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Informationen zum Dokument  BGer 1P.619/2006  Materielle Begründung
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BGer 1P.619/2006 vom 11.12.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.619/2006 /ggs
 
Urteil vom 11. Dezember 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, handelnd durch seine Mutter, und diese vertreten durch Rechtsanwältin
 
Jeanne DuBois,
 
gegen
 
Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Wolfgang Hüsler,
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
 
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich,
 
Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Hirschengraben 13, Postfach, 8023 Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafprozess,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
 
vom 12. Juli 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________, geboren 1992, fuhr zusammen mit seiner Schwester und deren Freund am Abend des 25. Januar 2004 als Fahrgast in einem VBZ-Bus aus Richtung Schwamendingen nach Zürich-Oerlikon. Bei der während der Fahrt erfolgten Fahrausweiskontrolle konnte X.________ dem VBZ-Angestellten Y.________ keinen gültigen Fahrausweis vorzeigen. Gemäss Anklageschrift sollte Y.________ in der Folge X.________ einen Schlag mit der Hand in die rechte Seite versetzt haben, so dass dieser eine Prellung der Rippen in der rechten Flanke erlitt.
 
Mit Urteil vom 10. März 2005 sprach der Einzelrichter für Zivil- und Strafsachen am Bezirksgericht Zürich Y.________ aufgrund der Beweislage vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung im Sinn von Art. 123 Ziff. 1 StGB frei und trat auf die Schadenersatzforderung von X.________ nicht ein. Die Verfahrenskosten wurden auf die Gerichtskasse genommen und dem Angeklagten eine Prozessentschädigung von Fr. 2'902.-- aus der Gerichtskasse zugesprochen.
 
X.________ erhob gegen diesen Entscheid Berufung. Mit Urteil vom 12. Juli 2006 bestätigte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich den Freispruch und die erstinstanzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen und trat auf die Zivilforderung des Geschädigten nicht ein. Die Kosten des Berufungsverfahrens von insgesamt Fr. 4'768.-- wurden X.________ auferlegt (Dispositiv-Ziffer 5) und dieser verpflichtet, dem Angeklagten eine Prozessentschädigung von Fr. 2'700.-- zuzüglich Mehrwertsteuer zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 6). Zur Begründung führte die Strafkammer aus, aufgrund des sorgfältig und überzeugend begründeten Freispruchs durch die Vorinstanz wie auch aufgrund der Aktenlage könne X.________, der anwaltlich vertreten sei, nicht zugebilligt werden, in guten Treuen Berufung erklärt und daran festgehalten zu haben. Das Gericht habe auch keine andere Veranlassung, die entstandenen Kosten abzuschreiben. Wenn X.________ und seine Mutter als gesetzliche Vertreterin aus finanziellen Gründen nicht in der Lage seien, die Rechnung zu bezahlen, könnten sie bei der Gerichtskasse ein Gesuch um Ratenzahlung oder Stundung stellen.
 
B.
 
X.________ hat gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots und des Anspruchs auf ein faires Verfahren erhoben. Er beantragt die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 5 und 6 des angefochtenen Urteils. Ferner ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
 
C.
 
