BGer 9C_356/2011 | |||
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BGer 9C_356/2011 vom 03.02.2012 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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9C_356/2011 {T 0/2}
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Urteil vom 3. Februar 2012
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
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Gerichtsschreiber Schmutz.
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Verfahrensbeteiligte | |
S.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Schwarz,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Zürich,
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Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Verwaltungsverfahren),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
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vom 8. März 2011.
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Sachverhalt:
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A.
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A.a Mit Verfügung vom 22. März 1996 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich der 1954 geborenen S.________ ab 1. April 1994 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Der Anspruch wurde in den Jahren 1997, 2000, 2004 und 2006 revisionsweise bestätigt.
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A.b Im Rahmen eines im November 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens weigerte sich S.________, eine bei Frau Dr. med. T.________, Innere Medizin FMH, speziell Rheumaerkrankungen, begonnene internistisch-rheumatologische Begutachtung fortzuführen; auch verweigerte sie die von der IV-Stelle angeordnete Exploration durch Dr. med. K.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Ihr Rechtsvertreter stellte am 30. September 2010 ein Ausstandsbegehren, in dem er den beiden Experten Voreingenommenheit vorwarf und ihnen die Gewähr für eine unabhängige und unvoreingenommene Begutachtung absprach. Mit Schreiben vom 16. November 2010 forderte die IV-Stelle die Versicherte auf, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen und sich den restlichen Begutachtungsschritten bei Frau Dr. med. T.________ und der Exploration durch Dr. med. K.________ zu unterziehen. Sie wies auf die Folgen einer Nichtmitwirkung hin: Es sei davon auszugehen, dass die Rente zumindest für die Dauer der Widersetzlichkeit sistiert werden könne. Dabei werde grundsätzlich weder ein Mahn- und Bedenkzeit- noch ein Vorbescheidverfahren durchzuführen sein.
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A.c Mit Schreiben vom 22. November 2010 forderte der Rechtsvertreter den Erlass einer anfechtbaren Verfügung über die geltend gemachten Ausstandsgründe. Er erklärte, die Versicherte sei jederzeit bereit, sich einer Begutachtung durch unabhängige und unvoreingenommene Experten zu unterziehen. Am 3. Dezember 2010 intervenierte der Rechtsvertreter erneut bei der IV-Stelle: Die Gutachterin Dr. med. T.________ habe die Versicherte mehrfach telefonisch gedrängt, sich der weiteren Exploration zu unterziehen bzw. zu erklären, warum sie ein Ausstandsbegehren gestellt habe. Dies zeige eine persönliche Involviertheit der Expertin, welche an ihrer objektiven Haltung zweifeln lasse. Ohne sich dazu und zu den gestellten Ausstandsbegehren zu äussern, hob die IV-Stelle die Invalidenrente mit Verfügung vom 14. Dezember 2010 auf Ende Januar 2011 auf.
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B.
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Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 8. März 2011 ab.
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C.
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S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 14. Dezember 2010; die Sache sei zu ergänzenden Abklärungen, zur Durchführung eines Vorbescheidverfahrens sowie zu neuer Verfügung über den Rentenanspruch an die IV-Stelle zurückzuweisen; ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege, wobei Rechtsanwältin Stephanie Schwarz im vor- und letztinstanzlichen Verfahren zur unentgeltlichen Rechtsvertreterin zu ernennen sei.
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Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde, Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.
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Vorab ist gerügt, die Beschwerdegegnerin habe die Aufhebung der Rente ohne die Durchführung des Vorbescheidverfahrens verfügt. Die Durchführung eines Mahn- und Bedenkzeitverfahrens ersetze das Vorbescheidverfahren nicht, da hier nicht über eine vorübergehende Sistierung sondern eine definitive Einstellung der Rente verfügt worden sei. Zudem sei das im Rahmen des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens ergangene Schreiben vom 16. November 2010 mit widersprüchlichen und unklaren Androhungen versehen gewesen.
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3.
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3.1 Gemäss Art. 57a IVG teilt die IV-Stelle der versicherten Person den vorgesehenen Endentscheid über ein Leistungsbegehren oder den Entzug oder die Herabsetzung einer bisher gewährten Leistung mittels Vorbescheid mit. Die Parteien haben nach Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 42 Satz 1 ATSG Anspruch auf rechtliches Gehör; sie müssen nicht angehört werden vor Verfügungen, die durch Einsprache anfechtbar sind (Art. 42 Satz 2 ATSG; BGE 134 V 97 E. 2.8.1 S. 106).
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3.2 Art. 58 IVG regelt die Leistungszusprache im formlosen Verfahren. Gestützt auf diese Norm ist in Art. 74ter IVV festgelegt, dass die dort aufgeführten Leistungen ohne Erlass eines Vorbescheides oder einer Verfügung zugesprochen oder weiter ausgerichtet werden können, sofern die Anspruchsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und den Begehren der versicherten Person vollumfänglich entsprochen wird. Die Beschwerdeführerin schliesst daraus e contrario, dass bei Verweigerung bzw. Einstellung und Aufhebung von Leistungen der Erlass eines Vorbescheides vorgeschrieben ist.
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3.3 Von den in Art. 74ter lit. a-f IVV geregelten Leistungsbereichen mit formlosen Verfahren ist hier der Tatbestand gemäss lit. f einschlägig: Renten und Hilflosenentschädigungen können nach einer von Amtes wegen durchgeführten Revision weiter ausgerichtet werden, sofern die Anspruchsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und den Begehren der versicherten Person vollumfänglich entsprochen wird. Wird demnach im Rahmen einer Leistungsrevision eine sich zu Ungunsten der versicherten Person auswirkende Änderung der Verhältnisse festgestellt, ist die Voraussetzung für den Verzicht auf ein Vorbescheidverfahren grundsätzlich nicht gegeben. Die Beschwerdegegnerin konnte nicht davon ausgehen, mit der Aufhebung der seit 1994 ausgerichteten ganzen Rente den Begehren der Beschwerdeführerin vollumfänglich zu entsprechen.
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3.4 Ein Verzicht auf das Vorbescheidverfahren war hier aber primär nicht statthaft, weil die Rentenaufhebungsverfügung ohne Einsprache-verfahren direkt gerichtlich anzufechten war. Die Beschwerdegegnerin hat vor Erlass der Verfügung lediglich angedroht, die Rente für die Dauer der Widersetzlichkeit zu sistieren. Von der verfügten und vorinstanzlich ausdrücklich geschützten Rentenaufhebung war nie die Rede. Vor Erlass der leistungsaufhebenden Verfügung hätte zu einem entsprechenden Vorbescheid das rechtliche Gehör gewährt werden müssen. Es ist nur sehr zurückhaltend anzunehmen, dass bei Unterlassung des Vorbescheidverfahrens eine Heilung der Gehörsverletzung im Beschwerdeverfahren möglich ist (BGE 134 V 97 E. 2.9.2 S. 108 f. mit zahlreichen Hinweisen; zum vorliegenden Sachverhalt insbesondere auch BGE 116 V 182 E. 3c S. 187). Es kann nur in speziell gelagerten Ausnahmefällen auf das Vorbescheid-verfahren verzichtet werden (vgl. BGE 134 V 97 E. 2.8.2 und 2.9.1 S. 107 f. mit Hinweisen). Ein solcher Ausnahmefall war hier nicht gegeben.
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4.
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Da die rentenaufhebende Verfügung ohne Durchführung des Vorbescheidverfahrens erging und die Verletzung des rechtlichen Gehörs vor dem kantonalen Gericht nicht geheilt worden ist, sind die Verfügung und der vorinstanzliche Entscheid schon aus diesem Grund aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin wird nach Durchführung eines rechtsgültigen Abklärungs- und Verfügungsverfahrens über den Rentenanspruch unter allen, je nach Entwicklung in Betracht fallenden Rechtstiteln (inkl. Art. 21 Abs. 4 ATSG) neu verfügen.
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5.
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Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. März 2011 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 14. Dezember 2010 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4.
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Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 3. Februar 2012
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Meyer
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Der Gerichtsschreiber: Schmutz
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