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Informationen zum Dokument  BGer 1S.17/2006  Materielle Begründung
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BGer 1S.17/2006 vom 07.12.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1S.17-23/2006 /fun
 
Urteil vom 7. Dezember 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Thönen.
 
Parteien
 
X.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Jacob Heitz,
 
gegen
 
Sekretariat der Eidgenössischen Spielbankenkommission, 3003 Bern,
 
Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer,
 
Postfach 2720, 6501 Bellinzona.
 
Gegenstand
 
Beschlagnahme,
 
Beschwerden gegen sieben Entscheide
 
des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer,
 
vom 31. August 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Sekretariat der Eidgenössischen Spielbankenkommission (Sekretariat ESBK) führt gegen die X.________ AG bzw. deren Organe ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz. In diesem Zusammenhang beschlagnahmte es am 16. Mai 2006 in sieben Lokalen jeweils einen Spielautomaten "Tropical Shop".
 
Am 1. Juni 2006 erliess das Sekretariat ESBK sieben Beschlagnahmeverfügungen gegenüber der X.________ AG. In drei Fällen wurde sie unter Strafdrohung zur Herausgabe der Geräteschlüssel verpflichtet.
 
Dagegen führte die X.________ AG am 8. Juni 2006 in einer Rechtsschrift sieben Beschwerden ans Bundesstrafgericht und verlangte die Aufhebung der Beschlagnahmeverfügungen, die unverzügliche und unbeschwerte Freigabe der Spielautomaten, eventualiter die Sistierung des Verfahrens bis zum Bundesgerichtsentscheid über eine damals hängige Beschwerde wegen der Beschlagnahme zweier Spielautomaten (Urteil 1S.9/2006 vom 29. Juni 2006).
 
Das Bundesstrafgericht wies die Beschwerden mit sieben Entscheiden vom 31. August 2006 ab, nachdem es die Verfahren vom 4. bis 10. Juli 2006 sistiert hatte.
 
B.
 
Dagegen führt die X.________ AG mit sieben separaten Eingaben, alle vom 25. September 2006, Beschwerde mit folgenden gleichlautenden Rechtsbegehren:
 
1. Es sei die Verfügung der Rekurskommission für Spielbanken vom 19. September 2006 vorzumerken und die Gegenstandslosigkeit der von der Beschwerdegegnerin am 01. Juni 2006 verfügten Beschlagnahme des Warengewinnautomaten Tropical Shop festzustellen, und
 
2. es sei der Entscheid des Bundesstrafgerichts [...] vom 31. August 2006 aufzuheben;
 
3. demzufolge sei die Eidgenössische Spielbankenkommission anzuweisen, die von ihr verfügte Beschlagnahme des Warengewinnautomaten Tropical Shop zu widerrufen sowie den am 01. Juni 2006 beschlagnahmten Warengewinnautomaten Tropical Shop dem Beschwerdeführer als dessen rechtmässigem Eigentümer unbeschwert herauszugeben;
 
4. unter Kosten- und angemessener Entschädigungsfolge zulasten Beschwerdegegnerin."
 
C.
 
Das Bundesstrafgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Sekretariat ESBK beantragt in der Vernehmlassung in allen sieben Verfahren:
 
"das Rechtsbegehren 1 abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist,
 
das Rechtsbegehren 2 gutzuheissen, soweit das Bundesstrafgericht den Antrag auf Aufhebung der Verfügung abgewiesen hat, weitergehend jedoch abzuweisen, soweit hierauf einzutreten ist,
 
auf das Rechtsbegehren 3 nicht einzutreten, eventuell dieses abzuweisen und
 
das Rechtsbegehren 4 teilweise gutzuheissen."
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
In den zu beurteilenden sieben Verfahren geht es um Beschlagnahmen von Spielautomaten Tropical Shop. Aus prozessökonomischen Gründen und in Gutheissung der Anträge der Beschwerdeführerin und des Sekretariats ESBK werden die Verfahren vereinigt und in einem einzigen Urteil behandelt.
 
Die Beschwerden 1S.14/2006 und 1S.15/2006 des Eigentümers der Spielautomaten Z.________ hat das Bundesgericht bereits mit Urteil vom 25. Oktober 2006 behandelt; der diesbezügliche Vereinigungsantrag der Beschwerdeführerin ist gegenstandslos geworden. Ebenso sind die Anträge betreffend Prozesskostenvorschuss infolge fristgerechter Zahlung hinfällig geworden.
 
2.
 
Gemäss Art. 33 Abs. 3 lit. a des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht (SGG; SR 173.71) können Entscheide der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über Zwangsmassnahmen wegen Verletzung von Bundesrecht beim Bundesgericht angefochten werden. Die Beschwerde ist namentlich gegen den Entscheid über eine Beschlagnahmeverfügung zulässig (BGE 130 IV 154 E. 1.2). Den angefochtenen Entscheiden liegen sieben Beschlagnahmeverfügungen des Sekretariats ESBK gegen die Beschwerdeführerin zugrunde. Diese ist zur Beschwerde legitimiert.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin wendet sich im Hauptteil ihrer Beschwerden gegen die sieben Beschlagnahmen von Spielautomaten Tropical Shop.
 
Mit Urteil 1S.14+15/2006 vom 25. Oktober 2006 hat das Bundesgericht zwei Beschwerden des Eigentümers gegen die hier angefochtenen Beschlagnahmen abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig (Art. 38 OG). Die Zulässigkeit der Beschlagnahmen steht somit fest.
 
