BGer 9C_858/2007 | |||
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BGer 9C_858/2007 vom 28.01.2008 | |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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9C_858/2007
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Urteil vom 28. Januar 2008
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
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Gerichtsschreiber Fessler.
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Parteien
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E.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hess, Casa Sulegl, 7413 Fürstenaubruck,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur, Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 11. September 2007.
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1954 geborene E.________ führte seit 1. April 1998 eine Bäckerei-Konditorei. Aus gesundheitlichen Gründen (therapierefraktäre Epicondylitis beidseits, rechtsbetont) gab er den Betrieb auf Ende 2005 auf. Ab 10. April 2006 arbeitete er als selbständiger Transportunternehmer im Bereich Bus- und Taxiservice. Im Juli 2006 meldete sich E.________ bei der Invalidenversicherung an und beantragte Arbeitsvermittlung und eine Rente. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons Graubünden mit Verfügungen vom 27. März 2007 den Anspruch auf Umschulung und auf eine Rente.
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B.
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E.________ liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Beschwerde einreichen und zur Hauptsache beantragen, die Verfügungen vom 27. März 2007 seien aufzuheben, betreffend Eingliederungsmassnahmen seien ihm sowohl eine Kapitalhilfe wie auch Taggelder zuzusprechen, betreffend Rente sei das Verfahren zu sistieren bis die vollständige Eingliederung erfolgt oder eine Resterwerbsunfähigkeit festzustellen sei.
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Nach Vernehmlassung der IV-Stelle und einem zweiten Schriftenwechsel wies das kantonale Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 11. September 2007 die Beschwerde ab.
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C.
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E.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des Entscheids vom 11. September 2007 sei die IV-Stelle anzuweisen, Eingliederungsmassnahmen (Kapitalhilfe, Taggelder) zu beurteilen, und das Verfahren betreffend Rente sei zu sistieren, bis die vollständige Eingliederung erfolgt oder eine Resterwerbsunfähigkeit festzustellen sei.
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Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung
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Erwägungen:
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1.
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Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Insbesondere prüft es - auch ohne entsprechende Rüge - die richtige Behandlung der Eintretensvoraussetzungen durch das kantonale Versicherungsgericht (BGE 128 V 89 E. 2a S. 89, 123 V 280 E. 1 S. 283, je mit Hinweisen).
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2.
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Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie, kantonales Gericht und IV-Stelle hätten seinen gesetzlichen Anspruch auf Kapitalhilfe (Art. 18 Abs. 2 IVG) und Taggelder nicht beurteilt, «obwohl sonnenklare Anträge vorhanden waren».
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2.1 Anfechtungsgegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bildeten die Verfügungen vom 27. März 2007, mit welchen die IV-Stelle den Anspruch auf Umschulung und auf eine Invalidenrente verneint hatte. Der materielle Hauptantrag in der Beschwerde lautete auf Zusprechung von Kapitalhilfe (Art. 18 Abs. 2 IVG) und Taggelder (Art. 22 f. IVG). Dazu hat sich das kantonale Gericht nicht geäussert. Es hat lediglich die Umschulungs- und die Rentenfrage geprüft. Dies ist insofern nicht zu beanstanden, als die IV-Stelle über den Anspruch auf Kapitalhilfe (und Taggelder) nicht verfügt hatte. Es fehlte insoweit an einem Anfechtungsgegenstand und damit an einer Sachurteilsvoraussetzung (BGE 125 V 413 E. 1b S. 414).
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2.2 Streitgegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bildeten jedoch, verfahrensrechtlich gesehen, nicht nur die Umschulung und die Rente, worüber die IV-Stelle tatsächlich verfügt hatte, sondern auch die weiteren nach dem Sachverhalt und der Aktenlage konkret in Betracht fallenden Leistungsansprüche, welche sie hätte abklären und worüber sie hätte verfügen sollen (Urteil I 10/05 vom 14. Juni 2005 E. 1.3 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 111 V 261 E. 3b S. 264). Dazu gehört, wie zu zeigen sein wird (E. 2.2.2), vorliegend auch der Anspruch auf Kapitalhilfe, was die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid übersieht.
