BGer I 631/2006 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer I 631/2006 vom 16.10.2006 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
| |
Tribunale federale delle assicurazioni
| |
Tribunal federal d'assicuranzas
| |
Sozialversicherungsabteilung
| |
des Bundesgerichts
| |
Prozess {T 7}
| |
I 631/06
| |
Urteil vom 16. Oktober 2006
| |
III. Kammer
| |
Besetzung
| |
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Jancar
| |
Parteien
| |
M.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Pierre Heusser, Kernstrasse 8, 8004 Zürich,
| |
gegen
| |
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
| |
Vorinstanz
| |
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
| |
(Entscheid vom 18. Mai 2006)
| |
Sachverhalt:
| |
A.
| |
M.________ meldete sich am 14./17. Mai 2004 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Nach verschiedenen medizinischen Abklärungen lehnte die IV-Stelle Zürich mit Verfügung vom 24. September 2004 und Einspracheentscheid vom 6. Dezember 2004 das Leistungsbegehren ab. Der Versicherte liess dagegen am 17. Januar 2005 durch Rechtsanwalt Pierre Heusser beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde führen. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 10. Juni 2005 in dem Sinne gut, dass der angefochtene Einspracheentscheid aufgehoben und die Sache an die Sozialversicherungsanstalt zurückgewiesen wurde, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und hernach über den Anspruch des Beschwerdeführers neu entscheide. In den Erwägungen führte das Gericht aus, die Aktenlage sei unvollständig; die Beschwerdegegnerin habe ein polydisziplinäres (jedenfalls rheumatologisch-psychiatrisches) Gutachten in Auftrag zu geben, welches über den mutmasslichen Zeitpunkt des Eintritts des Gesundheitsschadens, der hieraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit und dessen Ausmass in einer den Fähigkeiten des Beschwerdeführers angepassten Tätigkeit Auskunft gebe.
| |
B.
| |
Rechtsanwalt Pierre Heusser stellte am 12. September 2005 für M.________ das Gesuch um unentgeltliche Rechtsvertretung für das weitere Verwaltungsverfahren. Die IV-Stelle wies das Gesuch am 24. Januar 2006 ab.
| |
C.
| |
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies mit Urteil vom 18. Mai 2006 eine dagegen erhobene Beschwerde ab.
| |
D.
| |
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Bestellung seines Anwalts als unentgeltlicher Rechtsvertreter für das Verwaltungsverfahren bei der Beschwerdegegnerin. Ferner verlangt er die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren.
| |
Auf die Einholung einer Vernehmlassung wurde verzichtet.
| |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
| |
1.
| |
Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht angefochten werden (Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. h VwVG sowie Art. 97 Abs. 1 und 128 OG; BGE 100 V 62 Erw. 1, 98 V 115).
| |
2.
| |
Streitig ist einzig die sachliche Gebotenheit der unentgeltlichen anwaltlichen Vertretung in dem an das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 10. Juni 2005 anschliessenden Verwaltungsverfahren.
| |
3.
| |
Die Vorinstanz hat die rechtsprechungsgemässen Anforderungen an die unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG; vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV; BGE 125 V 34 f.; Urteile T. vom 22. Februar 2006, I 505/05, M. vom 29. November 2004, I 557/04, und W. vom 12. Oktober 2004, I 386/04) zutreffend wiedergegeben. Richtig ist auch, dass die Offizialmaxime rechtfertigt, an die Voraussetzungen, unter denen eine anwaltliche Verbeiständung sachlich geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 36 Erw. 4b, 114 V 235 Erw. 5b); die anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren drängt sich nur in Ausnahmefällen auf (BGE 132 V 201 Erw. 4.1, 117 V 408 f. Erw. 5a, 114 V 238 Erw. 6). Zu ergänzen ist sodann, dass ein gesetzlich gewollter Unterschied zwischen den Voraussetzungen der unentgeltlichen Verbeiständung im Verwaltungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG) und im Beschwerdeverfahren (Art. 61 lit. f ATSG) besteht; die Voraussetzungen, um im Verwaltungsverfahren die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen, sind höher als im Beschwerdeverfahren (Urteil A. vom 24. Januar 2006 Erw. 4.3, I 812/05). Eine Rechtsprechung, welche darauf hinausliefe, in praktisch allen oder den meisten Verwaltungsverfahren die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung zu bejahen oder diese unter den gleichen Voraussetzungen wie im Beschwerdeverfahren zu gewähren, stünde im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung.
| |
4.
| |
4.1 Die Vorinstanz hat die sachliche Gebotenheit der anwaltlichen Vertretung damit verneint, dass das Gericht im Urteil vom 10. Juni 2005 präzise Anweisungen zum weiteren Vorgehen gegeben habe; eine anwaltliche Vertretung im Abklärungsstadium sei daher nicht erforderlich.
| |
4.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, das aufgrund des Urteils vom 10. Juni 2005 zu erstellende Gutachten werde das zentrale Beweismittel im weiteren Verfahren sei, weshalb es erforderlich sei, bereits bei der Erstellung des Gutachtens die Parteirechte besonders gut zu wahren. Er nennt dabei insbesondere die Geltendmachung von Ablehnungsgründen bei einem Gutachter sowie die Begleitung des Exploranden durch eine von ihm gewünschte Person.
| |
4.3 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat erkannt, dass vor der Erstellung eines Gutachtens gegen die begutachtende Person nur Einwendungen formeller Natur vorgebracht werden können, wozu namentlich die gesetzlichen Ausstandsgründe gehören. Demgegenüber sind Einwendungen materieller Natur nicht vorgängig der Begutachtung anzubringen, sondern gehören zur Beweiswürdigung; das betrifft namentlich Einwendungen gegen die angeblich fehlende Sachkunde des Gutachters oder Stellungnahmen zur Frage, aus welcher medizinischen Fachrichtung ein Gutachten einzuholen sei; würden solche Beanstandungen bereits im Vorfeld der Begutachtung beurteilt, würde dies auf eine Judikalisierung des Abklärungsverfahrens hinauslaufen, was in ein Spannungsverhältnis zum angestrebten einfachen und raschen Verfahren führen würde (BGE 132 V 108 f. Erw. 6.5; noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil R. vom 14. Juli 2006 Erw. 2.5, I 686/05). Auch die nach Art. 44 ATSG vorgeschriebene Mitteilung der Namen der Gutachter dient vorab dem Zweck, allfällige formelle Ausstandsgründe rechtzeitig geltend zu machen, und schliesst eine Würdigung des Gutachtens im später anschliessenden Verfahren nicht aus (erwähntes Urteil I 686/05 Erw. 7.3 und 9). Sodann besteht entgegen der offenbaren Meinung des Beschwerdeführers kein Anspruch darauf, dass die zu begutachtende Person sich bei der Begutachtung durch einen Rechtsvertreter begleiten lässt (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil D. vom 14. August 2006 Erw. 3, I 650/05), so dass auch diesbezüglich eine anwaltliche Verbeiständung nicht sachlich geboten ist.
| |
4.4 Die im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens wahrzunehmenden Verfahrensrechte bestehen somit hauptsächlich darin, allfällige formelle Ausstandsgründe gegen die in Aussicht genommenen Gutachter geltend zu machen. Dazu ist in aller Regel eine anwaltliche Verbeiständung nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer scheint auf weitere verfahrensrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Begutachtung anzuspielen. Aus den Akten geht hervor, dass eine Korrespondenz stattgefunden hat zwischen der IV-Stelle und dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zur Frage, ob die Namen der Gutachter vorgängig der Begutachtung mitzuteilen sind. Die IV-Stelle vertrat dabei die Auffassung, bis zum Vorliegen eines höchstinstanzlichen Urteils stütze sie sich auf eine Weisung des Bundesamtes, wonach Art. 44 ATSG bei MEDAS-Gutachten nicht zur Anwendung gelange. Ein solches höchstinstanzliches Urteil liegt inzwischen vor (erwähntes Urteil I 686/05), so dass sich Weiterungen im hier zur Diskussion stehenden Verfahren erübrigen. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern aussergewöhnliche rechtliche oder sachliche Schwierigkeiten bestehen sollten, die ausnahmsweise eine anwaltliche Vertretung als notwendig erscheinen liessen. Die blosse Tatsache, dass das einzuholende Gutachten im nachfolgenden Verfahren eine zentrale Rolle spielen wird, ist kein solcher Grund; denn dies ist in jedem IV-Abklärungsverfahren der Fall; würde dies allein die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung begründen, so müsste eine solche in praktisch allen Fällen, in denen eine medizinische Begutachtung angeordnet wird, anerkannt werden, was aber der dargelegten Rechtslage (Erw. 3 hievor) widersprechen würde. Dasselbe gilt bezüglich des Umstandes, dass die anbegehrte Leistung für den Beschwerdeführer von erheblicher Bedeutung ist, trifft doch dies bei Sozialversicherungsleistungen ebenfalls regelmässig zu.
| |
4.5 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat verschiedentlich in vergleichbaren Konstellationen die sachliche Gebotenheit einer anwaltlichen Vertretung bejaht; doch beziehen sich die meisten dieser Entscheide auf das Einspracheverfahren (z.B. erwähnte Urteile I 557/04 und I 386/04; Urteile O. vom 27. April 2005, I 507/04, und H. vom 7. September 2004, I 75/04), welches hier nicht Streitgegenstand ist. In anderen Fällen wurde sodann auch für ein an einen gerichtlichen Rückweisungsentscheid anschliessendes Verwaltungsverfahren die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung bejaht (Urteile W. vom 7. September 2004, I 192/04, und H. vom 29. Juli 2004, I 213/04). Indessen kann auch dies nur unter ausserordentlichen Umständen gelten. Dass vorgängig ein gerichtliches Verfahren stattgefunden hat, stellt für sich allein keinen solchen Umstand dar.
| |
Der angefochtene Entscheid ist daher rechtens.
| |
5.
| |
Praxisgemäss werden in Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben (nicht publizierte Erw. 9 des Urteils BGE 131 V 153; SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 7 Erw. 5 [Urteil W. vom 11. Juni 2001, C 130/99]).
| |
Dem Beschwerdeführer kann für das letztinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden, da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (Art. 152 OG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist (BGE 124 V 309 Erw. 6).
| |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
| |
1.
| |
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
| |
2.
| |
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
| |
3.
| |
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Pierre Heusser, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
| |
4.
| |
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Ausgleichskasse des Kantons Zürich zugestellt.
| |
Luzern, 16. Oktober 2006
| |
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
| |
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
| |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |