BGer 9C_690/2008 | |||
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BGer 9C_690/2008 vom 30.04.2009 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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9C_690/2008
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Urteil vom 30. April 2009
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Kernen, Seiler,
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Gerichtsschreiberin Keel Baumann.
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Parteien
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Wincare Versicherungen, Konradstrasse 14, 8401 Winterthur, Beschwerdeführerin, vertreten durch Sanitas Grundversicherungen AG, Lagerstrasse 107, 8004 Zürich,
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gegen
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J.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap.
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Gegenstand
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Krankenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Juni 2008.
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Sachverhalt:
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A.
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Der im Kanton Zürich wohnhafte J.________ (geb. 1968) ist bei der Wincare Versicherungen obligatorisch krankenpflegeversichert. Seit Jahren leidet er an Multipler Sklerose. Am 31. März 2005 stellte die behandelnde Neurologin, Dr. med. A.________, ein Gesuch um Kostengutsprache für einen mindestens dreiwöchigen Rehabilitationsaufenthalt in der im Kanton St. Gallen gelegenen Klinik B.________. Dieses Spital mit privater Trägerschaft ist Bestandteil der Zürcher Spitalliste A (Institutionen mit Zulassung zur Versorgung von Patientinnen und Patienten in der Allgemeinen Abteilung zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung) mit dem Leistungsauftrag neurologische, orthopädische und rheumatologische Rehabilitation. Die Wincare bejahte mit Schreiben vom 8. April 2005 die medizinische Indikation für einen dreiwöchigen stationären Aufenthalt, teilte aber mit, dass sie lediglich die einem Aufenthalt in der zürcherischen Klinik Y.________ entsprechenden Kosten übernehme. Am 27. Oktober 2005 erteilte sie schliesslich Kostengutsprache für eine dreiwöchige neurologische Rehabilitation in der allgemeinen Abteilung der Klinik B.________ nach der Referenztaxe der Klinik Y.________ (pauschal Fr. 270.- pro Tag). Vom 9. bis 29. November 2005 hielt sich J.________ zur stationären Rehabilitation in der Klinik B.________ auf. Mit Verfügung vom 7. November 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 1. Juni 2006, hielt die Wincare an ihrem eine über den Referenztarif hinausgehende Kostenvergütung ablehnenden Standpunkt fest.
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B.
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Die von J.________ erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. Juni 2008 gut, hob den Einspracheentscheid auf und verpflichtete die Wincare, für den Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik B.________ vom 9. bis 29. November 2005 die Kosten nach dem Standorttarif für ausserkantonale Patientinnen und Patienten zu übernehmen.
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C.
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Die Wincare Versicherungen erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben; sie habe für den streitigen Rehabilitationsaufenthalt nur die Kosten des Referenzspitals Klinik Y.________ (Tagespauschale Neurorehabilitation: Fr. 270.-) zu übernehmen.
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J.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner die ausserhalb seines Wohnkantons gelegene, auf der Spitalliste des Kantons Zürich aufgeführte Klinik B.________ nicht in einer Notfallsituation aufgesucht hat und dass die streitbetroffene Therapie grundsätzlich auch in einer im Kanton Zürich gelegenen Heilanstalt (Klinik Y.________) möglich gewesen wäre.
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2.
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In der vorliegend anwendbaren, bis 31. Dezember 2008 gültig gewesenen Fassung sah Art. 41 KVG vor, dass die Versicherten unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen können (Abs. 1 Satz 1) und dass der Versicherer bei stationärer oder teilstationärer Behandlung die Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen muss, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt (Abs. 1 Satz 3). In Absatz 2 Satz 1 derselben Bestimmung war geregelt, dass sich die Kostenübernahme, wenn Versicherte aus medizinischen Gründen einen anderen Leistungserbringer beanspruchen, nach dem Tarif richtet, der für diesen Leistungserbringer gilt. Medizinische Gründe lagen (ausser in den hier nicht zur Diskussion stehenden Notfällen) bei stationärer oder teilstationärer Behandlung vor, wenn die erforderlichen Leistungen im Wohnkanton oder in einem auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführten ausserkantonalen Spital nicht angeboten wurden (Abs. 2 lit. b KVG).
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3.
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3.1 Das Eidg. Versicherungsgericht hat in BGE 127 V 398 (auf den sich die Beschwerdeführerin beruft) in einer analogen Situation (Aufenthalt einer im Kanton Basel-Stadt wohnhaften Versicherten in einer im Kanton Basel-Landschaft gelegenen, auf der gemeinsamen Spitalliste Basel-Stadt/Basel-Landschaft aufgeführten Klinik) entschieden, die obligatorische Krankenpflegeversicherung müsse die Kosten nur im Umfang desjenigen Tarifs übernehmen, der im Wohnkanton der Versicherten gelte (bestätigt in RKUV 2003 KV Nr. 254 S. 234, K 77/01 E. 5.4; Urteil K 156/05 vom 30. März 2006 E. 5.2; K 50/03 vom 3. Dezember 2003 E. 6). Zur Begründung führte es aus, dass zwischen der Frage der Zulassung der Leistungserbringer (Art. 35-40 KVG) einerseits und der tarifvertraglichen Rechtslage nach Art. 41 KVG andererseits zu unterscheiden sei. Art. 41 Abs. 2 KVG nenne die Voraussetzungen, unter denen ein Patient sich zu Lasten der sozialen Krankenversicherung bei vollem Tarifschutz in einem ausserkantonalen Spital behandeln lassen könne. Wenn ein Kanton ein ausserkantonales Spital auf seine Spitalliste setze, so sei dies zwar zulässig, bedeute aber nur, dass es sich dabei um einen zugelassenen Leistungserbringer handle, welcher KVG-pflichtige Kostenvergütungsansprüche auslöse, sage aber nichts aus über die Frage des anwendbaren Tarifs. Dafür bleibe im Regelfall Art. 41 Abs. 1 Satz 3 KVG massgebend, ausser wenn medizinische Gründe im Sinne von Art. 41 Abs. 2 KVG vorlägen. Die gegenteilige Auffassung stehe im Widerspruch zu den Materialien.
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3.2 Die Vorinstanz weicht bewusst von BGE 127 V 398 ab, dies unter Hinweis auf die von ihr gefällten Entscheide KV.2007.00009 und KV.2007.00012 vom 23. Mai 2008, in welchen sie in Auslegung von Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG zum Schluss gekommen war, dass es für die versicherte Person nicht darauf ankomme, ob sie eine im Sinne von Art. 25 KVG medizinisch notwendige Behandlung stationär in der allgemeinen Abteilung in einem Listenspital im Wohnkanton oder in einem Listenspital ausserhalb des Wohnkantons vornehmen lasse. Die stationäre ausserkantonale Behandlung in einem Listenspital sei gemäss Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG derjenigen im innerkantonalen Spital gleichgestellt und der Tarifschutz gemäss Art. 44 Abs. 1 KVG erstrecke sich auch auf sie.
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3.3 Der Rechtsprechung gemäss BGE 127 V 398 erwuchs auch in der Lehre Kritik. Dem Bundesgericht wurde vorgeworfen, die Materialien zu Art. 41 KVG falsch interpretiert zu haben (Roggo/Staffelbach, Interkantonale Spitalplanung und Kostentragung - Stellenwert der "geschlossenen Spitalliste" im Falle von "medizinischem Grund im weiteren Sinne", AJP 2006 S. 267 ff., 273 ff.). Sodann wurde postuliert, bei einer Behandlung in einem ausserkantonalen Listenspital müsse gleich wie bei einem innerkantonalen der volle Tarifschutz bestehen, weil sonst die angestrebte interkantonale Zusammenarbeit bei der Grundversorgung behindert werde (Beat Meyer, Schranken und Freiräume von Art. 41 KVG, in: Ausserkantonale Hospitalisation, Thomas Gächter [Hrsg.], 2006, S. 1-16, 8 f.).
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3.4 Ob diese Kritik berechtigt ist, braucht nicht geprüft zu werden. Denn der hier zu beurteilende Fall liegt - wie der vom Bundesgericht am 27. April 2009 entschiedene 9C_548/2008 - insofern besonders, als im Kanton Zürich nur gerade etwas mehr als 20 % des Bedarfs an Infrastruktur für stationäre Rehabilitationsaufenthalte durch innerkantonale Kliniken gedeckt werden kann und mithin die Mehrheit der Zürcher Versicherten auf ausserkantonale, auf der Zürcher Spitalliste aufgeführte Rehabilitationskliniken, wie die vom Beschwerdegegner aufgesuchte Klinik B.________, angewiesen ist (vgl. Bundesamt für Statistik [BFS], Krankenhausstatistik 2005, Tabelle D1, wonach der Kanton Zürich in Rehabilitationskliniken nur gerade über 144 Betten verfügt, was gemessen an der ständigen Wohnbevölkerung von 1'272'590 [vgl. Bundesamt für Statistik, Statistik des jährlichen Bevölkerungsstandes ESPOP 2005] auch im interkantonalen Vergleich einem geringen Versorgungsgrad entspricht). Das Bundesgericht gelangte in E. 3.4 dieses unlängst gefällten Urteils zum Ergebnis, dass es einem fehlenden Angebot innerkantonaler Behandlungsmöglichkeiten derart nahe kommt, wenn der Kanton Zürich in seiner Spitalplanung für stationäre Rehabilitationsaufenthalte der Wohnbevölkerung zu rund 80 % auf ausserkantonale Kliniken zurückgreift, dass es sich rechtfertigt, auch diese geplante Auslagerung des Rehabilitationsbedarfs in ausserkantonale Kliniken als medizinischen Grund im Sinne von Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG gelten zu lassen (vgl. betr. Kapazitätsengpässe auch RKUV 2003 KV Nr. 254 S. 234, K 77/01 E. 5.1 und Urteil K 29/93 vom 4. August 1993: vgl. auch Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, Rz. 965 S. 724 f.). Nur diese (weite) Interpretation der medizinischen Gründe nach Art. 41 Abs. 2 lit. b KVG wird dem Grundgedanken des KVG, dass die medizinisch indizierte Versorgung tarifgeschützt im Rahmen der Grundversicherung erfolgen können soll, gerecht (vgl. auch die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Bestimmung des Art. 41 Abs. 1bis KVG, gemäss welcher auch für Behandlungen in einem ausserkantonalen, in der Wahlfreiheit der versicherten Person stehenden Listenspital des Wohnkantons der volle Tarifschutz gilt).
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3.5 Sind nach dem Gesagten medizinische Gründe für den Aufenthalt in der Klinik B.________ im Falle des Beschwerdegegners zu bejahen, hat die Beschwerdeführerin die Kosten nach dem für dieses Spital geltenden Tarif (Standorttarif) zu übernehmen, wie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend erkannt hat.
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4.
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Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Überdies hat sie dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 30. April 2009
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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Meyer Keel Baumann
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