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Informationen zum Dokument  BGer 1B_237/2010  Materielle Begründung
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BGer 1B_237/2010 vom 05.08.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_237/2010
 
Urteil vom 5. August 2010
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Steinmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Jörg Wälti,
 
gegen
 
Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
 
Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Taubenstrasse 16, 3003 Bern.
 
Gegenstand
 
Haftbestätigung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 1. Juli 2010
 
des Bundesstrafgerichts, I. Beschwerdekammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Bundesanwaltschaft führt u.a. gegen B.________ ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betrugs, der Urkundenfälschung und der Geldwäscherei. B.________ wurde in Untersuchungshaft versetzt. In der Zwischenzeit ist sie wieder entlassen worden (vgl. Verfügung des Bundesgerichts 1B_173/2010 vom 28. Juni 2010).
 
Am 8. Juni 2010 dehnte die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und Geldwäscherei auf A.________, Ehemann von B.________, aus und nahm ihn in Untersuchungshaft. Sie beantragte am 9. Juni 2010 beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt die Bestätigung der Untersuchungshaft. Nach Anhörung des Beschuldigten bestätigte das Untersuchungsrichteramt die Haft wegen Flucht- und Kollusionsgefahr am 11. Juni 2010.
 
Das Bundesstrafgericht wies am 1. Juli 2010 die von A.________ erhobene Beschwerde ab. Es bejahte den dringenden Tatverdacht, die Fluchtgefahr und die Kollusionsgefahr und erachtete die Haft als verhältnismässig.
 
B.
 
Gegen diesen Entscheid des Bundesstrafgerichts hat A.________ beim Bundesgericht am 13. Juli 2010 Beschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die unverzügliche Entlassung aus der Haft, allenfalls unter Anordnung von Ersatzmassnahmen wie Schriftensperre und Meldepflicht. Im Wesentlichen bestreitet er den dringenden Tatverdacht und das Vorliegen von Flucht- und Kollusionsgefahr.
 
Die Bundesanwaltschaft beantragt mit ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt und das Bundesstrafgericht haben auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik vom 2. August 2010 an seinen Anträgen und Standpunkten fest.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten ist ein Entscheid des Bundesstrafgerichts in einer Strafsache betreffend eine Zwangsmassnahme. Er kann mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht weitergezogen werden. Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert und hat die Beschwerde rechtzeitig eingereicht (Art. 78 Abs. 1, Art. 79, Art. 80 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde kann grundsätzlich eingetreten werden.
 
2.
 
Gegen beschuldigte Personen kann nach Art. 44 BStP ein Haftbefehl erlassen werden, wenn sie eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt sind und wenn ausserdem dringender Fluchtverdacht oder Kollusionsgefahr gegeben ist. Gegen Bezahlung einer Sicherheit kann die wegen Fluchtgefahr inhaftierte Person gemäss Art. 53 BStP aus der Haft entlassen werden. Untersuchungshaft darf nur als "ultima ratio" angewendet werden. Wo sie durch mildere Ersatzmassnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen werden und an ihrer Stelle eine dieser Massnahmen verfügt werden (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen).
 
3.
 
