BGer 4A_94/2010 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer 4A_94/2010 vom 04.05.2010 | |
Bundesgericht
| |
Tribunal fédéral
| |
Tribunale federale
| |
{T 0/2}
| |
4A_94/2010
| |
Urteil vom 4. Mai 2010
| |
I. zivilrechtliche Abteilung
| |
Besetzung
| |
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
| |
Bundesrichter Corboz,
| |
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
| |
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
| |
Gerichtsschreiber Gelzer.
|
Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
| |
Beschwerdeführer, vertreten durch
| |
Fürsprecher Gerhard Hauser-Schönbächler,
| |
gegen
| |
Regionalspital E.________ AG,
| |
Beschwerdegegnerin, vertreten durch
| |
Fürsprecher Andreas Danzeisen.
| |
Gegenstand
| |
Arbeitsvertrag,
| |
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
| |
des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer,
| |
vom 10. Dezember 2009.
| |
Sachverhalt:
| |
A.
| |
Dr. X.________ (Arbeitnehmer) arbeitete vom 1. Oktober 2001 bis zum 31. Oktober 2004 zu 100 % als Oberarzt in der Abteilung Anästhesiologie bei der Regionalspital E.________ AG (Arbeitgeberin). Der Arbeitsvertrag vom 6. August 2001 sah ein Monatsgehalt von brutto Fr. 9'941.45 vor und erklärte den Gesamtarbeitsvertrag für das Personal bernischer Spitäler (GAV) als integrierenden Bestandteil. Der GAV 2000 enthält folgende Bestimmungen:
| |
"34.00 Arbeitszeit, Ferien und Feiertage, Urlaub
| |
34.10 Arbeitszeit
| |
1 Die Arbeitszeit beträgt bei einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent maximal 42 Stunden pro Woche, entsprechend 2184 Stunden pro Jahr.
| |
2 [...]
| |
3 [...]
| |
4 [...]
| |
5 [...]
| |
6 [...]
| |
7 Arbeitszeit für Assistenz- und Oberärzte
| |
Für Assistenzärzte und -ärztinnen sowie Oberärzte und -ärztinnen gelten die Bestimmungen, welche demnächst mit dem Kanton Bern ausgehandelt und in der neuen VOA festgeschrieben werden. Bis diese neue Regelung in Kraft tritt, darf die Arbeitszeit für Assistenzärzte und - ärztinnen sowie Oberärzte und -ärztinnen 55 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Pikettdienst in der Nacht und an Wochenenden im Spital gilt uneingeschränkt als Arbeitszeit. Für diese Zeit werden keine Zulagen ausgerichtet.
| |
34.20 Überstunden
| |
[...]
| |
34.30 Pikettdienst, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit
| |
1 [...]
| |
2 Pikettdienst ausserhalb des Betriebsgeländes
| |
Während des Pikettdienstes steht die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter ausserhalb des Betriebes entsprechend dem Einsatzdispositiv auf Abruf bereit. Die Zeit, während welcher die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter effektiv beschäftigt ist, gilt als Arbeitszeit. In der Regel wird diese Zeit kompensiert.
| |
3 Pikettdienst innerhalb des Betriebsgeländes
| |
Während des Pikettdienstes steht die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter innerhalb des Spitalgeländes entsprechend dem Einsatzdispositiv auf Abruf bereit.
| |
Dieser Pikettdienst gilt voll als Arbeitszeit.
| |
Ausgenommen ist die nachts in einem dafür reservierten Raum verbrachte Ruhezeit. Die Anrechnung dieser nächtlichen Ruhezeit als Arbeitszeit wird in den Ausführungsbestimmungen festgelegt.
| |
Während der Übergangszeit (Ziff. 71.00 GAV) gelten die jeweiligen betrieblichen Regelungen. Von dieser Regelung ausgenommen sind Assistenzärzte und -ärztinnen sowie Oberärzte und -ärztinnen.
| |
4 Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes sowie der dazu gehörenden Verordnungen sind einzuhalten."
| |
Der GAV 2004 enthält folgende Bestimmungen:
| |
"Art. 11 Arbeitszeit
| |
11.1 Wochenarbeitszeit und Arbeitszeitmodelle
| |
1 Die Arbeitszeit beträgt bei einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent 42 Stunden pro Woche.
| |
[...]
| |
11.2 Arbeitszeit für Assistenz- und Oberärzte
| |
Für Assistenzärzte und -ärztinnen sowie Oberärzte und -ärztinnen gelten die Bestimmungen der kantonalen Verordnung über die Anstellungsverhältnisse des ärztlichen Spitalpersonals und - soweit anwendbar - des Arbeitsgesetzes.
| |
11. 3 Überstunden
| |
[...]
| |
11.4 Pikettdienst, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit
| |
Für diese Dienste werden Zeitgutschriften gesprochen und Zuschläge ausgerichtet. Umfang und Ansätze sind in den Ausführungsbestimmungen festgelegt.
| |
11.5 Pikettdienst in Rufbereitschaft
| |
Während des Pikettdienstes in Rufbereitschaft steht die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter für allfällige Arbeitseinsätze bereit. Die Zeit, während der die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter effektiv beschäftigt ist, gilt als Arbeitszeit. Die Wegzeit zu und von der Arbeit ist in diesem Fall an die Arbeitszeit anzurechnen. In der Regel wird diese Zeit kompensiert.
| |
11.6 Pikettdienst in Arbeitsbereitschaft
| |
1 Während des Pikettdienstes in Arbeitsbereitschaft steht die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter für allfällige Arbeitseinsätze in weniger als 30 Minuten bereit. Der Dienst kann innerhalb oder ausserhalb des Betriebsgeländes geleistet werden. Die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit gilt als Arbeitszeit.
| |
2 Änderungen des Arbeitsgesetzes, der Verordnung und der Wegleitung seco bleiben vorbehalten."
| |
Die Privatwohnung des Arbeitnehmers lag gemäss seinen Angaben 100 Meter vom Spital entfernt. Er konnte sich während des Pikettdienstes zu Hause aufhalten, war jedoch verpflichtet, innert 15 Minuten einsatzbereit zu sein.
| |
B.
| |
Am 4. Januar 2007 klagte der Arbeitnehmer (Kläger) beim Gerichtskreis V Burgdorf-Fraubrunnen gegen die Arbeitgeberin (Beklagte) auf Zahlung von Fr. 108'846.--. Er verlangte damit Lohn für in den Jahren 2002, 2003 und 2004 geleistete Überstunden und Überzeit, wobei er davon ausging, der von ihm geleistete Pikettdienst habe vollumfänglich als Arbeitszeit zu gelten.
| |
Mit Urteil vom 28. Juli 2009 wies der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises V Burgdorf-Fraubrunnen die Klage ab. Auf Appellation des Klägers hin bestätigte der Appellationshof des Obergerichts des Kantons Bern am 10. Dezember 2009 den erstinstanzlichen Entscheid.
| |
C.
| |
Der Kläger (Beschwerdeführer) erhebt Beschwerde in Zivilsachen mit den Begehren, das Urteil des Obergerichts vom 10. Dezember 2009 sei aufzuheben und dem Kläger sei für die Jahre 2002, 2003 und 2004 (bis Oktober) für geleistete Überzeit Fr. 108'864.-- zu bezahlen. Eventuell sei die Sache zur Bestimmung der anrechenbaren Überzeit bzw. der anrechenbaren Piketteinsatzstunden und der angemessenen Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| |
Die Beklagte (Beschwerdegegnerin) schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
| |
Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 14. April 2010 unaufgefordert eine Replik eingereicht.
| |
Erwägungen:
| |
1.
| |
1.1 Die Beschwerde in Zivilsachen ist insoweit zulässig, als sie unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der mit ihren Anträgen unterliegenden Partei (Art. 76 Abs. 1 BGG) eingereicht wurde und eine arbeitsrechtliche Zivilstreitigkeit mit einem Streitwert von mindestens Fr. 15'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) betrifft.
| |
1.2 Die Beschwerde in Zivilsachen ist nur gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen zulässig (Art. 75 Abs. 1 BGG). Gegen Urteile einer Zivilkammer des bernischen Appellationshofs kann beim Plenum des Appellationshofs des Kantons Bern Nichtigkeitsklage erhoben werden (Art. 7 Abs. 1 ZPO/BE; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Bern, 5. Aufl. 2000, N. 2 zu Art. 7 ZPO). Mit dieser Klage kann insbesondere eine Verweigerung des vollständigen rechtlichen Gehörs gerügt werden (Art. 359 Ziff. 3 ZPO/BE). Das angefochtene Urteil ist daher bezüglich der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, weshalb auf diese Rüge nicht einzutreten ist. Bezüglich der weiteren Rügen ist das angefochtene Urteil jedoch als letztinstanzlicher Entscheid anfechtbar.
| |
2.
| |
2.1 Das Obergericht führte aus, der Beschwerdeführer habe nicht behauptet bzw. substanziiert, dass durch die effektiv geleisteten Pikettdienste die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten worden sei. Er habe insbesondere unterlassen, im Verfahren zu behaupten bzw. zu beweisen, wie lange die jeweiligen Einsätze während des zu Hause geleisteten Pikettdienstes gedauert haben. Es sei daher nicht bewiesen, dass der Beschwerdeführer Überzeit geleistet habe, welche zu entschädigen gewesen sei. Er habe gemäss Art. 8 ZGB die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen.
| |
2.2 Der Beschwerdeführer rügt, sollte das Obergericht festgestellt haben, er habe den Pikettdienst im Sinne des Bereitschaftsdienstes nicht substanziiert, sei dies aktenwidrig und damit willkürlich.
| |
Diese Rüge stösst ins Leere, da erkennbar ist, dass das Obergericht annahm, der Beschwerdeführer habe die Dauer der von ihm im Rahmen des inaktiven Pikettdienstes geleisteten Einsätze nicht substanziiert, was von ihm nicht bestritten wird.
| |
2.3 Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, selbst wenn die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten zu dokumentieren (Art. 46 ArG; Art. 73 Abs. 1 lit. c ArGV 1), keine Umkehr der Beweislast bewirke, hätte das Obergericht unter Berücksichtigung dieser Aufzeichnungspflicht die Dauer der im Grundsatz unbestrittenen Piketteinsätze ex aequo et bono gemäss Art. 42 Abs. 2 OR schätzen müssen.
| |
2.4 Gemäss Art. 42 Abs. 2 OR ist der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen. Diese Regelung soll den Schadensnachweis erleichtern, jedoch dem Geschädigten die Beweislast nicht generell abnehmen. Er hat daher alle Umstände, die für den Eintritt eines Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen (BGE 122 III 219 E. 3a S. 221 f. mit Hinweisen). Art. 42 Abs. 2 OR kann allenfalls analog angewendet werden (BGE 128 III 271 E. 2b/aa S. 276).
| |
2.5 Der Beschwerdeführer legt nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern er im kantonalen Verfahren alle ihm bekannten Umstände behauptet hatte, welche die Abschätzung der Dauer der Piketteinsätze erlaubt hätten. Demnach hat das Obergericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es diese Dauer nicht unter analoger Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR schätzte.
| |
3.
| |
3.1 Das Obergericht erwog, der vorliegende Arbeitsvertrag unterstehe dem Gesamtarbeitsvertrag für das Personal bernischer Spitäler (GAV). Bezüglich der Arbeitszeit der Oberärzte verweise Ziff. 34.10.7 GAV 2000 bzw. Art. 11.2 GAV 2004 auf die Verordnung über die Anstellungsverhältnisse des ärztlichen Spitalpersonals (VOA). Demnach bestimme diese Verordnung, ob der vom Beschwerdeführer geleistete inaktive Pikettdienst als Arbeitszeit gelte. Die damit verbundene Ungleichbehandlung der Assistenz- und Oberärzte und des übrigen Spitalpersonals sei unter Berücksichtigung der jeweiligen Verantwortungen sachgerecht.
| |
3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Verweis in Ziff. 34.10.7 GAV 2000 auf die VOA beziehe sich nur auf die wöchentliche Arbeitszeit. Deren Begrenzung sei bei der Aushandlung des GAV 2000 eine der wichtigsten Forderungen des Verbandes der schweizerischen Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte gewesen. Für diese Ärzte sehe Ziff. 34.10.7 GAV 2000 daher bis zum Inkrafttreten der VOA eine maximale Arbeitszeit von 55 Stunden pro Woche vor. Ziff. 34.10.7 GAV 2000 bestimme zwar übergangsrechtlich weiter, dass Pikettdienst in der Nacht und an Wochenenden im Spital uneingeschränkt als Arbeitszeit gelte und für diese Zeit keine Zulagen ausgerichtet würden. Daraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, Pikettdienst ausserhalb des Spitals sei nicht zu entschädigen. Vielmehr habe die Praxis, die nachts von Assistenzärzten im Spital erbrachten Pikettdienste nicht anzurechnen, unterbunden werden sollen. Im Übrigen unterstehe nach dem GAV 2000 der Pikettdienst der Assistenz- und Oberärzte der für das übrige Personal geltenden Regelung. Daran habe der GAV 2004 nichts geändert. In Art 11.2 GAV 2004 werde unter der unveränderten Überschrift "Arbeitszeit für Assistenz- und Oberärzte" als Ausnahme von der 42-Stunden-Woche auf die VOA verwiesen. Der Pikettdienst werde in den nachfolgenden Art. 11.4 ff. GAV 2004 für das gesamte Personal geregelt, wobei in Art. 11.6 gemäss der SECO-Wegleitung bei einer Arbeits- bzw. Einsatzbereitschaft von unter 30 Minuten von Arbeitszeit ausgegangen werde. Die Sozialpartner seien davon ausgegangen, diese Regelung gelte auch für Assistenz- und Oberärzte, was durch eine als Novum eingereichte Vereinbarung zwischen den Spitälern FMI AG und verschiedenen Verbänden und den systematischen Aufbau von Art. 11 GAV 2004 bestätigt werde. Die Anwendung der allgemeinen Pikettregelung auf Assistenz- und Oberärzte sei gerechtfertigt, weil nicht einzusehen sei, weshalb diese weniger Ruhezeit brauchten als das übrige Spitalpersonal.
| |
3.3 Die normativen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages sind wie Gesetze auszulegen (BGE 133 III 213 E. 4.2 mit Hinweisen). Ausgangspunkt der Auslegung einer Gesetzesnorm bildet ihr Wortlaut. Vom daraus abgeleiteten Sinne ist jedoch abzuweichen, wenn sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergibt, dass der Gesetzgeber diesen Sinn nicht gewollt haben kann. Bei der Auslegung einer Norm sind daher neben dem Wortlaut die so genannten historischen, teleologischen und systematischen Auslegungselemente zu berücksichtigen (BGE 133 III 257 E. 2.4 mit Hinweisen).
| |
3.4 Ziff. 34.10.7 GAV 2000 verweist bezüglich der Arbeitszeit von Assistenz- und Oberärzten auf die künftige VOA und bestimmt, dass bis zu ihrem Inkrafttreten 55 Stunden pro Woche nicht überschritten werden dürfen und der Pikettdienst in der Nacht und an Wochenenden im Spital als Arbeitszeit gilt. Diese Übergangsbestimmung betreffend den Pikettdienst zeigt, dass die Anrechnung dieses Dienstes an die Arbeitszeit für Assistenz- und Oberärzte künftig ebenfalls von der VOA geregelt werden soll. Die Regelung des Pikettdienstes in Ziff. 34.30 GAV 2000, namentlich Ziff. 34.30.3 Abs. 3 GAV 2000 bezüglich der nachts in einem dafür reservierten Raum verbrachte Ruhezeit, gilt daher nicht für Assistenz- und Oberärzte, sondern lediglich für das übrige Personal. Dieses Ergebnis wird dadurch untermauert, dass Ziff. 34.30.3 Abs. 4 GAV 2000 Assistenz- und Oberärzte ausdrücklich ausnimmt. Aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung von Ziff. 34.10.7 GAV 2000 ergibt sich somit, dass der darin enthaltene Verweis auf die VOA die Bestimmungen über die Arbeitszeit ganz allgemein, also auch die Anrechnung des Pikettdienstes, umfasst. Die damit verbundene Gleichstellung mit den Ärzten an den öffentlichen Berner Spitäler steht nicht in Widerspruch dazu, dass bei der Aushandlung des GAV 2000 die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit eine wichtige Forderung der Assistenz- und Oberärzte darstellte. Der GAV 2004 brachte bezüglich des Verweises auf die VOA inhaltlich keine Änderung, zumal in Art. 11.2 GAV 2004 unter dem Titel "Arbeitszeit für Assistenz- und Oberärzte" weiterhin allgemein auf die Bestimmungen der VOA verwiesen wird, ohne insoweit eine Beschränkung auf die Regelung der Wochenarbeitszeit vorzusehen. Ein davon abweichender Wille der Vertragsparteien des GAV 2004 ist nicht erkennbar. Nicht entscheiderheblich ist, wie einzelne Spitäler den GAV 2004 tatsächlich verstanden haben. Damit kann offen bleiben, welches Verständnis des GAV 2004 der vom Beschwerdeführer als Novum eingereichten Vereinbarung zugrunde lag und ob diese gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG zugelassen werden könnte. Aus dem Gesagten folgt, dass das Obergericht kein Bundesrecht verletzte, wenn es davon ausging, die in den beiden Gesamtarbeitsverträgen bezüglich der Arbeitszeit der Assistenz- und Oberärzte vorgesehenen Verweise auf die VOA erfassten auch die Anrechnung des Pikettdienstes.
