VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6B_976/2008  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6B_976/2008 vom 08.06.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_976/2008
 
Urteil vom 8. Juni 2009
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Favre, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Ferrari, Mathys,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Zbinden,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Zaehringenstrasse 1, 1702 Freiburg,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Entschädigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafkammer, vom 29. Oktober 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 3. April 2007 stiessen an einer unübersichtlichen Stelle auf einer zum Kreuzen zu engen Nebenstrasse zwei Fahrzeuge zusammen. X.________ rief die Polizei, die eine Beweisaufnahme machte und einen Bericht erstellte. Es wurden keine weiteren Untersuchungshandlungen vorgenommen.
 
Der Oberamtmann des Sensebezirks verurteilte am 5. Juni 2007 X.________ zu Fr. 200.-- Busse (und den Kosten von Fr. 147.--) wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs und Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die örtlichen Verhältnisse (Art. 31 Abs. 1, 32 Abs. 1 und 90 Ziff. 1 SVG). Dieser erhob durch einen Rechtsanwalt Einsprache.
 
Der Polizeirichter des Sensebezirks hörte in einer rund eine Stunde dauernden Sitzung am 30. Oktober 2007 X.________, den zweiten Unfallbeteiligten sowie den anzeigenden Polizeibeamten zur Sache an und sprach X.________ frei. Der Freispruch wurde rechtskräftig.
 
B.
 
X.________ beantragte eine Entschädigung von Fr. 1'025.90 für Lohnausfall und Reisespesen sowie den Ersatz der Anwaltskosten von Fr. 2'265.20.
 
Das Kantonsgericht Freiburg wies am 29. Oktober 2008 das Entschädigungsgesuch ab. Es auferlegte die Gerichtskosten dem Staate, weil es bezüglich der Anwaltskosten seine bisherige Praxis änderte.
 
C.
 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, auf die Beschwerde einzutreten, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und ihm zu Lasten des Kantons Freiburg Fr. 536.-- für Lohnausfall und Reisespesen sowie Fr. 2'265.20 als Ersatz für die Anwaltskosten zuzusprechen.
 
In der Vernehmlassung verzichteten das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg auf eine Stellungnahme zur Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Auf die Beschwerde ist gemäss Art. 80 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 BGG (in der Fassung AS 2006 4213) einzutreten, obwohl die Vorinstanz zwar als oberste, aber einzige kantonale Instanz geurteilt hat. Die Beschwerde in Strafsachen ist in der vorliegenden Sache bezüglich der Kosten von Fr. 536.-- für Lohnausfall und Reisespesen, die in einem engen Zusammenhang mit dem Strafverfahren stehen, wie auch bezüglich der geltend gemachten Anwaltskosten zulässig (BGE 135 IV 43 E. 1.1 und E. 1.1.1).
 
1.2 Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 3.2; 133 IV 286 E. 1.4). Auf rein appellatorische Kritik tritt es nicht ein (BGE 133 II 396 E. 3.1).
 
1.3 Die Anwendung des kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht auf Willkür hin (Art. 9 BV). Es hebt einen Entscheid auf, wenn er schlechterdings unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 133 III 589 E. 4.1; 131 I 217 E. 2.1, 467 E. 3.1).
 
2.
 
Der Beschwerdeführer macht wegen verweigerter Entschädigung der Anwaltskosten insbesondere eine willkürliche Anwendung von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR geltend.
 
2.1 Die Vorinstanz stützt sich auf Art. 242 Abs. 2 StPO/FR. Nach dieser Bestimmung kann, wer durch eine Prozesshandlung einen Schaden erleidet, dafür Ersatz verlangen. Dem Gesuch wird stattgegeben, "wenn und soweit dies angemessen erscheint". Sie führt aus, nach der Praxis könne eine Entschädigung verweigert werden, wenn der Schaden unter Berücksichtigung der Prozesshandlung geringfügig sei. Sie erscheine gerechtfertigt, wenn die Prozesshandlung objektiv eine gewisse Schwere erreiche, der Schaden erheblich sei und ein Kausalzusammenhang zwischen beiden bestehe.
 
Der Beschwerdeführer sei wegen einer Übertretung angeklagt gewesen und habe eine geringfügige Busse gewärtigen müssen. Die Einsprache gegen den Strafbefehl müsse nicht begründet werden. Der Sachverhalt sei einfach gewesen, und es seien keine anderen Parteien am Verfahren beteiligt gewesen. Es frage sich, ob nicht ein Bagatellfall vorliege und der Beizug eines Rechtsanwalts sachlich nicht geboten gewesen sei. Die Frage könne aber offen bleiben, weil die Anwaltskosten aus einem anderen Grund nicht zu ersetzen seien.
 
2.2 Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Beschwerdeführer rechtsschutzversichert ist. Es frage sich deshalb, ob es am Staate sei, die durch eine Versicherung abgedeckten Anwaltskosten zu übernehmen. Die kantonale Praxis habe das bisher bejaht und dabei insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts verwiesen (BGE 117 Ia 295; 122 V 278; 108 V 270 E. 2). Gestützt auf diese im Bereich des Zivilprozessrechts entwickelte bundesgerichtliche Rechtsprechung hätten es das Zürcher (unveröffentlichter Beschluss der III. Strafkammer vom 4. Dez. 1997) und das Solothurner Obergericht (SOG 1999 Nr. 24 S. 39) für unzulässig erachtet, einem freigesprochenen Beschuldigten nur deshalb eine Entschädigung zu verweigern, weil er über eine Rechtsschutzversicherung verfüge. Diese bundesgerichtliche zivil- und verwaltungsrechtliche Rechtsprechung könne aber nicht ohne weiteres auf ein strafrechtliches Verfahren übertragen werden. Weil der Beschwerdeführer über eine Rechtsschutzversicherung verfüge und nicht geltend gemacht habe, diese ersetze die Anwaltskosten nur teilweise, sei das Gesuch abzuweisen.
 
Diese Argumentation ist nicht haltbar. Die erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung muss um so mehr für das Strafrecht gelten. Denn der Staat geht gestützt auf seinen Strafanspruch mit Zwangsgewalt gegen den Beschuldigten vor. Für den Fall, dass sich herausstellt, dass dieses strafrechtliche Vorgehen nicht gerechtfertigt war, sehen die Gesetze Entschädigungsansprüche gegen den Staat vor. Der Rechtsstaat kann sich dieser Schadenersatzpflicht offenkundig nicht mit dem Argument entschlagen, der ungerechtfertigt Beschuldigte sei ja versichert. Das bedarf keiner weiteren Begründung. Die Entscheidung ist wegen Willkür zu kassieren.
 
2.3 Hingegen sehen die kantonalen Gesetze regelmässig vor, dass nur "wesentliche Kosten und Umtriebe" zu entschädigen sind (so § 43 StPO/ZH). Auch nach dem Freiburger Recht wird dem Entschädigungsgesuch nur stattgegeben, wenn und soweit dies angemessen erscheint, oder nach dem französischen Wortlaut von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR "dans la mesure où l'équité l'exige". Es ist also im Einzelfall nach billigem Ermessen zu entscheiden.
 
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der Bürger das Risiko einer gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten Strafverfolgung bis zu einem gewissen Grade auf sich nehmen. Daher ist nicht für jeden geringfügigen Nachteil eine Entschädigung zu leisten. Eine Entschädigungspflicht setzt vielmehr eine gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und einen dadurch bedingten erheblichen Nachteil voraus (BGE 84 IV 39 E. 2c; 107 IV 155 E. 5). So verstösst die Verweigerung oder Herabsetzung der Entschädigung nicht gegen die Billigkeit, wenn der Angeschuldigte den Anwalt ohne zureichende objektive Gründe beigezogen hat (BGE 110 Ia 156 E. 1b S. 160). Auch eine einmalige kurze Befragung oder Vorladung führt grundsätzlich nicht zu einer Entschädigungspflicht (BGE 113 Ia 177 E. 3; 113 IV 93 E. 3a S. 98 oben). Schliesslich muss der Schaden substanziert und bewiesen werden (BGE 113 IV 93 E. 3e; 107 IV 155 E. 5).
 
In diesem Sinne entschied die Strafrechtliche Abteilung im Urteil 6B_490/2007 vom 11. Februar 2008, dass weder die verfassungsrechtlich noch die konventionsrechtlich garantierten Verteidigungsrechte gebieten, dass dem in ein Bagatellverfahren verwickelten Beschuldigten die Kosten für einen von ihm ohne hinreichenden Anlass beigezogenen Verteidiger bei einer Verfahrenseinstellung entschädigt werden müssen. Damit ein Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat entsteht, muss die Einschaltung eines Anwalts sachlich geboten gewesen sein (vgl. Urteile 6B_208/2007 vom 7. August 2007, E. 1.1, sowie 1P.805/2006 vom 14. Sept. 2007, E. 4.2.3, mit Hinweisen).
 
2.4 Die Vorinstanz wird die bewusst offen gelassene Frage über die Entschädigung der Anwaltskosten (oben E. 2.1) gemäss den Kriterien von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR beurteilen müssen.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz nehme willkürlich an, er habe Erwerbsausfall sowie Reisespesen nicht belegt, und der Schaden von Fr. 536.-- sei bei einem Monatseinkommen von Fr. 1'650.-- nicht erheblich im Sinne von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR.
 
3.1 Der Beschwerdeführer beantragt vor Bundesgericht, ihm zu Lasten des Kantons Freiburg Fr. 536.-- für Lohnausfall und Reisespesen zuzusprechen. Das ist jener Schadensbetrag, von dem die Vorinstanz letztlich ausgegangen ist. Es besteht daher kein Rechtsschutzinteresse (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG), dass das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüfe, ob er entgegen der Vorinstanz im kantonalen Verfahren den Schaden hinreichend belegt habe. Mit seinen Verweisen auf die Akten und der Begründung etwa, die "Wegstrecke Luzern-Freiburg [könne] aus einer der vielen frei zugänglichen Webseiten zur Berechnung der Wegstrecke problemlos entnommen werden", genügt die Beschwerde den bundesrechtlichen Anforderungen jedenfalls nicht (Art. 42 und 106 BGG), so dass darauf ohnehin nicht einzutreten ist. Mangels substanziierter Schadensbegründung in der Beschwerde könnte das Bundesgericht diese Frage auch nicht im Sinne von Art. 107 Abs. 2 BGG selber entscheiden.
 
3.2 Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis, der Betrag von Fr. 536.-- sei nicht erheblich im Sinne von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR und deshalb nicht zu ersetzen. Dieser Betrag setzt sich nach dem angefochtenen Urteil aus Fr. 336.-- für Reisespesen sowie aus einem Betrag von rund Fr. 200.-- für den Erwerbsausfall zusammen. Bei den Fr. 200.-- handelt es sich um einen Stundenlohnansatz von Fr. 20.-- für 635 Minuten. Dieser Stundenlohn wurde offenbar rein rechnerisch aus dem gemäss Veranlagungsverfügung 2005 als Selbständigerwerbender verdienten Einkommen von Fr. 21'000.-- ermittelt, wobei der Beschwerdeführer nach seinen Angaben im Jahre 2006 etwa gleich viel verdient haben wolle. Ob damit tatsächlich ein Erwerbsausfall im Sinne des als kantonales Ersatzrecht angewendeten Art. 41 OR nachgewiesen wurde, kann hier aus prozessualen Gründen offen bleiben.
 
Unbehelflich ist dagegen das Vorbringen, bei einem Jahreseinkommen von Fr. 21'000.-- und dem entsprechenden durchschnittlichen Monatseinkommen von Fr. 1'750.-- mache der geltend gemachte Schaden von Fr. 536.-- rund einen Drittel des Monatseinkommens aus, so dass es willkürlich sei, den Schaden nicht als erheblich zu beurteilen. Im kantonalen Verfahren hatte er einen Stundenlohn von Fr. 65.-- geltend gemacht. Im bundesrechtlichen bringt er vor, er erziele mit seinem Geschäft einen Bruttoumsatz von Fr. 22'858.-- im Jahr. Das ist nicht nachvollziehbar. Diese abstrakte Betrachtungsweise verkennt sodann, dass geringfügige Aufwendungen, wie sie unter den vorliegenden Umständen zu verkraften waren (eine einstündige Gerichtsverhandlung; oben E. A), grundsätzlich nicht zu einer Entschädigungspflicht führen (oben E. 2.3). Es ist unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn diese Schadensbehauptung von der Vorinstanz nicht als erheblich im Sinne von Art. 242 Abs. 2 StPO/FR beurteilt wurde.
 
4.
 
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen und im Übrigen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung (oben E. 2.4) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten vor Bundesgericht nach Massgabe seines Unterliegens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Insoweit er obsiegt, hat ihm der Kanton Freiburg eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Im Übrigen wird sie abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2008 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Kanton Freiburg hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 1'200.-- auszurichten.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. Juni 2009
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Favre Briw
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).