BGer 6B_412/2008 | |||
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BGer 6B_412/2008 vom 26.11.2008 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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6B_412/2008/sst
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Urteil vom 26. November 2008
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Strafrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Schneider, Präsident,
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Bundesrichter Favre,
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nebenamtlicher Bundesrichter Killias,
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Gerichtsschreiber Borner.
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Parteien
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R.________,
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Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Lisa Zaugg,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, Beschwerdegegnerin 1,
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A.________,
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Beschwerdegegnerin 2.
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Gegenstand
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Art. 33 Abs. 4 StGB (Widerspruch gegen Rückzug des Strafantrags),
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Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, vom 24. April 2008.
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Sachverhalt:
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A.
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A.________ lebte mit R.________, ihrem langjährigen Partner, und zwei gemeinsamen Kindern zusammen. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Partner zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus und fand im Frauenhaus Unterschlupf. Sie stellte am 25. September 2007 Strafantrag gegen R.________ wegen Drohung, Körperverletzung und eventuell Tätlichkeit.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich stellte die Strafuntersuchung wegen Körperverletzung und Drohung am 4. Oktober 2007 ein und überwies die Akten an das Zürcher Stadtrichteramt zur Ahndung allfälliger Tätlichkeiten. Dieses büsste R.________ am 27. November 2007 mit Fr. 300.--.
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Auf Einsprache von R.________ wurde A.________ einvernommen. Bei dieser Befragung zog sie den Strafantrag zurück, worauf das Stadtrichteramt am 28. Februar 2008 die Bussenverfügung aufhob.
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B.
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Gegen diesen Entscheid erhob R.________ Rekurs mit der Begründung, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen seien mit dem Rückzug des Strafantrags nicht aus der Welt zu schaffen.
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Das Bezirksgericht Zürich wies den Rekurs am 24. April 2008 ab.
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C.
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R.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt zur Hauptsache, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache an das Bezirksgericht zurückzuweisen, damit es das Strafverfahren durchführe.
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Erwägungen:
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1.
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Beschwerden in Strafsachen sind zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, die als Rechtsmittelinstanz geurteilt haben (Art. 80 BGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da das Bezirksgericht Zürich hier als letzte kantonale (Rekurs-)Instanz gewirkt hat.
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Zur Beschwerde legitimiert ist, wer an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids ein rechtlich geschütztes Interesse hat, so namentlich die beschuldigte Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG). Ob der Beschwerdeführer in diesem Sinne ein rechtlich geschütztes Interesse hat, erscheint fraglich. Die Frage kann indessen im Hinblick auf den Verfahrensausgang offen bleiben. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt.
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Neue Vorbringen sind nur zulässig, soweit erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Frage, ob Art. 33 Abs. 4 StGB verletzt sei, wurde vor der kantonalen Rekursinstanz nicht aufgeworfen, was aber nicht schadet, soweit damit nicht neue Tatsachen vorgetragen werden.
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2.
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Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 33 Abs. 4 StGB. Er habe einen Anspruch darauf, dass auf seinen Einspruch gegen den Rückzug des Strafantrags hin das Verfahren fortgeführt werde.
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2.1 Die Vorinstanz ist auf die gerügte Bestimmung nicht eingegangen. Sie hat die Eingabe des Beschwerdeführers offensichtlich nicht mit dieser Bestimmung in Zusammenhang gebracht, zumal er sich auch nicht darauf berufen hatte. Dass die Vorinstanz Art. 33 Abs. 4 StGB nicht von Amtes wegen prüfte, mag auch mit der Seltenheit zusammenhängen, mit welcher diese Bestimmung angerufen wird. Auch das Bundesgericht hatte sich damit bisher nicht zu befassen (Christof Riedo, Basler Kommentar, Strafrecht I, Art. 33 N. 38).