Das Obergericht und der leitende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat verzichten auf Vernehmlassung. Y.________ als privater Beschwerdegegner verzichtet ebenfalls auf Stellungnahme zum Antrag der Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 5 und 6 des obergerichtlichen Urteils. Eventualiter beantragt er, der Kanton Zürich sei im Falle der Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde zu verpflichten, ihm eine Umtriebsentschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren aus der Gerichtskasse zuzusprechen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das Urteil des Obergerichts wird einzig im Punkt der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Berufungsverfahrens angefochten. Dagegen steht das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde zur Verfügung (vgl. BGE 129 II 297 E. 2.2 S. 300). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, so dass auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f.). Der Antrag des privaten Beschwerdegegners, der Kanton Zürich sei im Falle der Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde zu verpflichten, ihm eine Umtriebsentschädigung für das Verfahren vor Obergericht zu bezahlen, ist damit nicht zu prüfen.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt als Verletzung des Willkürverbots und des Anspruchs auf ein faires Verfahren, dass er im kantonalen Berufungsverfahren kosten- und entschädigungspflichtig geworden ist. Seiner Auffassung zufolge sei § 396a des Gesetzes des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (Strafprozessordnung; StPO/ZH) willkürlich ausgelegt und angewendet worden. Zum einen macht der Beschwerdeführer geltend, wenn er nicht Opfer, sondern Straftäter gewesen wäre, wäre ihm gemäss der kantonalen Rechtsprechung zu § 388 StPO/ZH die Pflicht zur Tragung der Kosten- und Entschädigungsfolgen erlassen worden, um ihm unnötige Not zu ersparen und seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht zu gefährden. Es sei stossend, dass er als Opfer hinsichtlich der Kostenfolgen anders behandelt werde als ein jugendlicher Straftäter. Zum andern bringt der Beschwerdeführer vor, es treffe nicht zu, dass er die Berufung nicht in guten Treuen erhoben habe. Das Obergericht habe nicht eine in Lehre und Rechtsprechung bereits hinreichend geklärte Rechtsfrage zu beurteilen gehabt, sondern die Beweiswürdigung und damit einen Ermessensentscheid des Bezirksgerichts überprüfen müssen. Die Auffassung des Obergerichts, er habe nicht in guten Treuen Berufung erhoben, sei daher unhaltbar. Hinzu komme, dass im Untersuchungsstadium verschiedene Verfahrensfehler unterlaufen seien, welche zu einem Beweisnachteil geführt hätten. Es sei ihm daher nicht anzulasten, wenn er dies mit Einlegung des Rechtsmittels zu korrigieren versuche.
 
2.2 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Behörden ohne Willkür behandelt zu werden. Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts aber nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 131 I 57 E. 2 S. 61, mit Hinweisen).
 
2.3 Gemäss dem mit einer Gesetzesrevision am 6. Dezember 1999 in die Zürcher Strafprozessordnung eingefügten § 396a erfolgen die Auflage der Kosten und die Zusprechung einer Entschädigung im Rechtsmittelverfahren in der Regel im Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Verfahrensbeteiligten (Satz 1). Von dieser Regel kann in begründeten Fällen abgewichen werden, namentlich wenn sich eine Partei in guten Treuen zu ihren Anträgen veranlasst sah (Satz 2).
 
Mit dieser Vorschrift wurden die zivilprozessualen Regeln der Kosten- und Entschädigungsfolgen in den Strafprozess eingeführt, wobei Ausnahmen davon vorgesehen sind. Aus der Formulierung von § 396a Satz 2 StPO/ZH als "kann-Vorschrift" ergibt sich, dass das Gericht bei der Frage, ob von der Grundregel der Kostenverteilung abgewichen werden soll, über Ermessen verfügt. Mit dem Adverb "namentlich" wird zum Ausdruck gebracht, dass zu den "begründeten Fällen", die ein Absehen vom Grundsatz der Kosten- und Entschädigungsregelung nach Obsiegen und Unterliegen rechtfertigen, ganz besonders der Fall von in guten Treuen gestellten Rechtsmittelanträgen zu rechnen ist, andere Ausnahmen aber nicht ausgeschlossen sind.
 