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2.2.1 Nach Art. 18 Abs. 2 IVG kann einem eingliederungsfähigen invaliden Versicherten eine Kapitalhilfe zur Aufnahme oder zum Ausbau einer Tätigkeit als Selbständigerwerbender sowie zur Finanzierung von invaliditätsbedingten betrieblichen Umstellungen gewährt werden. Der Bundesrat setzt die weiteren Bedingungen fest und umschreibt die Formen der Kapitalhilfe. Laut Art. 7 IVV kann einem eingliederungsfähigen invaliden Versicherten mit Wohnsitz in der Schweiz eine Kapitalhilfe gewährt werden, sofern er sich in fachlicher und charakterlicher Hinsicht für eine selbständige Erwerbstätigkeit eignet, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine dauernde existenzsichernde Tätigkeit gegeben sind und für eine ausreichende Finanzierung Gewähr geboten ist (Abs. 1). Die Kapitalhilfe kann ohne Rückzahlungspflicht oder als zinsloses oder verzinsliches Darlehen gewährt werden. Sie kann auch in Form von Betriebseinrichtungen oder Garantieleistungen erbracht werden (Abs. 2). Kapitalhilfe kann als eine besondere Form der in Art. 18 Abs. 1 IVG geregelten Arbeitsvermittlung betrachtet werden bei invaliden Versicherten, die selbständig erwerbstätig sind oder eine Tätigkeit als Selbständigerwerbender aufnehmen wollen.
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2.2.2 Der Beschwerdeführer hatte in der Anmeldung vom 26. Juli 2006 um Arbeitsvermittlung und eine Rente ersucht. Der IV-Stelle war von Beginn weg bekannt, dass der Gesuchsteller bis Ende 2005 eine Bäckerei-Konditorei geführt und am 10. April 2006 ein Transportunternehmen im Bereich Bus- und Taxidienst eröffnet hatte. Gegen die ablehnenden Vorbescheide vom 13. März 2007 hatte der Versicherte u.a. vorgebracht, er sei in der neuen Tätigkeit zur Zeit mit maximal 40 % beschäftigt. In der Regel brauche ein solcher Geschäftsaufbau bis zu fünf Jahre Zeit. Er habe mit dem Bus- und Taxiservice bislang kein Einkommen erzielen können, weil die Ausgaben höher als die Einnahmen seien. Bei diesen Gegebenheiten wäre die IV-Stelle verpflichtet gewesen, auch den Anspruch auf Kapitalhilfe abzuklären und darüber zu verfügen, was sie nachzuholen haben wird.
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3.
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Den Anspruch auf Umschulung (Art. 17 Abs. 1 IVG) haben kantonales Gericht und IV-Stelle im Wesentlichen mit der Begründung verneint, es bestehe aufgrund der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des Dr. med. B.________ vom 11. August 2006 keine invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse von mindestens 20 % (BGE 124 V 108 E. 2a S. 110 mit Hinweisen; Urteil 9C_47/2007 vom 29. Juni 2007 E. 2). Dagegen wurde in der vorinstanzlichen Replik richtig eingewendet, der behandelnde Arzt habe lediglich für die Tätigkeit als selbständiger Transportunternehmer resp. Inhaber eines Taxi- und Kleinbusbetriebes eine Arbeitsfähigkeit von 100 % attestiert, was der Regionalärztliche Dienst der IV-Stelle am 9. Oktober 2006 bestätigte. Die Annahme des kantonalen Gerichts, es bestehe bei einer breiten Palette von unselbständigen Tätigkeiten eine Arbeitsfähigkeit von 100 %, ist indessen aktenmässig nicht ausgewiesen und beruht daher auf einer unvollständigen Entscheidungsgrundlage. Folgerichtig kann das auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2004 des Bundesamtes für Statistik bestimmte Invalideneinkommen (vgl. dazu BGE 129 V 471 E. 4.2.1 S. 475 f., 124 V 321) nicht bestätigt werden. Erörterungen zum Valideneinkommen erübrigen sich daher. Steht aber das zumutbare Invalideneinkommen nicht fest, kann auch das vom kantonalen Gericht ebenfalls verneinte Erfordernis einer bleibenden oder längere Zeit dauernden gesundheitlich bedingten Erwerbseinbusse von etwa 20 % (BGE 124 V 108 E. 2b S. 110 mit Hinweisen) nicht abschliessend beurteilt werden.
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4.
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Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 11. September 2007 und die Verfügungen vom 27. März 2007 aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Graubünden zurückgewiesen, damit sie, nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen, über die Leistungsberechtigung neu verfüge.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Graubünden auferlegt.
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3.
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Die IV-Stelle des Kantons Graubünden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.
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4.
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Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zurückgewiesen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 28. Januar 2008
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Meyer Fessler
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