BGer 6B_745/2007 | |||
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BGer 6B_745/2007 vom 20.06.2008 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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6B_745/2007/bri
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Urteil vom 20. Juni 2008
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Strafrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Schneider, Präsident,
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Bundesrichter Ferrari, nebenamtlicher
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Bundesrichter Greiner,
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Gerichtsschreiber Willisegger.
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Parteien
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X.________,
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Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Guido Ranzi,
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gegen
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A.________,
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Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Jacqueline Moser,
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Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Einstellungsverfügung (Tätlichkeit),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, Beschwerdekammer, vom 12. September 2007.
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Sachverhalt:
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A.
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Am 9. Januar 2007 gab es im Kindergarten zwischen X.________ und zwei anderen Kindern Streit. In dessen Verlauf zerstörte X.________ eine Garage und eine Autobahnanlage aus Holzklötzen, indem er gegen sie trat. Als er durch die Kindergärtnerin, A.________, aufgefordert wurde, die Anlage wieder aufzubauen oder wenigstens die herumliegenden Holzklötze einzusammeln, weigerte er sich und begann, die Klötze im Kindergartenzimmer herumzuwerfen. Frau A.________ schickte die übrigen Kinder in die Garderobe, um sich umzuziehen und nach Hause zu gehen. X.________, der das Zimmer ebenfalls verliess, wurde von der Kindergärtnerin zum Aufräumen aufgefordert, aber er weigerte sich. Daraufhin packte ihn Frau A.________ am Oberarm und am Genick und führte ihn wieder ins Zimmer zurück. Er wehrte sich vehement und schrie, er werde nicht aufräumen. Es gelang ihm, aus dem Kindergartenzimmer zu flüchten, worauf die Kindergärtnerin ihn auf die gleiche Weise wieder zurückführte. Erst als die übrigen Kinder gegangen waren, beruhigte er sich ein wenig und räumte auf. Anschliessend führte die Kindergärtnerin ein Gespräch mit ihm und versprach, ein andermal würde sie den Konflikt ohne "Kampf" lösen.
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Am 6. Februar 2007 stellte der Vater von X.________ in dessen Namen Strafantrag gegen A.________ wegen Tätlichkeiten.
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B.
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Mit Verfügung vom 25. Juni 2007 stellte der Kreispräsident Davos das Strafverfahren ein. Die gegen die Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde von X.________ wies das Kantonsgericht von Graubünden am 12. September 2007 ab.
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C.
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X.________ führt gegen den Entscheid des Kantonsgerichts vom 12. September 2007 Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, das Verfahren gegen A.________ sei wieder aufzunehmen und diese wegen Tätlichkeiten zu verurteilen und angemessen zu bestrafen.
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Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Das Beschwerderecht steht insbesondere dem Opfer zu, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).
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1.2 Opfer ist jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 2 Abs. 1 OHG). Die Beeinträchtigung muss von einem gewissen Gewicht sein. Bagatelldelikte wie zum Beispiel Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen. Entscheidend für die Opferstellung ist allerdings nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der Betroffenheit der geschädigten Person (zum Ganzen BGE 125 II 265 E. 2a/aa und 2e/bb mit zahlreichen Hinweisen). Der Beschwerdeführer wurde zwei Mal am Oberarm und am Genick gepackt und in das Kindergartenzimmer zurückgeführt. In Anbetracht seines kindlichen Alters und der im angefochtenen Entscheid festgestellten Verletzungen (Hautpetechien im Hals- und Nackenbereich sowie am Oberarm, leicht geschwollenes und verdicktes Ohrläppchen, usw.) ist eine erhebliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen, so dass eine Opferstellung in Betracht fällt.
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1.3 Bei Beschwerden gegen den einen Einstellungsbeschluss bestätigenden Gerichtsentscheid ist die Legitimation des Opfers unabhängig davon gegeben, ob es bis zu diesem Zeitpunkt im Strafverfahren Zivilforderungen adhäsionsweise geltend gemacht hat oder nicht. Das Opfer muss aber darlegen, aus welchen Gründen und inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderung auswirken kann (BGE 131 IV 195 E. 1.1.1, mit Hinweisen).
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Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, Zivilansprüche zu stellen. Er werde diese aber zur gegebenen Zeit, das heisst, wenn es der Verfahrensstand erlaube, adhäsionsweise erheben.
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2.
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2.1 "Zivilansprüche" im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG und des OHG sind solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist erforderlich, dass die Ansprüche überhaupt adhäsionsweise im Strafverfahren geltend gemacht werden können, das heisst direkt gegen die angeschuldigte Person und für Forderungen aus der ihr vorgeworfenen Tat. Keine derartigen "Zivilansprüche" sind demgegenüber Forderungen, die sich aus dem öffentlichen Recht ergeben (vgl. BGE 128 IV 188 E. 2; 127 IV 189 E. 2b; 125 IV 161 E. 2 und 3, je mit Hinweisen).
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2.2 Der Kanton Graubünden hat gestützt auf den Vorbehalt in Art. 61 Abs. 1 OR das Gesetz über die Staatshaftung (SHG; BR 170.050) erlassen. Danach haftet das Gemeinwesen für Schaden, der Dritten durch ihre Organe und in ihrem Dienst stehenden Personen bei der Ausübung dienstlicher Tätigkeiten widerrechtlich zugefügt wird (Art. 3 SHG). Ansprüche nach dem Staatshaftungsgesetz beurteilt das Verwaltungsgericht im Klageverfahren (Art. 6 Abs. 1 SHG). Das direkte Klagerecht des geschädigten Dritten gegen die fehlbaren Organe und Personen ist ausgeschlossen (Art. 10 SHG).
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Dem Staatshaftungsgesetz unterstehen die Gemeinwesen des Kantons Graubünden, deren Organe sowie die im Dienste dieser Gemeinwesen stehenden Personen bei der Ausübung dienstlicher Tätigkeiten (Art. 1 Abs. 1 SHG). Dazu gehören auch die (Wohn-)Gemeinden als Träger der Kindergärten und das Kinderschullehrpersonal, das in ihrem Dienst steht (Art. 2, 11 ff. und 26 des kantonalen Kindergartengesetzes; RB 420.500). Diese sind für den Schaden, den sie bei Ausübung dienstlicher Tätigkeiten durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung ihrer Dienstpflicht widerrechtlich verursachen, ausschliesslich gegenüber dem Gemeinwesen verantwortlich (Art. 11 SHG).
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2.3 Der Beschwerdeführer hat somit keine Möglichkeit, gegen die seiner Ansicht nach fehlbare Kindergärtnerin vorzugehen. Soweit er gegebenenfalls einen Anspruch hat, gründet dieser im öffentlichen Recht und richtet sich allein gegen das Gemeinwesen. Zivilrechtsansprüche, die er adhäsionsweise im Strafverfahren gegen die private Beschwerdegegnerin geltend machen könnte, stehen ihm keine zu, weshalb er zur Beschwerde in Strafsachen nicht legitimiert ist. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.
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3.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. Juni 2008
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Schneider Willisegger
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