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Informationen zum Dokument  BGer 4A_238/2007  Materielle Begründung
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BGer 4A_238/2007 vom 01.10.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4A_238/2007 /len
 
Urteil vom 1. Oktober 2007
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichter Kolly,
 
Bundesrichterin Kiss,
 
Gerichtsschreiber Widmer.
 
Parteien
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Vago,
 
gegen
 
X.________,
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Andrea Degginger.
 
Gegenstand
 
Arbeitsvertrag; fristlose Kündigung,
 
Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid
 
des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer,
 
vom 23. Mai 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ (Beschwerdeführer) arbeitete seit dem 1. Mai 2005 als Fachberater für Früchte und Gemüse bei der X.________ (Beschwerdegegnerin). Gemäss Arbeitsvertrag vom 31. März 2005 war er als Inhaber dieser Funktion Mitglied des Kaders. Die Probezeit wurde auf drei Monate, die Kündigungsfrist auf vier Monate festgelegt. Gegen Ende August 2005 traf bei der Personalabteilung der Beschwerdegegnerin die Meldung ein, dass sich eine Mitarbeiterin der Filiale B.________ über das Verhalten des Beschwerdeführers beschwert habe. Nachdem weitere Mitarbeiterinnen aus anderen Filialen ebenfalls erklärt hatten, sie hätten das Verhalten des Beschwerdeführers als zudringlich und als belästigende sexuelle Annäherung empfunden, wurde der Beschwerdeführer am 6. September 2005 anlässlich einer mündlichen Besprechung fristlos entlassen.
 
B.
 
Am 5. April 2006 begehrte der Beschwerdeführer beim Arbeitsgericht Untertoggenburg-Gossau, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, ihm wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung Schadenersatz in der Höhe von Fr. 19'077.30 brutto sowie eine Entschädigung von Fr. 4'957.40 netto zu bezahlen. Ferner verlangte er eine Abänderung bzw. Anpassung einzelner Textpassagen im Arbeitszeugnis. Mit Entscheid vom 7. Dezember 2006 verpflichtete das Arbeitsgericht die Beschwerdegegnerin zur Zahlung von Fr. 19'077.30 als Ersatz für Lohn vom 6. September 2005 bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Ende Januar 2006. Zudem verpflichtete es die Beschwerdegegnerin, gewisse Abänderungen im Arbeitszeugnis vorzunehmen.
 
Gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdegegnerin Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen mit dem Begehren auf Abweisung der Entschädigungsforderung. Mit der Anpassung des Arbeitszeugnisses (vom Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgesehen) erklärte sie sich einverstanden.
 
Mit Entscheid vom 23. Mai 2007 hiess das Kantonsgericht, III. Zivilkammer, die Berufung gut und wies die Forderungsklage des Beschwerdeführers vollumfänglich ab. Das Kantonsgericht kam (wie schon das Arbeitsgericht) zum Schluss, dass dem Beschwerdeführer sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen vorzuwerfen sei. Die körperlichen Annäherungen bewegten sich zum Teil im Grenzbereich der Strafbarkeit. Das Kantonsgericht hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt und das Recht zur fristlosen Kündigung für nicht verwirkt. Entsprechend wies es auch den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung des Auflösungsdatums des Arbeitsverhältnisses im Arbeitszeugnis ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde in Zivilsachen begehrt der Beschwerdeführer, den Entscheid des Kantonsgerichts vom 23. Mai 2007 aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer Schadenersatz in der Höhe von Fr. 19'077.30 brutto zu bezahlen sowie ihm ein neues Arbeitszeugnis aus- und zuzustellen.
 
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Kantonsgericht verzichtete auf eine Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid am 23. Mai 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren nach dem BGG (Art. 132 Abs. 1 BGG).
 
2.
 
Vorliegend sind die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen nach Art. 72 ff. BGG erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Namentlich ist der erforderliche Streitwert von Fr. 15'000.-- erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.
 
3.
 
Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Die Feststellung des Sachverhaltes kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E. 1.2.2). Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer zieht das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur fristlosen Kündigung nicht in Zweifel. Er macht jedoch eine Verletzung von Art. 337 OR geltend, weil die Vorinstanz das Recht zur fristlosen Kündigung nicht für verwirkt hielt.
 
