BGer 2C_598/2012 | |||
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BGer 2C_598/2012 vom 21.11.2012 | |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 1/2}
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2C_598/2012
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Urteil vom 21. November 2012
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II. öffentlich-rechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Seiler,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
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Gerichtsschreiber Kocher.
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1. Verfahrensbeteiligte
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ProLitteris, Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, Genossenschaft,
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2. SOCIETE SUISSE DES AUTEURS, SOCIETE COOPERATIVE,
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3. SUISA, Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik,
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4. SUISSIMAGE, Schweizerische Genossenschaft für Urheberrechte an audiovisuellen Werken,
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5. SWISSPERFORM,
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Beschwerdeführerinnen,
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alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ernst Brem,
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gegen
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1. Swissstream (Schweizerischer Verband der Streaming-Anbieter),
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2. Swisscom (Schweiz) AG,
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beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Albert Schmid,
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3. Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN), vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Michael Isler und Dr. Peter Mosimann,
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4. Schweizerischer Wirtschaftsverband der Anbieter von Informations-, Kommunikations- und Organisationstechnik SWICO, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian T. Suffert,
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Beschwerdegegner,
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Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und
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verwandten Schutzrechten,
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Bundesrain 20, 3003 Bern.
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Gegenstand
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Gemeinsamer Tarif 4e [2010-2011]; aufschiebende Wirkung,
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Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung II, vom 24. Mai 2012.
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Sachverhalt:
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A.
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Auf Antrag von fünf Verwertungsgesellschaften genehmigte die Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) am 17. November 2011 den "Gemeinsamen Tarif 4e (GT 4e 2010-2011)". Er betrifft die Periode vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2011. Mit Beschwerden vom 24. April 2012 an das Bundesverwaltungsgericht wandten sich der Verein Swissstream (Schweizerischer Verband der Streaming-Anbieter) und die Swisscom (Schweiz) AG gegen den Beschluss, beantragten dessen Aufhebung und ersuchten um superprovisorische Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesverwaltungsgericht gab dem Verfahrensantrag am 25. April 2012 statt. Die fünf Verwertungsgesellschaften schlossen in ihrer Stellungnahme vom 15. Mai 2012 bezüglich des Gesuchs auf Abweisung bzw. auf Nichteintreten (dies bezüglich der Swisscom [Schweiz] AG). Kurz zuvor hatten mit Eingaben vom 11. Mai 2012 der Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN) und der Schweizerische Wirtschaftsverband der Anbieter von Informations-, Kommunikations- und Organisationstechnik SWICO Beschwerde erhoben und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.
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B.
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In einer selbständig eröffneten Zwischenverfügung vom 24. Mai 2012 ordnete das Bundesverwaltungsgericht, soweit hier interessierend, die Kenntnisgabe der Schreiben an alle Parteien an (Ziff. 2 des Dispositivs). Den Beschwerden wurde die aufschiebende Wirkung gewährt (Ziff. 4 des Dispositivs), mit Ausnahme derjenigen der Swisscom (Schweiz) AG, deren Gesuch abgewiesen wurde (Ziff. 5 des Dispositivs). Überdies wurde die Massnahmeantwortbeilage 13 der fünf Verwertungsgesellschaften ("Liste der bis heute ermittelten Importeure") vom Akteneinsichtsrecht der Beschwerdeführerinnen ausgenommen (Ziff. 3 des Dispositivs).
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C.
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Mit Eingabe vom 18. Juni 2012 an das Bundesgericht erheben die fünf Verwertungsgesellschaften Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, die Zwischenverfügung vom 24. Mai 2012 sei in Bezug auf Ziff. 4 des Dispositivs (aufschiebende Wirkung) aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem verlangen sie, den Beschwerdegegnern sei die Einsicht in die Beilage "Liste der bis heute ermittelten Importeure" zu verweigern.
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Während die ESchK auf eine Vernehmlassung verzichtet, äussert sich die Vorinstanz und beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Auf Nichteintreten, eventuell Abweisung der Beschwerde, schliessen die vier Beschwerdegegner.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit bzw. die Zulässigkeit des Rechtsmittels von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (BGE 138 III 471 E.1 S. 475; 137 III 417 E. 1). Zu den allgemeinen Eintretensvoraussetzungen in einem vergleichbaren Fall kann auf die bisherige Rechtsprechung verwiesen werden (Urteile 2A.53/2006 ff. vom 19. Juni 2007 E. 1-4, auszugsweise publ. in BGE 133 II 263; nun auch Urteil 2C_146/2012 vom 20. August 2012 E. 1), wenngleich es hier lediglich um die Frage der aufschiebenden Wirkung geht.
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1.2 Beim Massnahmeentscheid, der vor oder während eines Hauptverfahrens erlassen wurde und nur für die Dauer des Hauptverfahrens Bestand hat, handelt es sich bezüglich der Anfechtung vor Bundesgericht um einen Zwischenentscheid (BGE 138 III 46 E. 1.1; 76 E. 1.2 S. 79; 137 III 324 E. 1.1 S. 328; 134 I 83 E. 3.1 S. 86 f.). Im Vordergrund steht Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, soweit der Entscheid geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur zu bewirken (BGE 137 III 380 E. 1.2.1 S. 382; 136 IV 92 E. 4 S. 95). Irreparabel ist der Nachteil, soweit selbst ein für die Verwertungsgesellschaften günstiger Endentscheid in der Hauptsache den durch den Zwischenentscheid bewirkten Nachteil nicht vollständig zu beseitigen vermöchte (BGE 137 III 522 E. 1.3 S. 525).