In einem Entscheid vom 22. Oktober 2001 legte das Zürcher Kassationsgericht dar, dass die Gesetzesmaterialien keine Angaben dazu enthalten, in welchen Konstellationen "begründete Fälle" vorliegen, die ein Absehen vom Grundsatz der Kosten- und Entschädigungsregelung nach Obsiegen und Unterliegen rechtfertigen. Insbesondere sei nicht näher festgelegt worden, bei welchen Sachverhalten von "in guten Treuen" gestellten Rechtsmittelanträgen auszugehen sei (ZR 101 [2002] Nr. 22). In der publizierten kantonalen Rechtsprechung zu § 396a StPO/ZH sind bislang zwei Konstellationen anerkannt worden, die ein Abweichen von der Grundregel der Kostenverlegung rechtfertigen. Die eine Konstellation betraf den Fall, dass der angefochtene Entscheid zugunsten des erstinstanzlich Verurteilten nur im Rahmen des richterlichen Ermessens abgeändert wurde, mithin keine Ermessensüberschreitung vorlag (ZR 100 [2001] Nr. 62). Die zweite Konstellation bezog sich auf den prozessualen Umstand, dass der Geschädigten nur das Urteilsdispositiv, das die Frist zur Erklärung der Berufung auslöst, zugestellt wurde. Die Geschädigte konnte daher nicht wissen, aus welchen Gründen das erstinstanzliche Gericht den Angeklagten freigesprochen und ihre Genugtuungsforderung abgewiesen hatte. In diesem Fall wurde die Berufungserklärung als "in guten Treuen" erfolgt im Sinn von § 396a Satz 2 StPO/ZH qualifiziert, weshalb der Geschädigten die Kosten des Berufungsverfahrens nicht oder jedenfalls nicht gänzlich auferlegt werden durften (ZR 101 [2002] Nr 22).
 
In Art. 159 Abs. 3 OG findet sich eine ähnliche Kostenregelung für die beim Bundesgericht erhobenen Rechtsmittel. Nach dieser Vorschrift können die Kosten verhältnismässig verteilt werden, wenn der Entscheid nicht ausschliesslich zugunsten einer Partei ausfällt oder sich die unterliegende Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen durfte. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts zu dieser Vorschrift gilt ein Rechtsmittel als "in guten Treuen" eingelegt, wenn besondere prozessuale Umstände zum Ergreifen des Rechtsmittels Anlass geben (vgl. BGE 126 II 145 E. 5b: grundlegende und komplexe Rechtsfragen; Urteil 1P.462/2003 vom 10. Sept. 2003 E. 5: Verletzung der Begründungspflicht durch ein kantonal letztinstanzliches Gericht; Urteil 1P.204/1993 vom 23. Juni 1993 E. 3: prozessuales Unterliegen allein gestützt auf eine substituierte Begründung).
 
2.4 Im vorliegenden Fall begründete das Obergericht die Auferlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an den Beschwerdeführer damit, dass dieser die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels aufgrund des sorgfältig begründeten Urteils des Bezirksgerichts und der Aktenlage habe einschätzen können und die Berufung daher nicht als in guten Treuen erhoben betrachtet werden dürfe. Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Argumente, es stehe ein Ermessensentscheid des Bezirksgerichts zur Diskussion, und es seien im Untersuchungsverfahren Fehler begangen worden, erachtete das Obergericht stillschweigend als unerheblich. Diese Handhabung von § 396a StPO/ZH leuchtet ein. Dass die Überprüfung eines Ermessensentscheids keinen besonderen, ein Abweichen von der Grundregel der Kosten- und Entschädigungsfolgen rechtfertigenden Umstand darstellt, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Nichts anderes gilt bezüglich des Arguments, im Untersuchungsverfahren, also noch vor Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, seien Verfahrensfehler unterlaufen. Die Auslegung von § 396a StPO/ZH in dem Sinn, dass nur bei besonderen prozessualen Umständen ein Rechtsmittel als "in guten Treuen" eingelegt gilt und nur in diesem Fall ein Abweichen von der allgemeinen Regel der Kostenverlegung gerechtfertigt ist, entspricht der bisherigen kantonalen Gerichtspraxis und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur vergleichbaren Vorschrift von Art. 159 Abs. 3 OG. Sie kann daher nicht als willkürlich bezeichnet werden.
 
Im Übrigen macht der Beschwerdeführer nicht geltend, und es wäre auch nicht ersichtlich, inwiefern die Schlussfolgerung des Obergerichts, die schlechten Prozesschancen seien aufgrund des sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Urteils und der Aktenlage erkennbar gewesen, nicht zutreffen würde.
 
2.5 Im angefochtenen Urteil wurde das Kindesalter bei der Verlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des Berufungsverfahrens nicht berücksichtigt. Das Zürcher Kassationsgericht hat sich in einem Entscheid vom 29. Januar 2006 (publ. in ZR 105 [2006] Nr. 48) mit der Anwendung von § 396a StPO/ZH im Strafverfahren gegen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eingehend auseinandergesetzt. Dabei zog es § 388 Abs. 1 StPO/ZH heran, wonach bei Bemessung, Auflage und Bezug der Verfahrenskosten den Verhältnissen und dem Fortkommen des (minderjährigen) Pflichtigen Rechnung zu tragen ist. Unter Abstützung auf die bisherige kantonale Gerichtspraxis führte das Kassationsgericht aus, § 388 Abs. 1 StPO/ZH finde auch im Rechtsmittelverfahren Anwendung und nehme den im Erwachsenenstrafrecht in § 190a und § 42 Abs. 3 StPO/ZH zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken für das Jugendstrafverfahren auf: Sinn und Zweck der letztgenannten Vorschriften bestehe darin, zu verhindern, dass eine Partei, von der die auferlegten Kosten in nächster Zeit offensichtlich nicht erhältlich seien, durch die Kostenerhebung in zusätzliche Not gerate oder ihre Resozialisierung durch die Kostenpflicht gefährdet werde. Bezogen auf das Jugendstrafverfahren solle § 388 StPO/ZH verhindern, dass die Kostenauflage zu einer Gefährdung der günstigen Weiterentwicklung des Minderjährigen führe. Deshalb eröffne die Vorschrift dem Gericht durch Einräumung eines entsprechenden Ermessens die Möglichkeit, der an sich kostenpflichtigen Partei die Verfahrenskosten zu erlassen bzw. zu deren Gunsten von einer an sich möglichen Kostenauflage abzusehen. Sodann legte das Kassationsgericht dar, dass ein Kostenerlass nach § 388 Abs. 1 StPO/ZH - im Unterschied zu Art. 29 Abs. 3 BV - grundsätzlich nicht voraussetze, dass das fragliche Verfahren für den Betroffenen nicht aussichtslos, sondern hinreichend Erfolg versprechend sei. Im beurteilten Fall stellte das Kassationsgericht fest, dass der gut 13-jährige Straftäter nicht über genügend (eigene) finanzielle Mittel verfüge, um die Kosten des Kassationsverfahrens zu bestreiten, und dass die Kostentragungspflicht sich nachteilig auf seine Weiterentwicklung auswirken würde. Dementsprechend sah es von der Kostenbelastung des jugendlichen Straftäters, der gemäss § 396a Satz 1 StPO/ZH an sich kostenpflichtig gewesen wäre, für das Kassationsverfahren ab.
 
2.6 Vorliegend steht nicht die Kostenpflicht eines jugendlichen Straftäters, sondern eines jugendlichen Geschädigten zur Diskussion. Mit Ausnahme der Parteirolle befindet sich der Beschwerdeführer aber in einer vergleichbaren Situation wie der vom oben zitierten Entscheid des Kassationsgerichts betroffene jugendliche Straftäter: Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt des Vorfalls im VBZ-Bus erst 11-jährig, somit noch ein Kind. Im Zeitpunkt der Hauptverhandlung des Berufungsverfahrens war er 13-jährig. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer und seine Mutter auf Sozialhilfe angewiesen sind. Es kann somit geschlossen werden, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Mutter über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um die Kosten- und Entschädigungsfolgen des Berufungsverfahrens von insgesamt Fr. 7'468.-- in nächster Zeit zu bestreiten. Weiter ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil (E. 12.6 S. 47 f.), "dass es sich beim Geschädigten nicht um einen völlig gesunden Knaben handelt", dieser somit unter gesundheitlichen Problemen leidet. Unter diesen Umständen ist naheliegend, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten den Beschwerdeführer in zusätzliche Not bringen und auf seine weitere Entwicklung einen nachteiligen Einfluss haben wird. Nicht einzusehen ist aber, weshalb die Anwendung der Ausnahmeregel von § 396a Satz 2 StPO/ZH beim Beschwerdeführer - anders als bei einem jugendlichen Straftäter in vergleichbarer Situation - nicht zur Anwendung kommen soll. Dass beim Beschwerdeführer der Resozialisierungsgedanke nicht spielt, stellt keinen einleuchtenden Grund dar, um bei der Kostenauflage nicht auf dessen Verhältnisse und dessen Fortkommen (im Sinne eines "begründeten Falles" gemäss § 396a Satz 2 StPO/ZH) Rücksicht zu nehmen. Das Kassationsgericht hat im oben zitierten Entscheid darauf hingewiesen, dass die Verhinderung von zusätzlicher Not bereits für sich allein einen Grund für den Kostenerlass darstellt. Die Rechtsprechung des Kassationsgerichts erfasst damit auch die Situation des Geschädigten. Anders als es das Obergericht im vorliegenden Fall tat, würde nach der dargestellten kantonalen Gerichtspraxis auf die Erfolgschancen des eingelegten Rechtsmittels bei der Kostenverlegung nicht abgestellt werden dürfen.
 
Hinzu kommt, dass die Umstände, die zum Berufungsverfahren führten, wohl kaum auf das Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen sind. Dem angefochtenen Urteil (E. 13.4 S. 53) ist hierzu folgende Passage zu entnehmen: "Insofern muss zugunsten des Angeklagten auch in Betracht gezogen werden, dass der Geschädigte im Nachhinein gar nicht mehr in der Lage war, seine engagierte und emotionale Mutter durch einen Rückzug seiner Belastung zu desavouieren, worauf die Dinge - Strafuntersuchung und Therapien - ihren weiteren Lauf nahmen. Die Mutter war noch im März 2005, fast 14 Monate nach dem fraglichen Ereignis davon überzeugt, es gehe dem Geschädigten nicht gut, er habe Schmerzen und auch in der Schule Probleme. Ein prägender Einfluss durch die Mutter des Geschädigten ist bei der ganzen Problematik nicht zu übersehen." Aus dieser Urteilserwägung ist zu schliessen, dass das Obergericht davon ausging, der Beschwerdeführer sei nicht freiwillig in die "Mühlen der Justiz" geraten.
 
Unter den dargestellten Umständen stellt die Belastung des erst 11- resp. heute 13-jährigen Beschwerdeführers mit den Kosten- und Entschädigungsfolgen des Berufungsverfahrens selbst unter Berücksichtigung, dass dem Obergericht bei der Kostenverlegung ein Ermessensspielraum zusteht, einen Verstoss gegen das Willkürverbot dar.
 
2.7 Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers führte das Argument, § 396a StPO/ZH sei unter Berücksichtigung des Kindesalters des Beschwerdeführers auszulegen und anzuwenden, bereits vor Obergericht in den Prozess ein. Hingegen berief sich die Rechtsvertreterin zur Untermauerung dieses Arguments erst vor Bundesgericht auf die kantonale Rechtsprechung zur Kostenpflichtigkeit von Kindern und Jugendlichen im strafprozessualen Rechtsmittelverfahren. Demzufolge ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) gutzuheissen und Dispositivziffer 5 und 6 des angefochtenen Urteils in dem Sinne aufzuheben, dass das Obergericht einen neuen Entscheid unter Berücksichtigung der kantonalen Rechtsprechung zu § 388 Abs. 1 StPO/ZH bei Kindern und Jugendlichen zu fällen hat. Die Prüfung weiterer Rügen erübrigt sich.
 
3.
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich dem obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu zahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und Dispositiv-Ziffer 5 und 6 des angefochtenen Urteils des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 12. Juli 2006 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Dezember 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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