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Informationen zum Dokument  BGer U 40/2006  Materielle Begründung
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BGer U 40/2006 vom 19.01.2007
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
U 40/06
 
Urteil vom 19. Januar 2007
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Schön, Frésard,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Parteien
 
D.________, 1950, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Dr. Philipp Gremper, Blumenrain 20, 4001 Basel,
 
gegen
 
Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst, Steinengraben 42, 4051 Basel, Beschwer-degegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 31. August 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Die 1950 geborene D.________ arbeitete ab 1. Juni 1992 als Pflegehilfe im Alters- und Pflegeheim X.________. Sie war bei der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: National) obligatorisch unfallversichert. Am 10. Januar 1996 verletzte sich D.________ bei einem Sturz zusammen mit einer begleiteten Pensionärin im Lendenwirbelbereich. Mit Verfügung vom 14. April 1999 und Einspracheentscheid vom 8. November 1999 sprach ihr die National für die verbleibenden Unfallfolgen eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 37 %) sowie eine Integritätsentschädigung (Integritätseinbusse: 5 %) zu. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde der D.________ bejahte das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 30. April 1999, wobei es den Invaliditätsgrad auf 54 % festsetzte. Für die Zeit ab 1. Mai 1999 wies es die Sache zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die National zurück. Soweit weitergehend wies es das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 18. Dezember 2000).
 
A.b Mit Bericht vom 5. Juli 2001 nahm Prof. Dr. med. I.________, Chefarzt Orthopädische Universitätsklinik Y.________, welcher D.________ bereits im Juni 1999 im Rahmen des IV-Verfahrens untersucht und begutachtet hatte, zu Fragen der National und des Rechtsvertreters der Versicherten betreffend den natürlichen Kausalzusammenhang der Rückenbeschwerden zum Sturz vom 10. Januar 1996 Stellung. Gestützt darauf verneinte der Unfallversicherer mit Verfügung vom 16. Oktober 2001 eine Leistungspflicht ab 1. Oktober 2001 und stellte ihre Rentenzahlungen zu diesem Zeitpunkt ein. Hiegegen liess D.________ Einsprache erheben. In der Folge wurde die Versicherte durch Prof. Dr. med. G.________, Chefarzt Klinik für Orthopädische Chirurgie Spital Z.________, begutachtet (Expertise vom 9. Dezember 2003). Schliesslich liess die National die Kausalitätsfrage durch Dr. med. V.________, Spezialarzt für Chirurgie FMH, beurteilen (Bericht vom 7. September 2004). Mit Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2004 bestätigte der Unfallversicherer die Verfügung vom 16. Oktober 2001.
 
B.
 
Die Beschwerde der D.________ wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, u.a. nach Einsichtnahme in die IV-Akten, mit Entscheid vom 31. August 2005 ab, soweit es darauf eintrat.
 
C.
 
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung von Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien ihr die gesetzlichen Leistungen, insbesondere ab 1. Mai 1999 eine Rente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 %, zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese im Sinne der Erwägungen über ihren Leistungsanspruch neu verfüge; zudem sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.
 
Die National beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110]) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2).
 
2.
 
Das kantonale Gericht ist auf das Rechtsbegehren in der Beschwerde um Zusprechung einer Integritätsentschädigung von 10 % nicht eingetreten. Insoweit ist der vorinstanzliche Entscheid nicht angefochten worden und demzufolge in formelle Rechtskraft erwachsen (vgl. BGE 117 V 295 Erw. 2b).
 
3.
 
Umstritten ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung ab 1. Mai 1999 als Folge des Sturzes vom 10. Januar 1996 (vgl. Erw. 6 und Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheides vom 18. Dezember 2000 sowie Ziff. 3 der (Einsprache-)Ergänzung vom 18. Oktober 2004 und Erw. 6h/cc des Einspracheentscheides vom 15. Dezember 2004). Dabei ist in erster Linie zu prüfen, ob die auch nach dem 30. April 1999 bestehenden Rückenbeschwerden und die darauf zurückzuführende Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit natürlich kausale Unfallfolgen darstellen. Diese Frage ist frei zu prüfen (Art. 104 lit. a OG), und zwar auch für den Zeitraum vom 1. Mai 1999 bis 30. September 2001, für welchen die National eine Rente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 54 % ausrichtete.
 
