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Informationen zum Dokument  BGer 2P.212/2006  Materielle Begründung
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BGer 2P.212/2006 vom 04.10.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2P.212/2006/fco
 
2A.498/2006
 
Urteil vom 4. Oktober 2006
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Betschart, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Wurzburger, Müller,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Daniel J. Senn,
 
gegen
 
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld Kant. Verwaltung,
 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570 Weinfelden.
 
Gegenstand
 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 7. Juni 2006.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der aus dem Kosovo stammende X.________, geboren am 18. Mai 1976, stellte am 23. Oktober 1995 ein Asylgesuch; dieses wurde rechtskräftig abgewiesen und X.________ wurde aus der Schweiz weggewiesen. Der Ausreiseaufforderung kam er nie nach; am 18. Juni 1998 heiratete er in Frauenfeld eine im Kanton Thurgau niedergelassene Landsfrau, welche für ihn - erfolglos - um Familiennachzug ersuchte. Schliesslich wurde X.________ mit Wirkung per 20. Dezember 2000 die Aufenthaltsbewilligung für den Kanton Thurgau zum Verbleib bei seiner Ehefrau erteilt. Sie wurde zuletzt bis zum 19. Dezember 2004 verlängert. X.________ und seine Ehefrau haben eine gemeinsame Tochter, geboren am 16. Dezember 2003. Seit Herbst 2004 leben die Ehegatten getrennt; die Tochter wächst bei ihrer Mutter auf. Das Scheidungsverfahren ist hängig.
 
Mit Verfügung vom 20. April 2005 wies das Ausländeramt (heute: Migrationsamt) des Kantons Thurgau ein Gesuch von X.________ um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; zugleich ordnete es seine Wegweisung aus dem Gebiet des Kantons Thurgau an. Das Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau wies den gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs am 10. Januar 2006 ab und ordnete an, dass der Ausländer den Kanton Thurgau innerhalb eines Monats seit Rechtskraft seines Rekursentscheides zu verlassen habe. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die gegen diesen Rekursentscheid erhobene Beschwerde am 7. Juni 2006 ab.
 
Am 31. August 2006 hat X.________ den Entscheid des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht sowohl mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten; er beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das Migrationsamt anzuweisen, die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde), bzw. den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Streitsache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (staatsrechtliche Beschwerde). Das Departement für Justiz und Sicherheit und das Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerden abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Migration beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Über die beiden Beschwerden ist in einem Urteil zu befinden; mit dessen Ausfällung wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung, welchem am 5. September 2006 superprovisorisch entsprochen worden ist, gegenstandslos.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Letztere ist gegenüber jedem anderen Rechtsmittel ans Bundesgericht subsidiär (Art. 84 Abs. 2 OG). Erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig, können alle Rügen, auch solche verfassungsrechtlicher Natur, im Rahmen dieses ordentlichen Rechtsmittels gehört werden (BGE 128 II 259 E. 1.5 S. 264; 123 II 88 E. 1a/bb S. 92; 122 IV 8 E. 1b S. 11).
 
2.2 Gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei unzulässig gegen die Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt.
 
2.2.1 Der Beschwerdeführer ist mit einer Ausländerin verheiratet, welche die Niederlassungsbewilligung hat. Gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG hat der ausländische Ehegatte des Ausländers, der im Besitz der Niederlassungsbewilligung ist, Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange die Ehegatten zusammen wohnen (Satz 1). Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat der Ehegatte ebenfalls Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung (Satz 2). Dieser Anspruch besteht fort, wenn das eheliche Zusammenleben nach dieser Frist von fünf Jahren aufgegeben wird.
 
Der Beschwerdeführer lebte während weniger als vier Jahren (Ende 2000 bis Herbst 2004) ununterbrochen bei seiner Ehefrau in der Schweiz. Während des grössten Teils des Jahres 2000 weilte er im Ausland. Er versucht dies zu relativieren und wirft den Behörden vor, sie hätten in diesem Zusammenhang gegen Treu und Glauben verstossen. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind nicht nachvollziehbar. Wohl erwog das Migrationsamt am 15. Januar 1999, die Voraussetzungen für die Gewährung des Familiennachzugs könnten in finanzieller Hinsicht gegeben sein, da die Ehefrau zu jenem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit nachwies. Nachdem der Beschwerdeführer einen Pass vorgelegt hatte, lehnte das Migrationsamt ein weiteres Nachzugsgesuch am 23. Dezember 1999 wegen Fürsorgebefürchtungen und ungenügender Wohnung ab, weil die Ehefrau ihrer zu Beginn des Jahres ausgewiesenen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachging. Bereits am 15. September 1998 war ein Nachzugsgesuch mit der gleichen Begründung (Fürsorgebedenken) abgewiesen worden, und ein drittes Gesuch wurde am 19. September 2000 wiederum wegen drohender Fürsorgeabhängigkeit abgewiesen. Die Aufenthaltsbewilligung wurde dem Beschwerdeführer schliesslich per Ende 2000 erteilt; damals erschien die finanzielle Lage der Ehefrau gegenüber früher nunmehr insofern gesichert, als ihr Rechtsvertreter am 2. Oktober 2000 darauf hatte hinweisen können, dass ihr nebst einer IV-Rente nunmehr auch Ergänzungsleistungen zugesprochen worden waren. Die früheren Bewilligungsverweigerungen erscheinen nachvollziehbar (s. betreffend drohende Fürsorgeabhängigkeit BGE 119 Ib 81 E. 2d S. 87) und keineswegs widersprüchlich bzw. treuwidrig. Erst recht können sie nicht als nichtig erachtet werden. Damit aber hielt sich der Beschwerdeführer erst seit Ende 2000 ordnungsgemäss und ununterbrochen in der Schweiz auf. Aus Art. 17 Abs. 2 ANAG kann er keinen Bewilligungsanspruch ableiten, auch nicht in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben oder dem Verbot des überspitzten Formalismus. Letztere (in der staatsrechtlichen Beschwerde) formulierte Rüge wird im Zusammenhang mit der behördlichen Aufforderung zur Vorlage eines Passes erhoben. Sie ist schon darum schwer nachvollziehbar, weil der Beschwerdeführer im kritischen Zeitpunkt immerhin einen gefälschten Pass vorgelegt hatte. Vor allem aber will der Beschwerdeführer dem Aspekt der Papierbeibringung eine Bedeutung beimessen, die ihm nicht zukommt, nachdem für die Ausländerbehörde von Anbeginn an erkenn- und nachvollziehbar Fürsorgebedenken im Zentrum standen.
 
