BGer 1B_77/2008 | |||
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BGer 1B_77/2008 vom 15.07.2008 | |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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1B_77/2008 /daa
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Urteil vom 15. Juli 2008
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I. öffentlich-rechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
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Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
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Parteien
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X.________, Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.
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Gegenstand
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Nichtweiterleitung eines Briefes,
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Beschwerde gegen die Verfügung vom 19. Februar 2008 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________ befindet sich in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft. Am 14. Februar 2008 verfasste er einen Brief an einen Journalisten. In diesem Brief bot er an, sein angebliches persönliches Hintergrundwissen über einen hochrangigen Manager aus der Geschäftswelt für journalistische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dem Brief legte er die Kopie eines Schreibens vom 7. Februar 2007 an einen Drittadressaten bei; darin hatte er die fraglichen Hintergrundinformationen konkretisiert und ausdrücklich ausgeführt, er habe schriftliche Beweise aufbewahrt, die den fraglichen Manager kompromittieren könnten, auch wenn es sich um alte Vorkommnisse handle.
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B.
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Die Kontrolle des betreffenden Briefs oblag dem Präsidium des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht. Beim Kantonsgericht als Appellationsinstanz war das Strafverfahren gegen X.________ in jenem Zeitpunkt hängig. Das Gerichtspräsidium verfügte am 19. Februar 2008, der Brief werde nicht weitergeleitet, weil dessen Inhalt allenfalls einen Ehrverletzungstatbestand erfülle.
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C.
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Gegen die kantonsgerichtliche Verfügung reicht X.________ beim Bundesgericht Beschwerde ein und verlangt die Weiterleitung seines Briefs an den Adressaten. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren.
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Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft hat sich nicht vernehmen lassen. Der Beschwerdeführer verzichtet in der Replik auf weitere Bemerkungen.
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Erwägungen:
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1.
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Die Zurückbehaltung des Briefs ist hauptsächlich aus strafprozessualen Gründen erfolgt. Wie sich aus der Vernehmlassung der Vorinstanz ergibt, soll das hängige Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht dadurch belastet werden, dass dieser im Rahmen des Schreibens ein allfälliges neues Ehrverletzungsdelikt begeht. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG umfasst sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht zu Grunde liegt (vgl. BGE 133 I 270 E. 1.1 S. 273). Gegen den angefochtenen Entscheid steht somit die Beschwerde in Strafsachen zur Verfügung. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2.
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2.1 Der Beschwerdeführer beruft sich auf den in Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 EMRK verankerten Anspruch auf Achtung seines Briefverkehrs. Ausserdem erwähnt er die in Art. 16 BV bzw. Art. 10 EMRK genannte Meinungsäusserungsfreiheit. Der angefochtene Entscheid bildet einen Eingriff in diese Grundrechte (vgl. BGE 119 Ia 505 E. 3a S. 506 mit Hinweisen). Der Medienfreiheit (Art. 17 BV) und dem Willkürverbot (Art. 9 BV), die der Beschwerdeführer zusätzlich anspricht, kommt keine weitergehende Bedeutung zu.
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2.2 Nach Art. 36 BV muss der Eingriff in ein Grundrecht auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse erfolgen und verhältnismässig sein. Dass die gesetzlichen Grundlagen (§ 87 StPO/BL; § 17 der basellandschaftlichen Verordnung über die Bezirksgefängnisse und Haftlokale der kantonalen Polizeiposten vom 23. Dezember 1997) mangelhaft sein sollen, ist weder dargetan noch ersichtlich. Ein ausreichendes öffentliches Interesse liegt ebenfalls vor, weil die umstrittene Massnahme dem Persönlichkeitsschutz von Dritten dient. Fraglich bleibt einzig die Verhältnismässigkeit.
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2.3
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2.3.1 Es ist unbestritten, dass der fragliche Brief keinen Zusammenhang zu dem gegen den Beschwerdeführer hängigen Strafverfahren oder zur Ausgestaltung seiner Untersuchungshaft aufweist. Die Rechtsprechung, wonach der freie Briefverkehr eines Häftlings allein wegen des ehrverletzenden Inhalts seiner Schreiben nicht beschränkt werden dürfe, bezieht sich auf Kritik gegenüber den Strafbehörden und dem Gefängnispersonal. Diese grosszügige Praxis wird damit gerechtfertigt, dem Inhaftierten müsse ein besonderes Bedürfnis zugebilligt werden, dem aufgestauten Unmut über seine persönliche Situation Luft zu machen; er dürfe daher unsachliche, unanständige, ungehörige oder ungebührliche Kritik an den Strafbehörden oder dem Gefängnispersonal äussern (vgl. BGE 119 Ia 71 E. 3d/cc S. 78 mit Hinweisen sowie die jüngeren Urteile des EGMR i.S. Fazil Ahmet Tamer gegen Türkei vom 5. Dezember 2006 [Nr. 6289/02], Ziff. 53; Ekinci und Akalin gegen Türkei vom 30. Januar 2007 [Nr. 77097/01], Ziff. 47; Vlasow gegen Russland vom 12. Juni 2008 [Nr. 78146/01], Ziff. 138). Darum geht es hier nicht.
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2.3.2 Der Beschwerdeführer strebt die Kompromittierung eines ehemaligen Vorgesetzten seiner früheren Lebenspartnerin an, indem er einem Journalisten Informationen über zwischenmenschliche Vorgänge liefern will, welche diese Frau betreffen. In der Beilage des Briefs hat der Beschwerdeführer geschrieben, dass die Frau oder andere Angestellte, die unter dem Manager gelitten haben sollen, diesen hätten zivil- oder strafrechtlich verfolgen können, dies aber offenbar nicht wollten. Der Manager habe jedoch mit seinem Verhalten auch das Vertrauen des Beschwerdeführers missbraucht. Bei einem derartigen Brief kann der Inhaftierte nicht in gleicher Weise wie bei Kritik an Behörden und Staatsangestellten einen Anspruch auf einen ehrenrührigen Briefinhalt erheben. Der für die Briefkontrolle zuständigen Behörde ist hier vielmehr ein gewisser Spielraum in der Interessenabwägung zuzugestehen. Unter Einbezug der Persönlichkeitsrechte der früheren Lebenspartnerin des Beschwerdeführers ist die Weiterleitung des Briefs verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Vorinstanz lässt sich folglich nicht der Vorwurf machen, sie nehme mit der angefochtenen Massnahme einseitig Partei für den fraglichen Manager. Vielmehr durfte die Vorinstanz das Interesse, das Appellationsverfahren betreffend den Beschwerdeführer ohne allfällige zusätzliche strafrechtliche Weiterungen infolge des Briefversands abschliessen zu können, höher gewichten als dessen Anspruch auf freie Meinungsäusserung im Briefverkehr.
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2.3.3 Schliesslich wendet der Beschwerdeführer ein, die in einem früheren Stadium des Strafverfahrens für die Briefkontrolle zuständige Staatsanwaltschaft habe damals den Versand des Schreibens vom 7. Februar 2007 genehmigt, das er nun als Beilage verwenden will. Aus diesem Umstand vermag der Beschwerdeführer indessen nichts für sich abzuleiten. Im Übrigen besitzt er im vorliegenden Verfahren keinen Anspruch auf Erbringung eines Wahrheits- oder Gutglaubensbeweises für seine Äusserungen. Eine Missachtung des ebenfalls angerufenen Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV) liegt ebenso wenig vor.
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3.
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Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Das gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gutzuheissen, weil die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 BGG erfüllt sind.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
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3.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. Juli 2008
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
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Aemisegger Kessler Coendet
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