4.
 
4.1 Die National würdigte im Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2004 die medizinische Aktenlage dahingehend, es hätten bereits vor dem Unfall vom 10. Januar 1996 degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bestanden. Der Sturz habe zwar die Beschwerden ausgelöst. Indessen sei davon auszugehen, dass der Zustand, wie er vorliegen würde, wenn sich kein Unfall ereignet hätte (Status quo sine), sicher am 1. Mai 1999 erreicht gewesen sei. Nach Auffassung des kantonalen Gerichts sind diese Beweiswürdigung und die daraus gezogenen rechtlichen Schlüsse nicht zu beanstanden. Insbesondere erbrächten die im Ergebnis übereinstimmenden Berichte des Prof. Dr. med. I.________ vom 5. Juli 2001 und des Dr. med. V.________ vom 7. September 2004 sowie das Gutachten des Prof. Dr. med. G.________ vom 9. Dezember 2003 den rechtsgenüglichen Nachweis, dass überwiegend wahrscheinlich spätestens in jenem Zeitpunkt unfallbedingte Ursachen des Gesundheitsschadens ihre kausale Bedeutung für die geklagten Rückenbeschwerden verloren hatten, also dahingefallen waren (vgl. Urteil C. vom 21. Juni 2006 [U 67/06] Erw. 3.2 mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. U 363 [U 355/98] S. 46 Erw. 2; ferner zum Begriff des natürlichen Kausalzusammenhangs BGE 129 V 181 Erw. 3.1 mit Hinweisen).
 
4.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerungen des kantonalen Gerichts als unzutreffend erscheinen liesse. Insbesondere geben weder das Vorbringen, vor dem Unfall habe völlige Beschwerdefreiheit bestanden, noch der Umstand, dass Prof. Dr. med. I.________ und Dr. med. V.________ die Beschwerdeführerin nicht untersucht hatten, zu einer anderen Beweiswürdigung Anlass. Dies gilt umso mehr, als die Aussagen des Prof. Dr. med. G.________ unklar sind. Laut Gutachter war der Unfall vom 10. Januar 1996 der Auslöser für die Beschwerden. Als Folge des Sturzes sei akut eine Lumboischialgie aufgetreten. In diesem Zeitpunkt habe eine radiologisch nachweisbare, klinisch nicht manifeste degenerative Wirbelsäulenerkrankung (vor-)bestanden. Es gebe keine prospektiven Untersuchungen, die mit statistischer Signifikanz aussagen könnten, ob und wann radiologisch sichtbare degenerative Veränderungen der LWS klinisch relevant würden. Momentan existiere keine evidenzbasierte Methode, mit der eine Korrelation zwischen radiologischen Befunden und dem Zeitpunkt des Auftretens klinischer Beschwerden hergestellt werden könne und eine sichere Prognose hinsichtlich der Beschwerdeentwicklung zuliesse. Ob, und wenn ja, wann bei der Beschwerdeführerin ohne den Sturz vom 10. Januar 1996 Rückenbeschwerden aufgetreten wären, lasse sich anhand der bildgebenden Diagnostik nicht sagen, sei daher rein spekulativ. Die von Prof. Dr. med. I.________ in seinem Bericht vom 5. Juli 2001 unter Hinweis auf die aktuelle Literatur erwähnte wahrscheinliche Erholung von den Beschwerden binnen zwölf Monaten gelte nur für Personen, die nicht an degenerativen Erkrankungen litten. Anderseits hält Prof. Dr. med. G.________ ausdrücklich fest, es sei nicht möglich, den Unfall vom 10. Januar 1996 für das ununterbrochene Andauern der Beschwerden «anzuschuldigen». Der Sturz selbst über Jahre hinweg habe am Beschwerdebild an Bedeutung verloren. Der prozentuale Anteil am gegenwärtigen Symptomenkomplex sei sicherlich vom Zeitpunkt des Unfalles rückläufig.
 
