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Informationen zum Dokument  BGer 9C_252/2009  Materielle Begründung
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BGer 9C_252/2009 vom 10.07.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_252/2009
 
Urteil vom 10. Juli 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Parteien
 
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. W.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Melanie Imfeld,
 
2. G.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Erich Leuzinger,
 
Beschwerdegegner,
 
Kantonale Ausgleichskasse Glarus, Zwinglistrasse 6, 8750 Glarus.
 
Gegenstand
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus
 
vom 11. Februar 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
W.________ und G.________ waren Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma X.________ GmbH. Die Firma war der Kantonalen Ausgleichskasse Glarus angeschlossen. Am ... 1998 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Am ... 1999 (Datum der Publikation) wurde das Verfahren mangels Aktiven eingestellt. Mit Verfügungen vom 2. August 1999 forderte die Kantonale Ausgleichskasse Glarus von W.________ und G.________ unter solidarischer Haftung Schadenersatz in der Höhe von Fr. 83'230.05 für entgangene bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge sowie Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse für 1997 einschliesslich darauf geschuldeter Nebenkosten. Auf Klage der Ausgleichskasse hin bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 27. März 2001 die Schadenersatzpflicht in der verfügten Höhe. In Gutheissung der hiegegen erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden hob das Eidg. Versicherungsgericht mit Urteil vom 19. November 2002 dieses Erkenntnis auf und wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Schadenersatz in masslicher Hinsicht neu befinde (Verfahren H 165+166/01).
 
Am 11. Juni 2007 erliess die Kantonale Ausgleichskasse Glarus zwei Verfügungen, mit welchen sie W.________ und G.________ unter solidarischer Haftung zur Bezahlung von Fr. 83'230.05 Schadenersatz verpflichtete. Die dagegen erhobenen Einsprachen wies sie mit Entscheiden vom 11. September 2007 ab.
 
B.
 
In Gutheissung der Beschwerden des W.________ und G.________ hob das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus die Einspracheentscheide vom 11. September 2008 zufolge Verjährung des Schadenersatzanspruchs auf (Entscheid vom 11. Februar 2009).
 
C.
 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 11. Februar 2009 sei aufzuheben und die Sache an das kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen, damit dieses über die Schadenersatzpflicht von W.________ und G.________ entscheide.
 
Die Ausgleichskasse beantragt die Gutheissung der Beschwerde, das kantonale Verwaltungsgericht sowie W.________ und G.________ deren Abweisung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid verneint eine Schadenersatzpflicht der Beschwerdegegner nach Art. 52 AHVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) sowie Art. 23 des glarnerischen Gesetzes vom 12. Mai 1974 über Kinderzulagen für Arbeitnehmer (GS VIII B/5/1), wonach die Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über die AHV als ergänzendes Recht entsprechende Anwendung finden, soweit das kantonale Recht keine Regelung enthält, zufolge Anspruchsverjährung.
 
2.
 
2.1 Nach Art. 82 Abs. 1 AHVV, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002, verjährt die Schadenersatzforderung, wenn sie nicht innert Jahresfrist seit Kenntnis des Schadens durch Erlass einer Schadenersatzverfügung - und bei Einspruch nicht innert 30 Tagen durch Klage (Art. 81 Abs. 3 AHVV) - geltend gemacht wird, auf jeden Fall aber mit Ablauf von fünf Jahren seit Eintritt des Schadens.
 
Gemäss dem seit 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Art. 52 Abs. 3 AHVG verjährt der Schadenersatzanspruch zwei Jahre, nachdem die zuständige Ausgleichskasse vom Schaden Kenntnis erhalten hat, jedenfalls fünf Jahre nach Eintritt des Schadens (Satz 1). Diese Fristen können unterbrochen werden (Satz 2).
 
2.2 Es ist unbestritten, dass mit den Verfügungen vom 2. August 1999 die Schadenersatzforderung rechtzeitig geltend gemacht worden war. Diese Verfügungen und den sie bestätigenden Entscheid der Vorinstanz hob das Eidg. Versicherungsgericht mit Urteil vom 19. November 2002 auf. Es bejahte die Schadenersatzpflicht im Grundsatz, erachtete jedoch weitere Abklärungen in masslicher Hinsicht als notwendig. Am 11. Juni 2007 verfügte die Ausgleichskasse erneut.
 
2.2.1 Nach Auffassung der Vorinstanz war in diesem Zeitpunkt der Schadenersatzanspruch verjährt. Aufgrund des Urteils des Eidg. Versicherungsgerichts sei über die Schadenersatzpflicht neu zu entscheiden gewesen. Dadurch sei das Verfahren wieder im Stand zurückversetzt worden, in welchem es sich befunden habe, bevor die (altrechtliche) Schadenersatzverfügung ergangen sei. Nach der Rechtsprechung seien die Verjährungs- und Verwirkungsbestimmungen des neuen Rechts auch auf im Zeitpunkt seines Inkrafttretens entstandene und fällige, aber noch nicht verwirkte Ansprüche anwendbar. Am 1. Januar 2003 habe somit eine zweijährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Diese Frist sei nicht unterbrochen worden. Bei Erlass der Verfügungen vom 11. Juni 2007 sei der Schadenersatzanspruch somit verwirkt gewesen.
 
2.2.2 Das Beschwerde führende Bundesamt bringt vor, der Schadenersatzanspruch gegenüber den ins Recht gefassten ehemaligen Gesellschaftern und Geschäftsführern der konkursiten Firma sei mit der fristgerechten Geltendmachung ein für allemal bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gewahrt worden. Das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 19. November 2002 habe das Schadenersatzverfahren nicht abgeschlossen. Die Frage der rechtzeitigen Geltendmachung der Schadenersatzansprüche stelle sich somit gar nicht mehr. Es bestehe kein Raum für die Anwendung von Art. 52 Abs. 3 AHVG. Diese Bestimmung sei ohnehin nur anwendbar, wenn der Schaden entweder mit oder nach Inkrafttreten am 1. Januar 2003 entstanden oder aber in diesem Zeitpunkt noch nicht nach aArt. 82 Abs. 1 AHVV verwirkt gewesen sei. Es könne daher der Ausgleichskasse nicht zum Nachteil gereichen, dass sie erst am 11. Juni 2007 erneut verfügt habe.
 
3.
 
3.1 Bei den Fristen nach aArt. 82 Abs. 1 AHVV (und aArt. 81 Abs. 3 AHVV) handelte es sich um Verwirkungsfristen (BGE 131 V 425 E. 3.1 S. 427 mit Hinweisen). Mit dem rechtzeitigen Erlass der Schadenersatzverfügung und der rechtzeitigen Erhebung von Klage bei Einspruch blieben die Rechte der Ausgleichskasse für die ganze Dauer des Verfahrens ein für allemal gewahrt (BGE 134 V 353 E. 3.1 S. 356 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 135 V 74 E. 4.2.2 S. 78). Der Schadenersatzanspruch konnte somit - bis zu der in der Verfügung festgesetzten oder allenfalls in der Klage bezifferten Schadenshöhe (THOMAS NUSSBAUMER, Das Schadenersatzverfahren nach Art. 52 AHVG, in: Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, 1998, S. 114) grundsätzlich nicht mehr infolge Zeitablaufs untergehen.
 
Demgegenüber handelt es sich bei den Fristen nach Art. 52 Abs. 3 AHVG um Verjährungsfristen. Der Schadenersatzanspruch kann somit auch während des Einspracheverfahrens oder verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens verjähren (BGE 135 V 74 E. 4.2.2 S. 78).
 
3.2 Das Gesetz regelt das intertemporalrechtliche Verhältnis zwischen aArt. 82 Abs. 1 AHVV und Art. 52 Abs. 3 AHVG nicht. Die Übergangsbestimmung des Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ATSG ist nicht anwendbar (Art. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 AHVG e contrario; vgl. auch BGE 131 V 425 E. 5.4 S. 430). In BGE 134 V 353 hat das Bundesgericht entschieden, dass Art. 52 Abs. 3 AHVG auch anwendbar ist, wenn der Schadenersatzanspruch vor dem 1. Januar 2003 entstanden und in diesem Zeitpunkt nach aArt. 82 Abs. 1 AHVV noch nicht verwirkt ist. Dabei ist die unter altem Recht abgelaufene Zeit an die zweijährige Verjährungsfrist anzurechnen. In jenem Fall hatte die Ausgleichskasse Ende März 2002 fristauslösende Kenntnis vom Schaden. Am 24. August 2004 erliess sie die Schadenersatzverfügung. In diesem Zeitpunkt war der Schadenersatzanspruch mangels verjährungsunterbrechender Handlungen (vgl. dazu BGE 135 V 74 E. 4.2 S. 77 f. und Urteil 9C_903/2008 vom 21. Januar 2009 E. 5.4) jedoch bereits verjährt.
 
3.3 Im Unterschied zu dem in BGE 134 V 353 beurteilten Sachverhalt erfolgten vorliegend Schadenersatzverfügung und Klageerhebung (rechtzeitig) vor dem 1. Januar 2003. Damit war der Ersatzanspruch nach altem Recht ein für allemal gewahrt, wie die Aufsichtsbehörde insoweit richtig festhält und was im Übrigen unbestritten ist (E. 3.1). Dies schliesst indessen die (intertemporalrechtliche) Anwendbarkeit des neuen Art. 52 Abs. 3 AHVG nicht aus. Nach der Rechtsprechung können selbst Ansprüche, für welche das bisherige Recht keine Verjährung oder Verwirkung vorsah, einem neu eingeführten Verjährungs- oder Verwirkungsregime unterworfen werden. Immerhin erfordert der Schutz des bestehenden Rechts, dass die Frist erst mit Inkrafttreten der neuen Regelung zu laufen beginnt (BGE 134 V 353 E. 3.2 S. 356; 131 V 425 E. 5.2 S. 430 mit Hinweisen). Es besteht kein Grund, in Bezug auf die intertemporalrechtliche Anwendbarkeit von Art. 52 Abs. 3 AHVG danach zu unterscheiden, ob die Schadenersatzverfügung vor dem 1. Januar 2003 erlassen werden musste, um die Verwirkungsfrist nach aArt. 82 Abs. 1 AHVV zu wahren, und in diesem Zeitpunkt noch kein rechtskräftiger Entscheid vorlag, oder später ergehen konnte. Dadurch werden die bestehenden Rechte der Ausgleichskasse auch nicht in einer mit Rechtssicherheit und Treu und Glauben nicht mehr vereinbaren Weise beschnitten. Sie haben die Möglichkeit, die ab 1. Januar 2003 laufende zweijährige Verjährungsfrist zu unterbrechen und einen Rechtsverlust infolge blossen Zeitablaufs zu verhindern (vgl. BGE 134 V 353 E. 4.1 S. 357 unten). Das ist ihnen zuzumuten.
 
Vorliegend hatte die am Recht stehende Ausgleichskasse mehr als zwei Jahre bis Ende 2004 Zeit, um entsprechend den Vorgaben im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 19. November 2002 zu verfahren und die Höhe des Schadenersatzes neu festzusetzen. Diese Zeitspanne konnte sie bei Bedarf durch verjährungsunterbrechende Handlungen verlängern. Das hat sie jedoch nicht getan und erst am 11. Juni 2007 verfügt, als der Schadenersatzanspruch bereits verjährt war.
 
Die Beschwerde ist somit unbegründet.
 
4.
 
Dem unterliegenden Bundesamt sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG; Urteil 9C_1057/2008 vom 4. Mai 2009 E. 5). Die obsiegenden Beschwerdegegner haben Anspruch auf eine u.a. nach dem anwaltlichen Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit je Fr. 1000.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 10. Juli 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Fessler
 
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