4.1 Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Ist ein wichtiger Grund gegeben, so ist die fristlose Kündigung sofort auszusprechen. Andernfalls ist anzunehmen, das Einhalten der ordentlichen Kündigungsfrist sei für den Kündigenden subjektiv zumutbar, und ist das Recht auf eine sofortige Vertragsauflösung verwirkt (BGE 130 III 28 E. 4.4 S. 34; 123 III 86 E. 2a S. 87; 112 II 41 E. 3b S. 51, je mit Hinweisen). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist aufgrund der Umstände des konkreten Falles zu entscheiden, innert welcher Frist dem Berechtigten billigerweise ein Entschluss darüber zuzumuten ist, ob er von seinem Recht zur fristlosen Aufhebung des Vertrags Gebrauch machen will. In der Regel wird eine Überlegungsfrist von zwei bis drei Arbeitstagen als genügend angesehen. Ein Hinauszögern über diese Zeitspanne, die zum Nachdenken und Einholen von Rechtsauskünften ausreichen sollte, ist nur zulässig, wenn es mit Rücksicht auf die praktischen Erfordernisse des Alltags- und Wirtschaftslebens als verständlich und berechtigt erscheint (BGE 130 III 28 E. 4.4 S. 34 mit Hinweisen). Bei einem klaren Sachverhalt muss zudem anders vorgegangen werden als in Fällen, in denen zuerst Abklärungen notwendig sind oder die Verfehlungen erst langsam an den Tag treten (Urteile 4C.188/2006 vom 25. September 2006, E. 2; 4C.345/2001 vom 16. Mai 2002, E. 3.2 mit Hinweisen).
 
4.2 Die Vorinstanz erwog, die für Personalfragen zuständige Abteilung habe erst gegen Ende August 2005 erstmals eine Meldung erhalten, eine Mitarbeiterin der Filiale B.________ habe sich über das Verhalten des Beschwerdeführers beschwert. Am 2. September 2005 habe zwischen der betreffenden Mitarbeiterin und zwei Mitarbeiterinnen der Personalabteilung ein Gespräch stattgefunden. In der Folge habe sich die Beschwerdegegnerin bei anderen Filialen, die vom Beschwerdeführer betreut worden seien, über dessen Verhalten erkundigt. Nachdem sich mehrere Mitarbeiterinnen über unerwünschte sexuelle Annäherungen seitens des Beschwerdeführers ebenfalls beschwert hätten, habe sich die Beschwerdegegnerin am 6. September 2005 entschlossen, den Beschwerdeführer fristlos zu entlassen. Aufgrund der erstmaligen Meldung der Filiale B.________ habe die Personalabteilung zunächst abklären müssen, ob es in anderen Filialen ebenfalls Vorfälle sexueller Belästigung gegeben habe. Die Beschwerdegegnerin habe Gewissheit darüber erlangen wollen, ob andere Mitarbeiterinnen ähnliche Erfahrungen gemacht hätten oder ob es sich bei der Meldung aus B.________ um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, der eine fristlose Entlassung nicht gerechtfertigt hätte. Es verstehe sich von selbst, dass Erkundigungen im Bereich sexueller Belästigungen ein diskretes Vorgehen erforderten und die entsprechenden Abklärungen angesichts des weiten Tätigkeitsbereichs des Beschwerdeführers nicht von einem Tag auf den anderen hätten getroffen werden können. Die Beschwerdegegnerin habe nicht gezögert, den Beschwerdeführer fristlos zu entlassen, nachdem sie von wiederholten Vorfällen sexueller Belästigung in einer anderen Filiale Kenntnis erhalten habe.
 