Das Bundesstrafgericht legte im angefochtenen Entscheid vorerst dar, welche Sachverhalte Gegenstand der Ermittlungen sind. Daran anschliessend prüfte es die allfällige Beteiligung des Beschwerdeführers an den entsprechenden Handlungen. Es ging davon aus, dass der Beschwerdeführer Alleinaktionär der C.________ AG sei. Nach den Angaben des Beschwerdeführers soll dieser weder für die C.________ AG noch für deren Tochtergesellschaften als Verwaltungsrat, Geschäftsführer oder sonst in einer Funktion tätig gewesen sein. Das Gericht folgte dieser Darstellung aus verschiedenen Gründen nicht. Es verwies auf eine Datei "Zuständigkeiten Mitarbeiter.xls", gemäss welcher der Beschwerdeführer sämtliche Geschäftsabläufe innerhalb der C._______ AG genehmigen bzw. visieren könne und die ihm per E-Mail zugestellt worden sei. In einem weitern Dokument figuriere die E-Mail-Adresse des Beschwerdeführers nebst denjenigen von drei zentralen Personen der D.________ AG als eine der "wichtigen E-Mail-Adressen". Im gleichen Dokument werde der Beschwerdeführer als zuständige Person der C.________ AG bezeichnet. Ferner stiess die Bundesanwaltschaft auf einen elektronischen Verkehr zwischen dem Beschwerdeführer und verschiedenen Mitarbeitern der D.________ AG bzw. mit dem Mitbeschuldigten E.________ als Vertreter einer möglicherweise implizierten Firma. Im Entscheid des Untersuchungsrichteramtes wird darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in verschiedenen Mails, die an den ebenfalls beschuldigten E.________ weitergeleitet wurden, bestimmte Marken von Schmiedepressen genannt hatte. Dieser Umstand kann in Verbindung gebracht werden mit den allgemeinen Ermittlungen, wonach mit unwahren Angaben und gefälschten Unterlagen Vorfinanzierungen von eben solchen Schmiedepressen veranlasst worden sind. Zudem wurde auf Unterlagen aus einem gerichtlichen Verfahren in Deutschland verwiesen. Vor diesem Hintergrund sei nicht entscheidend, dass der Beschwerdeführer bei den mutmasslich strafrechtlich relevanten Geschäften gegen aussen formell nicht aufgetreten sei. Belastend wirke sich aus, dass aus der C.________ AG grosse Beträge an die F.________ AG, die Immobiliengesellschaft des Beschwerdeführers, bzw. an den Beschwerdeführer persönlich überwiesen worden seien, ohne dass hierfür ein wirtschaftlicher Hintergrund erkennbar sei. Schliesslich besteht ein Treuhandvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und G.________, wonach dieser sämtliche Aktien der C.________ AG fiduziarisch erhalte und die Funktion als Vertreter des Beschuldigten nach dessen Weisungen ausübe. Der dringende Tatverdacht bestehe unabhängig vom Umstand, dass die genaue Rolle des Beschwerdeführers innerhalb des Firmenkonglomerats noch genauer abzuklären sei.
 
Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, alle befragten Personen hätten im Laufe der Untersuchung vollkommen übereinstimmend bestätigt, dass er keine Funktionen in den Gesellschaften gehabt, keine Weisungen erteilt und keinen Einfluss auf die Geschäfte ausgeübt habe. Dem Umstand, dass er in gewissen Dateien vermerkt sei, könnten keine Tathandlungen und kein entsprechender Verdacht entnommen werden. Dasselbe gelte für die in Deutschland geführten gerichtlichen Verfahren sowie die im angefochtenen Entscheid erwähnten Geldflüsse.
 
Trotz dieser Bestreitungen vermag der Beschwerdeführer den von der Vorinstanz bejahten Tatverdacht nicht zu entkräften. Dass den genannten Geldflüssen kein wirtschaftlicher Hintergrund zugeordnet werden könne, wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt. Dies fällt umso schwerer ins Gewicht, als es sich teils um grosse Beträge handelt und die Überweisungen an den Beschwerdeführer bzw. an von ihm beherrschte Gesellschaften flossen. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht näher damit auseinander, dass er in den erwähnten Dateien nicht nur mit seinem Namen bzw. seiner Adresse aufgeführt ist, sondern unter "wichtige E-Mail-Adressen" bzw. als zuständige Person vermerkt ist. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer weder nach aussen aufgetreten noch als Organ im Handelsregister eingetragen ist, ist für sich nicht ausschlaggebend, können doch auch grössere Geschäfte durchaus aus dem Hintergrund gelenkt werden. Zudem lässt der genannte Treuhandvertrag, auf den der Beschwerdeführer nicht näher eingeht, durchaus zu, dass dieser aus dem Hintergrund die massgeblichen Entscheidungen beeinflusst. Ein Auftreten nach aussen war umso entbehrlicher, als B.________, die Gattin des Beschwerdeführers, und der treuhänderisch eingesetzte G.________ als Geschäftsführerin bzw. Verwaltungsrat der D.________ AG wirkten.
 
Bei dieser Sachlage durfte der dringende Tatverdacht im Sinne von Art. 44 BStP ohne Bundesrechtsverletzung bejaht werden. Es darf dabei berücksichtigt werden, dass die Untersuchung gegen den Beschwerdeführer entgegen seinen Aussagen erst im Anfangsstadium steckt. Erst neuere Erkenntnisse haben den Beschwerdeführer ins Zentrum der Ermittlungen gerückt. So ist die Strafuntersuchung erst im Juni 2010 auf den Beschwerdeführer ausgedehnt worden. Dieser ist am 8. Juni 2010 verhaftet worden. Das Bundesstrafgericht hält denn auch fest, dass die genauere Rolle des Beschwerdeführers innerhalb des Firmenkonglomerats noch genauer abzuklären sein werde und die Bundesanwaltschaft die ihm vorgeworfenen Sachverhalte genauer abklären müsse, um den im heutigen Zeitpunkt bestehenden Verdacht weiter zu erhärten.
 
Bei dieser Sachlage erweist sich die Beschwerde hinsichtlich des fehlenden dringenden Tatverdachts als unbegründet.
 
4.
 
Das Bundesstrafgericht bejahte unter Verweis auf Praxis und Lehre im vorliegenden Verfahren das Vorliegen von Fluchtgefahr. Es verwies konkret darauf, dass eine mehrjährige Freiheitsstrafe im Raum stehe, der Beschuldigte deutscher Staatsangehöriger sei und indirekt mittels von ihm gehaltener Gesellschaften über Immobilien verfüge und zudem gewillt sei, die als Wohnsitz dienende Wohnung in Kastanienbaum zu verkaufen. Das Untersuchungsrichteramt fügte dem in der zugrunde liegenden Verfügung bei, der Beschwerdeführer scheine Vermögenswerte wie einen Sportwagen und eine Yacht zu liquidieren und erwecke damit den Eindruck, sein Besitztum mobiler zu machen.
 
Demgegenüber bestreitet der Beschwerdeführer die Fluchtgefahr und macht geltend, aufgrund der konkreten Umstände erscheine eine Flucht gerade nicht als wahrscheinlich. Sein Lebensmittelpunkt befinde sich seit Jahrzehnten in der Schweiz. Ein Verkauf der Liegenschaft an der H.________strasse habe nicht stattgefunden. Die Abklärungen hätten im Zusammenhang mit der Deckung von Lebenskosten und der Abwehr des Konkurses über die D.________ AG gestanden. Schliesslich hätte er längst, d.h. seit der Inhaftierung seiner Ehefrau die Flucht ergreifen können.
 
Es fällt auf, dass der Beschwerdeführer zum angeblichen Verkauf des Sportwagens und der sehr wertvollen Yacht nicht Stellung nimmt. Er legt auch nicht dar, wozu der Erlös dieser Verkaufserträge gedient hat. Es ist nicht nur abstrakt möglich, sondern scheint als wahrscheinlich, dass er diese Mittel für den Lebensunterhalt in Deutschland verwenden könnte und diese möglicherweise ins Ausland verbracht hat. Dafür sprechen auch die Vermögensverhältnisse in Deutschland, über die er unbestrittenermassen indirekt verfügen kann, während es unbedeutend ist, dass er auch in der Schweiz über Liegenschaften verfügt. Die Verwandtschaftsverhältnisse in Deutschland sind nicht von ausschlaggebender Bedeutung, sodass es nicht darauf ankommt, dass er zu seinem Vater und Bruder kaum Kontakt pflegt. Unerheblich ist ferner, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers angeblich einzig wegen des speziellen Haftgrundes der Kollusionsgefahr inhaftiert war. Von Bedeutung ist vielmehr, dass sie unter Anordnung von Ersatzmassnahmen wie Pass- und Schriftensperre und wöchentlicher Meldepflicht aus der Haft entlassen wurde. Es trifft zu, dass der Beschwerdeführer längst die Flucht ins Ausland hätte antreten können. Dass er trotzdem darauf verzichtete, mag durchaus damit zusammenhängen, dass sich die Ermittlungen vorerst nicht auf ihn bezogen und er nicht im Voraus einen entsprechenden Verdacht wecken wollte. Anzufügen ist, dass der Beschwerdeführer im Falle eines Schuldspruchs mit einer bedeutenden Freiheitsstrafe rechnen müsste.
 
