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Informationen zum Dokument  BGer I 601/2006  Materielle Begründung
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BGer I 601/2006 vom 12.03.2008
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
I 601/06
 
Urteil vom 12. März 2008
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
 
Gerichtsschreiber Grunder.
 
Parteien
 
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effinger-strasse 20, 3003 Bern,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
B.________, 1989,
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch ihren Vater F.________, und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Baumann, Badenerstrasse 21, 8004 Zürich,
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1989 geborene B.________ leidet an einer idiopathischen Skoliose thorakal rechtskonvex und lumbal linkskonvex. Im März 2002 wurde sie bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Mit Verfügung vom 15. Mai 2002 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich gestützt auf zwei Berichte der Universitätsklinik A.________ vom 8. und 22. April 2002 die notwendigen medizinischen Massnahmen zur Behandlung des Rückenleidens zu (einschliesslich Physiotherapie nach ärztlicher Verordnung sowie eines korrigierenden Apparates [Gips-, Dreipunkt- oder Aufrichtekorsett]).
 
Am 3. April 2003 ersuchten die Eltern von B.________ um Übernahme der Kosten einer bei der Rahmouni GmbH, Stuttgart, zu beziehenden und anzupassenden derotierenden Rumpforthese sowie am 30. Juli 2003 um Kostengutsprache für einen Therapieaufenthalt in der Asklepios Katharina-Schroth-Klinik, Bad Sobernheim. Die IV-Stelle holte einen Bericht des Dr. med. N.________, Teamleiter Technische Orthopädie, Universitätsklinik A.________, vom 12. Juni 2003 ein und verneinte mit zwei Verfügungen vom 20. Juni und 5. August 2003 eine Leistungspflicht für die anbegehrten Massnahmen. Die Einsprachen, mit welchen unter anderem Auskünfte des Dr. med. N.________ vom 11. Juli und 4. September 2003 aufgelegt wurden, lehnte sie ab (Einspracheentscheide vom 23. und 24. Oktober 2003).
 
B.
 
Gegen die Einspracheentscheide vom 23. und 24. Oktober 2003 liessen die Eltern von B.________ Beschwerden mit weiteren Unterlagen (worunter der medizinische Aufsatz von Weiss/Weiss/Schar "Operationsinzidenz bei konservativ behandelten Patienten mit Skoliose" [Sonderdruck, Med. Orth. Tech. 122 [2002] 148 - 155, Stuttgart 2002]) einreichen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vereinigte die beiden Verfahren und holte eine Stellungnahme des Dr. med. N.________ vom 17. August 2004 sowie Auskünfte der Katharina-Schroth-Klinik vom 2. März 2006 und der Rahmouni GmbH vom 7. März 2006 ein. Das kantonale Gericht erkannte mit Entscheid vom 12. Mai 2006:
 
"1. Die Beschwerde vom 24. November 2003 wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, als der angefochtene Einspracheentscheid vom 23. Oktober 2003 aufgehoben und festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich Anspruch auf Erstattung der Kosten für das am 7. Mai 2003 in Rechnung gestellte, im Ausland bezogene Skoliosekorsett hat, und es wird die Sache an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, zurückgewiesen, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und hernach die Höhe des Erstattungsanspruchs festlege. Im übrigen wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.
 
2. Die Beschwerde vom 24. November 2003 wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, als der angefochtene Einspracheentscheid vom 24. Oktober 2003 aufgehoben und festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich Anspruch auf Erstattung der Kosten für die vom 17. September bis 15. Oktober 2003 im Ausland durchgeführte Skoliosetherapie hat, und es wird die Sache an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, zurückgewiesen, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und hernach die Höhe des Erstattungsanspruchs festlege. Im übrigen Umfang wird auf die Beschwerde nicht eingetreten."
 
C.
 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. Gleichzeitig wird ein Aufsatz von Landauer/Behensky, "Korrekturmechanismus der Skoliose bei Korsett-Therapie" (Orthopädie-Technik 6/02) aufgelegt.
 
Die Eltern von B.________ lassen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen und einen Bericht des Dr. med. N.________ vom 29. August 2006 einreichen. Die IV-Stelle des Kantons Zürich schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
D.
 
Das Bundesgericht führt am 12. März 2008 eine parteiöffentliche Verhandlung durch.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz; BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Mit diesem Gesetz ist die bisherige organisatorische Selbständigkeit des Eidgenössischen Versicherungsgerichts aufgehoben und dieses mit dem Bundesgericht fusioniert worden (Hansjörg Seiler in: Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum BGG, Art. 1 N 4 und Art. 132 N 15). Das vorliegende Urteil wird daher durch das Bundesgericht gefällt. Weil der angefochtene Entscheid jedoch vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131 Abs. 1 und 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
 
2.
 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht) in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht (Urteil O. vom 14. Juli 2006, I 337/06, E. 1).
 
3.
 
Streitgegenstand bildet die Frage, ob die IV-Stelle für die Korsettanfertigung und -anpassung (derotierende Rumpforthese nach Rahmouni) sowie die stationäre Skolioseintensivtherapie, welche in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurden, leistungspflichtig ist.
 
4.
 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen zum Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 IVV, je in der seit 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Fassung) und bei nicht erwerbstätigen Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr im Speziellen (Art. 12 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG [in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung] und Art. 8 Abs. 2 ATSG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Übernahme von Behandlungen im Ausland (Art. 9 Abs. 1 IVG; Art. 23bis Abs. 1 und 3 IVV). Darauf wird verwiesen.
 
5.
 
Zu prüfen ist aufgrund der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorab, ob es sich bei der Korsettversorgung nach Rahmouni und der stationären Skolioseintensivtherapie in der Katharina-Schroth-Klinik um nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigte Massnahmen (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 IVV) handelt.
 
5.1 Rechtsprechungsgemäss gilt eine Behandlungsart dann als bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechend, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (BGE 123 V 53 E. 2b/aa S. 58, 115 V 191 E. 4b S. 195, je mit Hinweisen; Urteil I 43/98 vom 19. Mai 2000 E. 1b, publ. in: AHI 2001 S. 76 f.). Die für den Bereich der Krankenpflege entwickelte Definition der Wissenschaftlichkeit findet prinzipiell auch auf die medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung Anwendung. Eine Vorkehr, welche mangels Wissenschaftlichkeit nicht durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmen ist, kann grundsätzlich auch nicht als medizinische Massnahme nach Art. 12 oder 13 IVG zu Lasten der Invalidenversicherung gehen. Die in diesem Sinne lautende, zum KUVG ergangene Rechtsprechung (BGE 123 V 53 E. 2b/cc S. 60 mit Hinweisen; Urteil I 43/98 vom 19. Mai 2000 E. 1b, publ. in: AHI 2001 S. 76) ist unter der Herrschaft des seit 1. Januar 1996 geltenden KVG weiterhin anwendbar (Urteile I 519/03 vom 11. Dezember 2003 E. 5, I 757/02 vom 11. März 2003 E. 2.1, I 462/01 vom 4. Juli 2002 E. 2a und I 120/01 vom 25. Oktober 2001 E. 2a). Medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (Art. 12 und 13 IVG) sowie Analysen und Arzneimittel (Art. 4bis IVV) werden somit nur unter der Voraussetzung gewährt, dass sie wissenschaftlich anerkannt sind. Auch in der Invalidenversicherung gilt das fundamentale Prinzip der wissenschaftlich nachgewiesenen Wirksamkeit (vgl. dazu BGE 129 V 167 E. 3.2 S. 170 mit Hinweisen), d.h. der wissenschaftlichen Anerkennung (BGE 125 V 21 E. 5a in fine S. 28, 123 V 53 E. 2b/cc S. 60; Urteil I 519/03 vom 11. Dezember 2003 E. 5.1; zum Ganzen: Urteil I 19/03 vom 29. Januar 2004 E. 2.4). Die Beurteilung der Wirksamkeit hat aufgrund einer vom einzelnen Anwendungsfall losgelösten retrospektiven allgemeinen Bewertung der mit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme erfahrungsgemäss erzielten Ergebnisse zu erfolgen (BGE 123 V 53 E. 2b/cc S. 60 und E. 4a S. 66; vgl. auch BGE 133 V 115 E. 3.2.1 S. 118 oben).
 
5.2 Das BSV bringt im Wesentlichen vor, die Wirksamkeit der in der Katharina-Schroth-Klinik angewandten Therapie sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Es gebe keine "evidence-based" Studien. Es lägen einzig von Ärzten der Katharina-Schroth-Klinik verfasste Publikationen vor, welche nicht zum Nachweis der Wirksamkeit herangezogen werden dürften. Insgesamt fehle es an einem objektiven Nachweis der Wirksamkeit. Gleiches gelte für das Korsett nach Rahmouni.
 
5.3
 
5.3.1 Nach der Rechtsprechung obliegt die Beurteilung der Wirksamkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme in erster Linie der Verwaltung und - im Streitfall - dem angerufenen Gericht. Für beide gilt, dass sie sich nach Massgabe des Untersuchungsgrundsatzes - mithin von Amtes wegen, aber unter Mitwirkung der Parteien - die entscheidwesentlichen Informationen zu beschaffen haben. Dabei werden sie mangels Sachkenntnis vor allem bei komplexeren Fragestellungen in aller Regel nicht darauf verzichten können, die Meinungen unabhängiger Experten beizuziehen. An diesen liegt es, über die Wirksamkeit der in Frage stehenden Vorkehr zu berichten. Eine solche Beurteilung kann sich nicht an der Anerkennung durch herkömmliche naturwissenschaftliche oder schulmedizinische Forscher oder Praktiker ausrichten und hat keinen abschliessenden Aufschluss über die Mechanismen der zu überprüfenden Wirkung zu vermitteln (BGE 123 V 53 E. 4c S. 66 f.).
 
5.3.2 In seiner Stellungnahme vom 17. August 2004 an das kantonale Gericht kommt Dr. med. N.________ zum Ergebnis, dass die in der Katharina-Schroth-Klinik durchgeführte Skolioseintensivtherapie aufgrund der vorliegenden medizinischen Publikationen anerkannt werden muss. Dr. med. N.________ ist, wie in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht vorgebracht wird, fraglos ein allseits anerkannter Spezialist. Wohl weist er darauf hin, dass für den Wirksamkeitsnachweis keine prospektiven randomisierten Doppelblindstudien bestehen, welche höchsten Anforderungen der "Evidence Based Medicine" genügten. Ein solcher ist nach dem Gesagten (E. 5.3.1) indessen nicht erforderlich. Ebensowenig wird die Aussagekraft der Stellungnahme vom 17. August 2004 dadurch geschmälert, dass auf eine Publikation des Dr. med. Hans-Rudolf Weiss, dem ärztlichen Leiter der Katharina-Schroth-Klinik, und die darin zitierte "Primärliteratur" abgestellt wird. Denn es darf ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass Dr. med. N.________ qualitative Mängel dieser Publikation aufdecken würde, wenn solche beständen. Was die Frage der Wirksamkeit der Korsettversorgung nach Rahmouni anbelangt, weist Dr. med. N.________ in der letztinstanzlich eingereichten Auskunft vom 29. August 2006 darauf hin, dass es sich dabei lediglich um eine Modifikation der weit verbreiteten und allseits anerkannten Korsettversorgung nach Chêneau handelt.
 
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom BSV letztinstanzlich eingereichten Aufsatz von Landauer/Behensky mit dem Titel "Korrekturmechanismus der Skoliose bei Korsett-Therapie". Die Autoren nennen als (minimales) Therapieziel bei heranwachsenden Patienten eine Reduzierung der Progredienz der nach "Cobb" zu bestimmenden Rückenkrümmungswinkel mit Verhinderung der Operationskriterien. Zur Erreichung dieses Zieles eignet sich die Korsettversorgung nach Chêneau, wobei eine begleitende Wirbelsäulengymnastik (als "ergänzende Minimalforderung") unabdingbar ist. Der Erfolg dieser Massnahmen ist entgegen der Auffassung des BSV nach Landauer/Behensky auch bei Patienten nachgewiesen, welchen es an der im Einzelfall für die Indikation vorauszusetzenden Compliance fehlte. Die Darlegungen und Ergebnisse in der von der Beschwerdegegnerin vorinstanzlich aufgelegten Publikation "Operationsinzidenz bei konservativ behandelten Patienten mit Skoliose", welche von Ärzten der Katharina-Schroth-Klinik verfasst wurde, stimmen in Bezug auf die anzustrebenden therapeutischen Ziele, als auch hinsichtlich der Eignung, diese bei im Wachstum stehenden Patienten mittels konservativer Methoden zu erreichen, mit dem Aufsatz von Landauer/Behensky weitgehend überein.
 
5.3.3 Nach dem Gesagten ist festzustellen, dass die streitigen Massnahmen und damit ihre Wirksamkeit von Forschern und Praktikern auf breiter Basis anerkannt sind. Davon ging das Eidgenössische Versicherungsgericht, wenn auch ohne nähere Begründung, schon in den Urteilen I 207/94 vom 4. April 1995 und I 13/96 vom 10. Mai 1996 aus, wie im angefochtenen Entscheid soweit zutreffend festgehalten wird. Das kantonale Gericht hat zudem einlässlich dargelegt, dass die Korsettanpassung nach Rahmouni und die in der Katharina-Schroth-Klinik durchgeführte Skolioseintensivtherapie offenbar durch den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland abgedeckt sind. Dieser Umstand kann als weiteres Indiz hinsichtlich der Anerkennung dieser Massnahmen als bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechend herangezogen werden, wie das BSV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zumindest implizit einräumt. Insgesamt steht jedenfalls der Annahme, dass es sich bei der derotierenden Rumpforthese nach Rahmouni sowie der stationären Skolioseintensivtherapie in der Katharina-Schroth-Klinik um bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlungsarten handelt, nichts entgegen.
 
5.4 Es steht ausser Frage, dass in Bezug auf die streitigen Behandlungen die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach Art. 23bis Abs. 1 erster Halbsatz IVV ("Erweist sich die Durchführung einer Eingliederungsmassnahme in der Schweiz als unmöglich, insbesondere weil die erforderlichen Institutionen oder Fachpersonen fehlen, ...") nicht gegeben sind. Zu prüfen ist hingegen, ob der Beschwerdegegnerin ein Anspruch auf Kostenbeitrag im Sinne von Abs. 3 dieser Bestimmung zusteht, was voraussetzt, dass "andere beachtliche Gründe" als die in Abs. 1 genannten die Durchführung einer medizinischen Eingliederungsmassnahme im Ausland veranlasst haben. Die Vorinstanz bejahte diese Frage. Das BSV bestreitet hingegen, dass die beantragten, in Deutschland durchzuführenden Massnahmen einfach und zweckmässig waren.
 
5.5
 
5.5.1 Auf die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist, soweit sie sich auf den konkret erzielten Behandlungserfolg beziehen, nicht näher einzugehen, da die in Art. 12 IVG vorausgesetzte Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des angestrebten Eingliederungserfolgs im Einzelfall praxisgemäss prognostisch zu beurteilen ist (vgl. BGE 98 V 33 E. 2 S. 34 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung zum Eingliederungsrecht des IVG hat die versicherte Person nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren (BGE 110 V 102). Das Gesetz will die Eingliederung lediglich so weit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist (BGE 115 V 191 E. 4e/cc S. 198 und 202 E. 4b/cc S. 206, je mit Hinweisen).
 
5.5.2 Gemäss Bericht des Dr. med. N.________ vom 12. Juni 2003 war nach fehlgeschlagener Korsett-Erstversorgung im Universitätsspital A.________ die Indikation zu einem operativen Eingriff gegeben. Er hielt die von den Eltern gewünschte konservative Weiterbehandlung medizinisch noch für vertretbar, weil die "aggressive" Korsettbauweise nach Rahmouni in vielen Fällen das hier auf 70 % einzuschätzende Progressionsrisiko günstig zu beeinflussen vermochte, und eine stationäre Skolioseintensivtherapie, wie sie die Ärzte der Katharina-Schroth-Klinik durchführen können, in der Schweiz nicht angeboten wird (vgl. hiezu auch Bericht des Dr. med. N.________ vom 18. März 2004).
 
5.5.3 Nach den Erwägungen der Vorinstanz ist aus den von ihr zitierten Urteilen I 13/96 vom 10. Mai 1996 und I 297/94 vom 4. April 1994 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts der Schluss zu ziehen, die beantragten medizinischen Behandlungen (Korsett-Versorgung nach Rahmouni; stationäre Skolioseintensivtherapie in der Katharina-Schroth-Klinik) stellten notwendige Auslandsbehandlungen im Sinne von Art. 23bis Abs. 3 IVV dar. Dieser Auffassung kann nicht ohne weiteres gefolgt werden. Die Vorinstanz berücksichtigt zu wenig, dass Art. 23bis Abs. 3 IVV einen anhand des konkreten Sachverhalts zu beurteilenden Ausnahmetatbestand zu Abs. 1 dieser Bestimmung enthält. In den Fällen I 13/96 und I 207/94 waren es die Ärzte, welche den Eltern der versicherten Personen eindringlich die Notwendigkeit einer raschestmöglich durchzuführenden, stationären Rehabilitation unter den Bedingungen, wie sie die Katharina-Schroth-Klinik zu geben vermag, empfahlen. So verhielt es sich hier nicht. Die Eltern der Beschwerdegegnerin haben von sich aus in eigener Initiative ihr Kind zur erneuten Korsettversorgung nach Rahmouni und zur anschliessenden stationären Rehabilitation in der Katharina-Schroth-Klinik angemeldet. Eine vorangegangene ärztliche Empfehlung für diese Auslandsbehandlungen lag, anders als in den Fällen I 13/96 und I 207/94, nicht vor. Diese Präjudizien können aber auch deshalb nicht tel quel anwendbar sein, weil seit der Beurteilung des ihnen zugrunde liegenden Sachverhalts mehr als zehn Jahre vergangen sind. In diesem Zeitraum haben operative Techniken gerade auch im orthopädischen Bereich Fortschritte gemacht, so dass die an sich verständliche Angst der Eltern und des Kindes vor einem chirurgischen Eingriff zu relativieren ist. Es kann in diesem Zusammenhang auch auf das im vorinstanzlichen Entscheid ebenfalls zitierte Urteil K 102/02 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 23. Juni 2003 verwiesen werden, in welchem gestützt auf ärztliche Unterlagen das grösste Risiko einer Operation der lumbalen Skoliose, dasjenige einer Infektion, etwa 1 % beträgt, wobei bei rechtzeitigem Erkennen und medikamentöser Behandlung eine folgenlose Ausheilung möglich ist. Sämtliche weiteren Risiken sind viel unwahrscheinlicher. Dazu zählen das Narkose-Risiko, die Risiken von Herz- und Kreislaufversagen sowie das Risiko der Nervenschädigung, welches allerdings als sehr klein zu bezeichnen ist (K 102/02 E. 3.2). Aufgrund des Gesagten muss das Operationsrisiko hier objektiv gesehen insgesamt als gering betrachtet werden; diesem stehen die erheblichen Unannehmlichkeiten für das Kind bei Weiteranwendung konservativer Therapien (wie jahrelanges Tragen eines "aggressiv" gebauten, den Körper einengenden, fast den ganzen Tag über zu tragenden Korsetts; vgl. Bericht des Dr. med. N.________ vom 12. Juni 2003) gegenüber. Unter Berücksichtigung der genannten Umstände sind hier nicht ohne Weiteres beachtliche Gründe im Sinne von Art. 23bis Abs. 3 IVV anzunehmen. Daran ändert auch nichts, dass es sich bei der derotierenden Rumpforthese nach Rahmouni sowie der stationären Skolioseintensivtherapie der Katharina-Schroth-Klinik als um bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft anzuerkennende Behandlungsarten (vgl. E. 5.3.3 hievor) handelt. Gemäss den zitierten wissenschaftlichen Unterlagen ist die Erfolgsquote konservativer Behandlungen einzig dokumentiert für im Wachstum stehende Personen, bei welchen die Operationskriterien, anders als im vorliegenden Fall, (noch) nicht vorlagen. Dementsprechend bestätigte Dr. med. N.________ hinsichtlich der von den Eltern gewünschten Weiterführung konservativer Massnahmen, dass es darum gehe, die "primär ungünstige Prognose mit ca. 70 %igem Progressionsrisiko günstig zu beeinflussen" (Bericht vom 12. Juni 2003). Seine Aussage am Schluss dieses Berichts, es bestehe "eine maximal 30 %-ige Aussicht, dass eine operative Behandlung vermieden werden kann", muss im Kontext gelesen und unter Berücksichtigung der von diesem Arzt explizit anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen Ergebnisse als Einschätzung der Chance beurteilt werden, die Voraussetzungen für eine spätere Operation zu verbessern. Wörtlich verstanden, widerspräche sie seiner im selben Bericht davor geäusserten Auffassung, dass aus medizinischer Sicht die Operationskriterien (nach Korsett-Erstversorgung, ambulanter Therapie sowie der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Progredienz der Rückenverkrümmungen) gegeben waren. Insgesamt ist jedenfalls festzustellen, dass von den beantragten Behandlungen in Deutschland prognostisch betrachtet keine wesentlichen Vorteile gegenüber den in der Schweiz verfügbaren Therapien (erneute Korsett-Versorgung mit ambulanter Therapie; Operation mit Rückenversteifung) zu erwarten waren, weshalb die IV-Stelle die in Frage stehenden Leistungsgesuche zu Recht verneint hat.
 
6.
 
Zu prüfen ist im Weiteren, ob die Kosten der streitigen Behandlungen in der Bundesrepublik Deutschland allenfalls unter europarechtlichen Gesichtspunkten von der Invalidenversicherung zu übernehmen sind, was die Vorinstanz bejaht, das BSV hingegen bestreitet.
 
6.1 Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen; FZA) in Kraft getreten. Es bildet die rechtliche Grundlage für die - durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71; SR 0.831.109.268.1), konkretisierte - Koordination der Sozialen Sicherheit (Anhang II zum FZA).
 
6.2 Zu prüfen ist zunächst, ob der vorliegende Fall in den persönlichen (Art. 2 Abs. 1) und sachlichen (Art. 4 Abs. 1) Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt.
 
6.2.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung Nr. 1408/71 u.a. für Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende sowie für deren Familienangehörige. Mit Blick auf BGE 133 V 320 E. 5.1 - 5.5 S. 324 ff. ist der persönliche Geltungsbereich hier ohne Weiteres zu bejahen.
 
6.2.2 Die Vorinstanz ist zu Recht davon ausgegangen, dass die medizinischen Eingliederungsmassnahmen nach Art. 12 IVG, welche gemäss Art. 14 ATSG Sachleistungen darstellen, zu den "Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung Nr. 1408/71 gehören. Zwar werden diese Leistungen nach schweizerischem Recht in erster Linie von der Invalidenversicherung gedeckt. Die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Leistungsumschreibungen sind jedoch nicht nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts, sondern nach gemeinschaftsrechtlichen Kriterien zu verstehen (BGE 132 V 46 E. 3.2.3 S. 49). Da die Bestimmungen über die Invalidität in Titel III Kapitel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 einzig Geldleistungen regeln, sind medizinische Sachleistungen, mit Einschluss von Pflegekosten, welche bei Krankheit und Mutterschaft erbracht werden, als Leistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung zu betrachten, unabhängig von der Art der Rechtsvorschriften, in denen diese Leistungen vorgesehen sind (BGE 133 V 320 E. 5.6 S. 328).
 
