BGer U 399/2006 | |||
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BGer U 399/2006 vom 05.01.2007 | |
Tribunale federale
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{T 7}
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U 399/06
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Urteil vom 5. Januar 2007
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I. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichter Lustenberger und Ferrari,
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Gerichtsschreiberin Heine.
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Parteien
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K.________, 1972, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard, Werdstrasse 36, 8004 Zürich,
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gegen
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Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Unfallversicherung,
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Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
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vom 7. Juni 2006.
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Sachverhalt:
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A.
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Die 1972 geborene K.________ war vom 10. September 2001 bis 30. April 2002 in der Firma X.________ AG als Hilfskraft angestellt und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 16. Oktober 2001 zog sie sich beim Reinigen einer Fabrikationsmaschine eine Unterkieferfraktur rechts mit Zahnverlust zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggelder). Nach der kreisärztlichen Abschlussuntersuchung vom 28. Mai 2002 und einer psychiatrischen Begutachtung durch Dr. med. G.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 9. März 2005 stellte die SUVA mit Verfügung vom 27. April 2005 ab dem 16. Mai 2005 die bisherigen Leistungen ein, lehnte den Anspruch auf Invalidenrente ab und sprach der Versicherten eine Integritätsentschädigung von 10 % zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 10. Juni 2005 fest.
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B.
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Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 7. Juni 2006).
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C.
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K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren stellen, die SUVA sei, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids, zu verpflichten, ihr eine Invalidenrente auszurichten, die Integritätsentschädigung angemessen zu erhöhen und die Behandlungskosten weiterhin zu übernehmen.
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Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung (Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Gleiches gilt für die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im Allgemeinen (BGE 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung (BGE 116 V 157 Erw. 3a) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw. 1c; vgl. auch BGE 125 V 352 ff. Erw. 3 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
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1.2 Die Adäquanzbeurteilung nach Distorsionen der Halswirbelsäule (HWS) (ohne organisch nachweisbare Folgeschäden) und vergleichbaren Verletzungen hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 366 Erw. 6a und 382 Erw. 4b dargelegten Rechtsprechung mit fehlender Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 99 Erw. 2a, 119 V 335, 117 V 359 und 382 f. Erw. 4b und; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437, 2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2). Von diesem Grundsatz ist abzuweichen, wenn die zum Beschwerdebild einer solchen Verletzung gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber unmittelbar nach dem Unfall ganz in den Hintergrund treten oder die physischen Beschwerden im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben; diesfalls ist die Prüfung der adäquaten Kausalität praxisgemäss unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE 115 V 133 ff. vorzunehmen (BGE 123 V 99 Erw. 2a; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437 [Urteil W. vom 18. Juni 2002, U 164/01]).
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2.
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Entgegen den Bestreitungen und Behauptungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind - abgesehen vom bleibenden Defektzustand im Kieferbereich, der aber weder weitere Behandlung erfordert, noch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt - keine organischen Unfallfolgen ausgewiesen. Weitere Untersuchungen in (oto)neurologischer und rheumatologischer Richtung, wie beantragt, vermöchten hieran in Anbetracht fehlender abklärungsbedürftiger somatischer Befunde nichts zu ändern, weshalb darauf in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 122 V 162 Erw. 1d) zu verzichten ist. Die Beschwerdeführerin leidet vielmehr offensichtlich an einer psychischen Fehlverarbeitung des Unfallerlebnisses. Ob diese durch den Unfall natürlich kausal verursacht ist, kann offen bleiben.
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2.1 Dr. med. G.________ hält im psychiatrischen Gutachten vom 9. März 2005 eine chronifizierte depressive Entwicklung (ICD 10: F 32.1) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD 10: F 45.4) fest. Eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10: F 43.1), wie sie von Dr. med. S.________, Oberarzt, Externer Psychiatrischer Dienst, im Bericht vom 10. November 2004 (wie auch schon im Bericht vom 30. Dezember 2002), von Dr. med. C.________ anlässlich der kreisärztlichen Abschlussuntersuchung vom 28. Mai 2002 und durch das psychiatrische Konsilium, Rehaklinik Y.________, am 21. Januar 2002 diagnostiziert worden war, schliesst Dr. med. G.________ aus, da weder der soziale Rückzug noch Schilderungen über das Unfallereignis entsprechende residuelle Symptome aufzeigten. Eine HWS-Distorsion wird lediglich im Bericht der Rehaklinik Y.________ erwähnt, wobei diese Diagnose weder näher erläutert noch begründet wird. Die in den folgenden drei Jahren (von Januar 2002 bis März 2005) durchgeführten Untersuchungen ziehen eine HWS-Distorsion nicht in Betracht oder schliessen sie explizit aus (Abschlussuntersuchung vom 28. Mai 2002). Selbst wenn im Sinne der Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise die u.a. nach HWS-Distorsionstraumen sich einstellende Symptomatik (dazu vgl. BGE 117 V 360 Erw. 4b [diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, Depression, Wesensveränderung, usw.]) bejaht würde, ist auf Grund der medizinischen Aktenlage unter Berücksichtigung der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt von einer sehr untergeordneten Rolle der physischen Anteile auszugehen, so dass die Adäquanz gemäss BGE 115 V 140 zu prüfen ist (Erw. 1.2).
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2.2 Hinsichtlich der Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem versicherten Unfall und dem psychischen Gesundheitsschaden kann auf die Erwägungen des kantonalen Gerichts verwiesen werden. Dieses hat in Anwendung der unfallbezogenen Kriterien gemäss BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa mit überzeugender Begründung festgehalten, dass das als mittelschwer einzustufende Ereignis vom 16. Oktober 2001 erfahrungsgemäss nicht geeignet ist, eine psychische Fehlentwicklung zu verursachen. Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen eingewendet wird, ist unbehelflich. Der Unfallhergang, selbst wenn er subjektiv als lebensbedrohend empfunden wurde, kann nicht als besonders eindrücklich bezeichnet werden und ist objektiv nicht in besonderer Weise geeignet, eine psychische Beeinträchtigung auszulösen. So kann auch entgegen den Vorbringen der Versicherten nicht von körperlichen Dauerschmerzen gesprochen werden, jedenfalls nicht in ausgeprägter Weise, da bereits kurz nach dem Unfall eine psychisch auffällige Entwicklung im Sinne einer Diskrepanz zwischen den objektiven und subjektiven Befunden festgestellt wurde. Auch ein schwieriger Heilungsverlauf ist auszuschliessen, zumal objektiv ein sehr zufriedenstellendes Resultat erzielt wurde. Das Kriterium der Dauer und Schwere der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit ist nicht ausgeprägt erfüllt. Für die nach dem Unfall aufgetretene psychische Fehlentwicklung ist daher mit der Vorinstanz der adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen.
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3.
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Der kantonale Gerichtsentscheid ist bezüglich Integritätsentschädigung nicht zu bemängeln. Es fehlt namentlich an triftigen Gründen, die eine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen liessen. Gemäss SUVA-Kreisarzt Dr. med. C.________ (Bericht vom 28. Mai 2002) ist die Unterkieferfraktur bei erhaltener Gesichtssymmetrie und unauffälligen Kiefergelenken, ohne Luxationstendenz und ohne Klickphänomene bei klinisch ordentlicher Okklusion konsolidiert. Der Integritätsschaden wurde im Rahmen des Funktionsverlustes bemessen und in Verhältnis zur Beeinträchtigung der Kaufähigkeit gesetzt (25 % Referenzwert), weshalb mit der Vorinstanz von einem Integritätsschaden von 10 % auszugehen ist.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
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Luzern, 5. Januar 2007
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:
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