Am vorinstanzlichen Ergebnis auf Grund sorgfältiger Beweiswürdigung vermag auch die - vom kantonalen Gericht nicht weiter erörterte - Diskrepanz zwischen den Proff. I.________ und G.________ bezüglich der Interpretation von Röntgenaufnahmen und MRI vom 26. August 1997 und 28. Juni 1999 nichts zu ändern. Prof. Dr. med. I.________ führte zur Frage, ob der Vorzustand auch ohne den Unfall vom 10. Januar 1996 zu Beschwerden in der genau gleichen Form und Intensität geführt hätte, wie dies im Juni/ Juli 1999 der Fall gewesen sei, u.a. Folgendes aus: «In casu findet sich in der Röntgenaufnahme vom 28.06.1999 (Röntgeninstitut Felix Platter-Spital) eine seitliche Abwinkelung der LWS im Segment L4/L5, welches auf der Voraufnahme vom 26.08.1997 (Felix Platter Spital) noch gerade war. Diese Abwinkelung ist durch einen schicksalsmässigen asymmetrischen Degenerationsprozess in der bewiesenermassen durch den Unfall unverletzten Bandscheibe bedingt, wobei gerade dieser Diskus im MRI vom 15.10.1996 noch am wenigsten signalverändert war. Diese anatomische Veränderung und Degenerationszunahme ist mit dem Wahrscheinlichkeitsgrad der 'Sicherheit' unfallunabhängig und wäre in der genau gleichen Form und Intensität im Juni/ Juli 1999 auch ohne Unfall vorhanden gewesen.» Unter Hinweis auf diese Ausführungen hielt Prof. I.________ fest, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Beschwerden der Versicherten nur noch und ausschliesslich auf unfallfremde Ursachen zurückzuführen seien. Der Interpretation der röntgenologischen und kernspintomografischen Befunde durch Prof. I.________ widersprach Prof. Dr. med. G.________, und zwar in folgendem Sinne: «Beim Vergleich der Röntgenbilder vom 26.08.1997 und dem 28.06.1999 lässt sich keine wesentliche Zunahme der Osteochondrose L5/S1 feststellen. Die von Professor I.________ beschriebene seitliche Abwinkelung der LWS im Sinne einer rechtskonvexen Skoliose kann durchaus auch auf eine einseitige Muskelkontraktion während einer Schmerzexazerbation zurückzuführen sein. Die einseitige Degeneration des Segmentes L4/5 mit konsekutiver Abwinkelung der darüber liegenden Segmente ist nicht erkennbar. Vielmehr scheint die Abwinkelung im Segment L2/3 am grössten. Auch das am 28.06. 1999 durchgeführte MRI spricht nicht von einer einseitig betonten Degeneration des Diskus L4/5. Vielmehr sieht man auf den MRI-Aufnahmen eine eher symmetrische Einengung der lateralen Recessus beidseits. An den vorliegenden Röntgenaufnahmen sowie den Befunden der Kernspintomographien findet sich keine radiologisch fassbare schlüssige Begründung für die Beschwerdezunahme. Gleichwohl ist die Verschlimmerung der Symptomatik klinisch objektivierbar. Gemäss aktueller Literatur muss einer klinischen Beschwerdeverschlechterung nicht zwingend ein radiologisch nachweisbares Korrelat gegenüberstehen» (vgl. zur unfallversicherungsrechtlichen Bedeutung der Radioskopie bei vorbestandenen Wirbelsäulenschäden RKUV 2000 Nr. U 363 S. 45).
 
4.3 Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens.
 
5.
 
Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann entsprochen werden, da die Voraussetzungen gemäss Gesetz (Art. 152 OG) und Rechtsprechung (BGE 125 V 202 Erw. 4a) hiefür erfüllt sind. Die Beschwerdeführerin wird indessen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie gemäss Art. 152 Abs. 3 OG der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie dazu später im Stande ist.
 
Die National hat praxisgemäss keinen Anspruch auf Parteientschädigung (BGE 118 V 169 Erw. 7, 112 V 49 Erw. 3).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat Dr. Philipp Gremper, Basel, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse der Betrag von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehr-wertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Der National wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 19. Januar 2007
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
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