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Informationen zum Dokument  BGer 8C_279/2011  Materielle Begründung
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BGer 8C_279/2011 vom 06.07.2011
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_279/2011
 
Urteil vom 6. Juli 2011
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
E.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Ineichen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang; Arbeitsfähigkeit),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 7. März 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1936 geborene E.________ war zu 100 % als Geschäftsführerin in ihrer eigenen Firma, der X.________ AG, angestellt und bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend Allianz) obligatorisch unfallversichert. Daneben war sie freischaffende Künstlerin. Am 27. November 2004 wurde sie als Beifahrerin in einem Auto bei einem Unfall verletzt. Die Allianz erbrachte Heilbehandlung und Taggeld. Sie holte neben diversen Arztberichten zwei Gutachten des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB), Medizinische Abklärungsstelle der Invalidenversicherung (MEDAS) vom 27. März 2007 und 27. Februar 2009 ein. Mit Verfügung vom 13. Mai 2009 stellte sie die Leistungen per 31. März 2009 ein und sprach der Versicherten eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 7,5 % zu. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 4. September 2009 ab.
 
B.
 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 7. März 2011 ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides habe ihr die Allianz die gesetzlichen Leistungen auszurichten, insbesondere eine UVG-Rente und eine angemessene Integritätsentschädigung.
 
Die Allianz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) sowie die erforderliche Adäquanz des Kausalzusammenhangs bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) und Folgen eines Unfalls mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) oder einer äquivalenten Verletzung ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 134 V 109) richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend den Wegfall unfallbedingter Ursachen eines Gesundheitsschadens bei Erreichen des Status quo sine vel ante (SVR 2011 UV Nr. 4 S. 12 E. 3.2 [8C_901/2009]) und den Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125). Richtig ist auch, dass die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers bei organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen praktisch keine Rolle spielt, da sich hier adäquate und natürliche Kausalität weitgehend decken (BGE 134 V 109 E. 2 S. 112). Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Im interdisziplinären (internistischen, orthopädischen, neurologischen und psychiatrischen) ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 wurden folgende Diagnosen gestellt: Status nach Verkehrsunfall am 27. November 2004 mit Distorsion und Stauchungstrauma der HWS; chronisches Cervikalsyndrom (Status nach osteoporotisch bedingten Wirbelkörperfrakturen C4, C5, C6 und Th 6; degenerative HWS-Veränderungen); chronische Kopfschmerzen, multifaktorell bedingt (posttraumatisch bei Status nach Contusio capitis am 27. November 2004; cervicogene Komponente; phänomenologisch chronisches Spannungstyp-Kopfweh; analgetika-induzierte Komponente möglich); Carpaltunnelsyndrom (CTS) beidseits, rechts mehr als links; arterielle Hypertonie; Status nach Exzision eines Plattenepithelkarzinoms am linken Unterschenkel im April 2006; Status nach brusterhaltender Therapie eines Mammakarzinoms 1991, Status nach Tamoxifen-Therapie (komplette Remission); Status nach Cholezystektomie; posttraumatische Belastungsstörung; Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion.
 
Vorbehältlich des in E. 6.2 hienach Gesagten erfüllt dieses Gutachten die praxisgemässen Anforderungen an eine beweiskräftige medizinische Beurteilungsgrundlage (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232).
 
4.
 
Die Vorinstanz hat richtig erwogen, dass der Fallabschluss per 31. März 2009 unter Einstellung der vorübergehenden Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld) mit gleichzeitiger Prüfung des Anspruchs auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung rechtmässig war. Denn gestützt auf das ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 ist davon auszugehen, dass von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung überwiegend wahrscheinlich keine namhafte, ins Gewicht fallende Besserung des Gesundheitszustandes bzw. Steigerung der Arbeitsfähigkeit mehr zu erwarten war (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4 S. 113 ff.). Gegenteiliges bringt die Versicherte nicht substanziiert vor.
 
5.
 
Als Erstes ist zu prüfen, ob organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolgen bestehen.
 
