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Informationen zum Dokument  BGer I 820/2005  Materielle Begründung
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BGer I 820/2005 vom 27.12.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
I 820/05
 
Urteil vom 27. Dezember 2006
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Traub
 
Parteien
 
O.________, 1966, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17,
 
8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 15. September 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1966 geborene O.________ war von 1990 bis Ende Juni 2003 in der Firma Q.________ AG als Elektromotorenwicklerin angestellt. Bereits seit dem 22. August 2002 hatte sie ihre Erwerbstätigkeit zunächst im Hinblick auf die Geburt ihres im November 2002 geborenen dritten Kindes und in der Folge wegen eines - schon seit mehreren Jahren bestehenden - chronifizierten lumbospondylogenen Syndroms eingestellt. Am 3. Juni 2003 meldete sich O.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte den erwerblichen Tatbestand ab und holte in Ergänzung der von den behandelnden Ärzten erstatteten Krankengeschichte ein Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI) vom 3. Februar 2004 ein. Mit durch Einspracheentscheid vom 13. Oktober 2004 bestätigter Verfügung vom 2. März 2004 verneinte die Verwaltung den Anspruch auf eine Invalidenrente, da sie von einem nicht leistungsbegründenden Invaliditätsgrad von elf Prozent ausging.
 
B.
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 15. September 2005).
 
C.
 
O.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid, eine ganze Rente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Verwaltung zurückzuweisen. Die Versicherte beantragt schliesslich die unentgeltliche Verbeiständung.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
 
2.
 
Die Bemessung des Invaliditätsgrades ist unter verschiedenen Aspekten strittig.
 
2.1
 
2.1.1 Als medizinische Grundlage für die Festlegung der gesundheitlich bedingten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in Erwerb und Haushalt haben die Vorinstanzen auf das interdisziplinäre Gutachten des ABI vom 3. Februar 2004 abgestellt, in welchem der Versicherten für beide Aufgabenbereiche eine Einschränkung von höchstens 20 Prozent attestiert wird. Aus orthopädischer Sicht wird ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom ohne radikuläre Symptomatik diagnostiziert und festgestellt, dass diese Beschwerden nur teilweise mit den radiologischen Befunden vereinbar seien; daneben bestehe ein dringender Verdacht auf eine Schmerzverarbeitungsstörung bei möglicherweise depressiver Grundhaltung. Diese Einschätzung wird im psychiatrischen Konsilium mit der Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer leichten depressiven Episode bestätigt. Die Krankheitssymptome an sich seien zwar nicht willentlich beeinflussbar, doch könne von der Versicherten erwartet werden, dass sie sich damit vermehrt auseinandersetze und so die Folgen des Gesundheitsschadens dämpfe. Auch sei sie gehalten, die sowohl für den somatischen wie den psychischen Teil des Leidens zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten besser auszuschöpfen.
 
Anders als die Beschwerdeführerin meint, stellen die weiteren ärztlichen Beurteilungen die Schlüssigkeit und damit den Beweiswert der gutachtlichen Feststellungen nicht in Frage. Die Psychiaterin Dr. P.________ beschränkt sich in ihrem Bericht vom 28. Oktober 2004 weitgehend auf eine deskriptive Wiedergabe der Symptome, ohne diese kritisch zu diskutieren, weshalb ihre Diagnose einer mittelgradigen bis schweren andauernden depressiven Episode nicht gesichert ist. Eine gutachtliche Begründung der attestierten vollständigen Arbeitsunfähigkeit fehlt. Der Rheumatologe Dr. K.________ und der Internist Dr. I.________ legen ihren jeweiligen Stellungnahmen zur Arbeitsfähigkeit den Gesamtbefund des Gesundheitszustandes zugrunde. Wie weit dieser indes in psychische und organische Anteile aufzutrennen ist, kann zuverlässig nur durch eine interdisziplinäre Untersuchung festgestellt werden, wie sie im ABI stattgefunden hat. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Somatiker, so wie es ihrer Aufgabe entspricht, die aus der Sicht des fraglichen Sachgebietes möglicherweise begründeten Einschränkungen in die Schätzung der Leistungsfähigkeit einbezogen. Von einer echten, unausräumbaren Diskrepanz der ärztlichen Stellungnahmen kann somit nicht gesprochen werden. Dementsprechend gibt es keinen Grund, eine Oberbegutachtung zu veranlassen.
 
2.1.2 Sofern zumutbare therapeutische und andere schadenmindernde Vorkehren nicht ausgeschöpft werden, entsteht entgegen der Annahme der Versicherten auch nach Art. 29 Abs. 1 IVG kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Denn solange durch eine tatsächlich realisierbare Veränderung der für die gesundheitliche Situation bedeutsamen Rahmenbedingungen eine wesentliche Verbesserung der psychischen Befindlichkeit und damit der durch diese eingeschränkten Arbeitsunfähigkeit bewirkt werden kann, liegt kein invalidisierender Gesundheitsschaden im Sinne von Gesetz und Rechtsprechung vor (vgl. Urteil I. vom 6. November 2006, I 955/05, Erw. 3.3.2.).
 
2.2 Hinsichtlich der erwerblichen und haushaltbezogenen Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen kann auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Festzuhalten bleibt, dass die Rüge, der Beschwerdeführerin stünden auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 16 ATSG) aufgrund von dessen aktueller struktureller Verfassung keine geeigneten Verweisungstätigkeiten offen, schon deswegen nicht begründet ist, weil nach klarer Feststellung der Sachverständigen die bis Mitte 2003 ausgeübte Arbeit dem Zumutbarkeitsprofil (im Wesentlichen leichte bis intermittierend mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeiten) entspricht. Auch unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs vom grundsätzlich zumutbaren statistischen Einkommen (BGE 126 V 75), wie ihn das kantonale Gericht richtigerweise zum Anschlag brachte, ergibt sich kein rentenbegründender Invaliditätsgrad.
 
2.3 Was den Anspruch auf berufliche Massnahmen anbetrifft, kann mit der Vorinstanz festgehalten werden, dass sich eine nähere Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen unter den einzelnen Anspruchstiteln mangels subjektiver Eingliederungsfähigkeit erübrigt, solange die Beschwerdeführerin, wie im Gutachten dargetan, eine berufliche Reintegration selber ausschliesst.
 
3.
 
Das Verfahren hat Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist deshalb kostenlos (Art. 134 OG in der bis Ende Juni 2006 geltenden Fassung; vgl. Erw. 1 hievor). Die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) kann im Umfang des entsprechenden Aufwands gewährt werden, da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Personalfürsorgestiftung Q.________ AG und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
 
Luzern, 27. Dezember 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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