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Informationen zum Dokument  BGer 2C_226/2011  Materielle Begründung
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BGer 2C_226/2011 vom 14.11.2011
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_226/2011
 
Urteil vom 14. November 2011
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Dubs.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Jacober,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons St. Gallen,
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Januar 2011.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Der türkische Staatsangehörige X.________ (geb. 1960) heiratete im Jahr 1987 in der Türkei eine Landsfrau, mit der er einen gemeinsamen 1988 geborenen Sohn hat. Am 29. Januar 1990 reiste X.________ illegal in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch, das am 14. Dezember 1993 rechtskräftig abgewiesen wurde.
 
Am 4. Februar 1994 liess er sich in der Türkei von seiner türkischen Ehefrau scheiden. Im Hinblick auf die Eheschliessung mit einer Schweizer Bürgerin ersuchte er erfolglos um Erstreckung der bis 15. Februar 1994 angesetzten Ausreisefrist. In der Folge kehrte er in die Türkei zurück und heiratete dort am 6. Oktober 1994 seine schweizerische Ehefrau (geb. 1963). Am 18. Oktober 1995 reiste er erneut in die Schweiz ein und erhielt gestützt auf die Heirat eine Aufenthaltsbewilligung.
 
1.2 Am 18. Juli 2000 stellte X.________ ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung. Am 25. September 2000 ersuchte er um Erteilung der Niederlassungsbewilligung. Am 24. Oktober 2000 wurde ihm die Niederlassungsbewilligung erteilt. Am 27. September 2001 wurde er erleichtert eingebürgert. Im Januar 2002 unterzeichneten die Ehegatten Mietverträge betreffend je eine eigene Wohnung und lebten ab Februar 2002 getrennt. Die schweizerische Ehefrau beantragte am 15. Mai 2002 Eheschutzmassnahmen und auf gemeinsames Scheidungsbegehren (25. Mai 2004) hin wurde die Ehe am 28. Oktober 2004 geschieden. Am 7. Januar 2005 heiratete X.________ erneut seine ehemalige türkische Ehefrau, worauf diese am 17. Januar 2005 bei der Schweizer Vertretung in Ankara für sich und den gemeinsamen Sohn ein Gesuch um Einreise im Rahmen des Familiennachzugs stellte.
 
Mit Verfügung vom 24. August 2006 erklärte das Bundesamt für Migration die erleichterte Einbürgerung für nichtig mit der Begründung, es handle sich um einen klassischen Missbrauchsfall. Die Nichtigerklärung wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 25. April 2008 sowie vom Bundesgericht mit Urteil vom 15. September 2008 (1C_254/ 2008) bestätigt, da der Wille zu einer auf Zukunft gerichteten ehelichen Gemeinschaft bereits im Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens nicht intakt gewesen sei.
 
1.3 Am 28. Oktober 2008 ersuchte X.________ um Wiedererteilung der Niederlassungsbewilligung. Mit Verfügung vom 25. Mai 2009 widerrief das Ausländeramt die Niederlassungsbewilligung von X.________ und wies ihn an, die Schweiz bis spätestens 31. Juli 2009 zu verlassen. Die dagegen ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 11. März 2011 beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Januar 2011, den Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements vom 5. Juli 2010 sowie die Verfügung des Ausländeramtes (heute Migrationsamt) vom 25. Mai 2009 aufzuheben und vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung abzusehen. Zudem stellt er das Begehren, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten wird. Die Stellungnahme des Bundesamtes für Migration erfolgte verspätet.
 
2.
 
2.1 Gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung, die vorliegend nach der Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung wieder aufgelebt ist (vgl. BGE 135 II 1 E. 3 S. 5 ff.), steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen. Anfechtungsobjekt ist jedoch ausschliesslich das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Januar 2011. Soweit mit dem Rechtsmittel die Aufhebung der Entscheide der unteren kantonalen Instanzen verlangt wird, kann darauf nicht eingetreten werden (Devolutiveffekt; vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG; BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit Hinweis).
 
2.2 Nach Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. a AuG (SR 142.20) kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn der Ausländer oder sein Vertreter im Bewilligungsverfahren falsche Angaben macht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat. Dies muss in der Absicht geschehen sein, den Aufenthalt oder die Niederlassung bewilligt zu erhalten. Der Ausländer ist verpflichtet, den Behörden wahrheitsgetreu über alles Auskunft zu geben, was für den Bewilligungsentscheid wichtig sein könnte (Art. 90 AuG). Wesentlich sind dabei nicht nur Umstände, nach denen der Betroffene ausdrücklich gefragt wird, sondern auch Aspekte, von denen der Gesuchsteller wissen muss, dass sie für den Bewilligungsentscheid massgeblich sein dürften.
 
