BGer 2C_323/2009 | |||
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BGer 2C_323/2009 vom 09.06.2009 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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2C_323/2009
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Urteil vom 9. Juni 2009
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II. öffentlich-rechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Müller, Präsident,
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Bundesrichter Merkli, Karlen,
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Gerichtsschreiber Wyssmann.
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Parteien
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X.________,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Steueramt des Kantons Aargau.
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Gegenstand
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Kantons- und Gemeindesteuern 2005;
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unentgeltliche Rechtspflege,
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Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer,
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vom 4./12. März 2009.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten von X.________ richtet sich gegen die Verfügung des Präsidenten der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 4./12. März 2009. Der Kammerpräsident wies das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ab und setzte eine neue Frist für die Bevorschussung der Verfahrenskosten an. Die Beschwerdeführerin stellt folgende Anträge:
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"1. Der Beschwerdeführerin sei für das vorliegende Verfahren das Recht auf unentgeltliche Prozessführung zuzugestehen.
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2. Der Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. März 2009 sei aufzuheben.
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3. Es sei ein definitiver Endentscheid herbeizuführen, um den vorliegenden Fall zu einem Ende zu bringen und ein weitläufiges Beweisverfahren zu vermeiden. Die Ermessensveranlagung vom 3. September 2007 der Steuerkommission von R.________ sei wegen offensichtlicher Unrichtigkeit aufzuheben. Die dem Steuerrekursgericht eingereichte Steuererklärung vom 15. Januar 2008 sei dem Steueramt R.________ zurückzusenden und die Steuerpflichtige sei aufgrund dieser zu veranlagen.
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4. Eventualiter: Das Bundesgericht lässt im vorliegenden Verfahren Gnade vor Recht walten, da der Beschwerdeführerin im Kanton Aargau offensichtlich keine faire Behandlung zugestanden wird."
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Die Einholung von Vernehmlassungen der beteiligten Behörden erweist sich nicht als notwendig.
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2.
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2.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken, falls die Beschwerdeführerin nicht in der Lage wäre, die Kosten zu bevorschussen (vgl. BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Die Beschwerdeführerin ist durch die Entscheidung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG).
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2.2 Ob die gesetzliche Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingehalten worden ist, scheint fraglich. Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift überbracht wird, gilt spätestens am siebten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch als erfolgt (vgl. Art. 44 Abs. 2 BGG). Vorliegend wurde die Verfügung des Verwaltungsgerichts an der "Korrespondenzadresse" der Beschwerdeführerin bereits am 16. und 17. März 2009 zweimal erfolglos zuzustellen versucht. Anschliessend lagerte die eingeschriebene Postsendung beim Postamt R.________/AG, wo sie am 26. März 2009 von der Adressatin in Empfang genommen wurde. Allerdings steht nicht fest, wann die eingeschriebene Postsendung der Beschwerdeführerin avisiert worden ist. Die beiden Zustellversuche erfolgten offenbar ausserhalb der Geschäftsöffnungszeiten. Die Beantwortung dieser Frage bedürfte daher weiterer Abklärungen bei der Post. Darauf kann verzichtet werden, da die Beschwerde ohnehin unbegründet ist, wie die folgenden Erwägungen zeigen.
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3.
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Der Präsident der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts wies das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ab, weil deren Beschwerde aussichtslos scheine.
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3.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wird durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht nach Art. 29 Abs. 3 BV ein Mindestanspruch der bedürftigen Partei auf unentgeltliche Rechtspflege in einem nicht aussichtslosen Prozess. Dieser Anspruch umfasst auch die Befreiung von den Verfahrenskosten und der Sicherstellung von Verfahrenskosten (BGE 122 I 8 E. 2a S. 9, 322 E. 2b S. 324). Das Bundesgericht prüft frei, ob der verfassungsmässige Anspruch gemäss Art. 29 Abs. 3 BV verletzt ist, während es die Auslegung und Anwendung des kantonalen Gesetzesrechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133; 127 I 202 E. 3a S. 204 f.). Die angefochtene Verfügung stützt sich auf § 35 Abs. 2 des aargauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 9. Juli 1968, aVRPG). Sowohl nach dieser Vorschrift wie auch nach dem verfassungsrechtlichen Mindestanspruch (Art. 29 Abs. 3 BV) ist für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege bzw. für den Verzicht auf Kostenvorschuss erforderlich, dass das Rechtsmittel nicht aussichtslos erscheint. Aussichtslos ist ein Rechtsmittel, bei dem die Gewinnaussichten erheblich niederiger sind als die Verlustgefahr. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht auf Kosten des Gemeinwesens anstrengen können. Die Prozesschancen sind in vorläufiger und summarischer Prüfung des Prozessstoffes abzuschätzen. Ob ein Begehren aussichtslos erscheint, beurteilt sich aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt des Gesuchs (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f., je mit Hinweisen).
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3.2 Der Kammerpräsident hat im angefochtenen Entscheid dargelegt, weshalb die beim Verwaltungsgericht eingereichte Beschwerde schwerlich Aussicht auf Erfolg haben könne. Angefochten sei eine Ermessensveranlagung. Diese habe ihren Grund darin, dass die Beschwerdeführerin die Steuererklärung nicht eingereicht habe. Unter diesen Umständen hätte die Beschwerdeführerin spätestens mit der Einsprache die unterlassene Mitwirkungshandlung nachholen und die Steuererklärung einreichen müssen. Es handle sich um eine Prozessvoraussetzung, deren Fehlen zum Nichteintreten auf die Einsprache führe. Die Beschwerdeführerin habe innert der Einsprachefrist die versäumte Rechtshandlung nicht nachgeholt und die Steuererklärung nicht eingereicht. Auf die Einsprache hätte daher nicht eingetreten werden dürfen mit der Folge, dass in den anschliessenden Rechtsmittelverfahren nur die Eintretensfrage, nicht aber die Schätzungsmethoden oder das Ergebnis der Ermessensveranlagung überprüft werden könnten. Bei dieser Sachlage erweise sich die Beschwerde als aussichtslos und könne die unentgeltliche Rechtspflege nicht bewilligt werden.
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Diese Beurteilung der Prozessaussichten ist vertretbar. Auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der Steuerpflichtige im Rahmen der Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung die bisher versäumten Mitwirkungshandlungen nachholen (vgl. für die direkte Bundessteuer: Urteil 2A.39/2004, in: ASA 75 S. 329, E. 5.1). Da die Kritik an der Ermessensveranlagung sich auf die gesamte Veranlagung beziehen muss und nicht auf einzelne Elemente beschränken darf, ist es in der Regel unabdingbar, eine vollständig ausgefüllte Steuererklärung nachzureichen. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine eigentliche Prozessvoraussetzung, sondern um eine Frage der ausreichenden Begründung der Einsprache. In speziellen Situationen, wo beispielsweise mangels verfügbarer Informationen von dritter Seite das rechtzeitige Nachreichen nicht möglich war, müssen je nach den Umständen ausreichend substanziierte Vorbringen bereits genügen (Urteil 2A.72/2004 vom 4. Juli 2005, in: StR 60/2005 S. 973 E. 6; Urteil 2C_579/2008 vom 29. April 2009). Das ändert aber nichts daran, dass im Rahmen der Einsprache die unterlassenen Mitwirkungshandlungen grundsätzlich nachzuholen sind und es sich bei der gesetzlich geforderten Einsprachebegründung um eine Prozessvoraussetzung handelt (BGE 123 II 552 E. 4c S. 557 f.). Die Beschwerdeführerin legt auch nicht dar, inwiefern es ihr aus objektiven Gründen nicht möglich gewesen sein soll, die ordnungsgemäss ausgefüllte Steuererklärung bereits mit der Einsprache (statt mit der Replik) einzureichen. Überhaupt setzt sie sich mit der Begründung im angefochtenen Entscheid und mit der dort aufgeworfenen Frage der Prozessaussichten mit keinem Wort auseinander. Unter diesen Umständen stellt sich in der Tat ernsthaft die Frage, ob auf die Einsprache eingetreten werden durfte, und übersteigt die Verlustgefahr die Gewinnaussichten bei Weitem. Es verletzt daher weder den grundrechtlichen Anspruch aus Art. 29 Abs. 3 BV noch bedeutet es eine willkürliche Auslegung von § 35 Abs. 2 aVRPG, wenn der Kammerpräsident das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Prozessführung bzw. um Erlass des Kostenvorschusses abgelehnt hat.
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4.
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Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Es findet das Verfahren gemäss Art. 109 Abs. 2 BGG Anwendung.
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Die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Art. 64 Abs. 1 BGG verlangt für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren, dass das Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Dass die vorliegende Beschwerde objektiverweise irgendwelche Prozesschancen gehabt haben könnte, muss aufgrund der vorstehenden Ausführungen verneint werden. Die unentgeltliche Rechtspflege kann auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht bewilligt werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4.
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Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Steueramt des Kantons Aargau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 9. Juni 2009
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Müller Wyssmann
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