6.3 Nach Art. 22 Abs. 1 lit. c der Verordnung 1408/71, welcher in das Kapitel 1 ("Krankheit und Mutterschaft") des Titels III ("Besondere Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten") eingegliedert ist, hat ein Arbeitnehmer oder Selbstständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, ..., erfüllt und der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates. Gemäss Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 darf die nach Abs. 1 Buchstabe c erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.
 
6.4
 
6.4.1 Das kantonale Gericht hat diese Bestimmung im Lichte der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH) geprüft. Es gelangte zum Ergebnis, dass anders als im Rahmen der angeführten Rechtsprechung zum Landesrecht eine Auslandbehandlung nicht erst als notwendig anzusehen ist, wenn ein im Inland alternativ verfügbarer operativer Eingriff erheblich höhere Risiken als die ausländische Behandlung mit sich bringt, sondern vielmehr zu fragen ist, ob im Falle, dass die anbegehrte konservative Behandlung in der Schweiz angeboten würde, der operative Eingriff bereits als genügende Leistung angesehen und daher die Übernahme der konservativen Therapie durch die Invalidenversicherung ausgeschlossen sei. Dies könne verneint werden, ansonsten das Eidgenössische Versicherungsgericht nicht die Bezahlung der Kosten der konservativen Skoliosetherapie im Rahmen von Art. 23bis Abs. 3 IVV bejaht hätte. Zudem sei zumindest im Fall von Kindern den subjektiven Ängsten vor einem operativen Eingriff Rechnung zu tragen. Aus dem Dargestellten folge, dass der operative Eingriff nicht als ebenso wirksame Behandlung im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 betrachtet werden könne. Die IV-Stelle habe demnach der Versicherten die Genehmigung zur Inanspruchnahme dieser Leistungen in Deutschland nicht verweigern dürfen.
 
6.4.2 Der vorinstanzlichen Auffassung kann nicht gefolgt werden. Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 setzt unter anderem auch voraus, dass eine im Wohnsitzstaat anerkannte Behandlung nicht rechtzeitig möglich ist (vgl. E. 6.3 in fine hievor). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, bestand doch für die Versicherte in der Schweiz von Anfang an ohne zeitliche Verzögerung die Möglichkeit, einen ihr zumutbaren chirurgischen Eingriff durchführen zu lassen. Es kann daher, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob die im Inland ebenfalls mögliche konservative Alternativbehandlung zur beantragten, in Deutschland durchgeführten Korsett-Anpassung nach Rahmouni und Skolioseintensivtherapie in der Katharina-Schroth-Klinik rechtzeitig im Sinne von Art. 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 möglich gewesen wäre.
 
6.5 Zu prüfen ist schliesslich, ob gestützt auf die Rechtsprechung des EuGH (vgl. BGE 133 V 624 E. 4.2 S. 629 ff.) entgeltliche medizinische Leistungen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Vertrages der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EG-Vertrag) über den freien Dienstleistungsverkehr fallen, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder ausserhalb eines solchen erbracht wird (Urteile vom 16. Mai 2006 in der Rechtssache C-372/04, Watts, Slg. 2006, I-4325, Randnr. 86; vom 13. Mai 2003 in der Rechtssache C-385/99, Müller-Fauré und Van Riet, Slg. 2003, I-4509, Randnr. 38; vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C-157/99, Smits und Peerbooms, Slg. 2001, I-5473, Randnr. 53; vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-158/96, Kohll, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 29 [hinsichtlich Zahnbehandlung]; vgl. zum freien Warenverkehr [Erwerb von Brillengläsern] das Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-120/95, Decker, Slg. 1998, I-1831). Eine Regelung, welche die Sozialversicherten davon abschreckt oder sogar daran hindert, sich an medizinische Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit zu wenden, stellt sowohl für die Versicherten als auch für die Leistungserbringer eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar (Urteile Müller-Fauré und Van Riet, Randnr. 44, sowie Smits und Peerboms, Randnr. 69). In Bezug auf ambulante medizinische Behandlungen darf die Kostenübernahme nicht von einer vorgängigen Genehmigung durch den zuständigen Träger der sozialen Sicherheit abhängig gemacht werden (Urteil Kohll, Randnr. 54). Allerdings darf die versicherte Person die Übernahme der Krankheitskosten nur insoweit verlangen, als das Krankenversicherungssystem des Staates der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiert (Urteil Müller-Fauré und Van Riet, Randnr. 98 und 106).
 
