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Informationen zum Dokument  BGer 1B_24/2010  Materielle Begründung
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BGer 1B_24/2010 vom 19.02.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_24/2010
 
Urteil vom 19. Februar 2010
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Felder,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 28, Postfach, 8039 Zürich.
 
Gegenstand
 
Vorzeitiger Strafvollzug,
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom
 
23. Dezember 2009 des Bezirksgerichtes Zürich, Haftrichterin.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich erhob am 16. Dezember 2009 beim Bezirksgericht Zürich Anklage gegen X.________ wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution, Anstiftung zu schwerer Körperverletzung, strafbaren Schwangerschaftsabbruchs und weiteren mutmasslichen Delikten. Am 23. Dezember 2009 stellte der Angeklagte ein Gesuch um Bewilligung des vorzeitigen Strafantrittes. Mit Verfügung vom 23. Dezember 2009 ordnete die Haftrichterin des Bezirksgerichtes Zürich die Weiterdauer der strafprozessualen Haft in Form von Sicherheitshaft an (Ziffer 1 der Verfügung); gleichzeitig wies sie das Gesuch um Bewilligung des vorzeitigen Strafantrittes ab (Ziffer 2 der Verfügung).
 
B.
 
Gegen den haftrichterlichen Entscheid vom 23. Dezember 2009 gelangte X.________ mit Beschwerde vom 26. Januar 2010 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung von Ziffer 2 des angefochtenen Entscheides und die Bewilligung des vorzeitigen Strafantrittes.
 
Die Staatsanwaltschaft liess sich am 2. Februar 2010 vernehmen, während die Haftrichterin auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet hat. Der Beschwerdeführer replizierte am 10. Februar 2010.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten ist die Abweisung eines Gesuches um Bewilligung des vorzeitigen Strafantrittes. Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er wolle bis zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung von angenehmeren Haftbedingungen profitieren. Dieses Interesse wiege schwerer als dasjenige der Staatsanwaltschaft, eine Gefährdung der Zwecke des Strafverfahrens abzuwenden. Die Untersuchung sei abgeschlossen, und er (der Beschwerdeführer) habe ein Teilgeständnis abgelegt. Insofern bestehe keine Kollusionsgefahr mehr bzw. bloss noch eine abstrakte. Die Hauptverhandlung finde erst im August 2010 statt. Dass vor Bezirksgericht noch Zeugen einvernommen würden, sei "nur theoretisch möglich". Die Nichtbewilligung des vorzeitigen Strafantrittes verletze seine persönliche Freiheit und erscheine (auch in Anbetracht des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen) unverhältnismässig. Die Begründung des angefochtenen Entscheides sei ausserdem mangelhaft und verletze das rechtliche Gehör.
 
3.
 
Nach Zürcher Strafprozessrecht wird der vorzeitige Strafantritt bewilligt, wenn die Anordnung einer unbedingten Strafe zu erwarten ist und der Zweck des Strafverfahrens nicht gefährdet wird (§ 71a Abs. 3 StPO/ZH). Mit dem Eintritt in die Vollzugsanstalt tritt die beschuldigte Person ihre Strafe an; sie untersteht von diesem Zeitpunkt an dem Vollzugsregime, wenn der strafprozessuale Haftzweck dem nicht entgegensteht (vgl. Art. 84 Abs. 2 StGB).
 
4.
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes stellt der vorzeitige Strafantritt seiner Natur nach eine strafprozessuale Zwangsmassnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Er soll ermöglichen, dass dem Angeschuldigten bereits vor einer rechtskräftigen Urteilsfällung verbesserte Chancen auf Resozialisierung im Rahmen des Strafvollzuges geboten werden können (BGE 133 I 270 E. 3.2.1 S. 277). Für eine Fortdauer der strafprozessualen Haft in den Modalitäten des vorzeitigen Strafvollzuges müssen weiterhin Haftgründe gegeben sein. Alle strafprozessualen Häftlinge können sich auf die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) berufen und gestützt auf Art. 31 Abs. 4 BV jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen (BGE 133 I 270 E. 2 S. 275 f.; 126 I 172 E. 3a-b S. 174 f.; je mit Hinweisen).
 
4.1 Haftbedingungen müssen vor dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf persönliche Freiheit standhalten und verhältnismässig sein (Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 Abs. 3 BV). Das Haftregime darf nicht strenger ausfallen, als der jeweilige Haftzweck es sachlich erfordert (BGE 123 I 221 E. I/4c S. 228; 118 Ia 64 E. 2d S. 73 f.; je mit Hinweisen). Für den vorzeitigen Strafvollzug ist, auch wenn er in einer Strafanstalt erfolgt, grundsätzlich das Haftregime der Untersuchungs- bzw. Si-cherheitshaft massgebend. Die für den ordentlichen Strafvollzug geltenden Vollzugserleichterungen können nach Massgabe der Erfordernisse des Verfahrenszweckes und gemäss den Notwendigkeiten, die sich aus dem jeweils bestehenden besonderen Haftgrund (etwa Kollusionsgefahr) ergeben, beschränkt werden (BGE 133 I 270 E. 3.2.1 S. 278; 123 I 221 E. I/4c S. 228; 118 Ia 64 E. 2d S. 73 f.; 117 Ia 257 E. 3c S. 259 f.; je mit Hinweisen).
 
4.2 Im Urteil 1B_195/2009 vom 6. November 2009 hat das Bundesgericht die Beschwerde eines Sicherheitshäftlings gutgeheissen, dem der Übertritt in den vorzeitigen Strafvollzug verweigert worden war. Es erwog, die Bewilligung des vorzeitigen Strafantrittes nach Zürcher Strafverfahrensrecht setze nicht zwangsläufig ein lückenloses Geständnis des Angeklagten voraus. Die von den kantonalen Behörden beiläufig geltend gemachte Kollusionsgefahr erschien dem Bundesgericht nicht derart ausgeprägt, dass eine Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzuges den Haftzweck und die Ziele des Strafverfahrens gefährdet hätte. Insbesondere hatten die kantonalen Behörden nicht behauptet, dass der An-geklagte als besonders gefährlich oder undiszipliniert einzustufen gewesen wäre bzw. dass er Fluchtversuche unternommen hätte. Ebenso wenig hatte er konkrete Verdunkelungshandlungen oder Kollusionsversuche begangen (vgl. Urteil 1B_195/2009 E. 6).
 
4.3 Im angefochtenen Entscheid wird Folgendes erwogen: Dem Be-schwerdeführer drohe im Falle der Verurteilung wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution, Anstiftung zu schwerer Körperverletzung, strafbaren Schwangerschaftsabbruchs und weiteren mutmasslichen Delikten eine erhebliche Freiheitsstrafe. Es bestehe Fluchtgefahr, zumal der Beschwerdeführer sich aus seinem Heimatland Ungarn abgesetzt habe, um dort einer Gefängnisstrafe (für weitere mutmassliche Straftaten) zu entgehen. Ausserdem bestehe Verdunkelungsgefahr. Der Beschwerdeführer bestreite die ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Delikte weitgehend. Während der Untersuchungshaft (in der Schweiz) habe er wiederholt versucht, über Briefe an seine Angehörigen mögliche Zeuginnen zu beeinflussen. Mittels eines (auf den 18. Januar 2009 datierten) Kassibers habe er seine Ehefrau zu Kollusionshandlungen bzw. zur Kontaktaufnahme mit einem Tatverdächtigen aufgefordert. Die von Beeinflussung bedrohten Aussagen seien beweisrechtlich von entscheidender Bedeutung. Auch sei nicht auszuschliessen, dass das Bezirksgericht als erstinstanzliches Strafgericht die fraglichen Zeuginnen bzw. geschädigten Frauen (oder zumindest einzelne von ihnen) nochmals zum Anklagesachverhalt befragen werde, um sich selbst ein Bild von der Glaubwürdigkeit dieser Gewährspersonen machen zu können. Ausserdem bestehe bis zur Gerichtsverhandlung auch Verdunkelungsgefahr mit den mitangeklagten Personen. Zwar befänden sich einige Mitangeklagte ebenfalls in Sicherheitshaft. Dies schliesse jedoch eine Absprache bzw. Beeinflussung im Rahmen des (gegenüber der Sicherheitshaft weniger restriktiven) Haftregimes des vorzeitigen Strafvollzuges nicht aus.
 
4.4 In ihrer Stellungnahme vom 2. Februar 2010 legt die Staatsanwaltschaft was folgt dar: Dem Beschwerdeführer werde primär vorgeworfen, Frauen aus Ungarn gewerbsmässig zur Prostitution in der Schweiz angeworben und vorwiegend im Zürcher Strassenstrich am Sihlquai eingesetzt zu haben. Die Einnahmen der Opfer habe er kassiert und für sich behalten. Einige Frauen habe er "gekauft" oder von anderen ungarischen Menschenhändlern übernommen und für sich im Sexgewerbe anschaffen lassen. Er habe die Opfer umfassend kontrolliert oder von Komplizen beaufsichtigen lassen. Es bestehe akute Kollusionsgefahr. Ein Teil der Zeuginnen bzw. mutmasslichen Opfer wohne wieder in Ungarn. Die in der Schweiz wohnhaften Zeuginnen stünden fast alle unter einem Zeugenschutzprogramm, weil sie gefährdet seien und Racheakte aus dem Menschenhändler- und Zuhältermilieu zu befürchten hätten. Zusammen mit dem Beschwerdeführer seien weitere vier Personen aus Ungarn wegen analogen Vorwürfen angeklagt worden. Drei davon befänden sich (in verschiedenen Untersuchungsgefängnissen) ebenfalls in Sicherheitshaft. Ihre Gesuche um vorzeitigen Strafantritt seien ebenfalls abgelehnt worden. Die Angeklagten und beinahe alle Opfer stammten aus dem stark vernetzten Roma-Milieu in Ostungarn. Viele seien miteinander verwandt, gehörten denselben Familienclans an oder würden sich zumindest sehr gut kennen. Trotz des restriktiven Haftregimes der Untersuchungshaft sei es dem Beschwerdeführer gelungen, einen Kassiber aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Darin habe er seine Mutter darüber informiert, dass eine mitangeklagte Person belastend gegen ihn ausgesagt habe. Diese habe in der Untersuchung zu Protokoll gegeben, dass sie nach ihren belastenden Aussagen von Angehörigen des Beschwerdeführers Anrufe erhalten habe, in denen sie bedroht worden sei. Von seiner Mutter sei sie aufgefordert worden, in die Schweiz zurückzukehren und ihre Belastungen zurückzuziehen. Auch die Beweisaussagen der grossteils schwer traumatisierten Opfer liessen übereinstimmend auf entsprechende alltägliche Bedrohungsmuster und begründete Angst vor Repressalien schliessen. Die erstinstanzliche Hauptverhandlung sei auf den 25./26. August 2010 terminiert.
 
4.5 Bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände erscheint die Verweigerung des vorzeitigen Strafantrittes im vorliegenden konkreten Fall verfassungskonform. Die kantonalen Behörden legen neben einer Fluchtgefährdung eine erhebliche und konkrete Kollusionsneigung des Beschwerdeführers dar. In solchen Fällen besteht (wegen Gefährdung des Verfahrenszweckes) grundsätzlich kein Anspruch auf Bewilligung des vorzeitigen Strafvollzuges (vgl. Niklaus Schmid, in: Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1999, § 36 N. 4; Matthias Härri, Zur Problematik des vorzeitigen Strafantritts, Diss. BS 1987, S. 136; zu milieutypischen Kollusionstendenzen in Menschenhändler- und Zuhälterkreisen s. auch BGE 132 I 21 E. 3.4-3.5 S. 25-27). Diese erschiene hier denn auch wenig sachgerecht: Angesichts der dargelegten erheblichen Verdunkelungsgefahr müsste das individuelle Haftregime des Beschwerdeführers im vorzeitigen Strafvollzug dermassen verschärft und kontrolliert werden (Besuche, Telefonate, Briefverkehr, Kontakte mit Mitgefangenen usw.), dass es sich von den aktuellen Haftbedingungen der Sicherheitshaft kaum mehr wesentlich unterscheiden könnte. Die Frage, inwiefern ein solches verschärftes Haftregime im vorzeitigen Strafvollzug überhaupt möglich und praktikabel wäre, braucht nicht weiter vertieft zu werden.
 
4.6 Die Rüge, die Vorinstanz habe sich mit der Frage der Verhältnismässigkeit der Fortdauer von Sicherheitshaft nicht auseinandergesetzt und insofern das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt, ist unbegründet (vgl. oben, E. 4.3, sowie BGE 133 I 270 E. 3.1 S. 277, E. 3.5.1 S. 283; 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 123 I 31 E. 2c E. 34; je mit Hinweisen).
 
5.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen.
 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt erscheinen und insbesondere die Bedürftigkeit des (amtlich verteidigten und seit längerer Zeit in Haft befindlichen) Gesuchstellers ausreichend glaubhaft gemacht wird, kann dem Antrag stattgegeben werden (Art. 64 Abs. 1-2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Michael Felder, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. Februar 2010
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
Aemisegger Forster
 
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