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Informationen zum Dokument  BGer 6B_723/2010  Materielle Begründung
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BGer 6B_723/2010 vom 28.10.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_723/2010
 
Urteil vom 28. Oktober 2010
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Favre, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
 
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Sprenger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafzumessung (bandenmässiger Raub),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 10. Mai 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 10. Mai 2010 wegen bandenmässigen Raubs (Art. 140 Ziff. 1 und Ziff. 3 Abs. 2 StGB) und Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren.
 
B.
 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil vom 10. Mai 2010 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
 
C.
 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer wurde wegen bandenmässigen Raubs in acht Fällen sowie wegen Diebstahls verurteilt, begangen mit zwei Mittätern bzw. in zwei Fällen mit nur je einem. Die Täter gingen bei den Raubüberfällen grossmehrheitlich ziemlich gewalttätig vor. Die Opfer wurden regelmässig von hinten gepackt, am Oberkörper und/oder Hals festgehalten, geschlagen und getreten. Der Beschwerdeführer selber schreckte nicht davor zurück, Opfer an den Haaren zu reissen und zu ohrfeigen. Zudem wurde ein flüchtendes Opfer regelrecht verfolgt. Einem anderen Opfer wurden eine Hirnerschütterung und eine Prellung am Kopf zugefügt, wobei dieses von den Tätern anschliessend bewusstlos, halb auf der Strasse, halb auf dem Trottoir liegend, zurückgelassen wurde. Ein weiteres Opfer erlitt Kontusionen am Oberkörper und im Nacken- und Schulterbereich. Die Gewalttätigkeiten führten mehr zufällig nicht zu gravierenden Verletzungen. Der Deliktsbetrag aus den acht Raubüberfällen belief sich auf Fr. 12'152.-- (angefochtenes Urteil S. 41 f.).
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer wendet sich ausschliesslich gegen die Strafzumessung. Er rügt, die ausgefällte Freiheitsstrafe, welche ein halbes Jahr über den Antrag der Anklagebehörde hinausgehe, sei zu hoch. Die Vorinstanz habe das Handeln mit direktem Vorsatz in Verletzung des Doppelverwertungsverbots auch bei der Strafzumessung berücksichtigt. Raub und Diebstahl könnten per definitionem nur mit direktem Vorsatz begangen werden. Der Vorsatz sei ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands und dürfe daher für die konkrete Strafzumessung nicht mehr herangezogen werden (S. 6 f.).
 
Er sei ohne Vaterfigur aufgewachsen, sei im Alter von 13 Jahren von seinen nächsten Bezugspersonen getrennt worden und habe sich anschliessend in der Schweiz in einem neuen Sprach- und Kulturkreis zurechtfinden müssen, ohne dabei auf stabile Strukturen zählen zu können. Indem die Vorinstanz diesen biografischen Besonderheiten bei der Strafzumessung keinerlei Gewicht beigemessen habe, habe sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen und erneut Art. 47 StGB verletzt (S. 8).
 
Die Vorinstanz habe ihn schliesslich als "erschreckend uneinsichtig" bezeichnet und sein weitgehendes Geständnis, das er bereits zu Beginn der Untersuchung abgelegt habe, deshalb lediglich mit etwas mehr als einem Fünftel gewichtet. Die angeblich fehlende Reue habe sie zu einem grossen Teil daraus abgeleitet, dass er sich während des ganzen Verfahrens nicht entschuldigt habe. Diese Betrachtung sei lebensfremd. Da während des ganzen Strafverfahrens keine Konfrontationseinvernahme mit den Opfern durchgeführt worden sei, habe er nicht die Möglichkeit gehabt, sich persönlich bei diesen zu entschuldigen. Die Vorinstanz verkenne weiter, dass Opfer von Raubtaten in der Regel auch keinerlei Interessen daran hätten, vom Täter schriftlich kontaktiert zu werden. Entschuldigungsschreiben, die der Täter später an die Opfer richte, würden ihren Zweck oft gänzlich verfehlen, weil sie die Betroffenen wieder mit dem Erlebten konfrontieren und dadurch die unangenehmen Erinnerungen an die Tat wieder aufleben lassen würden. Die schriftliche Kontaktaufnahme werde von den Opfern deshalb als unangenehm empfunden. Dass er darauf verzichtet habe, sich schriftlich bei den Opfern zu entschuldigen, sei kein Ausdruck fehlender Reue, sondern ein bewusster Entscheid, die Integrität der Opfer kein zweites Mal zu verletzen (S. 8 ff.).
 
2.2 Der Beschwerdeführer beging sämtliche Taten nach dem 1. Januar 2007, weshalb für die Strafzumessung die Bestimmungen des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches zur Anwendung gelangen.
 
Auf Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 StGB steht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen. Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn er den Raub als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat (Art. 140 Ziff. 3 Abs. 2 StGB).
 
Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB). Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht gemäss Art. 49 Abs. 1 Satz 1 StGB zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Das Gericht ist verpflichtet, diesen Strafschärfungsgrund mindestens straferhöhend zu berücksichtigen (BGE 132 IV 102 E. 8.1 mit Hinweisen). Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 Satz 3 StGB).
 
2.3 Das Bundesgericht greift auf Beschwerde in Strafsachen hin nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. durch Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 135 IV 130 E. 5.3.1; 134 IV 17 E. 2.1; 129 IV 6 E. 6.1).
 
2.4
 
2.4.1 Die Vorinstanz setzt sich in ihren Erwägungen zur Strafzumessung mit den wesentlichen schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt sämtliche Zumessungsgründe zutreffend. Dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgeblichen Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich.
 