| |
4.
| |
4.1 Die Berner Verordnung über die Anstellungsverhältnisse des ärztlichen Spitalpersonals vom 22. März 2000 (VOA; BAG 811.123) findet nach deren Art. 1 auf Assistenz- und Oberärzte Anwendung, die an den kantonalen psychiatrischen Kliniken eine Funktion in einem Dienst mit 24-Stunden-Betrieb ausüben. Art. 7 VOA lautet:
| |
"1 Als Arbeitszeit gilt die Zeit, die gemäss Dienstplan oder auf Anordnung der Vorgesetzten am Arbeitsort verbracht werden muss.
| |
2 Die Zeit, während der sich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter gemäss Dienstplan ausserhalb des Betriebsgeländes auf Abruf zum Einsatz bereithalten muss (Pikettdienst), gilt nicht als Arbeitszeit. Einsätze während dieses Dienstes gelten jedoch als Arbeitszeit."
| |
Die Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1; SR 822.111) bestimmt in Art. 15:
| |
"1 Wird der Pikettdienst im Betrieb geleistet, stellt die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit Arbeitszeit dar.
| |
2 Wird der Pikettdienst ausserhalb des Betriebes geleistet, so ist die zur Verfügung gestellte Zeit soweit an die Arbeitszeit anzurechnen, als der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird. Die Wegzeit zu und von der Arbeit ist in diesem Fall an die Arbeitszeit anzurechnen."
| |
4.2 Das Obergericht ging davon aus, gemäss Art. 7 Abs. 2 VOA, der Art. 15 Abs. 2 ArGV 1 entspreche, könnten die vom Beschwerdeführer zu Hause und damit ausserhalb des Betriebs der Beschwerdegegnerin geleisteten Pikettdienste nicht als Arbeitszeit gelten, soweit er nicht zu einem Einsatz aufgeboten worden sei.
| |
4.3 Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe Art. 15 ArGV 1 verletzt, indem es den von ihm erbrachten Pikettdienst nicht als Arbeitszeit qualifiziert habe. Es habe nicht beachtet, dass Art. 15 ArGV 1 dem Schutz der Ruhezeit diene und demnach auf die mit dem Pikettdienst verbundene Intensität der Einschränkung der Ruhezeit abzustellen sei. Entsprechend sei das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in seiner kurz nach dem Inkrafttreten der ArGV 1 veröffentlichten Wegleitung von Arbeitszeit bzw. -bereitschaft ausgegangen, wenn der Arbeitgeber einen raschen Einsatz garantieren und sich dazu in Betriebsgebäuden aufhalten oder in der Nähe des Einsatzortes wohnen müsse. Dies habe vorliegend zugetroffen, da der Beschwerdeführer wegen der verlangten Einsatzbereitschaft in 15 Minuten während des Pikettdienstes kaum etwas anderes habe tun können, als zu Hause auf den Einsatz zu warten. Dies rechtfertige die Gleichstellung mit der Leistung des Pikettdienstes im Spital. Dagegen wäre stossend, den Pikettarzt, der im Spital bleibt, weil er weit davon entfernt wohnt, anders zu behandeln, als denjenigen, der seinen Wohnort unmittelbar daneben wähle.
| |
4.4 Art. 15 ArGV 1 unterscheidet - ähnlich wie Art. 7 VOA - zwischen Pikettdienst innerhalb und ausserhalb des Betriebes. Dieser Unterscheidung liegt die Überlegung zugrunde, dass der Arbeitnehmer ausserhalb des Betriebes mehr Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten hat. Gemäss dem Regelungsgedanken von Art. 15 ArGV 1 ist daher nur von ausserhalb des Betriebes geleistetem Pikettdienst auszugehen, wenn der Arbeitnehmer diese Möglichkeiten auch nutzen kann (vgl. ADRIAN VON KAENEL, in: Stämpflis Handkommentar, Arbeitsgesetz, Thomas Geiser und andere [Hrsg.], 2005, N. 11 zu Art. 9 ArG). Dies ist zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer während des Pikettdienstes innert sehr kurzer Frist, z.B. innert 15 Minuten nach dem Anruf, intervenieren muss, den Betrieb daher unter den gegebenen Umständen kaum verlassen und somit auch nicht von seiner Freizeit profitieren kann (SECO, Wegleitung zur ArGV 1, Nov. 2006, Vorbem. zu Art. 15). Entsprechend bestimmt der am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Art. 8a Abs. 3 der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (SR 822.112), dass die gesamte zur Verfügung gestellte Zeit als Arbeitszeit gilt, wenn der (inaktive) Pikettdienst wegen der kurzen Interventionszeit im Betrieb geleistet werden muss. Anders verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer den Pikettdienst tatsächlich zu Hause erbringen kann, da dies ihm namentlich bezüglich des Sozialkontakts und der Freizeitbeschäftigungen verschiedene auf dem Betriebslokal ausgeschlossene Möglichkeiten bietet und deshalb keine Gleichstellung mit dem im Betrieb erbrachten Pikettdienst gerechtfertigt ist (vgl. Urteil 2P.134/2006 vom 27. November 2006 E. 3.2 und betreffend Art. 15 Abs. 2 ArG: Urteil 4A_528/2008 vom 27. Februar 2009, E. 4.3). Das SECO hat zunächst eine abweichende Meinung vertreten (vgl. SECO, Wegleitung zur ArGV 1, April 2001, Vorbem. zu Art. 15 ArGV 1), diese jedoch aufgrund der dagegen erhobenen Kritik aufgegeben (vgl. SECO, Wegleitung zur ArGV 1, November 2006, Vorbem. zu Art. 15 ArGV 1; CHRISTOPH SENTI, Arbeitsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Pikettdienst, ZBJV 2006, S. 645 ff., 662).
| |
4.5 Der Beschwerdeführer konnte den Pikettdienst in seiner ausserhalb des Betriebsgeländes der Beschwerdegegnerin gelegenen Privatwohnung erbringen, weshalb weder nach dem Wortlaut noch dem Regelungszweck von Art. 15 ArGV 1 die Gleichstellung mit Pikettdienst auf dem Spitalgelände angezeigt ist. Demnach hat das Obergericht weder Art. 15 ArGV 1 noch den diesem entsprechenden Art. 7 Abs. 2 VOA verletzt. Ob das vorliegende Arbeitsverhältnis dem Arbeitsgesetz untersteht und damit Art. 15 ArGV 1 anwendbar ist, kann somit offenbleiben.
| |
5.
| |
5.1 Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, die Gewährung der raschen Einsatzbereitschaft sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts entschädigungspflichtig, weshalb das Obergericht dafür einen Lohnanspruch hätte festlegen müssen.
| |
5.2 Die Entschädigung für den Bereitschaftsdienst kann einzel- oder gesamtarbeitsvertraglich in den Lohn für die Hauptleistung eingeschlossen werden (BGE 123 III 249 E. 3b S. 252; vgl. auch SENTI, a.a.O., S. 673). Im vorliegenden Fall verweisen beide anwendbaren Gesamtarbeitsverträge auf die VOA, welche in Art. 7 Abs. 2 bestimmt, dass die Zeit, während der sich der Mitarbeiter gemäss Dienstplan ausserhalb des Betriebsgeländes auf Abruf zum Einsatz bereithalten muss, nicht als Arbeitszeit gilt. Daraus ergibt sich, dass für diesen Dienst kein zusätzlicher Lohn geschuldet ist. Demnach hat das Obergericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es für diese Einsatzbereitschaft keinen Lohn zusprach.
| |
6.
| |
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
| |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| |
1.
| |
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
| |
2.
| |
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
| |
3.
| |
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.
| |
4.
| |
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
| |
Lausanne, 4. Mai 2010
| |
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
| |
des Schweizerischen Bundesgerichts
| |
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
| |
Klett Gelzer
| |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |