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Informationen zum Dokument  BGer I 844/2006  Materielle Begründung
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BGer I 844/2006 vom 24.09.2007
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
I 844/06
 
Urteil vom 24. September 2007
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
Parteien
 
A.________, 1968, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann, Dell'Olivo Frey & Pribnow, Stadtturmstrasse 10, 5400 Baden,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 24. Mai 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1968 geborene A.________ meldete sich am 7. April 2003 unter anderem mit Hinweis auf neurologische Störungen, Schmerzen in Brust und Schulter sowie Atemprobleme zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau gewährte berufliche Eingliederungsmassnahmen (Mitteilungen vom 20. Mai und 29. August 2003). Gestützt auf weitere Abklärungen, insbesondere ein interdisziplinäres Gutachten der Medizinischen Abklärungsstation (MEDAS) am Spital X.________ vom 16. August 2005, lehnte die IV-Stelle das Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente oder um Kostengutsprache für berufliche Massnahmen ab (Verfügungen vom 16. und 17. November 2005). Mit Einspracheentscheid vom 14. Februar 2006 bestätigte die Verwaltung die Festlegung eines nicht rentenbegründenden Invaliditätsgrades von 31 Prozent.
 
B.
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 24. Mai 2006).
 
C.
 
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, die Sache sei, unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid, zur weiteren Abklärung, inbesondere Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
 
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
2.
 
Strittig ist, ob die Vorinstanz die Arbeitsfähigkeit ohne Verletzung von Bundesrecht beurteilt hat.
 
2.1 Das kantonale Gericht hat die Begriffe der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 und 2 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG) sowie die Bestimmungen über die Bemessung der Invalidität nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) zutreffend wiedergegeben. Gleiches gilt für die Rechtsprechung zur Bedeutung ärztlicher Berichte und Gutachten für die Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261 mit Hinweisen) sowie für die Grundsätze über die Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352).
 
2.2 Einem der IV-Stelle erstatteten Gutachten der MEDAS am Spital X.________ vom 16. August 2005 ist zu entnehmen, der Versicherte leide im Wesentlichen an einer hypochondrischen Störung und an einem thorakovertebralen und zervikozephalen Schmerzsyndrom. Erstere beeinträchtige zwar nicht die Arbeitsfähigkeit (im Sinne der Wahrnehmung eines ganzen Pensums), wohl aber das Leistungsvermögen im Ausmass von 30 Prozent. Eine leidensangepasste, das heisst einfache und leichte, wechselbelastende Tätigkeit sei grundsätzlich möglich. Das kantonale Gericht verlieh diesem Gutachten volle Beweiskraft und ging - in Würdigung auch der weiteren medizinischen Akten - davon aus, abgesehen von der hypochondrischen Störung liege kein psychiatrisches Leiden vor. Diese Feststellung ist für das Bundesgericht bloss dann nicht verbindlich, wenn sie offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist (oben E. 1.2). Ausführungen über die Auswirkungen der körperlichen Beeinträchtigung erübrigen sich, da deren fehlender Einfluss auf die Invalidität unbestritten ist.
 
2.3 Der Beschwerdeführer rügt in verschiedener Hinsicht Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen.
 
2.3.1 Im gesamten Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Obgleich also keine Bindung an förmliche Beweisregeln besteht, hat die Praxis mit Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für die Beweiswürdigung aufgestellt (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352). Dazu gehört, dass von einem Gutachten, welches alle Anforderungen hinsichtlich der Beurteilungsgrundlagen und der Begründung erfüllt und das deshalb als schlüssig und somit beweiswertig einzustufen ist, nur abgewichen werden darf, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen. Die Vorinstanz hat die ihr zur Verfügung stehenden Akten aufgearbeitet und hinreichend begründet, warum sie auf das Gutachten der MEDAS vom 16. August 2005 abgestellt hat. Eine unvollständige Tatbestandsfeststellung ist ihr nicht vorzuwerfen. Ebenso wenig kann von einer offensichtlich unrichtigen Erfassung des entscheidmassgeblichen Sachverhalts ausgegangen werden.
 
2.3.2 Im kantonalen Beschwerdeverfahren liess der Versicherte insbesondere ein Gutachten der behandelnden Psychiaterin Dr. M.________, vom 13. März 2006 einreichen. Diese diagnostizierte eine "mindestens mittlere bis schwere Episode einer rezidivierenden Major Depression (...) v.a. ängstlich hypochondrisch gelagert mit stark somatischem Ausdruck" und attestierte eine Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent, die aber nur im Rahmen einer geschützten Werkstatt verwertet werden könne (so im Wesentlichen auch die Einschätzung der Psychiatrischen Universitätsklinik [PUK] vom 16. Juni 2004). Der Umstand allein, dass die vom gutachtlichen Ergebnis abweichende Einschätzung von der behandelnden Ärztin stammt, darf nicht dazu führen, jene als von vornherein unbeachtlich einzustufen; die oft einen längeren Zeitraum abdeckende und umfassende Betreuung durch behandelnde Mediziner führt zu wertvollen Erkenntnissen, mit denen sich Gutachter eingehend auseinandersetzen müssen. Auf der anderen Seite lässt es die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag des therapeutisch tätigen (Fach-)Arztes einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4 S. 175; Urteil I 506/00 vom 13. Juni 2001, E. 2b) nicht zu, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Ärzte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil die behandelnden Ärzte wichtige - und nicht rein subjektiver ärztlicher Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die im Rahmen der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (Urteil I 514/06 vom 25. Mai 2007, E. 2.2.1 mit Hinweisen).
 
