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Informationen zum Dokument  BGer 5A_512/2008  Materielle Begründung
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BGer 5A_512/2008 vom 04.09.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5A_512/2008/don
 
Urteil vom 4. September 2008
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind.
 
Gegenstand
 
Nebenfolgen der Ehescheidung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, vom 10. Juni 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Parteien heirateten am 26. Oktober 1990 vor dem Zivilstandsamt Z.________. Aus der Ehe gingen die Kinder A.________, geb. 1991, und B.________, geb. 1994, hervor. Seit September 2002 leben die Parteien getrennt.
 
B.
 
Am 25. April 2005 machte die Ehefrau die Scheidungsklage anhängig und reichte eine Teilvereinbarung zum Scheidungspunkt und zur elterlichen Sorge über die Kinder ein.
 
In Genehmigung einer anlässlich der Hauptverhandlung getroffenen Vereinbarung schied das Bezirksgericht C.________ am 27. Juni 2007 die Ehe der Parteien und übertrug die elterliche Sorge über A.________ und B.________ dem Vater, unter Erteilung eines Besuchsrechts an die Mutter und Beibehaltung der Beistandschaft. Es stellte fest, dass kein Kindesunterhalt gesprochen wird, und verpflichtete den Ehemann zu nachehelichem Unterhalt von Fr. 2'000.-- pro Monat bis zum Erreichen des AHV-Alters der Ehefrau sowie zu Vorsorgeunterhalt von einmalig Fr. 100'000.-- auf ein noch zu bezeichnendes Freizügigkeitskonto der Ehefrau.
 
Mit Bezug auf den Verbrauchs- und den Vorsorgeunterhalt erhob der Ehemann Appellation. Mit Urteil vom 10. Juni 2008 setzte das Obergericht des Kantons Aargau den Verbrauchsunterhalt auf Fr. 800.-- pro Monat bis zum Erreichen des AHV-Alters der Ehefrau fest und wies die Appellation im Übrigen ab.
 
C.
 
Mit Bezug auf die Zahlung von Fr. 100'000.-- hat der Ehemann am 31. Juli 2008 Berufung in Zivilsachen erhoben. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten sind die Fr. 30'000.-- übersteigenden vermögensrechtlichen Folgen eines kantonal letztinstanzlichen Ehescheidungsurteils; auf die Beschwerde ist somit einzutreten (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).
 
Die Rechtsanwendung überprüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 106 Abs. 1 BGG). Hingegen ist es an die kantonalen Sachverhaltsfeststellungen gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig vorgebracht werden, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden (Art. 97 Abs. 1 BGG), wobei "offensichtlich unrichtig" mit "willkürlich" gleichzusetzen ist (Botschaft, BBl 2001 IV 4338; BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398). Diesbezüglich gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG), wie es für die frühere staatsrechtliche Beschwerde gegolten hat (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).
 
2.
 
Die Ehefrau hat nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen während der Ehe auf eine Berufstätigkeit verzichtet und sich der Erziehung der Kinder gewidmet. Seit der Trennung arbeitet sie teilzeitig bei D.________. Ihre AHV-Rente, insbesondere aber die BVG-Rente wird limitiert sein. Der Ehemann hat seine Arbeitskapazität als Chiropraktiker nur in bescheidenem Umfang ausgeschöpft und ist keiner beruflichen Vorsorgeeinrichtung angeschlossen, weshalb es auch kein Vorsorgeguthaben zu teilen gibt. Die Familie hat in grossem Umfang von den Erbvorbezügen des Ehemannes gelebt; diese betrugen über Fr. 4 Mio., wovon über Fr. 2 Mio. verbraucht worden sind.
 
Vor diesem Hintergrund hat die erste Instanz erwogen, der Ehemann hätte im Prinzip pro Monat Fr. 1'000.-- als Altersvorsorge zur Seite legen müssen, was während der Ehe einen Betrag von Fr. 200'000.-- ergeben hätte. Die Hälfte davon sei der Ehefrau zuzusprechen. Das Obergericht hat die Vorsorgezahlung von Fr. 100'000.-- bestätigt, aber mit der Begründung, dass die Ehefrau über eine ungenügende Vorsorge verfüge und der Aufbau einer angemessenen Altersvorsorge zum gebührenden Unterhalt im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB gehöre.
 
