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Informationen zum Dokument  BGer 4D_8/2013  Materielle Begründung
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BGer 4D_8/2013 vom 08.04.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4D_8/2013
 
Urteil vom 8. April 2013
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichter Kolly,
 
Bundesrichterin Kiss,
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________ Gastro GmbH,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Götte,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Arbeitsvertrag,
 
Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 9. Januar 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ (Beschwerdegegnerin) arbeitete im März 2011 im von der X.________ Gastro GmbH (Beschwerdeführerin) betriebenen Restaurant Z.________ in I.________ als Servicemitarbeiterin. Am 24. März 2011 verliess sie nach einer verbalen Auseinandersetzung ihren Arbeitsplatz.
 
B.
 
In der Folge rief sie das Friedensrichteramt Schwerzenbach an und machte Ansprüche (Lohnforderungen und den Ersatz einer Spitalrechnung) im Umfang von insgesamt Fr. 5'864.61 geltend, nämlich Fr. 3'074.86 Lohn für die Zeit vom 1. März bis 24. März 2011, Fr. 1'195.75 Lohn für die Kündigungszeit von sieben Tagen, Fr. 854.10 für die Arbeitsunfähigkeit infolge Unfalls vom 25. März 2011 bis 3. April 2011 sowie Fr. 740.-- für die Spitalrechnung. Die Beschwerdeführerin liess sich an der Schlichtungsverhandlung und an der Hauptverhandlung des Arbeitsgerichts am Bezirksgericht Uster, bei dem die Beschwerdegegnerin die Klage nach der Schlichtungsverhandlung einreichte, unentschuldigt nicht vertreten. Nach Durchführung der Hauptverhandlung und nachdem die Beschwerdegegnerin ihr Rechtsbegehren abgeändert bzw. auf total Fr. 11'840.-- erweitert hatte, fällte das Arbeitsgericht am 29. Mai 2012 folgendes Urteil:
 
"1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zu bezahlen:
 
Fr. 7'400.-- brutto, wobei sich dieser Betrag um die von der Beklagten zu leistenden Sozialabzüge reduziert, soweit die Beklagte nachweist, dass sie diese an die zuständigen Instanzen abgeliefert hat,
 
Fr. 3'700.-- netto,
 
Fr. 740.-- netto.
 
2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Lohnabrechnung für die Monate März und April 2011 zu erstellen und auszuhändigen.
 
[3.-4.]"
 
Gegen dieses Urteil erhob die Beschwerdeführerin Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 9. Januar 2013 trat das Obergericht auf die Berufung nicht ein.
 
C.
 
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde, "[u]nter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Obergerichts vom 9. Januar 2013 sowie [...] des Urteils des Bezirksgerichts Uster vom 29. Mai 2012 sei die Klage der Beschwerdegegnerin nur im Umfang der ursprünglichen Klage (Verpflichtung zur Bezahlung von [ ]Fr. 3'074.86 Lohn vom 1.3.-24.3.2011[,] Fr. 1'195.75 Lohn während Kündigungszeit von 7 Tagen[,] Fr. 854.10 Lohn Arbeitsunfähigkeit infolge Unfall 25.3.2011 bis 3.4.2011[,] Fr. 740.-- Spitalrechnung[,] Aus- und Zustellung einer Lohnabrechnung über die Lohnzahlung) gutzuheissen. Sämtliche darüber hinausgehenden Begehren seien abzuweisen, soweit auf die erst anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 29. Mai 2012 vorgenommene Klageerweiterung überhaupt einzutreten [sei]." Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
 
Die Beschwerdegegnerin reichte keine Antwort ein. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung.
 
Mit Präsidialverfügung vom 13. März 2013 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde erweist sich als zulässig, nachdem die Beschwerde in Zivilsachen ausscheidet, weil der Streitwert (Fr. 11'840.--) die für arbeitsrechtliche Streitigkeiten geltende Grenze von Fr. 15'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) nicht erreicht (Art. 113 BGG).
 
