BGer 6A_3/2007 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer 6A_3/2007 vom 15.03.2007 | |
Tribunale federale
| |
{T 0/2}
| |
6A.3/2007 /rom
| |
Urteil vom 15. März 2007
| |
Kassationshof
| |
Besetzung
| |
Bundesrichter Schneider, Präsident,
| |
Bundesrichter Zünd, Mathys,
| |
Gerichtsschreiber Störi.
| |
Parteien
| |
X.________,
| |
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Stutz,
| |
gegen
| |
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau.
| |
Gegenstand
| |
Entzug des Führerausweises (Kontrollfahrt),
| |
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 14. November 2006.
| |
Sachverhalt:
| |
A.
| |
X.________, geboren am 1. Mai 1920, besitzt den Führerausweis der Kategorie B (Motorwagen) seit dem 6. Juli 1956. Am 16. März 2005 teilte sein Hausarzt dem Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau mit, er sei wiederholt aus dem Umfeld seines Patienten auf dessen Fahrtauglichkeit angesprochen worden. Obschon er seit Beginn der Behandlung durch ihn am 11. September 2003 keine zwingenden Hinweise auf eine deutliche Abnahme der Fahrtauglichkeit festgestellt habe, erachte er eine Untersuchung derselben mit praktischer Prüfung als sinnvoll. Rein aufgrund des klinischen Untersuchs könne er die Fahrtauglichkeit nämlich nicht sicher beurteilen.
| |
Das Strassenverkehrsamt ordnete darauf hin eine Kontrollfahrt an, die X.________ am 18. April 2005 bestand. Der Verkehrsexperte hielt in seinem Prüfungsbericht allerdings fest, die Alterskontrollfahrt sei knapp bestanden. Wegen körperlicher/altersbedingter Beschwerden sollte in einem Jahr eine weitere Kontrollfahrt durchgeführt werden.
| |
B.
| |
Mit Verfügung vom 2. Juni 2006 ordnete das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau eine erneute Kontrollfahrt an, welche bis spätestens 30. Juni 2006 stattzufinden habe. Hiergegen gelangte X.________ an das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, welches die Beschwerde am 21. September 2006 abwies. Gleich entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 14. November 2006.
| |
C.
| |
Am 10. Januar 2007 hat X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. November 2006 aufzuheben.
| |
Das Verwaltungsgericht hat auf Stellungnahme verzichtet. Das Bundesamt für Strassen beantragt in seiner Vernehmlassung vom 20. Februar 2007, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung bei einer Spezialuntersuchungsstelle an das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zurückzuweisen.
| |
Der Präsident des Kassationshofs hat mit Verfügung vom 2. Februar 2007 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung beigelegt.
| |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
| |
1.
| |
Der angefochtene Entscheid ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf das Rechtsmittel dagegen ist noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier somit dasjenige der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 97 ff. OG.
| |
2.
| |
2.1 Nach Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG dürfen Führerausweise nicht erteilt werden, wenn der Bewerber nicht über eine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, die zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen ausreicht. Bestehen Bedenken über die Eignung eines Führers, so ist er einer neuen Prüfung zu unterwerfen (Art. 14 Abs. 3 SVG). Jeder Arzt kann Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheiten oder Gebrechen wegen Süchte zur sicheren Führung von Motorfahrzeugen nicht fähig sind, der für die Erteilung und Entzug des Führerausweises zuständigen Behörde melden. Der Führerausweis wird einer Person entzogen, wenn ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen (Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG). Die Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.51) sieht vor, dass über 70-jährige Ausweisinhaber sich alle zwei Jahren einer vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung unterziehen müssen (Art. 27 Abs. 1 lit. b VZV). Bestehen Bedenken über die Eignung eines Fahrzeugführers, so kann zur Abklärung der notwendigen Massnahme eine Kontrollfahrt angeordnet werden (Art. 29 Abs. 1 VZV). Besteht die betroffene Person die Kontrollfahrt nicht, wird der Führerausweis entzogen (Art. 29 Abs. 2 lit. a VZV); die Kontrollfahrt kann nicht wiederholt werden (Art. 29 Abs. 3 VZV).
| |
2.2 Art. 29 Abs. 1 VZV macht "Bedenken über die Eignung" zum Anlass für die Anordnung einer Kontrollfahrt. Das darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass sich mit einer Kontrollfahrt die Fahreignung erschöpfend abklären liesse. Die Kontrollfahrt dient vielmehr der Abklärung, ob die betroffene Person über die erforderlichen Kenntnisse der Verkehrsregeln verfügt und ein Motorfahrzeug sicher zu führen versteht (vgl. Art. 44 Abs. 1 VZV). Anlass zur Anordnung einer Kontrollfahrt geben in erster Linie Vorfälle, welche Zweifel am fahrerischen Können wecken (vgl. BGE 127 II 129). Bei einem älteren, auffälligen Lenker lässt sich mit der Kontrollfahrt namentlich abklären, ob seine Fahrtechnik den Anforderungen des heutigen Verkehrs (noch) genügt.
| |
Der Beschwerdeführer hat die Kontrollfahrt bestanden, womit erstellt ist, dass weder ungenügende Fahrtechnik noch mangelnde Kenntnis der Verkehrsregeln erfordern, ihm den Führerausweis zu entziehen. Der Beschwerdeführer wendet gegen eine weitere Kontrollfahrt mit Recht ein, dass es an einem neuerlichen Anlass zur Anordnung einer solchen fehlt. Dass der Verkehrsexperte eine weitere Kontrollfahrt nach einem Jahr für sinnvoll erachtet, kann nicht ausreichend sein, denn weder sehen Gesetz und Verordnung eine anlasslose regelmässig anzuordnende Kontrollfahrt bei älteren Personen vor, noch ist der Verkehrsexperte in der Lage, eine Prognose über die Entwicklung des fahrerischen Könnens abzugeben. Zutreffend ist höchstens, dass bei einer - auch bestandenen - Kontrollfahrt Hinweise auf Fahreignungsmängel auftreten können, die dann allerdings durch verkehrsmedizinische Begutachtung zu klären sind.
| |
2.3 Erweist sich die Beschwerde insoweit als begründet, so bleibt zu beachten, dass der Hausarzt sich nicht in der Lage sah, die "Fahrtauglichkeit" sicher zu beurteilen. Die gemäss Art. 27 Abs. 1 lit. b VZV bei über 70-jährigen Ausweisinhabern durchzuführende vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung dient dazu, bei älteren Ausweisinhabern systematisch zu erheben, ob ihre Fahreignung als Grundbedingung für die Belassung des Führerausweises (Art. 16d SVG) noch fortbesteht. Da mit fortschreitendem Alter die Fahreignung, d.h. die allgemeinen psychischen und physischen Grundvoraussetzungen zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeugs im Strassenverkehr, abnehmen können, sind diese Kontrolluntersuchungen ohne weiteres sachlich gerechtfertigt. Sie können im Einzelfall nach Art. 27 Abs. 3 VZV auch ausgedehnt werden, was hier angezeigt erscheint, da der Hausarzt sich nicht in der Lage sah, eine abschliessende Beurteilung abzugeben. Es erweist sich deshalb als notwendig, im Interesse der Sicherheit des Beschwerdeführers selbst und der übrigen Verkehrsteilnehmer, dem Antrag des Bundesamtes für Strassen entsprechend, eine verkehrsmedizinische Untersuchung bei einer Spezialuntersuchungsstelle anzuordnen.
| |
3.
| |
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach teilweise gutzuheissen, das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache im genannten Sinne an das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zurückzuweisen (vgl. Art. 114 Abs. 1 und 2 OG).
| |
Entsprechend dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen des Beschwerdeführers hat er eine reduzierte Gerichtsgebühr zu bezahlen (Art. 156 Abs. 1 OG) und ist er vom Kanton Aargau für das bundesgerichtliche Verfahren teilweise zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Das Bundesgericht kann auch die Kosten des kantonalen Verfahrens regeln (Art. 157 OG). Es rechtfertigt sich angesichts des Verfahrensausgangs vor Bundesgericht, dass der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren weder kostenpflichtig wird, noch ihm eine Parteientschädigung ausgerichtet wird.
| |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| |
1.
| |
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. November 2006 aufgehoben und die Sache an das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zur Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung bei einer Spezialuntersuchungsstelle zurückgewiesen.
| |
2.
| |
Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- auferlegt.
| |
3.
| |
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
| |
4.
| |
Für das bisherige kantonale Verfahren hat der Beschwerdeführer weder Kosten zu bezahlen, noch ist ihm eine Parteientschädigung geschuldet.
| |
5.
| |
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, sowie dem Bundesamt für Strassen und dem Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
| |
Lausanne, 15. März 2007
| |
Im Namen des Kassationshofs
| |
des Schweizerischen Bundesgerichts
| |
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
| |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |