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Informationen zum Dokument  BGer 9C_596/2007  Materielle Begründung
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BGer 9C_596/2007 vom 19.05.2008
 
Tribunale federale
 
9C_596/2007 {T 0/2}
 
Urteil vom 19. Mai 2008
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
 
Gerichtsschreiberin Amstutz.
 
Parteien
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
M._________,
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Bodenmann, Waisenhausstrasse 17, 9000 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. August 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1981 geborene M._________, zuletzt ab 1999 bis Ende Juni 2001 (letzter effektiver Arbeitstag) im Umfang von rund 50% als Temporär-Reinigungsaushilfe in der Firma R.________ tätig gewesen, meldete sich am 26. April 2002 unter Hinweis auf Hüftschmerzen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung der beruflichen und medizinischen Verhältnisse, insbesondere gestützt auf das Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 14. Juli 2005 (Diagnosen: Chronifiziertes lumbovertebrales und Hüftgelenks-Schmerzsyndrom links [u.a. bei Triple-Osteotomie wegen kongenitaler Hüftgelenksdysplasie mit Subluxation des Femurkopfes 08/89 und Drahtentfernung Hüfte links 11/89] und anhaltende somatoforme Schmerzstörung), verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen den Anspruch auf eine Invalidenrente; zur Begründung gab sie an, angesichts der im erwerblichen Bereich vorhandenen Restarbeitsfähigkeit von 70% in körperlich leichten, wechselbelastenden Tätigkeiten (unter Vermeidung des Lastenhebens über 15 kg) bestehe auch im Aufgabenbereich als Hausfrau (3-Personen-Haushalt) lediglich eine minimale Einschränkung, womit insgesamt ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von unter 40 % resultiere (Verfügung vom 26. Januar 2006). Im Ergebnis bestätigte sie die Leistungsverweigerung mit Einspracheentscheid vom 5. Mai 2006, wobei sie für die Ermittlung des Invaliditätsgrades eine 50%ige-Erwerbstätigkeit als Gesunde unterstellte.
 
B.
 
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde und Aufhebung des Einspracheentscheids vom 5. Mai 2006 sprach das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen M._________ eine Viertelsrente zu (Invaliditätsgrad 40.5 %); gleichzeitig wies es die Sache zwecks Festsetzung von Rentenbeginn und -höhe an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 7. August 2007).
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IV-Stelle, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 5. Mai 2006 zu bestätigen.
 
M._________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und für das letztinstanzliche Verfahren die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
In Dispositiv-Ziff. 1 des angefochtenen Entscheids wird der Einspracheentscheid der IV-Stelle vom 5. Mai 2006 aufgehoben, und Dispositiv-Ziff. 2 spricht der Versicherten eine Viertelsrente zu; gemäss Dispositiv-Ziff. 3 wird die Streitsache zur Festsetzung von Rentenbeginn und -höhe an die Verwaltung zurückgewiesen.
 
Mit der Bejahung des Rentenanspruchs und der verbindlichen Festlegung des Rentenumfangs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in den bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassungen; Art. 28 Abs. 1 IVG in der ab 1. Januar 2004 bis Ende 2007 in Kraft gestandenen Fassung) hat die Vorinstanz über das Wesentliche des umstrittenen Rechtsverhältnisses abschliessend entschieden; die Rückweisung betreffend Rentenbeginn und frankenmässige Berechnung des Rentenbetrags dient lediglich dem Vollzug des massgeblich Entschiedenen, weshalb der kantonale Entscheid als Endentscheid (Art. 90 BGG) zu qualifizieren ist (vgl. Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 [E. 1.1]). Auch bei Qualifikation als Zwischenentscheid wäre der Rückweisungsentscheid jedoch anfechtbar, zumal er die Verwaltung jedenfalls zum Erlass einer ihres Erachtens rechtswidrigen - weil überhaupt leistungszusprechenden - Verfügung zwingt und dadurch für sie einen nicht wieder gut zu machenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484; Urteil 2C_254/2007 vom 4. Februar 2008 [E. 1.2]).
 
2.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]), wozu namentlich auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (Urteil 9C_40/2007 vom 31. Juli 2007 [E. 1]; Urteil 9C_360/2007 vom 30. August 2007 [E. 3]; Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008 [BSK BGG]) und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift gehören (Urteile 8C_364/2007 vom 19. November 2007 [E. 3.3], I 839/06 vom 17. August 2007 [E. 3], I 828/06 vom 5. September 2007 [E. 3.2.3] und I 86/07 vom 29. März 2007 [E. 3]).
 
3.
 
Zu prüfender Streitpunkt ist die vorinstanzliche Zusprechung einer Viertelsrente.
 
3.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang des Anspruchs auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der von 1. Januar 2004 bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung) sowie die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG, ab 1. Januar 2004 bis Ende 2007 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f., 128 V 29 E. 1 S. 30 f.) zutreffend dargelegt, ebenso die Rechtsprechung zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten sowie die Grundsätze der Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.; 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400; zur antizipierten Beweiswürdigung Urteil I 362/99 vom 8. Februar 2000 [E. 4, mit Hinweisen], publ. in: SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28; vgl. auch BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 130 II 425 E. 2.1 S. 428; 124 I 208 E. 4a S. 211 [je mit Hinweisen]; s. auch Urteil 9C_539/2007 vom 31. Januar 2008 [E. 2.2]). Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass der Invaliditätsgrad Teilerwerbstätiger nach der gemischten Bemessungsmethode zu ermitteln ist (Art. 28 Abs. 2ter IVG in der ab 1. Januar 2004 bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung; bis Ende 2003: Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27bis Abs. 1 und 2 IVV [ab Januar 2003 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 und Art. 16 ATSG]; BGE 134 V 9; 133 V 504; 131 V 51; 130 V 97; 130 V 393).
 
3.2 Der für die anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung massgebende hypothetische Umfang der Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall ist Tatfrage, soweit er aufgrund einer Würdigung der konkreten (persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen) Umstände - mit andern Worten nicht ausschliesslich aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung - bestimmt wird (dazu im Einzelnen Urteile I 693/06 vom 20. Dezember 2006 [E. 4.1] und I 708/06 vom 23. November 2006 [E. 3.1 und E. 3.2], je mit Hinweisen).
 
4.
 
4.1 Die Vorinstanz hat ihren rechtlichen Erwägungen die Tatsachenfeststellung vorangestellt, zwischen den Parteien sei unbestritten, dass die Versicherte ohne Gesundheitsschaden voll erwerbstätig wäre und daher die Invalidität nach der Methode des Einkommensvergleichs zu ermitteln sei. Im Übrigen zeigten - so die Vorinstanz - auch die IV-Akten Nr. 31, 37, 39, 48 und 77, dass die IV-Stelle stets von einer vollen Erwerbstätigkeit ausgegangen sei, weshalb für das Gericht kein Anlass bestehe, auf die von der Verwaltung gewählte Qualifikation als Vollerwerbstätige zurückzukommen.
 
4.2
 
4.2.1 Die vorinstanzliche Feststellung, die Qualifikation der Versicherten als Vollerwerbstätige sei unbestritten, ist klar aktenwidrig, mithin offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG (vgl. Markus Schott, N 11 zu Art. 97, in: BSK-BGG). Tatsache ist, dass die Beschwerdeführerin sowohl in ihrer Verfügung vom 26. Januar 2006 als auch im Einspracheentscheid vom 5. Mai 2006 von einer blossen Teilerwerbstätigkeit ausgegangen ist (in diesem Sinne auch IV-Act. 81). Daran ändern die vom kantonalen Gericht erwähnten IV-Act. 31, 37, 39, 48 und 77 nichts. Soweit dort überhaupt von Vollerwerbstätigkeit die Rede ist, handelt es sich durchwegs nicht um abschliessende, allseits anerkannte Aussagen zum Ausmass der Erwerbstätigkeit ohne Gesundheitsschaden. Sie stammen zudem - mit Ausnahme von IV-Act. 77 (wo die Statusfrage offen gelassen wird) - aus der Zeit vor der Heirat der Versicherten am 10. Oktober 2002 (IV-Act. 31 und 37) respektive vor der Geburt ihres ersten, gemäss eigenen Angaben im MEDAS-Gutachten vom 14. Juli 2005 an gesundheitlichen Problemen leidenden Kindes am 12. Juli 2004 (so IV-Act. 39, 48); namentlich letztgenanntes Faktum aber kann mit Blick auf die erwerbliche Qualifikation durchaus von Bedeutung sein und hat die IV-Stelle denn auch zur verfügungsweisen Feststellung des Teilerwerbsstatus' bewogen (vgl. IV-Act. 81).
 
