BGer C 279/2005 | |||
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BGer C 279/2005 vom 02.11.2006 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess {T 7}
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C 279/05
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Urteil vom 2. November 2006
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II. Kammer
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Besetzung
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Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiberin Berger Götz
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Parteien
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B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Humbert Entress, Wiesentalstrasse 27, 8355 Aadorf,
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gegen
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Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abt. Rechtsdienst und Entscheide, Verwaltungsgebäude Promenade, 8510 Frauenfeld, Beschwerdegegner
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Vorinstanz
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Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, Eschlikon
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(Entscheid vom 8. August 2005)
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Sachverhalt:
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A.
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Die Einzelfirma X.________, Inhaber B.________, ist im Metallbau, insbesondere im Ausstellungs-, Einrichtungs- und Messebaubereich, tätig und beliefert hauptsächlich zwei Grossfirmen. In der Rahmenfrist vom 1. April 2004 bis 31. März 2006 bewilligte das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau (AWA) der Firma Kurzarbeit für die Zeit von April bis September 2004 und November bis Dezember 2004. Auch für die Zeit von Januar bis 17. März 2005 wurde Kurzarbeit angemeldet.
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Am 7. März 2005 reichte B.________ erneut eine Voranmeldung für Kurzarbeit für die Zeit vom 18. März bis 17. Juni 2005 ein. Mit Verfügung vom 23. März 2005 lehnte das AWA einen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung für diese Zeit ab. Daran hielt es auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 3. Mai 2005).
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B.
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Die Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 8. August 2005).
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C.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ beantragen, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei dem Gesuch um Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung für die Zeit vom 18. März bis 17. Juni 2005 stattzugeben.
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Rekurskommission und AWA schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht, wenn der Arbeitsausfall anrechenbar sowie voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass durch die Kurzarbeit die Arbeitsplätze erhalten werden können (Art. 31 Abs. 1 lit. b und d AVIG). Ein Arbeitsausfall ist unter anderem anrechenbar, wenn er auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen und unvermeidbar ist (Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG). Ein auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführender und an sich grundsätzlich anrechenbarer Arbeitsausfall gilt jedoch dann nicht als anrechenbar, wenn er branchen-, berufs- oder betriebsüblich ist oder durch saisonale Beschäftigungsschwankungen verursacht wird (Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG). Ebenfalls nicht anrechenbar ist ein Arbeitsausfall, der durch Umstände bedingt ist, die zum normalen Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehören (Art. 33 Abs. 1 lit. a zweiter Satzteil AVIG).
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Die Rechtsprechung legt den Begriff der wirtschaftlichen Gründe - in Berücksichtigung des präventiven Charakters der Kurzarbeitsentschädigung - weit aus und versteht darunter sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Gründe insgesamt und nicht nur den Rückgang der Nachfrage nach den normalerweise von einem Betrieb angebotenen Gütern und Dienstleistungen (ARV 2000 Nr. 10 S. 56 Erw. 4a mit Hinweisen; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, S. 151 Rz 392).
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Mit dem normalen Betriebsrisiko im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a zweiter Satzteil AVIG sind die "gewöhnlichen" Arbeitsausfälle gemeint, mithin jene Ausfälle, die erfahrungsgemäss regelmässig und wiederholt auftreten, demzufolge vorhersehbar und in verschiedener Weise kalkulatorisch erfassbar sind. Was in diesem Sinne noch als normal gelten soll, darf nach der Rechtsprechung nicht nach einem für alle Unternehmensarten allgemein gültigen Massstab bemessen werden, sondern ist in jedem Einzelfall auf Grund der mit der spezifischen Betriebstätigkeit verbundenen besonderen Verhältnisse zu bestimmen (BGE 119 V 500 Erw. 1 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum).
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2.
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2.1 Die Rekurskommission hat mit einlässlicher und überzeugender Begründung erkannt, dass die für B.________ tätigen Arbeitnehmer für die Zeit vom 18. März bis 17. Juni 2005 keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben.