3.
 
Der Ehemann macht zunächst geltend, die Formulierung in Art. 126 Abs. 2 ZGB, wonach an die Stelle der Rente eine Abfindung treten könne, schliesse ein Nebeneinander der beiden Leistungsarten grundsätzlich aus. Indes hält nicht nur die Lehre eine Kombination von Rente und Kapitalleistung für zulässig (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 18 zu Art. 126 ZGB; Schwenzer, FamKomm Scheidung, Bern 2005, N. 9a zu Art. 126 ZGB; Gloor/ Spycher, Basler Kommentar, N. 13 zu Art. 126 ZGB), sondern wurde dies auch vom Bundesgericht (implizit) als bundesrechtskonform erachtet (vgl. BGE 129 III 257, in welchem Fall nebst einer Unterhaltsrente eine Kapitalabfindung zugesprochen worden war). Werden mit den beiden Leistungsarten verschiedene Unterhaltsaspekte abgedeckt (Verbrauchsunterhalt einerseits und Vorsorgeunterhalt andererseits), kann sich die von den kantonalen Gerichten gewählte Lösung sogar aufdrängen, wird doch ersterer meistens in Rentenform geleistet, während die Vorsorgebedürfnisse sehr oft durch die Teilung des während der Ehe geäufneten Vorsorgeguthabens abgedeckt werden können, bei der es in der Regel zu einer Kapitalzahlung kommt.
 
4.
 
Der Ehemann macht weiter geltend, die Parteien hätten unter dem Güterstand der Gütertrennung gelebt, weshalb es nicht angehe, dass faktisch die Vorsorge der Ehefrau aus seinem Eigengut finanziert werde. Dies sei umso stossender, als er bereits während der Ehe über Fr. 2 Mio. aus seinem Eigengut für die Bedürfnisse der Familie aufgewendet habe und er insoweit gewissermassen doppelt bestraft werde.
 
Die Argumentation des Ehemannes beruht auf einer einseitigen Fokussierung auf die Mittelherkunft. Ausgangs- und Angelpunkt für die Bestimmung des nachehelichen Unterhaltes ist bei lebensprägenden Ehen der gebührende Unterhalt der Ehegatten, der sich am zuletzt gemeinsam gelebten Standard ausrichtet und auf dessen Fortführung grundsätzlich beide Teile Anspruch haben (BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594 f.), weil das Vertrauen des ansprechenden Ehegatten auf den Weiterbestand der Ehe und der bisherigen, frei vereinbarten Aufgabenteilung als objektiv schutzwürdig anzusehen ist (Entscheide 5C.169/2006, E. 2.4; 5C.244/2006, E. 2.4.8). Im vorliegenden Fall hat es der Ehemann vorgezogen, den Familienunterhalt in erster Linie aus Erbvorbezügen zu bestreiten statt seine Arbeitskraft auszuschöpfen, mit der sich gemäss den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen mindestens ein Betrag von rund Fr. 9'000.-- pro Monat erzielen liesse. Damit ist aber das Eigengut zur ständigen Finanzierungsquelle des ehelichen Unterhalts geworden und die Ehefrau durfte angesichts des Umfanges der Vorbezüge darauf vertrauen, dass der Unterhalt weiterhin durch Vermögensverzehr sichergestellt würde. Dass sich die Ehegatten einen gehobenen Standard leisten konnten und tatsächlich leisteten, ist im Übrigen nicht bestritten, und es ist mangels anderer Anhaltspunkte auch davon auszugehen, dass diese Lebenshaltung im Pensionsalter fortgesetzt worden wäre.
 
Mit der Scheidung verliert die Ehefrau diese Aussicht, ohne dass sie über eine eigene angemessene Vorsorge verfügen würde, weil mangels Angehörigkeit des Ehemannes zu einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge kein Pensionskassenguthaben geteilt werden kann und die Ehefrau nur über ganz geringe eigene Vorsorgeguthaben verfügt und bis zu ihrer Pensionierung auch keine grossen Guthaben mehr wird äufnen können. Vor diesem tatsächlichen und dem rechtlichen Hintergrund, dass der Aufbau einer angemessenen Altersvorsorge nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ein Teil des Unterhalts im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB ist (sog. Vorsorgeunterhalt) und der Gesetzgeber sowohl das Vermögen der Ehegatten als auch die Rentenanwartschaften ausdrücklich als bei der Unterhaltsfestsetzung zu berücksichtigende Kriterien nennt (Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5 und 8 ZGB), ist der Zuspruch einer Geldleistung für den Vorsorgeaufbau geradezu unabdingbar. Massgebend ist bei Art. 125 Abs. 2 Ziff. 5 ZGB im Übrigen nicht die Errungenschaftsmasse, sondern das Vermögen als solches, weshalb es einerlei ist, wenn nur Eigengut vorhanden ist, und vorliegend fällt dies ohnehin mit dem Umstand zusammen, dass der Unterhalt primär aus dieser Quelle bestritten wurde und die Ehefrau aufgrund der genannten Vertrauensbasis Anspruch auf Finanzierung ihres gebührenden Unterhaltes im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB hat.
 
5.
 
Der Ehemann macht schliesslich Willkür mit Bezug auf die Höhe des Kapitalbetrages geltend. Der vom Obergericht angenommene Unterhaltsbedarf der Ehefrau von Fr. 3'175.-- im Rentenalter sei zu hoch, und es sei einfach angenommen worden, dass "kaum eine Eigenversorgungskapazität" vorhanden sei.
 
Nach den Feststellungen des Obergerichtes (S. 10 oben) hat die Familie für den Unterhalt neben den Einkünften des Ehemannes aus Erwerbstätigkeit zusätzlich rund Fr. 200'000.-- pro Jahr aus dessen Vermögen verwendet. Bei dieser Ausgangslage ergibt sich von selbst, dass der gebührende Unterhalt der Ehefrau im Pensionsalter mit Fr. 3'175.-- wenn schon zu tief angesetzt wäre, wird sie doch damit nicht am zuletzt gemeinsam gelebten Standard anknüpfen können; vor diesem Hintergrund ist mit der blossen Bestreitung von Pauschalen, mit welchen das Obergericht operiert hat, keine Willkür hinsichtlich der Bestimmung des gebührenden Unterhalts darzutun.
 
Was die Tatsachenfeststellung anbelangt, dass die Ehefrau über keine nennenswerte eigene berufliche Vorsorge verfügt und verfügen wird, bleibt die Willkürrüge unsubstanziiert: Mit dem nicht näher ausgeführten Hinweis, sie erhalte Erziehungsgutschriften und profitiere vom Splitting, ist mit Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung, sie werde keine volle AHV-Rente erhalten, keine Willkür nachgewiesen, beschränkt sich doch das Splitting auf die Ehejahre und ging der Ehemann während dieser Zeit kaum einer Erwerbstätigkeit nach, so dass die Gutschriften limitiert sein werden. Dass sie bislang über kein nennenswertes Pensionskassenguthaben verfügt, anerkennt auch der Ehemann, und er bestreitet sodann nicht oder jedenfalls nicht ernsthaft, dass sie in der Zukunft nur eine bescheidene zweite Säule wird aufbauen können. Es ist im vorliegenden Fall derart offensichtlich, dass die Ehefrau mit den zu erwartenden Leistungen aus der ersten und zweiten Säule ihren gebührenden Unterhalt nur teilweise wird finanzieren können, dass es nicht willkürlich ist, wenn das Obergericht keine eigentliche - ohnehin hypothetische - Rentenberechnung vorgenommen hat. Im Übrigen bestreitet der Ehemann nicht, dass er wirtschaftlich in der Lage ist, die Kapitalleistung zu erbringen (Beschwerde, S. 11).
 
Ausgehend von den willkürfreien Tatsachenfeststellungen und dem grossen Ermessen, das dem Richter bei der Unterhaltsfestsetzung, folglich auch beim Vorsorgeunterhalt zukommt (Art. 4 ZGB; BGE 127 III 136 E. 3a S. 141; Botschaft, BBl 1996 I S. 115 f.), ist die Vorsorgekapitalleistung von Fr. 100'000.-- bundesrechtskonform.
 
6.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind somit dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. September 2008
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Raselli Möckli
 
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