VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1B_12/2012  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1B_12/2012 vom 20.02.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_12/2012
 
Urteil vom 20. Februar 2012
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Chaix,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Dietsche,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, II. Abteilung,
 
An der Aa 4, Postfach 1356, 6301 Zug.
 
Gegenstand
 
Einstellung des Strafverfahrens; Kostenauflage und Verweigerung einer Entschädigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 1. Dezember 2011 des Obergerichts des Kantons Zug,
 
I. Beschwerdeabteilung.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ gewährte der Z.________GmbH, deren Gesellschafter und einzelunterschriftsberechtigter Geschäftsführer X.________ ist, zwei Darlehen von je Fr. 250'000.-- (Vereinbarungen vom 15. August 2007 und vom 9. November 2007) und anschliessend noch ein drittes Darlehen von Fr. 40'000.-- (Zahlung am 18. Februar 2008, Bestätigung des Zahlungseingangs vom 3. Mai 2008) als Investition in das von der Z.________GmbH aufzubauende Holzgeschäft in Osteuropa.
 
Am 26. August 2009 reichte Y.________ bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug gegen X.________ Strafanzeige wegen mehrfachen Betrugs, eventuell mehrfacher Veruntreuung ein, konstituierte sich am 16. Oktober 2009 als Privatkläger und erhob gegen X.________ eine Zivilforderung in der Höhe von Fr. 540'000.-- nebst 5 % Zins.
 
Am 4. August 2011 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen X.________ ein, trat auf die Zivilforderung von Y.________ nicht ein, verwies dessen Klage auf den Zivilweg und auferlegte die Verfahrenskosten X.________.
 
Diese Einstellungsverfügung wurde sowohl von Y.________ als auch von X.________ angefochten, wobei sich die Beschwerde des letzteren nur gegen die Auflage der Verfahrenskosten und die Verweigerung einer Entschädigung für das Untersuchungsverfahren richtete.
 
Das Obergericht des Kantons Zug wies am 1. Dezember 2011 beide Beschwerden kostenfällig ab.
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Obergerichtsentscheid aufzuheben, die Untersuchungskosten in der Höhe von Fr. 4'300.-- dem Kanton Zug aufzuerlegen, ihm für die Strafuntersuchung eine Entschädigung von Fr. 36'661.25 zuzusprechen und ihn für das obergerichtliche Beschwerdeverfahren angemessen zu entschädigen. Eventuell sei die Sache ans Obergericht zurückzuweisen.
 
C.
 
Das Obergericht beantragt unter Verweis auf seinen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen, und verzichtet auf weitere Vernehmlassung. Die Staatsanwältin verzichtet auf Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid bestätigt, dass das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer eingestellt bleibt, er dessen Kosten zu tragen hat und nicht entschädigt wird. Er schliesst damit das Verfahren ab. Es handelt sich um den Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG), auch wenn sie sich allein gegen die Kosten- und Entschädigungsregelung richtet. Als Angeschuldigter war der Beschwerdeführer Partei des Untersuchungs- und Beschwerdeverfahrens und ist damit befugt, sich mit Beschwerde in Strafsachen gegen die Kostenauflage und die Verweigerung einer Parteientschädigung zur Wehr zu setzen (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
2.
 
2.1 Wird das Strafverfahren eingestellt, so können die Verfahrenskosten nach Art. 426 StPO dem Beschuldigten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn er rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens verursacht oder dessen Durchführung erschwert hat. Diesfalls kann ihm auch die Entschädigung für die Ausübung seiner Verfahrensrechte und die erlittenen wirtschaftlichen Einbussen ganz oder teilweise verweigert werden (Art. 429 Abs. 1 lit. a und b i.V.m. Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO).
 