4.3 Diese Erwägungen sind bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die für Personalfragen zuständige Stelle hat umgehend nach Erhalt der Meldung über den Vorfall in der Filiale B.________ die erforderlichen Abklärungen eingeleitet. Dabei ging es vor allem darum, das Ausmass der Verfehlungen festzustellen. Mit Blick auf die Art der Vorwürfe (sexuelle Belästigungen) und die räumliche Ausweitung auf mehrere in Frage kommende Filialen darf zugestanden werden, dass diese Abklärungen einige wenige Tage in Anspruch nahmen. Der Arbeitgeber hat in einer solchen Situation bestimmt und vorsichtig vorzugehen. Insbesondere darf er den beschuldigten Arbeitnehmer nicht vorverurteilen. Als sich vorliegend die Vorwürfe sexueller Belästigung zur Tatsache erhärtet haben, hat die Beschwerdegegnerin nicht weiter überlegt, sondern sofort am 6. September 2005 die fristlose Kündigung ausgesprochen. Unter diesen Umständen bejahte die Vorinstanz zu Recht, dass die fristlose Kündigung nicht verwirkt war.
 
5.
 
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, überzeugt nicht:
 
5.1 Er rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unrichtig bzw. auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhend festgestellt, indem sie nicht hinreichend abgeklärt bzw. aus den Akten nicht geschlossen habe, wann die Vorgesetzten der betroffenen Mitarbeiterinnen eine Meldung entgegengenommen hätten. Es sei unhaltbar, dass die Vorinstanz entsprechende Meldungen nicht berücksichtigt sowie ausser Acht gelassen habe, dass die Beschwerdegegnerin in ihrem Reglement "Persönlichkeitsschutz" klare Angaben über die Anlaufstellen und mithin über die Auslösung der Verwirkungsfrist mache.
 
5.2 Soweit der Beschwerdeführer mit diesen Ausführungen eine Sachverhaltsrüge erhebt, ist darauf nicht einzutreten, da nicht rechtsgenüglich dargetan wird, inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich festgestellt haben soll (vgl. Erwägung 3).
 
5.3 Zu prüfen ist hingegen das rechtliche Vorbringen des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe mit der Meldung an die Personalabteilung auf den falschen Zeitpunkt für den Beginn der Verwirkungsfrist abgestellt. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Reglement "Persönlichkeitsschutz" der Beschwerdegegnerin, konkret aus Art. 4 Abs. 3 und Art. 5, dass der Zeitpunkt fristauslösend sei, in dem die Vorgesetzten der betroffenen Mitarbeiterinnen von den Verfehlungen Kenntnis erlangten.
 
Dem kann nicht gefolgt werden. Das erwähnte Reglement dient dem Schutz der persönlichen Integrität der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz. In Art. 4 Abs. 3 werden unter dem Titel "Prävention" die Sozialberatung, die Linienvorgesetzten oder die Personalabteilung als unterstützende Stellen angeboten. Art. 5 nennt die möglichen Kontaktstellen, an die sich eine von Persönlichkeitsverletzungen betroffene Person wenden kann, wenn sie Beratung und Unterstützung beanspruchen oder ein offizielles Beschwerdeverfahren einleiten will. Im letzteren Fall hat die kontaktierte Stelle die Sozialberatung zu avisieren, die das Beschwerdeverfahren einleitet. Soweit als mögliche Kontaktstelle die Linienvorgesetzten angesprochen sind, wird deren Verantwortung gegenüber den betroffenen Mitarbeiterinnen und nicht gegenüber der fehlbaren Person geregelt. Es ergibt sich daraus keine Pflicht der Linienvorgesetzten, ihnen anvertraute Klagen über Persönlichkeitsverletzungen der Personalabteilung weiterzumelden. An der Zuständigkeit für eine Massnahme gegenüber dem fehlbaren Mitarbeiter ändert das Reglement nichts. Die Vorinstanz hat daher zu Recht die Meldung an die für den Beschwerdeführer in Personalfragen zuständige Personalabteilung als massgebend und fristauslösend betrachtet. Eine Verletzung von Art. 337 OR ist nicht dargetan.
 
6.
 
Da es bei der Berechtigung der fristlosen Kündigung bleibt, entfällt die anbegehrte Abänderung des Datums der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Arbeitszeugnis.
 
7.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 115 II 30 E. 5c S. 42). Da der Streitwert in der vorliegenden arbeitsrechtlichen Streitigkeit weniger als Fr. 30'000.-- beträgt, wird die Gerichtsgebühr auf Fr. 1'000.-- festgesetzt (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Oktober 2007
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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