2.3.3 Unter Verweis auf das Gutachten der Frau Dr. M.________ macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, dieser objektiv gehaltene Bericht sei - im Gegensatz zum psychiatrischen Konsilium im Rahmen der interdisziplinären Begutachtung - unter Berücksichtigung der aktuellen Fachliteratur und spezifischer Testresultate abgefasst. Sind die allgemeinen Merkmale der Beweiswertigkeit (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) erfüllt, ist es nicht Sache der rechtsanwendenden Behörde, sich zu den im jeweiligen fachmedizinischen Bereich geltenden Regeln und Anforderungen einer sachgerechten Exploration zu äussern. Es muss daher die Feststellung genügen, dass anerkannte Begutachtungsinstitute die - hier vor allem interessierende - Frage nach dem Vorliegen einer Depression oft ohne Diskussion der Fachliteratur und auch ohne Durchführung einer entsprechenden Testung beurteilen, ohne dass dies jeweils einen Grund zur Beanstandung lieferte.
 
2.3.4 Dass der psychiatrische Teilgutachter die Existenz einer Depression nicht grundsätzlich verworfen hat, zeigt sich in der abschliessenden Empfehlung, eine Weiterführung der therapeutischen Bemühungen sei notwendig, weil "unter der zwei Jahre dauernden Psychotherapie und der suffizienten pharmakologischen Behandlung sich in der heutigen Exploration ein remittierter beziehungsweise deutlich gebesserter Zustand hinsichtlich einer depressiven Störung oder einer Zwangsstörung geboten haben könnte". Es ist also durchaus nicht so, dass im Gutachten unterstellt würde, der Versicherte nehme seit Jahren Antidepressiva ein, ohne dass die fragliche Indikation gegeben sei; der Psychiater nimmt vielmehr an, die Symptome seien wegen einer erfolgreichen Therapierung so weit abgemildert, dass das Leiden die Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) beeinflusse. Der Wegfall der Auswirkungen einer - allfälligen - psychischen Erkrankung bis zum Zeitpunkt der Begutachtung steht im Übrigen im Einklang mit der relativ günstigen Prognose im Bericht der PUK vom 16. Juni 2004, wonach "langfristig eine deutliche, aber keine vollständige Besserung zu erreichen" sei.
 
Festzustellen bleibt in diesem Zusammenhang, dass der im Austrittsbericht der Klinik Y.________ vom 19. November 2002 erwogene Verdacht einer Persönlichkeitsstörung auf mittels Fragebogen erhobenen "hochpathologischen Werten" beruht, die sich - möglicherweise wiederum aufgrund des schon erwähnten Therapieerfolgs - bei der psychiatrischen Teilbegutachtung im Frühjahr 2005 nicht mehr bestätigten.
 
2.3.5 Nach konsiliarärztlicher Einschätzung ist auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung auszuschliessen. Der Einwand, dieser Schluss sei nicht mit einer ausreichenden Begründung unterlegt, ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als im Rahmen der Begutachtung durch die MEDAS davon die Rede ist, emotionale Konflikte oder psychosoziale Probleme, die wesentlichen Anteil an der Auslösung und Aufrechterhaltung einer Schmerzsymptomatik haben müssten, seien nicht festzustellen. Diese Vorgabe wird im ausführlichen Bericht der Frau Dr. M.________ klar widerlegt und steht auch in Widerspruch zur - zutreffenden - vorinstanzlichen Feststellung, das Leiden des Beschwerdeführers stehe in Zusammenhang mit "vielen psychosozialen Momenten".
 
Der Streit um die Frage, ob die Voraussetzungen für bestimmte Diagnosen gegeben seien oder nicht, führt jedoch nicht weiter: Die Diagnose ist notwendig, um einen Gesundheitsschaden zu erfassen; sie besagt aber als solche nichts über dessen Auswirkungen (vgl. BGE 130 V 396 E. 6.2.3 S. 401). Das Ausmass der zumutbaren Leistung korreliert vielmehr mit den fachärztlich erhobenen Befunden, also der Bestandesaufnahme von konkreten Beeinträchtigungen der organischen und psychischen Integrität und mit den entsprechenden Konsequenzen für die qualitative und quantitative arbeitsbezogene Funktionalität. In diesem Punkt sind die Schlussfolgerungen der MEDAS nicht zu beanstanden. Wie schon das kantonale Gericht ausgeführt hat, liegen ihnen ausschliesslich die im Leistungsstreit der Invalidenversicherung massgebenden, weil versicherten direkt-ursächlichen Faktoren zugrunde, während die Optik des therapierenden Mediziners notwendigerweise auch beeinträchtigende Elemente ohne Krankheitswert erfasst.
 
2.4 Die Vorinstanz ermittelte anhand der erwerblichen Auswirkungen des Gesundheitsschadens einen Invaliditätsgrad von 32 Prozent und schützte demnach die Ablehnung des Rentenanspruchs. Dieses Erkenntnis ist nach Massgabe der dem Bundesgericht gegebenen Überprüfungsbefugnis nicht zu beanstanden.
 
3.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 Satz 2 OG in der seit 1. Juli 2006 geltenden Fassung). Die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung; Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) kann gewährt werden (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu imstande ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf die Gerichtskasse genommen.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Zimmermann, Baden, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
 
Luzern, 24. September 2007
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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