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2.2 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten Einwände vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Soweit darin die bereits im vorinstanzlichen Verfahren entkräfteten Rügen wiederholt werden, kann auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid der Rekurskommission verwiesen werden. Es ist dem Beschwerdeführer zwar beizustimmen, dass allein die Ausschöpfung des gesetzlichen Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung - Anspruch besteht höchstens für zwölf Abrechnungsperioden innerhalb von zwei Jahren gemäss Art. 35 Abs. 1 AVIG - noch nicht gegen den vorübergehenden Charakter des Arbeitsausfalls spricht. Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Betrieb von Dezember 2003 bis Februar 2005 - ausgenommen Oktober 2004 - für jede Abrechnungsperiode Kurzarbeit angemeldet hat. Während der laufenden Rahmenfrist (1. April 2004 bis 31. März 2006 ) registrierte der Betrieb somit zwar bis Februar 2005 lediglich während zehn Abrechnungsperioden Kurzarbeit. Insgesamt war die Einzelfirma aber im Zeitpunkt des 7. März 2005 (Voranmeldung für die Dauer vom 18. März bis 17. Juni 2005), abgesehen vom Monat Oktober 2004, ununterbrochen während 14 Monaten auf Kurzarbeitsentschädigung angewiesen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Betrieb zwar Aufträge für verschiedene Kunden ausführt, der Umsatz aber seit Jahren zu über 90 % aus den Zulieferungen an lediglich zwei Unternehmen stammt. Die Problematik der ungenügenden Auftragslage akzentuierte sich nach den Angaben in den Voranmeldungen für Kurzarbeit offenbar auf Grund der Tatsache, dass die mit den Auftraggebern vereinbarten Lieferfristen im Laufe der Zeit immer kürzer wurden (Beilagen zu den Voranmeldungen vom 15. März 2002, 20. November 2003, 2. März 2004, 16. Juni 2004, 2. September 2004, 24. November 2004 und 7. März 2005), so dass die Einzelfirma seit einigen Jahren nicht mehr in der Lage ist, Prognosen hinsichtlich der künftigen Auslastung abzugeben. Es fanden Bemühungen statt, den Kundenkreis auszubauen und das Angebot zu erweitern. Eine eigentliche Anpassung des Betriebes an die veränderten Rahmenbedingungen wurde aber nicht vorgenommen. Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG setzt für die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls unter anderem "wirtschaftliche Gründe" voraus. Dieser Begriff wird, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Verweis auf das Urteil X. AG vom 11. Juni 2001, C 247/99, zu Recht vorgebracht wird, in der Praxis weit ausgelegt (Erw. 1 hiervor) und umfasst sowohl konjunkturelle als auch strukturelle Gründe. Wie dem soeben zitierten Urteil ebenfalls zu entnehmen ist, kann strukturellen Mängeln im Bereich der Kurzarbeitsentschädigung jedoch nicht jede Bedeutung abgesprochen werden. Dem stünden nicht nur die Erfordernisse der vorübergehenden Dauer (Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG) und der Unvermeidbarkeit des Arbeitsausfalles (Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG), sondern auch die Be-grenzung der Anspruchsdauer (Art. 35 AVIG) entgegen. Vorliegend kann mit Blick auf die gesamten Umstände - insbesondere der (mit Ausnahme von Oktober 2004) ununterbrochenen Anmeldung von Kurzarbeit über eine Dauer von 14 Monaten wegen und auf Grund der Tatsache, dass die gebotene Reform des Betriebes bisher nicht durchgeführt worden ist - von einem bloss vorübergehenden Arbeitsausfall nicht ausgegangen werden, wie Verwaltung und Vorinstanz richtig erkannt haben. Zudem ist fraglich, ob der Arbeitsausfall vom 18. März bis 17. Juni 2005 als unvermeidbar qualifiziert werden kann, da sich der Betrieb bereits seit März 2002 mit der Forderung der Auftraggeber nach kürzeren Lieferfristen konfrontiert sieht. Selbst wenn deshalb mit dem Beschwerdeführer angenommen wird, dass strukturelle Gründe zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigung geführt haben, besteht für den vorliegend umstrittenen Zeitraum (18. März bis 17. Juni 2005) keine Entschädigungsberechtigung mehr. Ob die Behauptung zutrifft, wonach die Auftragslage seit Juli 2005 deutlich besser sei, ist schliesslich nicht näher zu prüfen, da die Verhältnisse gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG prospektiv zu beurteilen sind.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, Thurgau, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
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Luzern, 2. November 2006
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Die Präsidentin der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
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