 Die Beklagte rügt sodann eine Verletzung von Art. 8 ZGB. Sie führt an, im angefochtenen Entscheid werde ausgeführt, sie habe weder bewiesen, Renovationsarbeiten angeordnet und für deren beförderliche Durchführung gesorgt zu haben noch dass sie 500 Bundesordner und anderes Büromaterial in das Mietobjekt verbracht hat und dass der Buchhalter und die Sekretärin in die Räumlichkeiten eingezogen seien. Die Klägerin habe aber die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten nicht bestritten, und überdies wäre es nach Art. 8 ZGB Sache der Klägerin gewesen, zu beweisen, dass die Beklagte das Mietobjekt nicht wie vereinbart nutze.
 
2.2 Wie bereits erörtert (E. 1 hiervor), hält die rechtliche Beurteilung der Vorinstanz vor Bundesrecht stand. Dass die Beklagte ihre Geschäfte nunmehr in den von der Klägerin verlassenen Räumlichkeiten führt, hat die Beklagte nicht vorgebracht. Eine Nutzung im Sinne der Vereinbarung liegt mithin nicht vor, weshalb nicht entscheiderheblich ist, ob die Beklagte Bundesordner und weiteres Material in das Mietobjekt verbracht hat. Zudem ist wie dargelegt auch unter der Voraussetzung, dass die Renovation wie behauptet vonstatten ging, bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Dringlichkeit des Eigenbedarfs verneinte. Eine Verletzung von Art. 8 ZGB scheidet aber mit Bezug auf Tatsachen ohne Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens von vornherein aus (BGE 132 III 222 E. 2.3 S. 226 mit Hinweis), weshalb nicht auf die Rüge einzutreten ist.
 
3.
 
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. September 2006
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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