2.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK dürfen einem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens nur dann Kosten auferlegt werden, wenn er durch ein unter rechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten die Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Bei der Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Angeschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens verursacht wurde (BGE 119 Ia 332 E. 1b S. 334; Pra 2008 Nr. 34 E. 4.2). Wie das Bundesgericht festgehalten hat, ist es mit Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten aufzuerlegen, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 119 Ia 332 E. 1b S. 334; 116 Ia 162 E. 2a S. 166; je mit Hinweisen). Dabei darf sich die Kostenauflage in tatsächlicher Hinsicht nur auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen (BGE 112 Ia 371 E. 2a; Pra 2010 Nr. 48 S. 351 nicht publ. E. 1.2). Hingegen verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung, wenn dem Angeschuldigten in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155; Urteil 6B_86/2009 vom 29. Oktober 2009 E. 9.3).
 
3.
 
3.1 Die Staatsanwaltschaft ist in der Einstellungsverfügung zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer die Darlehen nicht durch betrügerische Machenschaften erschlich, sondern dass Y.________ bei der Darlehensgewährung an den ihm damals freundschaftlich verbundenen "Seelenbruder" leichtfertig vorgegangen war. Weiter folgerte sie aufgrund der "einigermassen ordentlichen Buchhaltung" der Z.________GmbH und den eingereichten Rechnungen und Quittungen, dass diese die Darlehen effektiv in den Holzhandel investiert hatte, die Geschäfte aber verlustreich verliefen; für die Jahre 2007-2009 standen Aufwendungen von Fr. 984'827.-- Erträgen von Fr. 227'640.-- gegenüber. Die Staatsanwaltschaft beurteilte den Verlust der Darlehen als eine rein zivilrechtliche Angelegenheit. Hingegen wirft sie dem Beschwerdeführer vor, Y.________, der sich seit Frühling 2008 immer wieder nach dem Verbleib seiner Gelder erkundigte, mit widersprüchlichen Angaben und Vertröstungen abgespiesen und ihm nie Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Z.________GmbH gewährt zu haben. Ein Treffen im Sommer 2009 habe im Eklat, mit einer Beschimpfung von Y.________ durch den Beschwerdeführer geendet. Y.________ sei unter diesen Umständen nur der Weg über eine Strafanzeige geblieben, um Klarheit über die Verwendung seiner Darlehen zu erhalten, was rechtfertige, dem Beschwerdeführer die Untersuchungskosten aufzuerlegen und ihm eine Parteientschädigung zu verweigern.
 
3.2 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid (E. 3.1.2 und 3.2 S. 10 f.) erwogen, Y.________ habe dem Beschwerdeführer im August 2007 und im November 2007 zwei Darlehen von je Fr. 250'000.-- gewährt, letzteres offenbar aufgrund von Berichten des Beschwerdeführers über einen erfolgreichen Geschäftsgang. Das letzte Darlehen von Fr. 40'000.-- sei dann anfangs Februar 2008 gewährt worden. Offenbar aufgrund des Vertrauensverhältnisses zum Beschwerdeführer habe es Y.________ unterlassen, Einblick in die Bücher der Z.________GmbH zu nehmen, womit er nicht in der Lage gewesen sei, den ihm vom Beschwerdeführer zunächst verschwiegenen (schlechten) Geschäftsgang wahrzunehmen. Aus den Akten gehe hervor, dass dieser Y.________ erst im Mai 2008, mithin in einem Zeitpunkt, in dem bereits alle drei Darlehen ausbezahlt waren, über den schlechten Geschäftsgang informiert habe. Das Verschweigen des tatsächlichen Verlaufs der Geschäfte, für die die Darlehen gewährt wurden, um Y.________ zu weiteren Investitionen in das offensichtlich defizitäre Holzgeschäft der Z.________GmbH zu verleiten, stelle einen Verstoss gegen Art. 2 Abs. 2 ZGB dar, der eine Schädigung vermeidendes Verhalten vorschreibe. Y.________ habe begründeten Anlass zur Einreichung einer Strafanzeige gehabt, nachdem ein Treffen mit dem Beschwerdeführer keine Klarheit über die Verwendung seiner Darlehen gebracht habe. Der Beschwerdeführer habe damit rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Strafverfahrens verursacht, womit er dessen Kosten zu tragen habe.
 
