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Informationen zum Dokument  BGer 8C_20/2007  Materielle Begründung
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BGer 8C_20/2007 vom 17.01.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_20/2007
 
Urteil vom 17. Januar 2008
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Parteien
 
L.________, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9000 St. Gallen, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 5. Januar 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1944 geborene L.________ war vom 1. September 2004 bis 30. November 2005 mit einem vertraglich vereinbarten monatlichen Bruttolohn von Fr. 8'000.- bei der X.________ AG als Sachbearbeiterin Rechnungswesen tätig gewesen, wobei ihr für die ersten sechs Monate von der Kantonalen Arbeitslosenkasse St. Gallen Einarbeitungszuschüsse zugesprochen worden sind. Nachdem sie aufgrund ausgebliebener Lohnzahlungen das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte (letzter effektiver Arbeitstag: 26. August 2005), beantragte sie ab 1. Dezember 2005 Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 23. März 2006 setzte die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst auf Fr. 1'962.- fest, da ein tatsächlich erzieltes Jahreseinkommen einzig in der Höhe von Fr. 25'506.- mittels Bankbelegen nachgewiesen sei. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 19. April 2006).
 
B.
 
Die hiegegen geführte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen teilweise gut, indem es in Aufhebung des Einspracheentscheids vom 19. April 2006 den versicherten Verdienst neu auf Fr. 2'576.- festsetzte (Entscheid vom 5. Januar 2007).
 
C.
 
L.________ führt Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des Versicherungsgerichts sei teilweise aufzuheben und der versicherte Verdienst auf der Grundlage der gemäss Arbeitsvertrag vom 6. Juli 2004 vereinbarten Lohnsumme festzulegen; es sei nicht auf den effektiv ausbezahlten Verdienst abzustellen. Eventualiter seien die in Betreibung gesetzten Lohnbestandteile dem versicherten Verdienst hinzuzurechnen.
 
Vorinstanz, Arbeitslosenkasse und Staatssekretariat für Wirtschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist die Höhe des der Taggeldberechnung zu Grunde zu legenden versicherten Verdienstes nach Art. 23 Abs. 1 AVIG.
 
2.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, sind für die Ermittlung des versicherten Verdienstes grundsätzlich die tatsächlichen Lohnbezüge innerhalb des Bemessungszeitraumes und nicht die arbeitsvertraglich festgelegten Löhne massgebend. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist auf die Lohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abzustellen. Ein Abweichen von dieser zu Recht nicht in Frage gestellten Regelung rechtfertigt sich im Einzelfall nur dort, wo ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung fiktiver Löhne, welche in Wirklichkeit nicht zur Auszahlung gelangt sind, praktisch ausgeschlossen werden kann (BGE 128 V 189 E. 3a/aa S. 190, 123 V 70 E. 3, S. 72; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 2. Auflage, Basel 2007, Rz. 365).
 
2.2 Unbestritten ist das vertraglich vereinbarte Monatssalär von Fr. 8'000.- brutto (zuzüglich 13. Monatslohn). Nicht streitig ist auch die Höhe der effektiv erhaltenen Lohnzahlungen gemäss den Lohnabrechnungen der X.________ AG, woraus nach den grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 2 BGG) für die zu Recht als massgebend erachteten zwölf Beitragsmonate September 2004 bis August 2005 ein durchschnittlicher Bruttolohn von Fr. 2'576.- resultiert. Entgegen Verwaltung und Vorinstanz hält die Versicherte ein Abweichen von der grundsätzlichen Ermittlung des versicherten Verdienstes nach dem tatsächlich ausbezahlten Salär als gerechtfertigt, da insbesondere keine missbräuchliche Lohnabrede vorliege.
 
2.3 Bei einem, wie das kantonale Gericht festgestellt hat, überdurchschnittlich hohen vereinbarten Monatslohn für eine Bilanzbuchhalterin (IHK) sowie aufgrund der Tatsache, dass die X.________ AG die vakante Stelle zuerst im Rahmen eines 50%igen Pensums ausgeschrieben hatte und erst, nachdem sie auf die Möglichkeit der Ausrichtung von Einarbeitungszuschüssen durch die Arbeitslosenversicherung aufmerksam gemacht worden war, die Tätigkeit zu einem vollen Arbeitspensum anbot, ist einzuräumen, dass eine Missbrauchsabsicht seitens der Arbeitgeberin nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist. Dennoch liegen hier im Lichte der gesamten Aktenlage Gründe vor, welche es rechtfertigen, auf den arbeitsvertraglich vereinbarten Lohn abzustellen.
 
2.4 Die X.________ AG hat dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) am 6. Juli 2004 im Rahmen des Gesuchs um Einarbeitungszuschüsse unterschriftlich die Vereinbarung eines Bruttolohnes von Fr. 8'000.- bestätigt, von welcher Lohnsumme dementsprechend auch die Arbeitslosenversicherung ausging, die sie demnach nicht als unüblich oder gar missbräuchlich hoch ansah, und ab September 2004 während sechs Monaten Einarbeitungszuschüsse leistete. Die Versicherte erhielt das ihr zustehende Salär ab Oktober 2004 nurmehr sehr unregelmässig und nicht in voller Höhe ausbezahlt, was offenbar auf finanzielle Schwierigkeiten der Firma zurückzuführen ist (Schreiben der X.________ AG vom 30. Juni 2005). Dass selbst die Arbeitslosenkasse nicht von einer missbräuchlich vereinbarten fiktiven Lohnsumme ausging, lässt sich überdies auch aus ihrem Schreiben vom 6. Februar 2006 entnehmen, worin sie festhält, die Arbeitgeberin sei ihrer Zahlungspflicht nicht regelmässig und in vollem Umfang nachgekommen. Sofern die Versicherte noch offene Lohnforderungen seitens der Arbeitgeberin auf dem Klageweg erhalten würde, werde die Kasse eine Neuberechnung des "provisorischen" versicherten Verdienstes vornehmen. Schliesslich fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht, dass sie - in Nachachtung ihrer Schadenminderungspflicht - bereits vor Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses durch persönliche Gespräche und schriftliche Anmahnungen ausstehender Lohnzahlungen ihre Lohnforderung gegenüber der Arbeitgeberin in eindeutiger und unmissverständlicher Weise geltend machte (Schreiben vom 10. Juni 2005; vgl. zur Schadenminderungspflicht im Rahmen der Insolvenzentschädigung: ARV 2002 Nr. 30 S. 190; Urteil C 254/05 vom 2. März 2006, E. 4) und die X.________ AG ihrerseits den Ausstand von Lohnforderungen im Schreiben vom 30. Juni 2005 grundsätzlich anerkannte. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unternahm die Versicherte zudem rechtliche Schritte zur Realisierung der Lohnausstände, indem sie klageweise am 18. Oktober 2005 und auf betreibungsrechtlichem Wege am 8. Dezember 2005 gegen ihre Arbeitgeberin vorging, sodass auch nicht von einem konkludenten Lohnverzicht die Rede sein kann.
 
2.5 Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass der Versicherten ein monatliches Salär von Fr. 8'000.- brutto (zuzüglich 13. Monatslohn) zustand. Der Umstand, dass sie ausser im ersten Monat die vereinbarte Lohnsumme nicht ausbezahlt erhielt, ist einzig der Arbeitgeberin anzulasten, was der Beschwerdeführerin ebenso wenig vorgeworfen werden kann wie die Tatsache, dass sie trotz ausstehender Saläre gleichwohl bis August 2005 bei der Firma arbeitete, zumal sie eindringlich um Begleichung der Ausstände bemüht war (vgl. auch Schreiben der Versicherten an das RAV vom 10. Januar 2006) und auch die Arbeitslosenkasse ohne weiteres sechs Monate an die Arbeitgeberfirma Zuschüsse ausrichtete (vgl. Telefonnotiz des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 20. Juli 2006), obwohl diese nicht an die Versicherte weitergeleitet wurden. Hiezu ist anzumerken, dass die Einarbeitungszuschüsse massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG darstellen und daher in der vereinbarten - und der Firma ausbezahlten - Höhe bei der Festsetzung des versicherten Verdienstes mitzuberücksichtigen sind (vgl. Nussbaumer, a.a.O., Rz. 740), was kantonales Gericht und Verwaltung übersehen haben. Nach dem Gesagten verletzt der vorinstanzliche Entscheid insoweit Bundesrecht, als im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts der versicherte Verdienst auf der Grundlage der tatsächlichen Lohnbezüge und nicht gestützt auf den vertraglich vereinbarten Monatslohn festgelegt wurde.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 5. Januar 2007 und der Einspracheentscheid der Kantonalen Arbeitslosenkasse St. Gallen vom 19. April 2006 werden insoweit abgeändert, als der versicherte Verdienst der Beschwerdeführerin auf Fr. 8'666.70 erhöht wird.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 17. Januar 2008
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
i.V. Lustenberger Polla
 
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