BGer 1C_390/2012 | |||
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BGer 1C_390/2012 vom 26.03.2013 | |
{T 0/2}
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1C_390/2012
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Urteil vom 26. März 2013 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
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Bundesrichter Merkli, Karlen, Eusebio, Chaix,
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Gerichtsschreiber Steinmann.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Martin Wagner,
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gegen
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Bundesverwaltungsgericht Generalsekretariat, Postfach, 9023 St. Gallen.
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Gegenstand
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Einsicht in Archivgut,
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Beschwerde gegen die Verfügung vom 18. Juli 2012 des Bundesverwaltungsgerichts Generalsekretariat.
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Sachverhalt: |
A. | |
A.________ publizierte im ″Beobachter″ vom 17. Februar 2012 einen Artikel unter dem Titel ″Die Integration ist schwierig″. Darin wird die Schweizer Flüchtlingspolitik in Bezug auf Menschen aus Eritrea thematisiert, die als Fluchtgrund die Gefahr nennen, in Eritrea wegen Desertion unmenschlich bestraft zu werden. Es wird auf die grosse Zahl von eritreischen Flüchtlingen in der Schweiz hingewiesen. Dies sei Folge eines Grundsatzentscheides der (ehemaligen) Asylrekurskommission (ARK) aus dem Jahre 2005. Kurz darauf wurde die Thematik in der ″Weltwoche″ vom 26. April 2012 unter dem Titel ″Dorfgespräch in Eritrea″ aufgegriffen. Im Zuge dieser Berichterstattungen tauchte die Frage auf, wer für das erwähnte Urteil der ARK verantwortlich zeichne.
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B. | |
Gegen diesen Entscheid des Generalsekretärs hat A.________ beim Bundesgericht am 20. August 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Er ersucht um Aufhebung des angefochtenen Entscheids und um Einsicht in das vollständige Urteil der Asylrekurskommission. Eventualiter sei ihm die Zusammensetzung des Spruchkörpers bekanntzugeben.
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Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a BGG) können u.a. Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG) beim Bundesgericht angefochten werden. Dazu zählen nicht nur Urteile, die das Bundesverwaltungsgericht auf Beschwerde oder Klage hin trifft, sondern auch Verwaltungsentscheidungen des Generalsekretärs über die Verweigerung der ersuchten Einsicht (vgl. Art. 12 des Reglements über die Archivierung beim Bundesverwaltungsgericht [Archivierungsreglement, ArchivRegl; SR 152.13]). Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (vgl. Art. 14 ArchivRegl). Im Übrigen geben die Eintretensvoraussetzungen zu keinen Bemerkungen Anlass (Art. 45 Abs. 1, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 95 lit. a und Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde kann demnach eingetreten werden.
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Erwägung 2 | |
Der Beschwerdeführer ist im Besitze eines Auszugs aus dem Urteil der Asylrekurskommission (ARK) vom 20. Dezember 2005 i.S. L.H., Eritrea. Dieser ist ihm vom Bundesverwaltungsgericht ausgehändigt worden. Er ist amtlich publiziert (EMARK 2006/03) und kann auf dem Internet eingesehen werden. Der Auszug enthält eine Regeste, die Zusammenfassung des Sachverhalts und die massgebliche Erw. 4. Die ARK kam in diesem Entscheid zu folgendem Schluss (E. 4.12) :
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¨Der Beschwerdeführer hatte als Deserteur ohne Zweifel einen konkreten Kontakt zum Militär. Er muss damit rechnen, dass er im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Kommandanten seiner Einheit überlassen, dort für eine unbeschränkte Dauer unter erbärmlichen Bedingungen festgehalten und den beschriebenen körperlichen Strafen ausgesetzt würde. Der Beschwerdeführer hat somit begründete Furcht, im Falle einer Rückkehr einem ernsthaften Nachteil im Sinne von Art. 3 AsylG ausgesetzt zu werden. (...) Die angefochtene Verfügung (...) hat in Verletzung von Bundesrecht festgestellt, die Vorbringen des Beschwerdeführers genügten den Anforderungen an den Flüchtlingsbegriff nicht. Sie ist vollumfänglich aufzuheben. Der Beschwerdeführer ist als Flüchtling anzuerkennen und es ist ihm, da keine Ausschlussgründe ersichtlich sind, Asyl zu gewähren.″ (...).