5.1
 
5.1.1 Gemäss den ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 und 27. Februar 2009 steht fest, dass die Versicherte als Folge des Unfalls vom 27. November 2004 osteoporotische Wirbelkörperfrakturen in Höhe von C4, C5, C6 und Th 6 erlitt; diese Frakturen waren stabil. Im zweitgenannten ZMB-Gutachten wurde weiter unter anderem ausgeführt, die subjektiven Beschwerden der Versicherten, insbesondere die Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in die Schulterregion und in den Kopf könnten mit den degenerativen Wirbelsäulenveränderungen an der HWS erklärt werden. Die degenerativen HWS-Veränderungen seien altersbedingt. Die Kopfschmerzen könnten naturgemäss nicht objektiviert werden. Die Nackenbeschwerden könnten mit den radiologisch objektivierbaren Veränderungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erklärt werden. Auch die Carpaltunnelsyndrome, das heisst die Sensibilitätsstörungen an den Händen, hätten neurographisch objektiviert werden können; diese seien nicht als Unfallfolge anzusehen. Die unfallfremden Faktoren, also die degenerativen HWS-Veränderungen dürften dazu führen, dass der Status quo sine nicht mehr erreicht werden könne. Diese vorbestehenden Wirbelsäulenveränderungen seien zwar ein Grund, dass Nackenbeschwerden bestünden; gesamthaft gesehen, unter Berücksichtigung der somatischen und vor allem der psychiatrischen Faktoren sei aber davon auszugehen, dass die Versicherte aus somatischer Sicht in ihrer Bürotätigkeit arbeitsfähig geblieben wäre, wenn nicht die psychiatrische Einschränkung wäre. Die unfallfremden Faktoren allein, also die degenerativen HWS-Veränderungen, hätten also gegenüber den psychiatrischen Faktoren einen geringeren Einfluss auf die aktuelle Arbeitsfähigkeit. Ausserdem würden die prinzipiell somatisch erklärbaren Beschwerden durch psychische Faktoren eine funktionelle Verstärkung erfahren. Der Unfall habe zu einer richtunggebenden Verschlimmerung der unfallfremden Faktoren geführt. Es sei nicht damit zu rechnen, dass der Status ante bzw. sine wieder erreicht werde. Unter Berücksichtigung der somatischen und psychiatrischen Aspekte betrage die unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit 90 % in sämtlichen Bürotätigkeiten; es bestehe keine Möglichkeit, durch eine Verlagerung der beruflichen Tätigkeit auf andere Tätigkeiten eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit zu erzielen.
 
5.1.2 Die Versicherte macht im Wesentlichen geltend, die heute weiterhin bestehenden Beschwerden seien direkte Unfallfolgen und beruhten letztlich auf den somatisch feststellbaren Kopf- und Nackenschmerzen.
 
5.2 Gestützt auf das ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 hat die Vorinstanz richtig erkannt, dass das Carpaltunnelsyndrom der Versicherten nicht natürlich unfallkausal ist; dies ist unbestritten. Nicht zu beanstanden ist im Lichte dieses ZMB-Gutachtens auch die vorinstanzliche Feststellung, die Kopfschmerzen der Versicherten seien nicht objektivierbar.
 
5.3 Weiter ist aufgrund der ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 und 27. Februar 2009 erstellt, dass der Unfall vom 27. November 2004 eine Teilursache der organisch objektiv ausgewiesenen HWS-Beschwerden bildet, da er zu einer richtunggebenden Verschlimmerung des degenerativen HWS-Vorzustandes geführt hat; diesbezüglich war bei Fallabschluss am 31. März 2009 bzw. im Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 4. September 2009 (BGE 129 V 167 E. 1 S. 169) der Status quo sine vel ante nicht erreicht (vgl. SVR 2009 UV Nr. 17 S. 63 E. 3.2 [8C_239/2008]; Urteil U 28/07 vom 3. Januar 2008 E. 3.3).
 