Die Einstufung als Teilerwerbstätige (50%) hat die Versicherte in Ziff. 2a ihrer vorinstanzlich eingereichten Beschwerde ausdrücklich als blosse "Annahme"/"Vermutung" bezeichnet, die als willkürlich zurückzuweisen sei; weitere Abklärungen zur Frage des Umfangs der Erwerbstätigkeit seien angezeigt. Nachdem die IV-Stelle vernehmlassungsweise ohne weitere Ausführungen auf Beschwerdeabweisung geschlossen hatte, bestand im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids offensichtlich keine Einigkeit bezüglich Vollerwerbstätigkeit.
 
4.3 Aufgrund ihrer aktenwidrigen Annahmen (E. 4.2 hievor) hat es die Vorinstanz unterlassen, eigene Feststellungen zur rechtserheblichen Qualifikation Vollerwerbstätige/Teilerwerbstätige zu treffen, womit sie den Sachverhalt unvollständig festgestellt und - mit Blick auf die einschlägigen Vorbringen der Versicherten in ihrer Beschwerdeschrift - den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt hat. Die Sache ist daher zur Feststellung der erwerblichen Qualifikation an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Im Falle der Teilerwerbstätigkeit wird der Invaliditätsgrad nach der gemischten Methode (vgl. E. 3.1 hievor in fine) neu zu ermitteln sein. Zu diesem Zweck wird unter Umständen nachträglich eine Haushaltsabklärung anzuordnen sein, zumal darauf bei Anwendung der gemischten Methode grundsätzlich nicht verzichtet werden darf (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 249/04 vom 6. September 2004, E. 4.1.1 und 5.1.1, publ. in: SVR 2005 IV Nr. 21 S. 83 und S. 85, mit Hinweisen; beweisrechtlich insb. in AHI 2003 S. 218 publizierte E. 2.3.2 des Urteils BGE 129 V 67 [I 90/02]; ferner Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts I 311/03 vom 22. Dezember 2003, E. 5.3, publ. in: AHI 2004 S. 139 und I 99/00 vom 26. Oktober 2000, E. 3c, publ. in: AHI 2001 S. 161); davon abgesehen werden könnte nur dann, wenn der zur Erreichung einer rentenbegründenden Gesamtinvalidität erforderliche Invaliditätsgrad im Haushalt derart hoch ausfallen müsste, dass eine entsprechende Einschränkung nach den Grundsätzen über die antizipierte Beweiswürdigung (vgl. E. 3.1 hievor) ausgeschlossen werden kann.
 
5.
 
Soweit die Beschwerdeführerin den bei der (für den Einkommensvergleich im erwerblichen Bereich massgebenden) Ermittlung des trotz Gesundheitsschadens zumutbarerweise erzielbaren Einkommens (Invalideneinkommen) vorinstanzlich gewährten leidensbedingten Abzug (vgl. BGE 129 V 472 E. 4 S. 481 mit Hinweisen; E. 4 des Urteils I 82/02 vom 27. November 2002, publ. in: AHI 2002 S. 67 ff.) von 15 % beanstandet, ist die Beschwerde unbegründet. Der Einwand betrifft eine typische Ermessensfrage (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Mit Blick darauf, dass das kantonale Gericht keine invaliditätsfremden Aspekte berücksichtigt hat, ist Ermessensmissbrauch oder -überschreitung zu verneinen und besteht somit kein Anlass für eine letztinstanzliche Korrektur (E. 2 hievor).
 
6.
 
Die zu erhebenden Gerichtskosten (Art. 65 BGG) sind ausgangsgemäss von der Beschwerdegegnerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist zufolge aktenkundig vorhandener Rechtsschutzversicherung (DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG, St. Gallen) nicht stattzugeben (vgl. Urteil U 297/00 vom 17. November 2000, E. 3a, publ. in: RKUV 2001 Nr. U 415 S. 92; siehe statt vieler auch Urteile 9C_347/2007 vom 6. März 2008 [E. 6], U 66/04 vom 14. Oktober 2004 [E. 8.3]) und I 402/06 vom 11. Juni 2007 [E. 5.2]).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. August 2007 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 5. Mai 2006 im Sinne der Erwägungen neu entscheide.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 19. Mai 2008
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Meyer Amstutz
 
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