1.2 Die Beschwerdeführerin stellt in der Beschwerde an das Bundesgericht einen materiellen Antrag. Hat die Vorinstanz einen Nichteintretensentscheid gefällt und demnach die Sache materiell nicht beurteilt, könnte das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde regelmässig nicht reformatorisch entscheiden, sondern müsste die Angelegenheit zum Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurückweisen. Ein materieller Antrag ist daher in solchen Fällen nicht erforderlich (Urteile 4D_77/2012 vom 20. November 2012 E. 1.2; 4A_232/2010 vom 19. Juli 2010 E. 2). Nachdem die Vorinstanz nicht auf die Berufung der Beschwerdeführerin eingetreten ist, genügt der blosse Antrag auf Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Es braucht daher nicht beurteilt zu werden, ob der materielle Antrag der Beschwerdeführerin mit Rücksicht auf Art. 99 Abs. 2 BGG zulässig ist.
 
1.3 Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Die Verletzung dieser Rechte kann das Bundesgericht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 117 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1; 134 II 244 E. 2.2). Der Beschwerdeführer muss klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darlegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 135 III 232 E. 1.2 S. 234; 133 III 589 E. 2).
 
2.
 
2.1 Die Vorinstanz begründete ihren Nichteintretensentscheid damit, die Beschwerdeführerin habe in der Berufung keinen materiellen Antrag gestellt. Sie erwog, es liege kein Fall vor, bei dem die Berufungsinstanz nur kassatorisch entscheiden könne. Die Beschwerdeführerin hätte daher einen Antrag in der Sache stellen müssen. Auch aus der Berufungsbegründung ergebe sich nicht, was die Beschwerdeführerin in der Sache wolle. Offenbar solle die Klage im erweiterten Umfang abgewiesen werden. Wie das Rechtsbegehren im ursprünglichen Umfang beurteilt werden solle, lasse die Beschwerdeführerin offen.
 
2.2 Das Bundesgericht hat unlängst festgehalten, dass die Berufungseingabe - obwohl in Art. 311 ZPO (SR 272) nicht erwähnt - auch die Rechtsbegehren zu enthalten hat (BGE 137 III 617 E. 4.2.2). Mit Blick auf die reformatorische Natur der Berufung (Art. 318 Abs. 1 lit. b ZPO) muss der Berufungskläger grundsätzlich einen Antrag in der Sache stellen. Ein Rechtsbegehren hat so bestimmt zu sein, dass es im Falle der Gutheissung der Klage unverändert zum Urteil erhoben werden kann. Die in der Berufung zu stellenden Anträge in der Sache müssen bestimmt und im Falle von Geldforderungen beziffert sein (BGE 137 III 617 E. 4.3 und 6.1 mit Hinweisen).
 
2.3 Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht nicht die unrichtige Anwendung von Art. 311 ZPO (vgl. Erwägung 1.3), sondern erhebt den Vorwurf, der vollumfängliche Nichteintretensentscheid sei überspitzt formalistisch. Aufgrund der Berufungsbegründung sei zumindest hinsichtlich der Klageerweiterung klar erkennbar gewesen, was die Beschwerdeführerin gewollt habe, nämlich die Abweisung der über die ursprüngliche Klage hinausgehenden Begehren, soweit auf die Erweiterung überhaupt einzutreten sei. Die Vorinstanz habe dies denn auch klar erkannt, habe sie doch ausgeführt, offenbar solle die Klage im erweiterten Umfang abgewiesen werden. Es stelle daher eine formelle Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) dar, wenn sich die Vorinstanz geweigert habe, diesen klar erkennbaren Antrag der Beschwerdeführerin materiell zu behandeln. Weiter sei der angefochtene Entscheid in diesem Punkt willkürlich (Art. 9 BV).
 
2.4 Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) ist gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 135 I 6 E. 2.1 mit Hinweisen). Insbesondere steht die Rechtsfolge des Nichteintretens auf unbezifferte Begehren unter dem Vorbehalt des überspitzten Formalismus. Daraus folgt, dass auf eine Berufung mit formell mangelhaften Rechtsbegehren ausnahmsweise einzutreten ist, wenn sich aus der Begründung, allenfalls in Verbindung mit dem angefochtenen Entscheid, ergibt, was der Berufungskläger in der Sache verlangt oder - im Falle zu beziffernder Rechtsbegehren - welcher Geldbetrag zuzusprechen ist. Rechtsbegehren sind im Lichte der Begründung auszulegen (BGE 137 III 617 E. 6.2 mit Hinweisen).
 
2.5 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin in der Berufung überhaupt keinen ausdrücklichen Antrag in der Sache gestellt, sondern bloss die Aufhebung und Rückweisung an die Erstinstanz zur Neubeurteilung begehrt. Es konnte im Berufungsverfahren mithin nicht darum gehen, einen ungenügend bestimmten materiellen Antrag im Lichte der Berufungsbegründung auszulegen (vgl. dazu etwa Urteil 5A_380/2012 vom 27. August 2012 E. 3.2). Die Vorinstanz hat aber zu Recht danach geforscht, ob sich aus der Berufungsbegründung ein hinreichender Antrag ergebe, wie das angefochtene Urteil abgeändert werden solle.
 
In ihrem Begehren verlangte die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts, das die Beschwerdeführerin zur Bezahlung von drei bezifferten Geldbeträgen und zur Aus- und Zustellung einer Lohnabrechnung verpflichtete. Nachdem die Beschwerdeführerin die Aufhebung des ganzen Urteils verlangte, stellte sich bei einer Gutheissung dieses Antrags die Frage, wie dasselbe insgesamt neu zu fassen sei. Darauf müsste ein materieller Antrag, der wenigstens aus der Berufungsbegründung klar ersichtlich zu sein hätte, eine genügend präzise Antwort geben. Nun ergibt sich aus der Berufungsbegründung aber mit hinlänglicher Klarheit nur - darin ist der Beschwerdeführerin beizupflichten -, dass sie die Klage wenigstens im Umfang der Klageerweiterung abgewiesen haben wollte. Dies hat auch die Vorinstanz erkannt. Hingegen geht die Haltung der Beschwerdeführerin hinsichtlich der ursprünglichen Klagebegehren nicht eindeutig aus der Berufungsbegründung hervor. Klar ist insoweit nur, dass sie auch die Beurteilung der ursprünglichen Klage für unrichtig hielt, indessen bleibt offen, in welchem Ausmass. So richtete sich die Beschwerdeführerin in der Berufungsbegründung nicht allein gegen die Gutheissung der Klage im erweiterten Umfang, sondern sie führte auch aus, dass sich hinsichtlich der ursprünglichen Klagebegehren in gewissen Teilen eine andere Beurteilung ergeben hätte. Zusammenfassend schrieb sie: "Nach dem Gesagten ist das angefochtene Urteil vollumfänglich aufzuheben. Ich ersuche das Obergericht, die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit die Klage nicht nur im (unzulässigen) erweiterten Umfang abgewiesen wird, sondern auch die auf offensichtlichen Falschbehauptungen beruhenden ursprünglichen Forderungen anders beurteilt werden." Mit der Formulierung "anders beurteilen" bleibt aber im Unklaren, in welchem konkreten Geldbetrag die ursprünglichen Begehren nach Auffassung der Beschwerdeführerin abgewiesen werden sollten. Mangels präziser Bezifferung, in welchem Umfang auch die ursprüngliche Klage abzuweisen sei, war es aufgrund dieser Formulierung nicht möglich, das aufzuhebende Urteil neu mit den im Sinne der Beschwerdeführerin zuzusprechenden Forderungsbeträgen zu ersetzen. Bei dieser Sachlage war die Vorinstanz unter dem Aspekt der Rechtsverweigerung nicht verpflichtet, den hinsichtlich des erweiterten Klageumfangs erkennbaren materiellen Antrag auf Klageabweisung genügen zu lassen. Angesichts des weitergehenden Anfechtungswillens der Beschwerdeführerin, der sich auch auf die ursprüngliche Klage erstreckte, aber eben nicht konkretisiert wurde, ist kein überspitzter Formalismus darin zu erkennen, dass die Vorinstanz insgesamt auf die Berufung nicht eintrat. Der angefochtene Entscheid ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 29 Abs. 1 und Art. 9 BV) nicht zu beanstanden.
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu sprechen, da sich die - ohnehin nicht anwaltlich vertretene - Beschwerdegegnerin nicht vernehmen liess.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. April 2013
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
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