5.4 Im Übrigen legt die Versicherte nicht substanziiert dar und ergibt sich auch nicht aus den Akten, inwiefern organisch objektiv ausgewiesene Folgen des Unfalls vom 27. November 2004 vorliegen. Nicht gefolgt werden kann ihrem Vorbringen, ihre psychische Störung bzw. posttraumatische Belastungsstörung sei im Lichte der neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse eine komplexe neurohormonelle und neurostrukturelle Störung im Mikrobereich, die unter anderem in den Hirnkernen und neuronalen Bahnen des frontalen und prefrontalen Kortex lokalisiert werden könne. Soweit sie sich diesbezüglich auf den Bericht des behandelnden Psychiaters Dr. med. C.________ vom 21. April 2009 beruft, ist dies unbehelflich, zumal er diese Auffassung nicht mit medizinischer Fachliteratur belegt und zudem keine entsprechenden objektiv nachweisbaren Schädigungen der Versicherten aufgezeigt hat.
 
Bezüglich der Frage nach dem Bestehen organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen ist von zusätzlichen medizinischen Abklärungen abzusehen, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind; dies verstösst weder gegen den Untersuchungsgrundsatz noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; Urteil 8C_944/2010 vom 21. März 2011 E. 7.2.6).
 
6.
 
6.1 Hinsichtlich der organisch objektiv ausgewiesenen, teilweise unfallbedingten HWS-Beschwerden (E. 5.3 hievor) hat die Vorinstanz erwogen, im Zeitpunkt der Leistungseinstellung per 31. März 2009 sei im Vergleich mit den psychischen Faktoren aus somatischer Sicht eine bedeutsame Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erstellt gewesen.
 
6.2 Gemäss dem ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 war die Versicherte aus somatischer Sicht in ihrer angestammten Tätigkeit zu 30 % arbeitsunfähig; die damalige 100%ige Arbeitsunfähigkeit war psychisch bedingt. Im ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 wurde ausgeführt, nach ca. zweijähriger Verlaufsbeobachtung könnten sie feststellen, dass von somatischer Seite eine leichte Besserung insbesondere der HWS-Beweglichkeit bestehe; psychischerseits hätten sie auch eine leichte Besserung angegeben. Die Versicherte wäre aus somatischer Sicht in ihrer Bürotätigkeit arbeitsfähig geblieben, wenn nicht die psychiatrische Einschränkung wäre. Die degenerativen HWS-Veränderungen hätten also gegenüber den psychiatrischen Faktoren einen geringeren Einfluss auf die aktuelle Arbeitsfähigkeit. Unter Berücksichtigung der somatischen und psychiatrischen Aspekte betrage die unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit 90 % (E. 5.1.1 hievor).
 
Aus diesen Angaben geht nicht hervor, in welchem Umfang sich die im ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 festgestellte somatisch bedingte Arbeitsunfähigkeit von 30 % bis zum ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 verbessert hat. Wenn im zweitgenannten Gutachten ausgeführt wurde, die HWS-Veränderungen hätten gegenüber den psychiatrischen Faktoren einen geringeren Einfluss auf die aktuelle 90%ige Arbeitsfähigkeit, ist dies nicht rechtsgenüglich. Denn es ist eine prozentual hinreichende Ermittlung der Arbeits(un)fähigkeit aus somatisch objektiv nachweisbarer Optik erforderlich; aus dem ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 kann jedenfalls nicht ohne Weiteres auf eine diesbezügliche 100%ige Arbeitsfähigkeit geschlossen werden. Die Sache ist demnach an die Allianz zurückzuweisen, damit sie - unter Vorbehalt des nachfolgend in E. 6.3 Ausgeführten - zu dieser Frage einen ergänzenden Bericht des ZMB einhole und danach über den Rentenanspruch neu verfüge.
 
6.3 Im Hinblick darauf, ob überhaupt eine unfallbedingte Erwerbseinbusse vorliegt, wurde bis anhin nicht geprüft, inwiefern die Beschwerdeführerin, die im Zeitpunkt des Einspracheentscheids bereits 73 Jahre alt war, auch als Gesunde noch einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre. Die Allianz wird daher auch diese Prüfung noch vorzunehmen haben, womit sich allenfalls eine Ergänzung des Gutachtens des ZMB (E. 6.2) erübrigt.
 
7.
 
Umstritten ist weiter die Höhe der Integritätsentschädigung. Im ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 wurde ausgeführt, gemäss der SUVA-Tabelle 7 schätzten sie den unfallbedingten Integritätsschaden auf 5 bis 10 % (Zeile 2, Osteochondrose, ++); aus psychiatrischer Sicht betrage der Integritätsschaden 50 bis 80 % gemäss mittelschweren bis schweren Einschränkungen bei psychischen Unfallfolgen (Tabelle 19). Gestützt hierauf sprach die Allianz der Versicherten für die Folgen der unfallbedingten Wirbelkörperfrakturen eine Integritätsentschädigung von 7,5 % zu, was die Vorinstanz bestätigte.
 
Die Versicherte wendet ein, die Integritätsentschädigung sei gemäss dem ZMB-Gutachten auf 55 bis 90 % mit Anwendung eines Mittelwertes, also auf mindestens 75 %, zu erhöhen. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Denn die von ihr geforderte Erhöhung resultiert aus dem psychischen Gesundheitsschaden, der mangels adäquater Unfallkausalität nicht zu berücksichtigen ist (E. 8-10 hienach). Substanziierte Einwände gegen die Bemessung der Integritätsentschädigung bringt die Versicherte nicht vor.
 
8.
 
Weiter ist über die organisch nicht objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen zu befinden.
 
8.1 Die Versicherte macht geltend, sie leide an einem typischen Beschwerdebild nach einer HWS-Distorsion bzw. nach einem HWS-Trauma mit Kopf- und Nackenschmerzen, Schmerzausstrahlung von der Nackenregion in beide Arme mit Auftreten von Kribbelparästhesien in den Fingern, zum Teil stark eingeschränkter HWS-Beweglichkeit, leichter Tonisierung im Bereich der Nackenmuskulatur, Defiziten in neuropsychologischer Hinsicht (selektive Aufmerksamkeit, beschränkte Merkfähigkeit für Wörter und eingeschränkte Bewegungsabläufe), Schlafstörungen, Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen sowie depressiven Entwicklungen. Deshalb sei praxisgemäss nicht weiter zwischen physischen und psychischen Unfallfolgen zu unterscheiden.
 
8.2 Die Vorinstanz hat gestützt auf die ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 und 27. Februar 2009 und die übrigen medizinischen Akten mit einlässlicher Begründung - auf die verwiesen wird - richtig erkannt, dass bei der Versicherten ein natürlich-unfallkausales selbstständiges psychisches Geschehen vorliegt, welches die gesamte Entwicklung seit dem Unfall vom 27. November 2004 bis zum Fallabschluss per 31. März 2009 wesentlich prägte und im Vordergrund stand. Hieran hat sich bis zum Einspracheentscheid vom 4. September 2009 nichts geändert. Unter den gegebenen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die psychischen Befunde bei der Versicherten lediglich Teil des (grundsätzlich gleichwertigen) Gemenges physischer und psychischer Symptome bilden, wie es auch die auf schleudertraumaähnliche Unfallmechanismen zurückzuführenden Verletzungsbilder kennzeichnet (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 126). Demnach hat die Vorinstanz die adäquate Unfallkausalität zu Recht nach der Praxis zu den psychischen Unfallfolgen - folglich unter Ausschluss psychischer Aspekte - geprüft (BGE 115 V 133 ff.; SVR 2009 UV Nr. 49 S. 173 E. 4.2 [8C_957/2008]; Urteil 8C_249/2009 vom 3. August 2009 E. 6.3).
 
9.
 
Die Unfallschwere ist objektiv aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften zu beurteilen. Nicht relevant sind die Kriterien, die bei der Prüfung der Adäquanz bei mittelschweren Unfällen Beachtung finden (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140; SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26 E. 5.3.1 [U 2/07]).
 
Gemäss dem Polizeirapport vom 23. Dezember 2004 spielte sich der Unfall vom 27. November 2004 wie folgt ab: Die Beschwerdeführerin fuhr als Beifahrerin mit drei weiteren Personen in einem Auto auf einer Hauptstrasse, wobei ihre Geschwindigkeit ca. 50-60 km/h betrug. Der Fahrer des nachfolgenden Autos wollte überholen und prallte dabei mit der rechten Frontseite gegen die hintere linke Seite des Autos, in dem die Versicherte sass. Letzteres driftete nach links über die Gegenfahrbahn, den Radstreifen und das Trottoir und prallte frontal durch das Eisengeländer. Danach stürzte es mit der Front voran über die Bruchsteinmauer und schlug mit der Front im Wiesland, ca. vier bis fünf Meter tiefer als die Fahrbahn, auf. Danach drehte es sich vorwärts und kam auf dem Dach liegend zum Stillstand. Die Versicherte und die drei weiteren Insassen verliessen das Auto mit Hilfe des sofort anwesenden Unfallverursachers.
 