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1.3 Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG), wobei die Beschwerdeführer eine qualifizierte Begründungspflicht trifft (Art. 106 Abs. 2 BGG). Praxisgemäss wird verlangt, dass die Verfassungsverletzung "klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids" dargelegt wird. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 136 II 489 E. 2.8 S. 494; Urteil 2C_774/2011 vom 3. Januar 2012 E. 1.2 mit Hinweisen).
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2.
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2.1 Wer Leerdatenträger herstellt oder importiert, die zur Aufnahme von Werken geeignet sind, schuldet gemäss Art. 20 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG; SR 231.1) dem Urheber oder der Urheberin für die Werkverwendungen eine Vergütung. Werden mithin in dieser Norm Subjekt, Objekt und grundsätzlich die Bemessungsgrundlage der Vergütung umschrieben, ergibt sich deren Höhe erst aufgrund individueller (Art. 46 Abs. 1 URG) oder gemeinsamer Tarife der Verwertungsgesellschaften (Art. 47 Abs. 1 URG). Sie alle sind der ESchK zur Genehmigung vorzulegen (Art. 46 Abs. 3 i.V.m. Art. 55 Abs. 1 URG).
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2.2 Der Rechtsanspruch auf Vergütung besteht damit von Gesetzes wegen. Die Ausgestaltung des gemeinsamen Tarifs 4e [2010-2011] und mithin auch der Bezug der Vergütung, die unter Vorbehalt des Tarifs im Gesetz geregelt ist, bildet Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Diese Frage hat Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des allenfalls modifizierten Tarifs, was hier aber nicht weiter zu vertiefen ist. Denn der Endentscheid der Vorinstanz wird auch in Bezug auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifs beim Bundesgericht angefochten werden können. Ein allfälliger Rechtsnachteil wird somit vom Bundesgericht korrigiert werden können. Soweit die Beschwerdeführerinnen einen Nachteil darin sehen, dass das Delkredere-Risiko mit der Zeit ansteigt, so handelt es sich dabei grundsätzlich um einen rein faktischen Nachteil. Hinzu kommt, dass die Geltungsperiode des streitigen Tarifs (Juli 2010-Dezember 2011) bereits abgelaufen ist, so dass der Schaden inzwischen nicht mehr weiter anwächst.
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2.3 Auch wenn die Suspendierung des Gemeinsamen Tarifs 4e [2010-2011] als nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur zu betrachten wäre, hätte die Beschwerde den Anforderungen von Art. 98 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG zu genügen (E 1.3). Eine klare und detaillierte Darstellung der Verfassungsverletzungen anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids ist freilich nicht ersichtlich. In Bezug auf die von den Beschwerdeführerinnen gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist zu bemerken, dass Art. 29 Abs 2 BV bei Entscheiden über die aufschiebende Wirkung wegen der damit verbundenen zeitlichen Dringlichkeit nicht die gleiche Tragweite hat wie bei Sachentscheiden (Urteil 2C_631/2010 vom 8. September 2010 E. 3.2), zumal die vorsorgliche Anordnung jederzeit auch wieder geändert werden kann. Die heutigen Beschwerdeführerinnen konnten sich im vorinstanzlichen Verfahren zum Gesuch um aufschiebende Wirkung der heutigen Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 äussern; die entsprechenden Gesuche der heutigen Beschwerdegegner 3 und 4 betrafen den gleichen Streitgegenstand: Die Beschwerdeführerinnen legen nicht dar, dass und inwiefern die Äusserungsmöglichkeit zu den Gesuchen der Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 nicht auch die gleichgerichteten anderen Gesuche abdeckte.
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Soweit die Beschwerdeführerinnen die willkürliche Annahme einer Rückwirkung rügen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage im Endentscheid zu beantworten sein wird (E. 2.2), so dass insoweit keine Willkür in Bezug auf die aufschiebende Wirkung dargetan ist.
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Wenn die Verwertungsgesellschaften schliesslich in den vorinstanzlichen Erwägungen zur Inkraftsetzung des neuen Tarifs bzw. zum Charakter der aufschiebenden Wirkung in Urheberrechtssachen (Art. 74 Abs. 2 URG) glauben Willkür erkennen zu können, fehlt es wiederum an einer hinreichenden Darstellung der Verfassungsverletzung. Für die Annahme von Willkür reicht es ohnehin nicht aus, dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint (statt vieler BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5).
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3.
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3.1 Fehlt es an der hinreichenden Rüge der Verfassungsverletzung, ist nach einer solchen nicht von Amtes wegen zu forschen (BGE 136 II 489 E. 2.8 S. 494; 135 II 145 E. 8.1 S. 153; 134 II 244 E. 2.2 S. 246) und es ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht einzutreten (BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.; Urteil 2C_774/2011 vom 3. Januar 2012 E. 2.3).
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3.2 Soweit die Verwertungsgesellschaften verlangen, den Nutzungsorganisationen sei die Einsicht in die "Liste der bis heute ermittelten Importeure" zu verweigern, wird dieser Antrag aufgrund des Nichteintretens auf die Beschwerde gegenstandslos.
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3.3 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend werden die mit ihrer Beschwerde unterliegenden Verwertungsgesellschaften kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG); sie haben die Nutzungsorganisationen für deren Aufwand vor Bundesgericht zudem angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG; Urteil 2C_658/2008 vom 18. März 2009 E. 3.3, nicht publ. in BGE 135 II 172). In beiden Fällen besteht solidarische Haftbarkeit der Verwertungsgesellschaften (Art. 66 Abs. 5 BGG bzw. Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 5 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nicht eingetreten.
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2.
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Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit.
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3.
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Die Beschwerdeführerinnen werden zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit verpflichtet, die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung II, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 21. November 2012
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Kocher
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