BGer 4A_193/2012 | |||
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BGer 4A_193/2012 vom 20.08.2012 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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4A_193/2012
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Urteil vom 20. August 2012
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I. zivilrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
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Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
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Bundesrichter Kolly,
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Gerichtsschreiber Luczak.
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Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Mahendra Williams,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Y.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Roger Seiler,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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unentgeltliche Rechtspflege,
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Beschwerde gegen die Verfügungen des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, vom 28. Februar 2012 und vom 29. März 2012.
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Sachverhalt:
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A.
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Mit Urteil vom 18. März 2010 wies das Bezirksgericht Laufenburg eine von Y.________ (Kläger, Beschwerdegegner) gegen X.________ (Beklagte, Beschwerdeführerin) angestrengte Klage auf Zusprechung diverser Grundstücke ab. Demgegenüber sprach das Obergericht des Kantons Aargau im Appellationsverfahren dem Kläger mit Urteil vom 22. Februar 2011 die Grundstücke grundsätzlich zu und wies die Sache zurück an das Bezirksgericht zur Festsetzung des Rückkaufpreises. Gegen dieses Urteil gelangte die Beklagte an das Bundesgericht. Nachdem ihr Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung für das Verfahren vor Bundesgericht zufolge Aussichtslosigkeit abgewiesen worden war und sie den Kostenvorschuss innerhalb der angesetzten Frist nicht geleistet hatte, trat das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein (Urteil des Bundesgerichts 4A_213/2011 vom 3. August 2011). Daraufhin setzte das Bezirksgericht mit Urteil vom 19. Januar 2012 den Rückkaufspreis auf Fr. 372'824.55 fest und erklärte im Umfang von Fr. 78'117.85 Verrechnung für zulässig. Gegen dieses Urteil erhob die Beklage Berufung an das Obergericht. Sie beantragte, die Klage abzuweisen, eventuell das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss eines gegen die Frau und die Tochter des Klägers eingeleiteten Strafverfahrens zu sistieren und subeventualiter den Rückkaufpreis auf Fr. 1'500'000.-- festzulegen oder die Sache an das Bezirksgericht zurück zu weisen. Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies der Instruktionsrichter des Obergerichts mit Verfügung vom 28. Februar 2012 ab und setzte ihr mit Verfügung vom 29. März 2012 eine letzte Frist von 10 Tagen seit der Zustellung der Verfügung zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 25'000.-- mit der Androhung, bei nicht fristgemässer Bezahlung auf das Rechtsbegehren nicht einzutreten.
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B.
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Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht im Wesentlichen, beide Verfügungen des Instruktionsrichters aufzuheben und ihr für das obergerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Ihrem Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gab das Bundesgericht am 14. Mai 2012 statt. Obwohl nur Vernehmlassungen zum Gesuch zur aufschiebenden Wirkung eingeholt worden sind, hat sich der Beschwerdegegner auch in der Sache vernehmen lassen. Er schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
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1.
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Angefochten sind Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert und die letzte Frist zur Leistung des Kostenvorschusses festgesetzt wird. Derartige Zwischenentscheide können einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken (vgl. BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131; 126 I 207 E. 2a S. 210 mit Hinweisen), so dass die Beschwerde an das Bundesgericht offen steht. Der Rechtsweg von Zwischenentscheiden folgt grundsätzlich jenem der Hauptsache (BGE 137 III 380 E. 1.1 S. 382; 133 III 645 E. 2.2 S. 647 f.), und der Streitwert bestimmt sich nach den Begehren, die vor der Instanz streitig sind, wo die Hauptsache hängig ist (Art. 51 Abs. 1 lit. c BGG). Mit Blick auf den von der Beschwerdeführerin geforderten Rückkaufspreis wird der für die Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) weit übertroffen, so dass die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht offen steht (Art. 113 BGG). Die Beschwerdeführerin betitelt ihre Eingabe als "Zivilrechtliche Beschwerde mit Verfassungsbeschwerde". Soweit sie damit (auch) subsidiäre Verfassungsbeschwerde erheben wollte, ist nicht darauf einzutreten. Ihre Vorbringen sind im Rahmen der Beschwerde in Zivilsachen zu behandeln, mit der die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) und damit (unter Berücksichtigung der Begründungsanforderungen nach Art. 106 Abs. 2 BGG) auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (vgl. BGE 133 I 201 E. 1 S. 203).
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2.
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Nach Art. 117 ZPO hat eine Person Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133), der in gleicher Weise voraussetzt, dass der Gesuchsteller bedürftig und sein Rechtsbegehren nicht aussichtslos ist. Wer diese Bedingungen erfüllt, hat ausserdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand, soweit dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO).
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2.1 Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis zu Art. 29 Abs. 3 BV, die auch mit Bezug auf Art. 117 ZPO ihre Geltung beibehält (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7302, Ziff. 5.8.4 zu Art. 115 E-ZPO), Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 133 III 614 E. 5 S. 616 mit Hinweisen).
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2.2 Geht es, wie hier, um die Frage, ob die unentgeltliche Rechtspflege für das Rechtsmittelverfahren gewährt wird, ist massgebend, ob sich eine vernünftige Partei zur Ergreifung des Rechtsmittels entschliessen würde. Ausgangspunkt der Beurteilung bildet dabei der Entscheid, der angefochten werden soll. Sodann ist zu berücksichtigen, in welchen Punkten und mit welchen Argumenten der Gesuchsteller den Entscheid anfechten will und welche Rügen oder allenfalls neue Vorbringen im Rechtsmittel zulässig sind (vgl. Urteile des Bundesgerichts 4D_29/2011 vom 18. Juli 2011 E. 1.1; 5A_145/2010 vom 7. April 2010 E. 3.3).
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3.
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Die Vorinstanz erachtete die Berufung mit Bezug auf die beantragte Klageabweisung als aussichtslos, da sie selbst wie auch das Bezirksgericht an den Rückweisungsentscheid gebunden sei. Die Sistierung des Verfahrens erachtete sie als unzulässig, da diese nur vor Abschluss des Verfahrens verlangt werden könne und dazu führe, dass kein materieller Entscheid gefällt werde. Der Antrag auf Sistierung könne nicht vom Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache abhängig gemacht werden. Mit Bezug auf den Rückkaufspreis vermöge die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, weshalb der Rückkaufspreis entgegen den Erwägungen des Bezirksgerichts auf Fr. 1'500'000.-- festzusetzen oder die Verrechnung unzulässig sei.
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4.
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Die Beschwerdeführerin stellt nicht substanziiert in Abrede, dass das Obergericht wie auch das Bezirksgericht im Normalfall an den Rückweisungsentscheid gebunden sind. Sie ist aber der Auffassung, das Obergericht habe seinem Entscheid vom 22. Februar 2011 durch eigene Auslegung eines öffentlich beurkundeten Vertrages ein nichtiges Rechtsgeschäft zu Grunde gelegt. Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts könne aber von jedermann jederzeit geltend gemacht werden. Sie ist der Auffassung, diesbezüglich könne keine Bindung bestehen. Sie macht sodann geltend, der Instruktionsrichter habe das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung abgewiesen, ohne die Akten beizuziehen. Insoweit sieht sie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und hält die Abweisung des Gesuchs für willkürlich.
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4.1 Für die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sind die Prozesschancen massgebend, beziehungsweise konkret die Frage, ob sich eine vernünftige Partei zur Ergreifung des Rechtsmittels entschliessen würde. Nur soweit die Akten diesbezüglich relevant sind, müssen sie beigezogen werden. Ist das Gericht auch unter Annahme der von der Beschwerdeführerin behaupteten Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts an den Rückweisungsentscheid gebunden, sind die Akten insoweit unerheblich. Dem Sistierungsbegehren kommt keine eigenständige Bedeutung zu, da es lediglich den Ablauf des Rechtsmittelverfahrens beeinflusst und für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels selbst massgebend bleiben. Zu prüfen ist daher einzig, ob die Sistierung des Verfahrens zur Berücksichtigung der Ergebnisse des Strafverfahrens sich allenfalls positiv auf die Prozessaussichten auswirken könnte (eine vernünftige Person würde ohnehin nur unter dieser Voraussetzung ein Sistierungsbegehren stellen). Dies ist zufolge der Bindung an den Rückweisungsentscheid im Hauptbegehren ausgeschlossen. Inwiefern das Strafverfahren Auswirkungen auf die Festsetzung der Höhe des Rückkaufpreises haben könnte, legt die Beschwerdeführerin nicht dar.