6.6 Das Bundesgericht hat sich mit der in Praxis und Literatur kontrovers diskutierten Frage in BGE 133 V 624, ob die dargelegte Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz abgeschlossenen FZG anwendbar ist (vgl. E. 4.3.3), eingehend auseinandergesetzt. Es hat im Einzelnen Folgendes erwogen (E. 4.3.2 und 4.3.4 bis 4.3.6):
 
6.6.1 Gemäss Art. 16 Abs. 2 FZG wird, soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999) berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemässe Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest. Auch die nach diesem Datum ergangene Rechtsprechung kann zur Interpretation des FZG herangezogen werden, vor allem dann, wenn lediglich eine frühere Praxis präzisiert wird (BGE 133 V 165 E. 4.1 S. 269; 132 V 53 E. 2 S. 56; 130 II 113 E. 5.2 S. 119).
 
6.6.2 Damit die Tragweite der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH für die Schweiz ermessen werden kann, ist daran zu erinnern, dass sich das FZG in eine Serie von sieben Abkommen einreiht, welche sich je nur mit einem Teilgebiet befassen und die auf die Bereiche des freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs beschränkt sind. Es handelt sich demnach nicht um eine umfassende Teilnahme am Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG, BBl 1999 6162). Die Entscheide des EuGH, welche sich auf Begriffe und Erwägungen stützen, die über diesen relativ engen Rahmen hinausgehen, lassen sich deshalb nicht ohne weitere Prüfung auf die schweizerische Rechtsordnung übertragen (BGE 130 II 113 E. 6.2 S. 121).
 
6.6.3 Eines der erklärten Ziele des FZA ist gemäss dessen Art. 1 lit. b die Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien, insbesondere Liberalisierung kurzzeitiger Dienstleistungen. Nach Art. 5 Abs. 1 FZA wird einem Dienstleistungserbringer einschliesslich Gesellschaften gemäss Anhang I, unbeschadet besonderer Abkommen über die Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Vertragsparteien, das Recht eingeräumt, Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei zu erbringen, deren tatsächliche Dauer 90 Arbeitstage pro Kalenderjahr nicht überschreitet (sog. aktive Dienstleistungsfreiheit).
 
Art. 5 Abs. 2 FZA legt die Bedingungen fest, unter welchen einem Dienstleistungserbringer das Einreise- und Aufenthaltsrecht von der anderen Vertragspartei einzuräumen ist. Nach Art. 5 Abs. 3 FZA wird natürlichen Personen, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft oder der Schweiz sind und die sich nur als Empfänger einer Dienstleistung in das Hoheitsgebiet einer Vertragspartei begeben, das Einreise- und Aufenthaltsrecht eingeräumt (sog. passive Dienstleistungsfreiheit). Abs. 4 von Art. 5 FZA präzisiert schliesslich, dass die in diesem Artikel genannten Rechte gemäss den Bestimmungen der Anhänge I, II und III eingeräumt werden.
 
Die Art. 17 bis 23 von Ziffer IV ("Erbringung von Dienstleistungen") des Anhangs I enthalten nähere Regelungen über die Dienstleistungserbringer. Gemäss Art. 17 lit. a FZA ist die Beschränkung grenzüberschreitender Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragspartei, deren Dauer 90 tatsächliche Arbeitstage pro Kalenderjahr nicht überschreitet, untersagt. Art. 17 lit. b FZA betrifft die Beschränkung der Einreise und des Aufenthalts von Dienstleistungserbringern. Demgegenüber enthält Art. 23 FZA eine Vorschrift über die Dienstleistungsempfänger. Danach benötigt dieser für Aufenthalte von höchstens drei Monaten keine Aufenthaltserlaubnis; für Aufenthalte von mehr als drei Monaten erhält er eine Aufenthaltserlaubnis, deren Gültigkeitsdauer der Dauer der Dienstleistung entspricht.
 
6.6.4 Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wird das Recht nach der zitierten Praxis des EuGH, medizinische Behandlungen ausserhalb des zuständigen Vertragsstaates ohne vorgängige Genehmigung und zu Lasten des zuständigen Sozialversicherungsträgers in Anspruch zu nehmen, aus den Art. 49 Abs. 1 (ehemals Art. 59) und 50 (ehemals Art. 60) des EG-Vertrages abgeleitet. Danach sind "Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Massgabe der folgenden Bestimmungen verboten (Art. 49 Abs. 1)". "Dienstleistungen im Sinne dieses Vertrages sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Warenverkehr und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art. 50 Abs. 1). Als Dienstleistungen gelten insbesondere: a) gewerbliche Tätigkeiten, b) kaufmännische Tätigkeiten, c) handwerkliche Tätigkeiten, d) freiberufliche Tätigkeiten (Art. 50 Abs. 2). Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt (Art. 50 Abs. 3)".
 