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Der Beschwerdeführer verlangt über die Kenntnisnahme des Urteils in der publizierten Form hinaus Einsicht in das vollständige Urteil, zumindest in die Zusammensetzung des Spruchkörpers. Die Vorinstanz hat dieses Ersuchen mit dem Hinweis auf das Archivierungsreglement und den Schutz von Treu und Glauben der damaligen Richter der Asylrekurskommission abgelehnt.
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Erwägung 3 | |
3.1. Das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ, SR 152.3) kommt, wie die Vorinstanz zu Recht festhält, nicht zur Anwendung. Es gilt nach Art. 3 Abs. 1 lit. a für eine Reihe von gerichtlichen Verfahren nicht, namentlich auch nicht für Verfahren der Staats- und Verwaltungsrechtspflege.
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3.2. Der Generalsekretär stützte seinen Entscheid vorab auf das Archivierungsreglement. Dieses enthält folgende Bestimmungen:
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Art. 6 - Schutzfrist
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1 Grundsätzlich gilt die Schutzfrist von 30 Jahren nach Artikel 9 BGA.
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2 Prozessakten unterstehen der längeren Schutzfrist von 50 Jahren nach Artikel 11 BGA.
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4 Unterlagen, die bereits vor der Archivierung öffentlich zugänglich waren, bleiben weiterhin öffentlich zugänglich.
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Art. 9 - Einsichtnahme in die Prozessakten während der Schutzfrist
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1 Einsicht in die Prozessakten während der Schutzfrist kann insbesondere gewährt werden, wenn:
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a. das Einverständnis der betroffenen Person vorliegt; oder
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b. die betroffenen Personen seit mindestens drei Jahren verstorben sind.
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2 Das Bundesverwaltungsgericht achtet die Rechte der Parteien und der betroffenen Drittpersonen.
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3 Aus Gründen des Persönlichkeits- und Geheimnisschutzes kann die Einsichtnahme auf einen Teil der Akten beschränkt werden. Die einsehbaren Akten können anonymisiert und Textstellen abgedeckt werden.
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Art. 11 - Gesuch um Einsichtnahme
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2 Gesuche um Einsichtnahme während der Schutzfrist müssen schriftlich begründet werden.
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Der Generalsekretär ging davon aus, dass für das umstrittene Gesuch die Schutzfrist gelte. Die Bestimmung von Art. 30 Abs. 3 BV verpflichte die Gerichte zwar zur Information über ihre Rechtsprechung. Den gleichen Grundsatz enthalte Art. 29 Abs. 1 VGG. Diesen Verpflichtungen sei die Asylrekurskommission mit der damaligen Publikation einer Auswahl von wichtigen Urteilen nachgekommen. Es sei nicht Sache des Bundesverwaltungsgerichts, den Öffentlichkeitsgrundsatz über die damalige Publikationspraxis der Asylrekurskommission hinaus nachträglich auf diese anzuwenden. Das Vertrauen der damaligen ARK-Richter, dass ihre Namen entsprechend ihrer damaligen Praxis nicht bekannt würden, sei auch heute noch zu schützen. Im Übrigen müsse die Presse ihre Einsichtsgesuche durch ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen, woran es im vorliegenden Fall fehle.