3.3
 
3.3.1 Es ist nicht ganz einfach, die umstrittene Geschäftsbeziehung zwischen Y.________ und dem Beschwerdeführer zu beurteilen, einerseits weil die Darlehensvergabe auf einem für Dritte schwer nachvollziehbaren spirituellen Hintergrund erfolgte, anderseits weil keine schriftlichen Darlehensverträge vorliegen und sich die Aussagen der Vertragsparteien über die Geschäftsabwicklung nicht decken. Unklar ist, ob es sich um partiarische Darlehen mit 5 % Zins und 15 % Gewinnbeteiligung handelt, wie der Beschwerdeführer behauptet, oder ob fixe Entgelte von Euro 30'000.-- gemäss Vereinbarung vom 15. August 2007 bzw. Fr. 50'000.-- gemäss Vereinbarung vom 9. November 2007 als "energetischer Ausgleich" vereinbart waren. Einig sind sich die beiden Parteien jedenfalls dahingehend, dass die Darlehen zweckgebunden für die Finanzierung des Holzgeschäfts der Z.________GmbH in Osteuropa gewährt wurden.
 
3.3.2 In Bezug auf die Abwicklung des Geschäfts steht immerhin fest, dass der Beschwerdeführer Y.________ im Mai 2008 - in einem Zeitpunkt, in dem alle drei Darlehen ausbezahlt waren und das erste gemäss Vereinbarung vom 15. August 2007 bereits hätte zurückgezahlt sein müssen - darüber informierte, dass die mit seinen Darlehen finanzierten Geschäfte zu einem Verlust geführt hatten. Y.________ erkundigte sich daraufhin immer wieder vergebens nach dem Verbleib seiner Gelder. Der Beschwerdeführer erteilte indessen keine befriedigenden Auskünfte und gewährte Y.________ keine Einsicht in die Bücher der Z.________GmbH; ein letztes Treffen im Sommer 2009, bei welchem Y.________ zu Angaben über das Schicksal seiner Darlehen kommen wollte, endete im Eklat.
 
3.3.3 Aus der unstrittigen Zweckbindung der Darlehen ergab sich für den Beschwerdeführer indessen nach Art. 2 Abs. 1 ZGB klarerweise die Verpflichtung, dem Darlehensgeber auf Verlangen Auskunft über die Verwendung der geborgten Gelder zu geben, um diesen in die Lage zu versetzen, die Einhaltung des vereinbarten Zwecks zu überprüfen. Für den Fall eines partiarischen Darlehens hätten Y.________ als Darlehensgeber zudem weitergehende Kontrollrechte bezüglich der korrekten Berechnung der Erfolgsbeteiligung nach den arbeitsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 322a Abs. 2 OR, zugestanden (HONSELL/VOGT/WIEGAND (Hrsg.), Basler Kommentar OR I, 5. A. Basel 2011, SCHÄRER/MAURENBRECHER, N. 38 f. zu Art. 312; vgl. auch BGE 99 II 303 E. 4a S. 305), und der Beschwerdeführer wäre zu den entsprechenden Auskünften verpflichtet gewesen. Auf jeden Fall hat der Beschwerdeführer aber mit seiner Weigerung, Y.________ Auskunft über die Verwendung der Darlehen zu erteilen, eine vertragliche Nebenpflicht klar verletzt. Diese Vertragsverletzung erweckte zudem den Verdacht, die Darlehen seien in strafrechtlich relevanter Weise zweckentfremdet worden; sie bot daher Y.________ einen begründeten Anlass zur Einreichung einer Strafanzeige.
 
3.3.4 Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass der Beschwerdeführer das Strafverfahren durch die klare Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht schuldhaft verursacht hat. Es ist daher gerechtfertigt und mit der Unschuldsvermutung vereinbar, ihn dessen Kosten tragen zu lassen und ihm seine Parteikosten nicht zu ersetzen.
 
3.4 Das Obergericht wies die Beschwerde nach dem Gesagten jedenfalls im Ergebnis zu Recht ab. Damit ist nicht zu beanstanden, dass es dem Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegte und ihm keine Parteientschädigung zusprach.
 
4.
 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, II. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Februar 2012
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).