6.6.5 Gestützt auf diese Darlegungen gelangte das Bundesgericht in E. 4.3.7 von BGE 133 V 624 zum Schluss, dass die Dienstleistungsfreiheit eines der primären im EG-Vertrag institutionalisierten Prinzipien des Gemeinschaftsrechts ist und zusammen mit dem freien Waren-, Personen- und Kapitalverkehr eine der vier fundamentalen Grundfreiheiten der Gemeinschaft begründet. Sie trägt zu einer unverzüglichen und unbeschränkten Liberalisierung zwischen den nationalen Volkswirtschaften bei (Laurent Truchot, Commentaire article par article des Traités UE et CE [Philippe Léger, Hrsg.], Basel/Genf/ Monaco 1999, Rz 2 zu den Art. 49/50 des EG-Vertrages; vgl. auch Holoubek, EU-Kommentar, [Jürgen Schwarze, Hrsg.], Baden-Baden 2000, Rz 2 f. zu Art. 49 EG-Vertrag, sowie Hakenberg, EU- und EG-Vertrag, Kommentar, [Lenz/Borchardt, Hrsg.], Basel/Genf/München/ Wien 2006, Rz 7 f. zu den Art. 49/50 des EG-Vertrags). Die zitierte Rechtsprechung des EuGH gehört in Bezug auf medizinische Behandlungen zum Vorhaben, einen Binnenmarkt ohne interne Grenzen zu verwirklichen (Prodromos Mavridis, La sécurité sociale à l'époque de l'intégration européenne, Études d'une confrontation entre libertés du marché et droits fondamentaux, Athen/Brüssel 2003, Rz 550). Sie wird als wichtiger Schritt in Richtung Realisierung eines "Europa der Patienten" betrachtet (Paul Nihoul/Anne-Claire Simon, L'Europe et les soins de santé: marché intérieur, sécurité sociale, concurrence, Brüssel 2005, S. 165). Das FZA enthält keine vergleichbaren Bestimmungen zu der im EG-Vertrag geregelten, dem "Acquis communautaire" entsprechenden Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit (Kahil-Wolff, La coordination européenne des systèmes nationaux de sécurité sociale, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Ulrich Meyer [Hrsg.]. Basel/Genf/München 2007, Rz 86 S. 207). Das Abkommen zielt einzig auf eine "Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen" ab. Die aktive Dienstleistungsfreiheit ist auf 90 Tage im Kalenderjahr beschränkt. Nach dem Wortlaut des FZA wird das Schwergewicht auf die Regelung des Aufenthalts eines Dienstleistungserbringers oder -empfängers gelegt. So enthält auch Art. 5 Abs. 2 FZA einzig Bestimmungen zum "Einreise- und Aufenthaltsrecht". Dieselbe Terminologie findet sich in Abs. 3 von Art. 5, wie auch in Art. 17 des Anhangs I wieder. Art. 23 ("Dienstleistungsempfänger") dieses Anhangs schliesslich regelt die Voraussetzungen, die für eine "Aufenthaltserlaubnis" vorliegen müssen.
 
Der Teilcharakter des FZA in Bezug auf den "Acquis communautaire" wird im Übrigen bestätigt in der "Gemeinsamen Erklärung über eine allgemeine Liberalisierung der Dienstleistungen" der Schlussakte des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, wonach die Vertragsparteien sich verpflichten, so bald wie möglich Verhandlungen über eine allgemeine Liberalisierung der Dienstleistungen auf der Grundlage des "gemeinschaftlichen Besitzstandes" aufzunehmen (BBl 1999 7108).
 
Abschliessend ist festzuhalten, dass die Tragweite der in Frage stehenden Rechtsprechung des EuGH aus der Perspektive des EG-Vertrages zu würdigen ist. Dieser zielt darauf ab, auch im Bereich der medizinischen Behandlungen im Gemeinschaftsraum einen Binnenmarkt ohne Grenzen zu schaffen, in welchem jegliche Beschränkungen grundsätzlich untersagt sind. Diese Zielsetzung geht über die sektoriale und eingeschränkte Integration der Schweiz in diesen Markt hinaus. Daher ist die zitierte Rechtsprechung des EuGH nicht Teil des "Acquis communautaire", welchen die Schweiz zu übernehmen sich verpflichtet hat.
 
6.7 Aufgrund des Gesagten ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin auch gestützt auf das FZA keinen über Art. 23bis Abs. 3 IVV hinausgehenden Anspruch hat.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2006 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und der IV-Stelle des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 12. März 2008
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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