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Informationen zum Dokument  BGer 8C_438/2012  Materielle Begründung
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BGer 8C_438/2012 vom 28.06.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_438/2012
 
Urteil vom 28. Juni 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
C.________,
 
vertreten durch Advokat Erik Wassmer,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. IV-Stelle des Kantons Aargau,
 
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
 
2. Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung
 
(Verwaltungsverfahren; unentgeltlicher Rechtsbeistand),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
 
vom 5. April 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1966 geborene C.________ ist als kaufmännische Angestellte ausgebildet. Am 13. Juli 1995 meldete sie sich erstmals bei der IV-Stelle des Kantons Aargau an. Am 16. Januar 2007 verneinte diese den Rentenanspruch. Am 13. Mai 2008 erfolgte eine erneute Anmeldung der Versicherten bei der IV-Stelle. Diese stellte mit Vorbescheid vom 18. Juli 2011 fest, es bestehe kein Rentenanspruch. Hiegegen erhob die Versicherte am 14. September 2001 schriftlich Einwand, wobei sie sich anwaltlich verbeiständen liess. Mit Verfügung vom 27. September 2009 hielt die IV-Stelle an der Rentenablehnung fest. Mit Verfügung vom 14. Oktober 2011 wies sie das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Vorbescheidverfahren ab.
 
B.
 
Die von der Versicherten gegen die Verfügung vom 14. Oktober 2011 erhobene Beschwerde und ihr Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das vorinstanzliche Verfahren wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab. Es erhob keine Verfahrenskosten (Entscheid vom 5. April 2012).
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und Verfassungsbeschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das vorangegangene Vorbescheidverfahren und Beschwerdeverfahren zu bewilligen und der Entscheid zur Bemessung der Honorarnote an die Vorinstanz zurückzuweisen; für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Bei der Vorinstanz wurden die Akten eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a BGG). Mit ihr können auch eine willkürliche Rechtsanwendung oder Sachverhaltsfeststellung oder andere Verfassungsverletzungen sowie Verletzungen von Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Für die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt daher kein Raum (Art. 113 BGG) und es ist darauf nicht einzutreten (SVR 2009 AHV Nr. 9 S. 33 E. 1 [9C_219/2009]; Urteil 8C_78/2011 vom 26. Mai 2011 E. 1.1).
 
1.2 Soweit der angefochtene Entscheid den Anspruch der Beschwerdeführerin auf unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung im kantonalen Verfahren verneint (Art. 61 lit. f ATSG), handelt sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Urteil 9C_196/2012 vom 20. April 2012 E. 2). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit vollumfänglich einzutreten.
 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 I 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
2.
 
Streitig und zu beurteilen ist als Erstes der Anspruch der Versicherten auf unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung im Vorbescheidverfahren der IV-Stelle.
 
2.1 Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zum Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren nach Art. 37 Abs. 4 ATSG richtig wiedergegeben (BGE 132 V 200 E. 4.1, 125 V 32 E. 4b S. 35, je mit Hinweisen; Urteil 9C_315/2009 vom 18. September 2009 E. 2.1). Zu wiederholen ist, dass im Vorbescheidverfahren ein Anspruch auf anwaltliche Verbeiständung nur in Ausnahmefällen besteht, in denen ein Rechtsanwalt beigezogen wird, weil schwierige rechtliche oder tatsächliche Fragen dies als notwendig erscheinen lassen und eine Verbeiständung durch Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- oder Vertrauensleute sozialer Institutionen nicht in Betracht fällt. Zu gewichten ist auch die Fähigkeit der versicherten Person, sich im Verfahren zurechtzufinden (vgl. nicht publ. E. 8.2 des Urteils BGE 137 I 327, in SVR 2012 IV Nr. 26 S. 107 [8C_272/2011]).
 
2.2
 
2.2.1 Im Vorbescheidverfahren waren die Fragen nach dem Ausmass der Arbeitsfähigkeit der Versicherten und der anwendbaren Methode der Invaliditätsbemessung (Einkommensvergleich gemäss Auffassung der Versicherten oder gemischte Methode laut der IV-Stelle [vgl. Art. 28a Abs. 1 und 3 IVG]) strittig. Es stellten sich keine besonders schwierigen Rechtsfragen, weshalb - entgegen der Auffassung der Versicherten - von einem "normalen Durchschnittsfall" im Sachgebiet der Invalidenversicherung auszugehen ist (Urteil 9C_315/2009 E. 2.1). Nicht stichhaltig ist ihre Berufung auf Rechtsunkundigkeit und eine krankheitsbedingte Unfähigkeit, administrative Belange selbst erledigen zu können; denn die aus solchen oder ähnlichen Gründen auf Unterstützung angewiesenen Rechtsuchenden haben sich in einem - wie hier - sachverhaltlich und rechtlich relativ einfach gelagerten Verwaltungsverfahren mit dem Beizug von Fach- und Vertrauensleuten sozialer Institutionen/unentgeltlicher Rechtsberatungen zu behelfen (vgl. Urteil 9C_315/2009 E. 2.2). Dass dies objektiv nicht möglich gewesen wäre, wird von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert dargelegt und ist nicht ersichtlich. Die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung in der hier zu beurteilenden Angelegenheit liefe darauf hinaus, dass der Anspruch in praktisch allen oder zumindest den meisten Vorbescheidverfahren der Invalidenversicherung bejaht werden müsste, was einem generellen Anspruch auf einen unentgeltlichen Vertreter im Verwaltungsverfahren gleichkäme und der von einem "sehr strengen Massstab" ausgehenden gesetzlichen Konzeption widerspräche (Urteil 8C_847/2010 vom 10. Mai 2011 E. 2.1).
 
2.2.2 Die Vorinstanz erwog unter anderem, das Vorbringen der Versicherten, sie sei aufgrund ihre gesundheitlichen Limitierungen und der Komplexität des Falles nicht in der Lage gewesen, selbstständig Einwände gegen den Vorbescheid zu erheben, sei dahingehend zurückzuweisen, als dass sie sich innert kurzer Frist anwaltlich habe vertreten lassen; es könne somit davon ausgegangen werden, dass sie sich der Bedeutung des Vorbescheides bewusst gewesen sei. Die Versicherte macht geltend, diese Argumentation sei nicht nachvollziehbar und unhaltbar. Die Vorinstanz habe ihre gesundheitlichen Einschränkungen nicht berücksichtigt, was willkürlich sei und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV bedeute.
 
Der angefochtene Entscheid erfüllt die Anforderungen an die aus dem Gehöranspruch fliessende Begründungspflicht (hierzu vgl. BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88). Insbesondere erwog die Vorinstanz, weshalb sie die Berufung der Versicherten auf ihre gesundheitlichen Einschränkungen als unbehelflich erachtete; ob ihre diesbezügliche Begründung zutrifft, ist keine Frage der formellen Begründungspflicht (Urteil 1B_56/2007 vom 15. Mai 2007 E. 2). Im Ergebnis ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, das die Vorinstanz die Berufung der Versicherten auf die Komplexität des Falles und ihre Gesundheit nicht gelten liess (vgl. E. 2.2.1 hievor).
 
2.2.3 Nach dem Gesagten kann - entgegen der Versicherten - von einer willkürlichen oder rechtsverletzenden Verweigerung der unentgeltlichen anwaltlichen Verbeiständung im Verwaltungsverfahren nicht die Rede sein.
 
3.
 
Umstritten und zu prüfen ist weiter der Anspruch der Versicherten auf unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren.
 
3.1 Nach Art. 61 lit. f ATSG muss im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt. Praxisgemäss setzt die unentgeltliche Verbeiständung voraus, dass der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (Urteil 9C_196/2012 E. 4.1; vgl. auch BGE 125 V 201 E. 4a S. 202).
 
3.2 Mit Blick auf die strengen Anforderungen an die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung im Verwaltungsverfahren und das in E. 2.2 hievor Gesagte hat die Vorinstanz die Gewinnaussichten der vorinstanzlichen Beschwerde ex ante betrachtet zu Recht als beträchtlich geringer als die Verlustgefahren eingeschätzt und somit das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Beschwerdeverfahren zutreffend wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsvorkehr verneint (BGE 131 I 113 E. 3.7.3 S. 122, 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135; Urteile 9C_196/2012 E. 4.2.1 und 9C_315/2009 E. 3). Auch diesbezüglich ist der angefochtene Entscheid weder willkürlich noch rechtswidrig.
 
4.
 
Die unterliegende Versicherte trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; vgl. die Rechtsprechungshinweise in E. 3.2 hievor).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
4.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 28. Juni 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Ursprung
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar
 
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