Entgegen dem Vorbringen der Versicherten kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Auto, indem sie mitfuhr, vor dem Unfall mit 60-80 km/h unterwegs war. Unter den gegebenen Umständen ist der Unfall - der Vorinstanz folgend - als mittelschwer im mittleren Bereich zu qualifizieren. Im Vergleich mit ähnlichen Ereignissen fallen vorliegend die relativ tiefe Fahrgeschwindigkeit von 50-60 km/h und der Umstand, dass niemand aus dem Auto geschleudert wurde, ins Gewicht. Die Tatsache, dass die Versicherte und ihre Mitfahrer das Auto nur mit Dritthilfe verlassen konnten, stellt keinen Beleg für ein besonders schweres Ereignis dar (vgl. die beispielhafte Übersicht betreffend Qualifizierung der Unfallschwere im Urteil 8C_595/2009 vom 17. November 2009 E. 7.1 f.).
 
Demnach kann die adäquate Unfallkausalität des psychischen Beschwerdebildes nur bejaht werden, wenn drei der sieben Adäquanzkriterien erfüllt sind oder eines besonders ausgeprägt vorliegt (BGE 115 V 133 E. 6c S. 140; SVR 2010 UV Nr. 25 S. 100 E. 4.5 [8C_897/2009]).
 
10.
 
10.1 Die Vorinstanz hat einzig die zwei Adäquanzkriterien der körperlichen Dauerschmerzen und der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit als erfüllt angesehen, aber nicht ausgeprägt. Unbestritten ist, dass erstgenanntes Kriterium nicht besonders ausgeprägt vorliegt und die beiden Kriterien der ärztlichen Fehlbehandlung sowie des schwierigen Heilungsverlaufs und erheblicher Komplikationen nicht erfüllt sind.
 
10.2 Ob das Kriterium der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls erfüllt ist, beurteilt sich objektiv und nicht aufgrund des subjektiven Empfindens bzw. Angstgefühls der versicherten Person (RKUV 1999 Nr. U 335 S. 207 E. 3b/cc). Jedem mindestens mittelschweren Unfall ist eine gewisse Eindrücklichkeit eigen, die somit noch nicht für eine Bejahung des Kriteriums ausreichen kann. Die erlittene Verletzung und der nachfolgende Heilungsprozess sind nicht relevant (Urteil 8C_996/2010 vom 14. März 2011 E. 8.1).
 
Dem Unfall der Versicherten vom 27. November 2004 sind eine gewisse Eindrücklichkeit und dramatische Begleitumstände nicht abzusprechen. Es liegen aber nicht Umstände vor, welche die Bejahung einer besonderen Dramatik oder besonderen Eindrücklichkeit der Begleitumstände rechtfertigen. Zu beachten ist, dass die Versicherte und ihre Mitfahrer vom herbeigeeilten Unfallverursacher und ohne spezielle Hilfskräfte aus dem Auto geborgen werden konnten. Das Kriterium ist mithin nicht erfüllt (vgl. auch hierzu die im Urteil 8C_595/2009 E. 8.1 f. angeführten Beispiele von Unfällen).
 
10.3 Die Beschwerdeführerin erlitt beim Unfall keine somatischen Verletzungen von besonderer Schwere und Art bzw. insbesondere keine Verletzungen, die erfahrungsgemäss geeignet sind, psychische Fehlentwicklungen auszulösen. Die Vorinstanz hat insbesondere richtig erkannt, dass die Wirbelkörperfrakturen stabil und recht bald wieder konsolidiert waren. Unbehelflich ist die pauschale Berufung der Versicherten auf die Kopf- und Nackenschmerzen, die chronisch geworden seien und sie erheblich beeinträchtigten. Gleiches gilt für ihren Einwand, aufgrund der neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse, dass man physische und psychische Unfallfolgen nicht klar auseinanderhalten könne bzw. dass psychische Störungen letztendlich einer somatischen Störung entsprächen, wenn auch im Mikrobereich, sei das Kriterium erfüllt.
 