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3.3. Art. 30 Abs. 3 BV verankert das auch von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 UNO-Pakt II vorgesehene Prinzip der Justizöffentlichkeit. Diese erlaubt Einblick in die Rechtspflege und sorgt für Transparenz gerichtlicher Verfahren. Damit dient sie einerseits dem Schutze der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Andererseits ermöglicht die Justizöffentlichkeit auch nicht verfahrensbeteiligten Dritten nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird. Die Justizöffentlichkeit bedeutet eine Absage an jegliche Form der Kabinettsjustiz, will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen. Der Grundsatz ist von zentraler rechtsstaatlicher und demokratischer Bedeutung. Die demokratische Kontrolle durch die Rechtsgemeinschaft soll Spekulationen begegnen, die Justiz benachteilige oder privilegiere einzelne Prozessparteien ungebührlich oder Ermittlungen würden einseitig und rechtsstaatlich fragwürdig geführt (BGE 137 I 16 E. 2.2 S. 18; 134 I 286 E. 6.1 S. 289; 133 I 106 E. 8.1 S. 107; 124 IV 234 E. 3b S. 238, je mit weiteren Hinweisen). Im Ausmass der garantierten Justizöffentlichkeit bilden Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich zugängliche Quellen im Sinne der Informationsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 3 BV (BGE 137 I 16 E. 2.2 S. 19; 127 I 145 E. 4c/aa S. 153; 113 Ia 309 E. 4c S. 318).
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3.4. Wie dargelegt, wird im angefochtenen Entscheid der Anwendung von Art. 30 Abs. 3 BV im Wesentlichen das Archivierungsreglement entgegengehalten. Es stellt sich daher die Frage, wie dieses auszulegen ist und in welchem Verhältnis Archivierungsreglement und Bundesverfassung im Hinblick auf die vorliegende Angelegenheit zueinander stehen.
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3.5. Gemäss Art. 1 Abs. 1 regelt das Archivierungsreglement die Archivierung der Unterlagen des Bundesverwaltungsgerichts und die Einsichtname in die Unterlagen durch Dritte. Art. 9 ArchivRegl handelt von der Einsicht in Prozessakten während der Schutzfrist. Eine solche Einsicht in Prozessakten - etwa zur Erforschung der Hintergründe der konkreten Angelegenheit - steht im vorliegenden Fall nicht in Frage. Es geht dem Beschwerdeführer vielmehr um die (vollständige) Kenntnis des Urteils der damaligen Asylrekurskommission. Die Kenntnisnahme von Urteilen beschlägt eine andere Ebene als die Einsicht in Prozessakten und den vom Archivierungsreglement erfassten Bereich. Die Justizöffentlichkeit ist für den spezifischen Bereich der Justiz ein spezielles Mittel zur Gewährleistung von Transparenz in der Rechtsprechung und betrifft insoweit nicht das Archivierungsrecht. Von Urteilen kann Kenntnis gegeben werden, ohne gleichzeitig auch Einsicht in die Prozessakten zu gewähren. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme von Urteilen wird verfassungsrechtlich mit Umfang und Grenzen von Art. 30 Abs. 3 BV bestimmt. Somit ist die Einsicht in die Prozessakten von der Kenntnisnahme von Urteilen zu trennen. Es folgt daraus, dass die vorliegende Angelegenheit ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel der genannten Verfassungsbestimmung zu beurteilen ist.
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3.6. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Kenntnisnahme von Urteilen ist nicht absolut. Er wird begrenzt durch den ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Schutz von persönlichen und öffentlichen Interessen. Sein Umfang ist im Einzelfall unter Abwägung der entgegenstehenden Interessen zu bestimmen.
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Erwägung 4 | |
Demnach ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist an das Bundesverwaltungsgericht zur Bekanntgabe des Urteils der Asylrekurskommission vom 20. Dezember 2005 an den Beschwerdeführer zurückzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht achtet dabei die Persönlichkeitsrechte der damaligen Prozessbeteiligten und nimmt die entsprechenden Anonymisierungen oder Abdeckungen vor.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Generalsekretärs des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2012 aufgehoben. Die Sache wird dem Bundesverwaltungsgericht zur Kenntnisgabe des Urteils der Asylrekurskommission vom 20. Dezember 2005 an den Beschwerdeführer im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesverwaltungsgericht, Generalsekretariat schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 26. März 2013
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Das präsidierende Mitglied: Aemisegger
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Der Gerichtsschreiber: Steinmann
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