2.3 Im Rahmen der Nichtigerklärung der Einbürgerung wurde rechtskräftig festgestellt, dass der Wille des Beschwerdeführers zu einer auf Zukunft gerichteten ehelichen Gemeinschaft bereits im Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens nicht intakt gewesen sei (Urteil 1C_254/2008 vom 15. September 2008 E. 5.2). Die Gründe, die zur Nichtigerklärung einer Einbürgerung und allenfalls zum Widerruf einer Niederlassungsbewilligung führen, sind zwar nicht zwingend gleichgeschaltet (vgl. BGE 135 II 1 E. 3.7 S. 8). Vorliegend ist die Feststellung bezüglich des fehlenden Ehewillens des Beschwerdeführers jedoch auch für das nach dem Einbürgerungsgesuch (18. Juli 2000) am 15. September 2000 eingereichte Gesuch um Erteilung der Niederlassungsbewilligung von Bedeutung. Das gesamte Vorgehen des Beschwerdeführers entspricht einem bekannten Verhaltensmuster, um der Familie im Heimatland ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu verschaffen (erfolgloses Asylverfahren, Wegweisung, Scheidung von der Ehefrau im Heimatland, Heirat einer Person mit gefestigtem Anwesenheitsrecht in der Schweiz, Scheidung kurz nach Einbürgerung oder Erteilung der Niederlassungsbewilligung, erneute Heirat der ersten Ehefrau, Gesuch um Familiennachzug). Dass nicht alle nach der Rechtsprechung auf eine Ausländerrechtsehe hindeutenden Indizien (z.B. Altersunterschied, kurze Bekanntschaft) vorliegen, ist nicht entscheidend und vermag den Schluss, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit seiner schweizerischen Ehefrau eingegangen ist bzw. aufrecht erhalten hat mit dem Ziel, ein gefestigtes Bleiberecht zu erwirken, nicht zu erschüttern. Was der Beschwerdeführer vorbringt, um das angebliche plötzliche Scheitern der Ehe kurz nach der Einbürgerung zu erklären, überzeugt nicht. Es erscheint unglaubwürdig, dass unterschiedliche Zukunftsvorstellungen der Ehegatten während Jahren unausgesprochen geblieben und zufälligerweise gerade nach der Einbürgerung zutage getreten sein sollen und unverzüglich zum definitiven Scheitern der Ehe führten. Zudem ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Ehegattin vom Beschwerdeführer behauptete Meinungsverschiedenheiten betreffend seinen angeblichen Kinderwunsch bzw. betreffend ihre Ausbildungspläne verneinen sollte, wenn solche bestanden und zum Scheitern der Ehe geführt hätten. Vielmehr scheint es dem Beschwerdeführer gelungen zu sein, nicht nur gegen Aussen den Anschein einer normalen Ehe zu vermitteln, sondern auch seiner Ehegattin seine wahren Absichten zu verheimlichen. Gemäss ihren Angaben erfolgte sein Entscheid, sich von ihr scheiden zu lassen, unerwartet und ohne jegliche Begründung. Was der Beschwerdeführer einwendet, dringt nicht durch. Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Hätte die Fremdenpolizeibehörde von den Plänen des Beschwerdeführers, sich von der schweizerischen Ehegattin sobald als möglich scheiden zu lassen, um seine ehemalige türkische Ehefrau wieder zu heiraten und diese sowie den gemeinsamen Sohn in die Schweiz nachzuziehen, Kenntnis gehabt, hätte sie ihm die Niederlassungsbewilligung nicht erteilt. Indem der Beschwerdeführer im Bewilligungsverfahren die Behörden im Glauben liess, es bestehe eine intakte auf Zukunft gerichtete eheliche Gemeinschaft, obwohl dies mangels Ehewillens des Beschwerdeführers gerade nicht der Fall war, hat er wesentliche Tatsachen verschwiegen, von denen er wissen musste, dass sie für die Bewilligungserteilung von entscheidender Bedeutung waren. Der Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. a AuG ist damit erfüllt.
 
2.4 Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich auch als verhältnismässig (vgl. BGE 135 II 377 E. 4.3 ff. S. 381 ff.; vgl. Art. 96 Abs. 1 AuG). Der Beschwerdeführer ist erst im Erwachsenenalter in die Schweiz eingereist. Als der Widerruf verfügt wurde, hielt er sich seit 13 Jahren und 7 Monaten ordnungsgemäss in der Schweiz auf. In diesem Zusammenhang verkennt der Beschwerdeführer, dass der Aufenthalt als Asylbewerber bei negativem Ausgang des Verfahrens nicht als ordnungsgemässer Aufenthalt berücksichtigt werden kann. Der Beschwerdeführer ist hier zwar immer einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, aber eine ausserordentlich enge Beziehung zur Schweiz ist nicht ersichtlich. Es darf davon ausgegangen werden, dass ihm die heimatlichen Verhältnisse nach wie vor vertraut sind. Eine Rückkehr in die Türkei, wo zudem seine heutige Ehefrau und der gemeinsame Sohn leben, ist dem Beschwerdeführer daher ohne weiteres zumutbar.
 
3.
 
Die Beschwerde erweist sich nach dem Dargelegten als offensichtlich unbegründet und ist daher im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer Begründung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
 
Diesem Ausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65 f. BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons St. Gallen, dem Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. November 2011
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Dubs
 
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