Daraus ergibt sich gesamthaft, dass das Bundesstrafgericht vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse Fluchtgefahr bejahen durfte und dadurch kein Bundesrecht verletzt hat.
 
5.
 
Schliesslich wird im angefochtenen Entscheid auch angenommen, es liege Kollusionsgefahr vor. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Situation seit Beginn der Ermittlungen verändert habe, dass Absprachen möglich und wahrscheinlich erschienen und der Beschwerdeführer tatsächlich Kollusionshandlungen begangen habe. Dieser Annahme entgegnet der Beschwerdeführer mit den Argumenten, es seien längst umfangreiche Akten sichergestellt worden und somit seinem Zugriff entzogen, er hätte längst Zeit zu entsprechenden Kollusionshandlungen gehabt, aus den umfangreichen Befragungen ergäben sich keine ihn belastenden Aussagen und alle weitern Beschuldigten befänden sich in Freiheit.
 
Wie bereits ausgeführt, sind die Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer erst Monate nach deren Aufnahme auf ihn ausgedehnt worden. Damit hat sich die Beweislage wesentlich verändert. Somit kann nicht gesagt werden, es seien längst alle erheblichen Akten behändigt worden. Vielmehr kann konkret befürchtet werden, der Beschwerdeführer könne Kollusionshandlungen vornehmen und insbesondere darauf Einfluss nehmen, bisherige Ergebnisse in einem andern Licht erscheinen zu lassen. Es ist daher unerheblich, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Festnahme mit der einen oder andern Person hat absprechen können. Das gilt insbesondere für die Auswertung des umfangreichen E-Mail-Verkehrs des Beschwerdeführers mit verschiedenen Mitangeschuldigten. Demgegenüber mag weniger ins Gewicht fallen, dass der Beschwerdeführer bei der Obwaldner Kantonalbank einen grösseren Betrag abhob. Immerhin kann angenommen werden, dass der Beschwerdeführer mit solchen Bezügen sowie mit dem Verkauf von wertvollen Gegenständen Vermögenswerte hat beiseite schaffen wollen.
 
Somit ist zurzeit auch die Kollusionsgefahr zu bejahen und die Beschwerde in diesem Punkte abzuweisen. Mit der Bejahung von Kollusionsgefahr entfällt die Möglichkeit von Ersatzmassnahmen in Form von Schriftensperre oder Meldepflicht.
 
6.
 
Gesamthaft gesehen können somit der dringende Tatverdacht sowie die speziellen Haftgründe der Flucht- und Kollusionsgefahr bejaht werden. Daher ist die Beschwerde abzuweisen. Im Sinne der ergänzenden Erwägungen der Vorinstanz ist darauf hinzuweisen, dass das Beschleunigungsgebot von Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK rasche Abklärungen verlange. Erforderlich ist zudem, dass das Vorliegen der speziellen Haftgründe ständig detailliert überprüft und eine allfällige Entlassung aus der Haft, möglicherweise begleitet von Ersatzmassnahmen, bedacht wird.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bundesanwaltschaft, dem Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt und dem Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. August 2010
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
Aemisegger Steinmann
 
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