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Informationen zum Dokument  BGer I 916/2006  Materielle Begründung
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BGer I 916/2006 vom 18.01.2007
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
I 916/06
 
Urteil vom 18. Januar 2007
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
Parteien
 
M.________, 1957,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Heidi Koch-Amberg, Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke,
 
gegen
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
 
vom 16. Oktober 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1957 geborene M.________ leidet nach gutachtlichem Befund an einer Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten, an einem polytopen Schmerzsyndrom ohne adäquates somatisches Korrelat am Bewegungsapparat sowie an einer hereditären Hämochromatose. Die IV-Stelle des Kantons Luzern lehnte das Begehren um Ausrichtung einer Invalidenrente ab, da die Arbeitsfähigkeit nie mehr als zu 20 Prozent eingeschränkt gewesen sei (durch Einspracheentscheid vom 14. Juli 2006 bestätigte Verfügung vom 23. Juni 2005).
 
B.
 
M.________ liess gegen den Einspracheentscheid Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern führen. Dieses wies den Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ab und setzte dem Versicherten Frist zur Bezahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von Fr. 800.-. Bei nicht rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses werde unter Kostenfolge auf die Beschwerde nicht eingetreten (Verfügung vom 16. Oktober 2006).
 
C.
 
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei, unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung, für das Verfahren vor dem kantonalen Gericht die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Eventuell sei festzustellen, dass das Verfahren vor kantonalem Gericht kostenfrei durchzuführen sei. Auch für den letztinstanzlichen Prozess sei die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das letztinstanzliche Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2).
 
1.2 Nach Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das kantonale Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung oder die Verweigerung von IV-Leistungen - abweichend von Art. 61 lit. a ATSG - kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von 200 bis 1000 Franken festgelegt. Die Vorinstanz hat das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abgelehnt und gestützt auf die vorgenannte Bestimmung einen Kostenvorschuss von Fr. 800.- erhoben.
 
2.
 
Zu beurteilen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht davon ausgegangen ist, die bei ihm eingereichte Beschwerde gegen den abschlägigen Rentenentscheid der IV-Stelle sei aussichtslos, weshalb eine der Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (umfassend die Kostenlosigkeit des Verfahrens und die unentgeltliche Verbeiständung) fehle.
 
2.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im kantonalen Verfahren ergibt sich aus Art. 29 Abs. 3 BV und - hinsichtlich des unentgeltlichen Rechtsbeistands - aus Art. 61 lit. f ATSG. Die Vorinstanz stellt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 125 V 202 Erw. 4a) ab und nicht auf allfällige Vorschriften der kantonalen Prozessordnung. Das Bundesgericht prüft, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte (einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens) oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
2.2 Prozessbegehren sind als aussichtslos anzusehen, wenn die Gewinnaussichten (ex ante betrachtet; BGE 124 I 307 Erw. 2c, 122 I 6 Erw. 4a) beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zur Einlegung des Rechtsmittels entschliessen oder aber davon absehen würde, soll doch eine Partei einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1, 128 I 236 Erw. 2.5.3 mit Hinweis).
 
2.3 Aufgrund der Ausführungen der Parteien ist die Frage, ob Aussichtslosigkeit gegeben sei oder nicht, nur noch mit Blick auf den notwendigen Umfang der medizinischen Abklärung der Hämochromatose zu behandeln. Dabei handelt es sich um eine vererbte Stoffwechselstörung, bei welcher eine massiv gesteigerte Eisenresorption eine zunehmende Eisenüberladung bewirkt, die unbehandelt zu Hepatomegalie, Diabetes mellitus, Hautverfärbung, Kardiomyopathie, Infertilität und Leberfibrose oder -zirrhose führen kann. Häufigstes Leitsymptom sind Arthralgien (Gelenkschmerzen), die im Rahmen einer Hämochromatose-Arthropathie auftreten (Rihl/Kellner, Die Arthropathie der hereditären Hämochromatose, in: Zeitschrift für Rheumatologie, Vol. 63, Berlin/Heidelberg 2004, S. 22 ff.).
 
Der Beschwerdeführer moniert, die Folgen der Hämochromatose, namentlich eine mögliche Arthropathie, seien nicht ausreichend untersucht worden. Dieser Rechtsstandpunkt stellt sich nicht als aussichtslos dar, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Tragweite der Krankheit möglicherweise verkannt worden sei, und zusätzliche Abklärungen deswegen gerechtfertigt erscheinen.
 
2.4 Die ärztlichen Stellungnahmen zum betreffenden Befund und seinen Auswirkungen sind einhellig. Hämatologen der Medizinischen Klinik am Spital X.________ stellten eine (reversible) Hepatopathie fest, jedoch keine Kardiopathie und auch keine Arthropathie. Es bestünden Rückenschmerzen (mit anderer Pathogenese), aber keine (arthralgischen) Beschwerden an den peripheren Gelenken. Bei konsequenter Aderlasstherapie sei die Prognose bezüglich der - früh diagnostizierten - Hämochromatose, welche ohne Endorganschädigung geblieben sei, gut, die Lebenserwartung normal (Bericht vom 14. Januar 2003). Am 9. Januar und 9. Juni 2006 wurde das Ausbleiben einer Arthropathie von gleicher Stelle bestätigt. Auch nach Auffassung des Rheumatologen und Internisten Dr. B.________ ist ein Zusammenhang der bestehenden Gelenkschmerzen mit der Hämochromatose "unwahrscheinlich". Es gebe keine objektivierbaren Hinweise auf entsprechende skelettale Veränderungen (Bericht vom 2. November 2005). Der Hausarzt des Beschwerdeführers gibt die diesbezüglichen spezialärztlichen Befunde unverändert wieder; seinen Verlaufsberichten zuhanden der Invalidenversicherung ist nicht zu entnehmen, dass er die attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit aus den Folgen der Hämochromatose ableitet. Die Schlussfolgerung der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS), die hereditäre Hämochromatose bringe keine wesentliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (Gutachten vom 18. März 2005), entspricht mithin allen anderen fachärztlichen Einschätzungen. Da die behandelnden Ärzte keine wichtigen Aspekte benennen, die im Rahmen der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind, wären zusätzliche Abklärungen nicht gerechtfertigt (vgl. Urteil T. vom 27. November 2006, I 663/05, Erw. 2.2.2 mit Hinweisen). Ebenso wenig besteht Grund anzunehmen, dass sämtliche Mediziner, die sich zur Hämochromatose geäussert haben, den Umfang des Untersuchungsbedarfs verkannt haben könnten.
 
2.5 Das kantonale Gericht hat somit kein Bundesrecht verletzt, als es von Aussichtslosigkeit der Beschwerdeführung ausgegangen ist.
 
3.
 
Im Eventualstandpunkt macht der Beschwerdeführer Kostenfreiheit des kantonalen Beschwerdeverfahrens geltend. Seit der Inkraftsetzung der "Massnahmen zur Verfahrensstraffung" auf den 1. Juli 2006 (AS 2006 2003, 2006; BBl 2005 3079) ist das kantonale Beschwerdeverfahren bei Leistungsstreitigkeiten der Invalidenversicherung kostenpflichtig (Art. 69 Abs. 1bis IVG [Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005]; Erw. 1.2. hievor). Bisheriges Recht, das Kostenfreiheit vorsah (vgl. Art. 61 lit. a ATSG), ist nach den Schlussbestimmungen zur Änderung vom 16. Dezember 2005 nur auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens am 1. Juli 2006 bereits (hier beim kantonalen Gericht) hängigen Beschwerden anwendbar (lit. c). Der kantonale Prozess wurde indes erst im August 2006 eingeleitet. Das Argument des Versicherten, die zufällige Dauer des Verwaltungsverfahrens - dieses wurde bereits im Mai 2002 angehoben - dürfe nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht über die Anwendung zwischenzeitlich kreierter neuer Verfahrensregeln entscheiden, ist nicht massgebend. Es besteht nach klarer Lage des Gesetzes kein Raum für das vom Beschwerdeführer verlangte Vorgehen (Art. 190 BV).
 
4.
 
4.1 Verwaltungsgerichtsbeschwerden wegen Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege lösen praxisgemäss keine Kostenpflicht aus (SVR 1994 IV Nr. 29 S. 76 Erw. 4). Das Kostenerlassgesuch ist daher gegenstandslos.
 
4.2 Die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) kann nicht gewährt werden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ihrerseits aussichtslos, da, wie bereits dargelegt, keine sich widersprechenden ärztlichen Stellungnahmen vorliegen und auch sonst nichts dafür spricht, dass das medizinische Dossier die tatsächlichen gesundheitlichen Verhältnisse des Versicherten und deren Auswirkungen auf seine Leistungsfähigkeit möglicherweise nicht zuverlässig wiedergeben könnte. Es bestand damit auch bei Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kein Anlass zur Annahme, die medizinische Entscheidungsgrundlage für den strittigen Verwaltungsentscheid sei nicht ausreichend gewesen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
 
Luzern, 18. Januar 2007
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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