10.4 Hinsichtlich des Kriteriums der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung ist Folgendes festzuhalten: Nach dem Unfall vom 27. November 2004 wurde die Versicherte ambulant im Spital behandelt. Vom 12. März bis 1. April 2005 wurde sie stationär in der Klinik Y.________ konservativ behandelt. Gemäss dem Bericht der Allianz vom 13. Mai 2005 nahm sie Medikamente ein und absolvierte je zweimal pro Woche Akupunktur und Physiotherapie. Am 13. März 2006 legte die Versicherte dar, sie gehe noch regelmässig zum Arzt, der ihr Spritzen in den Nacken verpasse, worauf es ihr deutlich besser gehe; bei Schmerzen nehme sie zudem Medikamente ein. Im ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 wurde ausgeführt, sie habe im Verlauf zahlreiche Physiotherapien, Craniosakraltherapie und manuelle Therapien durchgeführt. Am 4. Juni 2008 gab die Versicherte an, sie nehme Medikamente; daneben gehe sie zur Physiotherapie und zu ärztlichen Kontrollen. Laut dem ZMB-Gutachten vom 27. Februar 2009 ging sie regelmässig einmal wöchentlich zur Physiotherapie und ein- bis zweimal monatlich zum Hausarzt, der Medikamente verordne und Infiltrationen durchführe.
 
Das Kriterium ist nicht allein nach einem zeitlichen Massstab zu beurteilen. Von Bedeutung sind vielmehr auch Art und Intensität der Behandlung sowie der Umstand, inwieweit noch eine Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist. Es muss, gesamthaft betrachtet, eine kontinuierliche, mit einer gewissen Planmässigkeit auf die Verbesserung des Gesundheitszustandes gerichtete ärztliche Behandlung von ungewöhnlich langer Dauer gegeben sein. Manualtherapeutische Massnahmen zur Erhaltung des Zustandes sowie medikamentöse Schmerzbekämpfung allein genügen diesen Anforderungen nicht. Auch kommt einzig der Abklärung des Beschwerdebildes dienenden Vorkehren nicht die Qualität einer Heilmethodik in diesem Sinne zu (Urteil 8C_964/2009 vom 19. Februar 2010 E. 5.2.1). In diesem Lichte ist das Kriterium vorliegend nicht erfüllt. Unbehelflich ist das Vorbringen der Versicherten, sie nehme ständig Schmerzmittel, die weitere Komplikationen und Behandlungen notwendig machten (Magenprobleme etc.) und ab und zu durch neue Mittel ersetzt werden müssten, was weiterhin Arztbesuche erfordere.
 
10.5 Gemäss den ZMB-Gutachten vom 27. März 2007 und 27. Februar 2009 spielte die somatisch bedingte Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zur psychisch verursachten Arbeitsunfähigkeit nur eine untergeordnete Bedeutung (E. 5.1.1 und 6.2 hievor). In diesem Lichte ist das Kriterium des Grades und der Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit jedenfalls nicht besonders ausgeprägt erfüllt.
 
10.6 Nach dem Gesagten haben Allianz und Vorinstanz die adäquate Unfallkausalität des psychischen Gesundheitsschadens ab 1. April 2009 zu Recht verneint. Diesbezüglich kann in antizipierter Beweiswürdigung (E. 5.5 hievor) auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet werden.
 
11.
 
Dem Prozessausgang entsprechend werden die Kosten den Parteien je zur Hälfte auferlegt (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 7. März 2011 und der Einspracheentscheid der Allianz vom 4. September 2009 aufgehoben werden und die Sache an die Allianz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen 6.2 und 6.3, über den Leistungsanspruch neu verfüge.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt.
 
3.
 
Die Allianz hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.
 
4.
 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückgewiesen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 6. Juli 2011
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Ursprung Jancar
 
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