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Informationen zum Dokument  BGer 1P.777/2006  Materielle Begründung
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BGer 1P.777/2006 vom 14.12.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.777/2006 /ggs
 
Urteil vom 14. Dezember 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Advokat Christoph Dumartheray,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
 
Strafgericht Basel-Stadt, Haftrichter, Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel,
 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
 
Gegenstand
 
Strafprozess; Haftentlassung,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 3. November 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Stadt führen gegen X.________ ein Strafverfahren wegen mehrfacher qualifizierter und einfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Erpressung, mehrfacher versuchter Erpressung, mehrfachen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung, Nötigung, Anstiftung zur Irreführung der Rechtspflege und verschiedenen Verkehrsdelikten. Die Anklage vom 19. Oktober 2006 wirft ihm u.a. vor, zusammen mit A.________ von einem unbekannten Lieferanten rund 400 g Kokain und 500 g Heroin bezogen und davon zwischen September 2001 und dem 20. März 2002 155 g Kokain und 30 g Heroin verkauft zu haben. Dabei soll im März 2002 B.________ massiv unter Druck gesetzt worden sein, seine Drogenschulden zu bezahlen. Ab September 2002 soll sich X.________ mit C.________ zusammengetan und bis am 19. August 2005 in arbeitsteiliger Weise einen Heroin- und Kokainhandel betrieben haben. D.________, die bei ihnen Kokain gekauft und deswegen Fr. 4'000.-- Schulden hatte, sollen sie mit der Drohung, ihrer Tochter etwas anzutun, dazu gebracht haben, Fr. 30'000.-- Kredit aufzunehmen und ihnen das gesamte Geld auszuhändigen.
 
X.________ wurde am 20. März 2002 verhaftet und am 19. Juni 2002 aus der Untersuchungshaft entlassen. Am 22. August 2005 wurde er erneut verhaftet und befindet sich seither wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft. Am 7. Juli 2006 wurde ihm der vorzeitige Strafvollzug bewilligt.
 
Am 26. September 2006 stellte X.________ ein Haftentlassungsgesuch, welches vom Haftrichter am 29. September 2006 abgewiesen wurde.
 
Der Ausschuss des Appellationsgerichts wies die Beschwerde von X.________ am 3. November 2006 ab.
 
B.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 29. November 2006 wegen Verletzung der Art. 10 und 31 BV beantragt X.________, dieses Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen; eventuell sei die Sache ans Appellationsgericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht X.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
 
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde vollumfänglich fest.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Beim angefochtenen Haftentscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung von Verfassungsrügen nicht. Dies trifft etwa auf die Rüge zu, Art. 31 BV sei verletzt, für welche eine Begründung fehlt.
 
1.1 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig.
 
1.2 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Aufrechterhaltung von Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und die Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3).
 
2.
 
2.1 Nach § 69 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997 (StPO) kann Untersuchungshaft u.a. verhängt werden, wenn neben dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts einer dieser besonderen Haftgründe vor, steht einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 BV grundsätzlich nichts entgegen.
 
Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig ist. Umstritten ist nur, ob Kollusionsgefahr bestehe, wie dies das Appellationsgericht annimmt.
 
2.2 Kollusion bedeutet, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass ein Angeschuldigter die Freiheit dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Aufklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden. Dabei genügt nach der Rechtsprechung die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen, vielmehr müssen konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2; 128 I 149 E. 2.1; 123 I 31 E. 3c; 117 Ia 257 E. 4b und c).
 
2.3 Das Appellationsgericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen (E. 4.4), bereits die Anklagevorwürfe - etwa die Erpressungshandlungen gegen B.________ und D.________ - zeigten einen deutlichen Hang des Beschwerdeführers, auf andere Leute Druck auszuüben. Zudem sei ein möglicher Belastungszeuge, E.________, nachdem er an einer ersten Befragung zu Lasten des Beschwerdeführers ausgesagt hatte, mit dem Tod bedroht worden für den Fall, dass er diesen weiter belaste und seine Aussagen nicht widerrufe. Der Zeuge sei überzeugt, dass die Drohung in dessen Auftrag erfolgt sei; er habe daraufhin seine Belastungen relativiert und weigere sich, zu weiteren Einvernahmen und einer Konfrontation mit dem Beschwerdeführer zu erscheinen.
 
Dies sind entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ernsthafte Indizien dafür, dass er in Freiheit versuchen könnte, das Strafverfahren gegen ihn zu behindern und allfällige Belastungszeugen zu wahrheitswidrigen Angaben zu veranlassen oder von wahrheitsgemässen Belastungen abzuhalten; die entsprechende Schlussfolgerung des Appellationsgerichts ist offensichtlich nicht zu beanstanden. Dass es sich dabei nicht um gerichtlich festgestellte und damit erwiesene Tatsachen, sondern um blosse, zum Teil in der Anklage aufgeführte Verdachtsmomente handelt, ändert nichts daran: Für die Annahme von Kollusionsgefahr genügt ein ernsthafter Verdacht, ein strikter Beweis ist nicht erforderlich; ein solcher wäre in diesem Verfahrensstadium vor der gerichtlichen Hauptverhandlung auch kaum je zu erbringen. Die Rüge ist unbegründet.
 
Das Appellationsgericht hat zudem einlässlich und zutreffend begründet (E. 4.2 - 4.3), dass und weshalb die Kollusionsgefahr weiterbesteht, obwohl sich der Beschwerdeführer seit einiger Zeit im vorzeitigen Strafvollzug und damit unter einem vergleichsweise liberalen Haftregime befindet, welches jedenfalls beschränkte Kollusionsmöglichkeiten zuliesse, und dass auch der zwischenzeitlich erfolgte Abschluss der Strafuntersuchung angesichts des im Basler Strafverfahren geltenden Unmittelbarkeitsprinzips die Kollusionsgefahr nicht ausreichend zu mindern vermag. Diese Begründung des Appellationsgerichts überzeugt, und der Beschwerdeführer bringt in der staatsrechtlichen Beschwerde keine stichhaltigen neuen Argumente vor, die geeignet wären, sie in Frage zu stellen. Darauf ist daher nicht einzutreten, es kann auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 36a Abs. 3 OG).
 
2.4 Die Diskussion um das Bestehen von Kollusionsgefahr ist im Übrigen im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Entscheids ohnehin müssig geworden. Der Beschwerdeführer hat nach übereinstimmender Darstellung in der staatsrechtlichen Beschwerde und der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft am 17. November 2006 die Flucht ergriffen; er konnte tags darauf von der Polizei wieder ergriffen werden. Der Beschwerdeführer hat damit den "Tatbeweis" erbracht, dass auch Fluchtgefahr bestand, was die Fortsetzung der Haft in jedem Fall gerechtfertigt hätte.
 
3.
 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, dem Strafgericht Basel-Stadt, Haftrichter, und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Dezember 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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