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2.2 Es mag dahingestellt bleiben, ob das Einspruchsrecht gemäss Art. 33 Abs. 4 StGB unter dem alten Recht absoluten Charakter hatte, wie der Beschwerdeführer unterstellt. Seit dem 1. Januar 2007 ist das System der Antragsdelikte durch die teilweise Einführung des Opportunitätsprinzips im materiellen Recht erheblich relativiert worden (Art. 52 ff. StGB). So sind heute die zuständigen Behörden nicht mehr gezwungen, selbst auf rechtsmissbräuchliche Strafanträge hin unter allen Umständen ein Strafverfahren durchzuführen (vgl. Stefan Trechsel, Kurzkommentar, 2. Auflage, vor Art. 28 N. 12; Killias/Kuhn/Dongois/ Aebi, Grundriss des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 2009, N. 837). Vielmehr können sie - sofern die entsprechenden Voraussetzungen (Geringfügigkeit öffentlicher oder privater Interessen und allenfalls die Schadenserledigung) erfüllt sind - gestützt auf Art. 52 ff. StGB das Verfahren auch gegen den Willen der antragsberechtigten Person nicht an Hand nehmen oder einstellen (Christof Riedo, a.a.O., Art. 30 N. 69a; Killias/Kuhn/Dongois/Aebi, a.a.O., N. 837). Insofern begründet das Strafantragsrecht einen absoluten Anspruch in dem Sinne, dass ohne bzw. gegen den Willen der berechtigten Person keine Strafverfolgung stattfinden darf. Es beinhaltet aber keinen Anspruch, dass die beschuldigte Person tatsächlich verfolgt wird.
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In Analogie zu dieser Regel kann aber auch der Einspruch gegen den Rückzug des Strafverfahrens nicht absolut wirken. Vielmehr kann die Behörde sich über die Willensäusserung des Einsprechers hinwegsetzen und das Verfahren dennoch einstellen, sofern dazu die Voraussetzungen gemäss Art. 52 ff. StGB erfüllt sind ( Christof Riedo, a.a.O., Art. 33 N. 39 und 44). Wenn die Behörde somit unter Einhaltung der Art. 52 ff. StGB das Verfahren einstellen kann, obwohl das Opfer am Strafantrag festhält, muss dies auch gegenüber einem Einsprecher gelten, der gestützt auf Art. 33 Abs. 4 StGB die Durchführung des Strafverfahrens verlangt.
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2.3 Demnach durfte die Vorinstanz (unter dem Vorbehalt von Art. 55a StGB) auf die Weiterführung des Strafverfahrens verzichten. Dass sie dabei die Anforderungen gemäss Art. 52 ff. StGB falsch beurteilt haben sollte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt. Im Übrigen steht aufgrund der Akten und namentlich der Fotos (Akten der Staatsanwaltschaft, act. 4) nicht fest, dass die Durchführung des Strafverfahrens - wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint - für ihn mit einem Freispruch enden würde. Zumindest muss der hypothetische Ausgang eines solchen Verfahrens als ungewiss bezeichnet werden.
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3.
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Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Während seine Bedürftigkeit aufgrund der geltend gemachten Tatsachen angenommen werden kann, erschien das Rechtsmittel von vornherein als aussichtslos (Art. 64 Abs. 1 BGG). Weil zudem nicht feststeht, dass die Durchführung des Strafverfahrens mit einem Freispruch enden würde, ist nicht zu erkennen, inwieweit die gestellten Begehren ernsthaften Interessen des Beschwerdeführers dienlich sein könnten. Das Gesuch ist daher abzuweisen. Seiner Bedürftigkeit ist durch eine reduzierte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen.
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Da die Beschwerdegegnerin 2 vor Bundesgericht keine Umtriebe hatte, entfällt eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3.
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Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für Zivil- und Strafsachen, schriftlich mitgeteilt sowie der Beschwerdegegnerin 2 im Dispositiv auf dem Ediktalweg (Bundesblatt).
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Lausanne, 26. November 2008
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Schneider Borner
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