Auf die diesbezüglichen Vorbringen und Verfahrensanträge der Beschwerdeführerin ist nicht einzutreten.
 
4.
 
Die Beschwerdeführerin rügt, sie sei durch die Beschlagnahmeverfügungen willkürlich ins Recht gefasst worden. Sie sei nie Besitzerin oder Eigentümerin der Spielautomaten gewesen.
 
4.1 Sie hat den Einwand der "fehlenden Passivlegitimation" bereits vor Bundesstrafgericht geltend gemacht. Dazu führte das Sekretariat ESBK in der Vernehmlassung ans Bundesstrafgericht vom 14. Juni 2006 aus, sie nehme diese Erklärung entgegen und eröffne die Beschlagnahmeverfügung dem von der Beschwerdeführerin genannten Eigentümer Z.________. Die Beschwerdeführerin habe glaubhaft dargelegt, weder faktische Verfügungsgewalt noch eine zivilrechtliche Berechtigung an den beschlagnahmten Spielautomaten und den Geräteschlüsseln zu haben. Daher seien jene Verfügungen, die sie unter Strafdrohung zur Schlüsselherausgabe verpflichteten, aufzuheben.
 
Gemäss den Ausführungen des Sekretariats ESBK in der Vernehmlassung ans Bundesgericht vom 26. Oktober 2006 ist inzwischen unbestritten, dass Z.________ Eigentümer der Geräte sei. Mit den Beschlagnahmeverfügungen gegenüber der Beschwerdeführerin lägen somit Verfügungen gegenüber einer falschen Adressatin vor, die aufzuheben seien.
 
4.2 Das Bundesstrafgericht hat die Beschwerden abgewiesen, weil die Voraussetzungen für die Beschlagnahmen erfüllt seien. Den Einwand, die Beschwerdeführerin sei nicht Eigentümerin/Besitzerin der Geräte und somit zu Unrecht Verfügungsadressatin, hat das Bundesstrafgericht nicht behandelt.
 
4.3 Aufgrund der übereinstimmenden Vorbringen der Parteien steht fest, dass die Beschlagnahmeverfügungen zu Unrecht an die Beschwerdeführerin gerichtet wurden. Das Sekretariat ESBK will nach eigenen Angaben im Zeitpunkt der Verfügungen Grund zur Annahme gehabt haben, die Spielautomaten gehörten der Beschwerdeführerin. Inzwischen hat sich diese Annahme jedoch als unzutreffend erwiesen, weshalb die Grundlage für die Adressierung der Verfügung weggefallen ist. Die sieben Beschlagnahmeverfügungen gegen die Beschwerdeführerin richten sich an die falsche Adressatin; sie sind aufzuheben.
 
5.
 
Nach dem Gesagten sind die Beschwerden teilweise gutzuheissen (Rechtsbegehren Ziff. 2). Werden die Beschwerden (insoweit) begründet erklärt, so trifft das Bundesgericht die erforderlichen Anordnungen (Art. 219 Abs. 2 BStP in Verbindung mit Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG). Die sieben angefochtenen Entscheide des Bundesstrafgerichts und die ihnen zugrundeliegenden Beschlagnahmeverfügungen des Sekretariats ESBK gegen die Beschwerdeführerin sind aufzuheben.
 
Im Übrigen ist auf die Beschwerden nicht einzutreten (Rechtsbegehren Ziff. 1 und 3).
 
Bei diesem Ausgang sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat das Sekretariat ESBK die Beschwerdeführerin für das gesamte, das heisst alle sieben Beschlagnahmen umfassende erst- und zweitinstanzliche Beschwerdeverfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 OG). Freilich muss sich die Beschwerdeführerin den Vorwurf entgegenhalten lassen, unnötigen Aufwand betrieben zu haben: Es hätte genügt, die Fehladressierung der Verfügungen zu rügen. Indessen hat sie umfangreiche Ausführungen zur Rechtmässigkeit der Beschlagnahmen gemacht, sich auf die Eigentumsgarantie und die Wirtschaftsfreiheit berufen und sogar beantragt, es seien die beschlagnahmten Spielautomaten "dem Beschwerdeführer als dessen rechtmässigem Eigentümer unbeschwert herauszugeben" (Rechtsbegehren Ziff. 3). Dazu ist sie in ihrer Eigenschaft als Nichteigentümerin/Nichtbesitzerin nicht befugt. Die dadurch entstandenen Kosten hat sie selber zu tragen (Art. 159 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 6 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die sieben Verfahren 1S.17/2006 bis 1S.23/2006 werden vereinigt.
 
2.
 
In teilweiser Gutheissung der Beschwerden werden die sieben angefochtenen Entscheide des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, vom 31. August 2006 (Geschäftsnummern BV.2006.47-53) und die sieben Beschlagnahmeverfügungen des Sekretariats der Eidgenössischen Spielbankenkommission gegen die Beschwerdeführerin vom 1. Juni 2006 aufgehoben. Im Übrigen wird auf die Beschwerden nicht eingetreten.
 
3.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4.
 
Das Sekretariat der Eidgenössischen Spielbankenkommission hat der Beschwerdeführerin für das gesamte erst- und oberinstanzliche Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Sekretariat der Eidgenössischen Spielbankenkommission und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Dezember 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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