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4.2 Die Beschwerdeführerin ist allerdings der Auffassung, dem Rückweisungsentscheid komme unter den gegebenen Umständen keine Bindungswirkung zu. Der Rückweisungsentscheid erging als Appellationsentscheid und damit vor Inkrafttreten der ZPO nach kantonalem Prozessrecht, dessen Anwendung das Bundesgericht nicht prüft (Art. 95 BGG). Eine willkürliche und damit verfassungswidrige (Art. 9 BV) Anwendung des kantonalen Prozessrechts, zeigt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenügend auf (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auch unter Geltung der ZPO ist die untere Instanz an den Rückweisungsentscheid gebunden (Botschaft ZPO, BBl 2006 7376, Ziff. 5.23.1 zu Art. 315 E-ZPO). Die Frage, ob ein Rückweisungsentscheid derart mangelhaft sein kann, dass er keine Bindungswirkung entfaltet, und ob der Rückweisungsentscheid der Vorinstanz gegebenenfalls an entsprechenden Mängeln leidet, braucht nicht behandelt zu werden. Eine vernünftige Person, welche die Prozesskosten selbst tragen muss, würde bei gegebener Möglichkeit (bei entsprechender Kostenersparnis nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG oder sonst nach Art. 93 Abs. 3 BGG; vgl. auch das Verfahren 4A_213/2011) die Frage der Nichtigkeit dem Bundesgericht unterbreiten, gegenüber welchem der Rückweisungsentscheid ohnehin keine Bindungswirkung entfaltet.
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4.3 Auf die von der Beschwerdeführerin unter dem Stichwort "Sprungrekurs" an das Bundesgericht aufgeworfene Frage, was zu geschehen hat, wenn ein Rückweisungsentscheid des Obergerichts nicht separat an das Bundesgericht weitergezogen werden kann und der Entscheid des Bezirksgerichts in den zurückgewiesenen Punkten keinen Anlass zu Beanstandungen gibt, braucht nicht eingegangen zu werden (vgl. zu dieser Problematik BGE 133 V 645 E. 2.2 S. 648; Urteil des Bundesgerichts 2C_759/2008 vom 6. März 2009 E. 2.7, publ. in: ASA 79 S. 595), da die Beschwerdeführerin den Entscheid des Bezirksgerichts auch in den zurückgewiesenen Punkten (der Festsetzung des Rückkaufpreises) beanstandet und an die Vorinstanz weitergezogen hat.
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5.
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Zu prüfen bleiben die Prozessaussichten mit Blick auf die Festsetzung des Rückkaufpreises. Die Beschwerdeführerin erhob diesbezüglich die formelle Rüge, vor dem Bezirksgericht hätte ihr infolge des Anwaltswechsels mehr Zeit zur Stellungnahme eingeräumt und die Frist insoweit wiederhergestellt werden müssen. Eine vernünftige Person würde dies indessen nur verlangen, wenn ihr zufolge der Kürze der Frist nicht möglich gewesen wäre, ihren Prozessstandpunkt hinreichend in das Verfahren einzubringen. Soweit die Rüge nicht ausschliesslich das Ziel verfolgt, das Verfahren zu verzögern, wofür keine unentgeltliche Rechtspflege beansprucht werden kann, hätte die Beschwerdeführerin immerhin vor der Vorinstanz darlegen müssen, welche weiteren Ausführungen sie hätte machen wollen. Die Vorinstanz hielt aber fest, die Beschwerdeführerin könne der Festsetzung des Kaufpreises nichts Wesentliches entgegenhalten. Um darzulegen, dass ihr Eventualantrag Aussicht auf Erfolg hat, reicht aus, ist aber auch nötig, dass die Beschwerdeführerin darlegt, weshalb die erste Instanz den Kaufpreis auf Fr. 1'500'000.-- hätte festlegen müssen. Insoweit konnte sie den erstinstanzlichen Entscheid wie auch den vorinstanzlichen über die unentgeltliche Prozessführung ohne Weiters anfechten. Ihre Rüge der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine mangelhafte Begründung ist nicht nachvollziehbar. Da die Beschwerdeführerin auch vor Bundesgericht weder darlegt, weshalb der Rückkaufpreis auf Fr. 1'500'000.-- hätte festgesetzt werden müssen, noch aufzeigt, dass sie diesbezüglich vor der Vorinstanz überzeugende Argumente vorgebracht hätte, ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz ihr Begehren als aussichtslos betrachtete.
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6.
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Damit ist die Beschwerde in Zivilsachen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Soweit die Beschwerdeführerin auch eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde erheben wollte, ist nicht darauf einzutreten. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig. Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da der Beschwerdegegner mit Bezug auf die aufschiebende Wirkung unterlag und sich zur Sache hat vernehmen lassen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Diesen unnützen Aufwand hat er selbst zu tragen (Art. 66 Abs. 3 i.V.m. Art. 68 Abs. 4 BGG). Zufolge Gewährung der aufschiebenden Wirkung wird die Vorinstanz die letzte Frist zur Leistung des Kostenvorschusses neu ansetzen müssen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
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2.
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Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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3.
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Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4.
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Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. August 2012
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Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Klett
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Der Gerichtsschreiber: Luczak
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