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Informationen zum Dokument  BGer 5A_879/2012  Materielle Begründung
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BGer 5A_879/2012 vom 12.12.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5A_879/2012
 
Urteil vom 12. Dezember 2012
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
 
Bundesrichter L. Meyer, von Werdt,
 
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Advokat Guido Ehrler,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Fürsorgerat des Kantons Basel-Stadt, Rheinsprung 16/18, Postfach 1532, 4001 Basel.
 
Gegenstand
 
Fürsorgerische Freiheitsentziehung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 27. September 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1965 geborene X.________ wurde erstmals 2009 durch ihren Hausarzt bei der Abteilung Sucht des Kantons Basel-Stadt für eine Beratung bezüglich ihres Alkoholproblems angemeldet. Da es ihr auch in den folgenden Jahren nicht gelang, abstinent zu leben, und sie im Jahr 2011 an einer Lungenentzündung und gastrointestinalen Blutungen litt, ordnete der Fürsorgerat des Kantons Basel-Stadt am 21. September 2011 auf Antrag der Abteilung Sucht eine ambulante spezialärztliche Begutachtung von X.________ an. Da diese eine Begutachtung grundsätzlich ablehnte und verschiedene Termine für eine Begutachtung nicht wahrnahm, wurde sie mit Entscheid des Fürsorgerates vom 30. November 2011 zwecks Begutachtung für drei Wochen in die Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) eingewiesen. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft. In ihrem Gutachten vom 4. Mai 2012 empfahlen die Ärzte eine suchtspezifische Entwöhnungstherapie von mindestens 16 Wochen. Gestützt auf dieses Gutachten wurde X.________ mit Entscheid des Fürsorgerates vom 11. Juli 2012 - im Rahmen fürsorgerischer Freiheitsentziehung - für längstens ein Jahr in eine geeignete Behandlungsstation eingewiesen. Der Entscheid wurde aber nicht vollzogen.
 
B.
 
Gegen diesen Entscheid gelangte die anwaltlich verbeiständete X.________ am 19. Juli 2012 mit Rekurs an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht mit sinngemässem Ersuchen um gerichtliche Beurteilung der Einweisung. Im Rahmen der Verhandlung vom 27. September 2012 hörte die angerufene Instanz die Betroffene sowie den Vertreter des Fürsorgerates an und wies mit Entscheid vom gleichen Tag den Rekurs ab.
 
C.
 
Die weiterhin anwaltlich verbeiständete X.________ (Beschwerdeführerin) hat am 27. November 2012 (Postaufgabe) gegen den Entscheid des Appellationsgerichts beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 27. September 2012 und der Entscheid des Fürsorgerates des Kantons Basel-Stadt vom 11. Juli 2012 seien aufzuheben. Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt sie, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu gewähren, da die Einweisung zur Behandlung bisher nicht vollzogen worden sei.
 
D.
 
Das Appellationsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Fürsorgerat hat sich nicht vernehmen lassen.
 
E.
 
Mit Verfügung vom 6. Dezember 2012 hat der Instruktionsrichter der II. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid (Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung. Er betrifft eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit, die in engem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht und demzufolge ohne weiteres mit Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht angefochten werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die Beschwerdeführerin war im kantonalen Verfahren Partei (Art. 76 Abs. 1 lit. a BGG). Sie ist mit dem sinngemässen Gesuch um Aufhebung der Massnahme nicht durchgedrungen und verfügt damit über ein schützenswertes Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung des Entscheids (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Daran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin bisher noch nicht in die Anstalt überführt worden ist, zumal sie jederzeit mit der Anordnung des Vollzuges der fürsorgerischen Freiheitsentziehung rechnen muss, solange die Massnahme nicht durch die zuständige Instanz gemäss Art. 397b Abs. 3 ZGB aufgehoben worden ist (vgl. Urteil 5P.346/2002 vom 30. Oktober 2002 E. 2.1). Auf die im Übrigen fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
 
1.2 Soweit die Beschwerdeführerin darauf hinweist, sie besuche seit Anfang Oktober 2012 eine ambulante Therapie beim Blauen Kreuz, ist darauf angesichts des Novenverbots (Art. 99 Abs. 1 BGG) nicht einzutreten.
 
2.
 
2.1 Die Einweisung bzw. die Zurückbehaltung in einer Anstalt gestützt auf Art. 397a Abs. 1 ZGB erfordert, dass die betroffene Person infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann.
 
2.2 Das Appellationsgericht hat gestützt auf das Gutachten der UPK vom 4. Mai 2012 auf eine langjährige schwere Alkoholabhängigkeit der Beschwerdeführerin und damit auf einen Schwächezustand im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB geschlossen. Obwohl sich das Gutachten gemäss den Feststellungen des Appellationsgerichts zur Frage der konkreten Selbstgefährdung nicht explizit äussert, hat das Appellationsgericht unter Berufung auf medizinische Lehre und aufgrund der somatischen Diagnosen, insbesondere infolge der bereits fortgeschrittenen Leberzirrhose eine akute Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Beschwerdeführerin und deshalb einen Fürsorgebedarf bejaht. Schliesslich hat es die Einweisung zur stationären Behandlung als notwendig und verhältnismässig erachtet.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf BGE 128 III 12 E. 4c S. 16 f. geltend, das Appellationsgericht sei einzige Rechtsmittelinstanz des Kantons Basel-Stadt und hätte daher ein Gutachten einholen müssen. Indem es auf den vom Fürsorgerat eingeholten Sachverständigenbericht vom 4. Juli 2012 abgestellt habe, sei es den Anforderungen von Art. 397e Ziff. 5 ZGB nicht gerecht geworden und habe den Sachverhalt mangelhaft abgeklärt.
 
3.1 Nach Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf bei psychisch Kranken, insbesondere auch bei Alkoholkranken (BGE 137 III 289 E. 4.2 S. 291 f.) nur unter Beizug eines Sachverständigen entschieden werden. Laut der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellt diese Bestimmung eine erneute Begutachtung ins richterliche Ermessen, wenn ein Entscheid in einem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren unter Beizug eines Sachverständigen ergangen ist. Sieht ein Kanton eine einzige richterliche Instanz vor, so ist diese verpflichtet, ein Gutachten einzuholen (BGE 128 III 12 E. 4c S. 16 f.).
 
3.2 Nach § 6 des basel-städtischen Gesetzes vom 19. Februar 1976 betreffend Massnahmen gegen den Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie gegen den Drogenkonsum und betreffend Einführung des revidierten Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 20. März 1975 [Alkohol- und Drogengesetz; ADG]) ist der Fürsorgerat richterliche Behörde (vgl. § 7 ADG). Er kann den Alkoholabhängigen erstmals für längstens ein Jahr in eine Behandlungsstation einweisen (§ 11 ADG). Richter im Sinne von Art. 397d ZGB ist das Verwaltungsgericht (§ 4 der Verordnung betreffend Einführung des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1978 über die fürsorgerische Freiheitsentziehung [Art. 397a ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches] vom 16. Dezember 1980). In der Marginale der Norm wird es als Rechtsmittelinstanz bezeichnet.
 
3.3 Im vorliegenden Fall hat der Fürsorgerat als gerichtliche Behörde die Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 30. November 2011 zur Begutachtung in die UPK eingewiesen und hat schliesslich am 11. Juli 2012 gestützt auf das Gutachten vom 4. Mai 2012 die Einweisung der Beschwerdeführerin zwecks Therapie ihrer Sucht verfügt. Unter den gegebenen Umständen war das Appellationsgericht als Richter im Sinn von Art. 397d ZGB auch im Lichte der zitierten Rechtsprechung nicht gehalten, selbst ein (weiteres) Gutachten einzuholen, soweit die vom Fürsorgerat beigebrachte Expertise inhaltlich den Anforderungen von Art. 397e Ziff. 5 ZGB entsprach und im Übrigen als schlüssig und glaubwürdig angesehen werden konnte. Eine Verletzung von Bundesrecht ist nicht ersichtlich.
 
4.
 
Die Beschwerdeführerin rügt im Weiteren, das Appellationsgericht leite ihre akute Selbstgefährdung und damit das Fürsorgebedürfnis aus dem somatischen Zustand ab. Es nehme an, die bereits fortgeschrittene Leberzirrhose setze die Beschwerdeführerin einer 1-Jahres-Mortalität von 15% aus. Das Gericht beziehe diese Angaben indes nicht aus dem Gutachten, sondern aus der Literatur. Sie sei zu keinem Zeitpunkt von einem Nieren- oder Leberspezialisten untersucht worden. Die Vorinstanz habe damit Art. 397e Ziff. 5 ZGB verletzt.
 