2.2.2 Der Beschwerdeführer hat eine bald dreijährige Tochter, die in die Niederlassungsbewilligung ihrer Mutter miteinbezogen ist und damit ein gefestigtes Anwesenheitsrecht in der Schweiz hat. Soweit eine intakte Beziehung zu seiner Tochter besteht, hat er einen (bedingten) Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 8 EMRK, auch wenn er die Beziehung nur im Rahmen eines Besuchsrechts ausübt (vgl. BGE 120 Ib 1; 22). Obwohl sowohl im Rekursentscheid des Departementes für Justiz und Sicherheit wie auch im Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts von diesem Aspekt die Rede ist, äussert sich der Beschwerdeführer dazu vor Bundesgericht nicht. Er scheint sich im Bewilligungsverfahren allein auf die Ehe berufen zu wollen, sodass unklar bleibt, ob er selber von einer intakten Beziehung zu seiner Tochter ausgeht. Ob eine solche besteht und damit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter dem Gesichtswinkel von Art. 8 EMRK nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG zulässig ist, kann offen bleiben. Nach feststehender Rechtsprechung muss einem Ausländer die Aufenthaltsbewilligung gestützt auf ein Besuchsrecht nur dann erteilt oder erneuert werden, wenn einerseits zwischen ihm und seinem in der Schweiz ansässigen Kind in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung besteht, die sich wegen der Distanz zwischen der Schweiz und dem Land, in das der Ausländer bei Verweigerung der Bewilligung auszureisen hätte, praktisch nicht aufrechterhalten liesse, und wenn andererseits das bisherige Verhalten des Ausländers zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat (BGE 120 Ib 1 E. 3 S. 4 ff., 22 E. 4 S. 24 ff.; Urteile 2A.119/2004 vom 5. März 2004 E. 3.1; 2A.563/2002 vom 23. Mai 2003 E. 2.2, mit weiteren Hinweisen). Eine im beschriebenen Sinn besonders intensive Beziehung macht der Beschwerdeführer nicht geltend, und für das Bestehen einer solchen bestehen keine Anzeichen. So sieht die Verfügung der Vizepräsidentin des Bezirksgerichtes Frauenfeld vom 27. Januar 2006 über vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungsverfahren nebst Unterhaltszahlungen an die Tochter bloss ein limitiertes Besuchsrecht vor. Unter diesen Umständen verletzt die Bewilligungsverweigerung Art. 8 EMRK nicht. Soweit auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde überhaupt einzutreten ist, erweist sie sich als offensichtlich unbegründet.
 
2.3 Nur falls auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mangels Rechtsanspruchs nicht einzutreten wäre, könnte die staatsrechtliche Beschwerde überhaupt zulässig sein (vorne E. 2.1). Der Beschwerdeführer wäre indessen diesfalls zur staatsrechtlichen Beschwerde bezüglich der materiellen Bewilligungsfrage nicht legitimiert (BGE 126 I 81 E. 3b S. 85 ff., mit Hinweisen). Unabhängig von der Legitimation in der Sache selbst wäre er allerdings berechtigt, die Verletzung von ihm im kantonalen Verfahren zustehenden Parteirechten zu rügen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (grundlegend BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.; vgl. auch BGE 128 I 218 E. 1.1 S. 220; 127 II 161 E. 3b S. 167; 126 I 81 E. 3b S. 86 sowie E. 7b S. 94). Nicht zu hören sind dabei Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des Bewilligungsentscheids abzielen (s. dazu BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313; 126 I 81 E. 7b S. 94; 118 Ia 232 E. 1c S. 236; 117 Ia 90 E. 4a S. 95). Der Beschwerdeführer erhebt ausschliesslich Rügen materiellrechtlicher Natur. Dies gilt im vorliegenden Kontext selbst für die Rüge, das Verbot des überspitzten Formalismus sei verletzt. Ohnehin ist schon in E. 2.2 auf alle in beiden Rechtsschriften erhobenen Rügen eingegangen worden, soweit sie überhaupt von Belang sein könnten.
 
Nach dem Gesagten ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
 
2.4 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit beider Beschwerden abzuweisen (Art. 152 OG). Damit sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verfahren 2A.498/2006 und 2P.212/2006 werden vereinigt.
 
2.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
4.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
5.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement für Justiz und Sicherheit und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. Oktober 2006
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
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