2.4.2 Das sog. Doppelverwertungsverbot besagt, dass Umstände, die zur Anwendung eines höheren bzw. tieferen Strafrahmens führen, innerhalb des geänderten Strafrahmens nicht noch einmal als Straferhöhungs- oder Strafminderungsgrund herangezogen werden dürfen (BGE 120 IV 67 E. 2b; 118 IV 342 E. 2b). Des Raubs im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. StGB macht sich schuldig, wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht. Der Tatbestand des Raubs setzt damit eine Nötigungshandlung voraus. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann diese, namentlich was die Tatbestandsvariante des Bewirkens einer Widerstandsunfähigkeit betrifft, auch bloss eventualvorsätzlich erfolgen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB). Eine Verletzung des Doppelverwertungsverbots liegt insoweit nicht vor. Die Vorinstanz liess das Handeln mit direktem Vorsatz zusammen mit den übrigen subjektiven Faktoren in die Strafzumessung einfliessen. Dies ist nicht zu beanstanden.
 
2.4.3 Ebenso trägt die Vorinstanz den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers Rechnung. Zwar gibt sie die Strafminderung nicht in absoluten Zahlen wieder. Dies wird von der Rechtsprechung auch nicht verlangt (vgl. BGE 118 IV 119 E. 2b). Dennoch nimmt sie die Strafzumessung, namentlich auch die Berücksichtigung der Vorstrafen, erkennbar vor dem Hintergrund der sicherlich nicht ganz einfachen familiären Verhältnisse vor. Der Beschwerdeführer wurde in Brasilien geboren, wo er bis kurz vor seinem 14. Geburtstag bei seinen Grosseltern lebte. Nach deren Tod holte ihn seine Mutter, die schon lange Zeit in der Schweiz lebte und zu der er ein gutes Verhältnis hatte, hierher. Er lebte mit ihr und ihrem Partner in A.________, wo er auch die Oberstufenschule besuchte, und später mit letzterem (Stiefvater) alleine, nachdem sich seine Mutter von ihrem Partner getrennt hatte (angefochtenes Urteil S. 44 f.). Dass diesen biografischen Gegebenheiten ungenügend Gewicht beigemessen worden wäre, ist nicht ersichtlich, zumal das Aufwachsen bei den Grosseltern und der spätere Umzug in die Schweiz noch nicht auf eine aussergewöhnlich schwierige Kindheit und Jugend schliessen lässt, welche zwingend in erheblichem Masse strafmindernd zu berücksichtigen gewesen wäre.
 
2.4.4 Dem Nachtatverhalten trägt die Vorinstanz im Umfang von etwas mehr als einem Fünftel (rund 14 Monaten) strafmindernd Rechnung. Sie führt dazu aus, der Beschwerdeführer habe nach seiner Verhaftung zunächst pauschal jegliche Tatbeteiligung bestritten. Ab der Einvernahme vom 24. Juli 2009 habe er sich aber zögerlich entschlossen, einzelne Taten oder Teile davon zuzugeben, wenn auch teilweise in zwar neuen, aber gleichermassen unzutreffenden Varianten. Zumindest anfänglich hätten seine Aussagen klar den Eindruck erweckt, dass er nur soviel anzuerkennen bereit sei, wie ihm weiterhin zu bestreiten sinnlos erschien. Immerhin habe er an der Einvernahme vom 30. Juli 2009 von sich aus drei weitere Taten zugegeben. Gleichzeitig habe er aber beteuert, keine weiteren Straftaten mehr begangen zu haben. Gleichwohl habe er am 1. September 2009 einen weiteren Raub einräumen müssen. Ab diesem Zeitpunkt sei er - mit den zum Zeitpunkt der Urteilsfällung noch bestehenden Einschränkungen - vollumfänglich geständig gewesen (angefochtenes Urteil S. 46).
 
Die Vorinstanz beurteilt den Beschwerdeführer als erschreckend uneinsichtig. Dies führt sie einerseits darauf zurück, dass er bis zur Hauptverhandlung keinerlei selbständige Schritte in Richtung Entschuldigung oder Wiedergutmachung unternahm und dazu lediglich angab, er habe nicht gewusst, wie er sich entschuldigen solle, er habe sich mit seinem Verteidiger besprechen wollen. Er wolle sich entschuldigen und die Schulden zurückbezahlen, wenn er aus der Haft entlassen werde. Andererseits war aber auch der Umstand bestimmend, dass er sein Verhalten deutlich verharmloste, noch an der Hauptverhandlung die Meinung vertrat, er sei friedlich und habe bei den Delikten keine Gewalt angewendet, sowie zu Protokoll gab, ihm sei lediglich die Hand ausgerutscht, da der Geschädigte geschrien habe. Gegen die Annahme von Reue spricht nach Auffassung der Vorinstanz zudem, dass sich der Beschwerdeführer offensichtlich bisher nicht überlegt habe, was seine Taten bei den Geschädigten auslösten, und er seine Rolle konsequent herunterspielte, indem er angab, er habe bloss mitgemacht und eigentlich nichts damit zu tun gehabt (angefochtenes Urteil S. 46 f.).
 
Die Vorinstanz wertet das Teilgeständnis zutreffend strafmindernd, wenn auch nicht in dem Masse, wie ein spontanes, vollumfängliches Geständnis (S. 46). Für eine weitergehende Berücksichtigung besteht unter den gegebenen Umständen kein Anlass. Ebenfalls zu Recht hielt sie dem Beschwerdeführer keine besondere Reue zugute. Ausschlaggebend für die vorinstanzliche Beurteilung ist nicht so sehr der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer nicht schriftlich bei seinen Opfern entschuldigte, sondern in erster Linie seine Einstellung zur Tat, welche weder Einsicht noch Reue erkennen lässt. Die vorinstanzliche Strafzumessung verletzt kein Bundesrecht.
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. Oktober 2010
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Favre Unseld
 
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