4.1 Das gestützt auf Art. 397e Ziff. 5 ZGB einzuholende Gutachten hat es dem Gericht zu ermöglichen, die sich aus Art. 397a Abs. 1 ZGB ergebenden Rechtsfragen zu beantworten (BGE 137 III 289 E. 4.5). Ist wie hier ein Fall der Alkoholsucht zu beurteilen, hat die zuständige Instanz ein Sachverständigengutachten einzuholen, das sich insbesondere über den Gesundheitszustand der betroffenen Person, aber auch darüber zu äussern hat, wie sich allfällige gesundheitliche Störungen hinsichtlich der Gefahr einer Selbst- oder Drittgefährdung, aber auch der Verwahrlosung auswirken können und ob sich daraus ein Handlungsbedarf ergibt (BGE 137 III 289 E. 4.5). In diesem Zusammenhang hat der Gutachter insbesondere darüber Auskunft zu geben, mit welcher konkreten Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der betroffenen Person bzw. von Dritten zu rechnen ist, wenn die Behandlung der Sucht bzw. ihrer gesundheitlichen Folgen unterbleibt (zum Erfordernis der konkreten Gefahr: Urteile 5A_312/2007 vom 10. Juli 2007 E. 2.3; 5A_288/2011 vom 19. Mai 2011 E. 5.3). Im Weiteren ist durch den Gutachter zu prüfen, ob aufgrund des festgestellten Handlungsbedarfs eine stationäre Behandlung unerlässlich ist. Dabei hat der Experte auch darüber Auskunft zu geben, ob die betroffene Person über glaubwürdige Krankheits- und Behandlungseinsicht verfügt. Als Letztes hat der Experte zu beantworten, ob eine Anstalt zur Verfügung steht und wenn ja, (nötigenfalls) warum die vorgeschlagene Anstalt für die Behandlung der Beschwerdeführerin infrage kommt (siehe zum Ganzen BGE 137 III 289 E. 4.5; ferner das ausführliche Urteil 5A_111/2012 vom 27. Februar 2012 E. 2.2, den Kanton Basel-Stadt betreffend).
 
4.2 Der im Gutachten enthaltene Fragenkatalog zuhanden des Gutachters hält sich nicht an die Vorgaben der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Insbesondere wird die Frage nicht gestellt, mit welcher konkreten Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Beschwerdeführerin zu rechnen ist, wenn die vom Experten als notwendig erachtete Therapie unterbleibt. Auch das Appellationsgericht ist der Auffassung, der Experte habe die Frage nach der konkreten Selbst- bzw. Drittgefährdung nicht ausdrücklich beantwortet, hält jedoch dafür, der Gutachter habe implizit eine konkrete Gefährdung bejaht. Alsdann versucht es, das erforderliche Fürsorgebedürfnis anhand von Literaturzitaten über die Sterblichkeitsrate bei Lebezirrhose zu belegen. Dem Gutachten kann indes keine aussagekräftige Angabe bezüglich einer konkreten Lebensgefahr der Beschwerdeführerin entnommen werden. Immerhin ergibt sich aus der Zusammenfassung der Expertise, dass mangels Behandlung der Sucht bei fortgesetztem Trinken eine weitere gravierende Verschlechterung des "bio-psycho-sozialen Zustandes der Explorandin droht". Dabei wird indes nicht näher erläutert, welche konkrete Gefahr nun damit gemeint ist. Das Appellationsgericht geht in seinen Ausführungen auf die zusammenfassenden Erläuterungen des Gutachtens nicht ein, sondern beschränkt sich darauf, sich mit Hinweisen auf die Literatur zur Leberzirrhose zu behelfen, um so die vom Gutachter nicht festgestellte konkrete Lebensgefahr zu begründen. Angesichts der alles andere als klaren Ausgangslage durfte das Appellationsgericht nicht ohne Nachfrage beim Gutachter in rechtlicher Hinsicht auf eine Fürsorgebedürftigkeit im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB schliessen.
 
5.
 
Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache zur Einholung einer Ergänzung des Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Vorinstanz wird eine Frist von 30 Tagen ab Zustellung des vorliegenden Urteils gesetzt, um die Ergänzung des Sachverhalts vorzunehmen und neu zu entscheiden. Wird nicht innert dieser Frist entschieden, fällt die am 11. Juli 2012 verfügte fürsorgerische Freiheitsentziehung ohne weiteres dahin.
 
6.
 
Da vorliegend dem Hauptantrag um Aufhebung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht entsprochen, sondern lediglich auf Rückweisung der Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung erkannt wird, kann die Beschwerde lediglich teilweise gutgeheissen werden. Dem Kanton sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Im Übrigen ist es aufgrund der konkreten Umstände gerechtfertigt, auch der nur teilweise obsiegenden Beschwerdeführerin keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Basel-Stadt hat indes die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).
 
7.
 
Mit der vorliegenden Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid des Appellationsgerichts Basel Stadt als Verwaltungsgericht vom 27. September 2012 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen, die innert 30 Tagen seit Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils neu zu entscheiden hat. Wird nicht innert dieser Frist entschieden, fällt die am 11. Juli 2012 angeordnete fürsorgerische Freiheitsentziehung ohne weiteres dahin.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Basel-Stadt hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Fürsorgerat des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Dezember 2012
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Hohl
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden
 
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