VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4A_647/2012  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4A_647/2012 vom 09.04.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4A_647/2012
 
Urteil vom 9. April 2013
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichter Kolly,
 
Bundesrichterin Niquille,
 
Gerichtsschreiber Luczak.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Versicherung X.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Barmettler,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung; Krankentaggeld und Kündigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz, Kammer I,
 
vom 26. September 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ (Kläger und Beschwerdegegner) war seit 1999 bis zur Geschäftsaufgabe am 31. März 2011 als selbständig erwerbender Schneider mit eigenem Atelier tätig. Er hatte mit der Versicherung X.________ AG (Beklagte und Beschwerdeführerin) mit Beginn ab 1. Januar 2010 eine Krankentaggeldversicherung für Kleinunternehmen abgeschlossen.
 
A.a Am 22. September 2010 ging bei der Beklagten ein Arztbericht der Hausärztin des Klägers ein, wonach dieser seit ca. einem Jahr an Schlafstörungen und seit ca. zwei Monaten an zunehmenden Angstzuständen, Antriebslosigkeit etc. beziehungsweise einer depressiven Entwicklung leide. Seit 1. August 2010 wurde ihm bis auf Weiteres eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % attestiert. Die Beklagte anerkannte zunächst ihre Leistungspflicht auf der Basis einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % beziehungsweise vorübergehend von 50 %. Vom 16. September 2010 bis 24. November 2010 war der Kläger in einer psychiatrischen Privatklinik hospitalisiert. Er meldete sich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an und liess Einwände gegen deren negativen Vorbescheid erheben.
 
A.b Am 9. Juni 2011 erstatteten ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und eine Psychologin im Auftrag der Beklagten ein versicherungspsychiatrisches Gutachten. Gestützt auf dieses und die Einschätzung der beratenden Gesellschaftsärztin kam die Beklagte zum Schluss, im angestammten Beruf als Schneider sei eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit anzunehmen. Das versicherte Taggeld werde bis maximal 24. Juni 2011 ausgerichtet. Zudem könne aufgrund des Schadensverlaufes die Krankentaggeldversicherung nicht mehr zu den bisherigen Konditionen angeboten werden. Dem Kläger wurde eine Frist angesetzt, um eine höhere Prämie zu akzeptieren, mit der Androhung, ansonsten erlösche die vertragliche Deckung am 31. Dezember 2011.
 
B.
 
Am 20. Januar 2012 reichte der Kläger beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Klage ein. Er verlangte im Wesentlichen, ihm sei weiterhin das ganze Krankentaggeld auszurichten und es sei festzustellen, dass die Kündigung des Versicherungsvertrages ungültig sei. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung liess das Verwaltungsgericht unbeurteilt, da es in seinem Urteil vom 26. September 2012 keine Kosten erhob und dem Kläger eine Parteientschädigung zusprach. Es hiess dessen Klage in dem Sinne gut, dass die Beklagte über den 25. Juni 2011 hinaus weiterhin leistungspflichtig sei, dass für diesen Zeitpunkt eine Herabsetzung der vereinbarten Taggeldleistungen nicht hinreichend ausgewiesen sei und dass die Kündigung des Versicherungsvertrages für die im Kündigungszeitpunkt diagnostizierten Beeinträchtigungen keine Wirkung entfalte.
 
C.
 
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beklagte dem Bundesgericht im Wesentlichen, die Klage abzuweisen. Der Beschwerdegegner schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Er ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht. Das Verwaltungsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Vorinstanz würdigte die in den Akten liegenden ärztlichen Berichte, Gutachten und Zeugnisse. Sie wies darauf hin, die vom behandelnden Psychiater diagnostizierte mittelgradige depressive Episode sei von wechselnder Ausprägung. Damit anerkenne auch dieser Arzt konkludent, dass der Verlauf schwankend sei, so dass sich die Feststellung des von der Beschwerdegegnerin beauftragten Gutachters, die depressive Episode sei aktuell remittiert, als zutreffend erweisen könne. Umgekehrt ergebe sich aus einem solchen schwankenden Verlauf, dass es nicht viel brauche, damit ein vorübergehend stabilisierter Zustand bei Auftreten von zusätzlichen Faktoren sich wieder verschlechtern könne. Die Vorinstanz hält unter Hinweis auf das von der Beschwerdeführerin in Auftrag gegebene versicherungspsychiatrische Gutachten fest, es sei bei einem Wiederauftreten einer depressiven Episode, beziehungsweise der Angst-Symptomatik, soweit möglich zwischen der wirklichen Krankheitssymptomatik und krankheitsfremden Faktoren zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang verweise die Beschwerdeführerin auf die Rechtsprechung, wonach mit Blick auf die Erlangung einer IV-Rente psychosoziale und soziokulturelle Faktoren allein keinen invalidisierenden Gesundheitsschaden darstellten. Die Vorinstanz kam in Würdigung diverser Arztberichte zum Schluss, soziale Umstände hätten bei der Entstehung der Krankheit eine massgebende Rolle gespielt. Allerdings sei gestützt auf die aktenkundigen medizinischen Berichte davon auszugehen, dass zwischenzeitlich ein verselbständigter Gesundheitsschaden entstanden sei. Zudem sei nicht zu prüfen, ob ein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliege, da weder der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung noch dem Gesetz eine entsprechende Einschränkung zu entnehmen sei. Aus dem Vorliegen von psychosozialen Faktoren dürfe nicht auf einen fehlenden Anspruch aus einer privatrechtlichen Taggeldversicherung geschlossen werden. Nachdem auch der Arzt des regionalen ärztlichen Dienstes (RAD) und nicht nur die behandelnden Ärzte kurz vor der Leistungseinstellung eine krankheitswertige Arbeitsunfähigkeit anerkannt habe, die nicht nur auf eine mittelschwere depressive Episode zurückgeführt worden sei, könne nicht davon ausgegangen werden, am 15. Juli 2011 sei keine Leistungspflicht mehr gegeben gewesen. Auch die aktenkundigen kurz vor Leistungseinstellung erfolgten rheumatologischen Abklärungen sprächen für die Fortsetzung der Leistungspflicht der Beschwerdeführerin.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin verweist im Wesentlichen auf das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten, gemäss welchem eine medizinisch theoretische Arbeitsfähigkeit bestehe und dem Versicherten mit Ausnahme von Nacht- und Schichtarbeit jegliche Tätigkeit zumutbar wäre. Der Gutachter halte fest, sollte vermehrt Symptomatik und gar ein Wiederauftreten einer Episode mit depressiver und Angst-Symptomatik beschrieben werden, wäre bei ihm die genaue fachärztliche Beurteilung und Differenzierung von wirklicher Krankheitssymptomatik zu krankheitsfremden Faktoren einzuholen. Von einem schwankenden Verlauf erwähne er nichts. Er führe nicht aus, der Gesundheitszustand sei nur vorübergehend stabil. Eine vermehrte Symptomatik sei nicht behauptet worden. Gegebenenfalls hätte die Vorinstanz beim Autor des versicherungspsychiatrischen Gutachtens ein weiteres Gutachten einholen müssen. Auch habe der behandelnde Arzt gar keinen schwankenden Verlauf im medizinischen Sinn ausgewiesen, sonst hätten die Diagnose und die Behandlung entsprechend angepasst werden müssen. Die Vorinstanz tätige eigene Schätzungen, ohne sich an die medizinischen Fakten zu halten. Damit treffe sie offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen und verfalle in Willkür. Die Vorinstanz unterlasse es, den verselbständigten Gesundheitsschaden näher zu bezeichnen. Bezüglich der in den Berichten erwähnten somatischen Beschwerden habe die Hausärztin selbst festgehalten, sie seien ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit. Die Rheumatologin habe in ihrem Bericht nicht erwähnt, der Beschwerdegegner sei zu 50 % arbeitsunfähig, sondern diesen Umstand erst auf Nachfrage der Hausärztin pauschal und mündlich festgestellt. All dies sei unberücksichtigt geblieben. Darüber hinaus seien die erwähnten somatischen Beschwerden nicht objektiv belegt. Schliesslich ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, die Vorinstanz habe es an der bei der Würdigung von Stellungnahmen der behandelnden Ärzten angezeigten Zurückhaltung fehlen lassen.
 
3.
 
Bei der Würdigung der verschiedenen ärztlichen Meinungsäusserungen stellt sich zunächst die Frage, wie der die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin auslösende Krankheitsbegriff zu verstehen ist. Dies ist massgebend für die Frage, inwieweit die Arbeitsfähigkeit beeinflussende psychosoziale Faktoren zu berücksichtigen sind und ob bezüglich der von der Rheumatologin angenommenen Einschränkungen ein relevanter Konnex zum zu beurteilenden Fall besteht.
 
3.1 Die Beschwerdeführerin verweist auf die Rechtsprechung zum invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden. Gestützt darauf geht sie davon aus, psychosoziale Faktoren seien bei der Beurteilung, ob eine relevante Arbeitsunfähigkeit vorliege, nicht zu berücksichtigen. Auf die Ausführungen der Vorinstanz, wonach die zu invalidisierenden Gesundheitsschäden entwickelte Rechtsprechung für die Frage, ob eine Krankheit im Sinne des zu beurteilenden Versicherungsvertrages vorliege, nicht massgeblich sei, geht sie nicht ein.
 
3.1.1 Eine rechtsgenügliche Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 2 BGG) setzt aber, auch soweit das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anwendet (Art. 106 Abs. 1 BGG), voraus, dass auf die Begründung im angefochtenen Urteil eingegangen wird (BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 246; 134 V 53 E. 3.3 S. 60). Es genügt nicht, einfach die im kantonalen Verfahren eingenommenen Rechtsstandpunkte zu wiederholen. Die Beschwerdeführerin müsste entweder in Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil und dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag aufzeigen, dass die Vorinstanz von einem unrichtigen Krankheitsbegriff ausgeht, oder darlegen, dass es gestützt auf die gewürdigten ärztlichen Meinungen auch unter Zugrundelegung des von der Vorinstanz angenommenen Krankheitsbegriffs im Ergebnis offensichtlich unhaltbar (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG) und damit willkürlich (BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130; vgl. zum Begriff der Willkür: BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f., 129 I 8 E. 2.1 S. 9) ist, im massgebenden Zeitpunkt von einer von der Versicherung gedeckten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht.
 
3.1.2 Die Beschwerdeführerin verweist im Wesentlichen auf das von ihr in Auftrag gegebene psychiatrische Versicherungsgutachten. In diesem wird zwar eine stabile Arbeitsfähigkeit attestiert. Gleichzeitig wird aber ausgeführt, krankheitsfremde Faktoren würden die Wiederaufnahme einer Arbeit verunmöglichen bzw. erschweren. Aus der attestierten Arbeitsfähigkeit könnte die Beschwerdeführerin mithin nur etwas zu ihren Gunsten ableiten, wenn im Gutachten die Ausscheidung von krankheitsfremden Ursachen in Übereinstimmung mit der im Versicherungsvertrag getroffenen Vereinbarung erfolgt, für welche die Vorinstanz die Rechtsprechung zum invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden als nicht anwendbar erachtete. Da sich die Beschwerdeführerin zu dieser Frage nicht äussert, sondern einfach auf den invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden verweist, kann sie aus dem Gutachten nichts zu ihren Gunsten ableiten.
 
3.1.3 Eine relevante Arbeitsunfähigkeit wird im Übrigen nicht nur von den behandelnden Ärzten diagnostiziert. Auch der RAD-Arzt ging nur von einer Arbeitsfähigkeit von 25 % aus. Nach Vorliegen des Versicherungsgutachtens konnte er nicht sagen, ob die Beurteilung des behandelnden Arztes oder des Versicherungsgutachters stimme. Mit Blick auf den behandelnden Psychiater verweist die Beschwerdeführerin lediglich auf das bestehende Vertrauensverhältnis, welches die Glaubwürdigkeit mindere. Der blosse, pauschale Hinweis, Arztzeugnisse behandelnder Ärzte seien mit Zurückhaltung zu würdigen, ohne detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Zeugnissen, genügt indessen nicht, um deren Berücksichtigung als offensichtlich unhaltbar erscheinen zu lassen. Insoweit genügt die Beschwerdeführerin den Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG) an die Rüge der Willkür in der Beweiswürdigung nicht (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f. mit Hinweisen).
 
3.2 Für die Beurteilung aus rheumatologischer Sicht ist das Versicherungsgutachten nicht einschlägig. Die Beschwerdeführerin weist zwar darauf hin, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die im Bericht der Rheumatologin aufgeführten Beschwerden erst zeitgleich mit dem psychiatrischen Gutachten und zeitnah nach der Mitteilung der Leistungseinstellung vom 15. Juni 2011 geltend gemacht worden seien. Sie bestreitet einen relevanten Konnex zum Leistungsfall. Sie zeigt aber nicht hinreichend auf, weshalb mit Blick auf die abgeschlossene Versicherung allfällige somatische Beeinträchtigungen bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ausser Acht zu bleiben hätten. Dass die somatischen Beeinträchtigungen von der Hausärztin zunächst als ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eingeschätzt wurden, spricht zwar für die Auffassung der Beschwerdeführerin. Es ist aber nicht offensichtlich unhaltbar, wenn sich die Vorinstanz der davon abweichenden Beurteilung der Rheumatologin anschliesst. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, weshalb es willkürlich sein sollte, die mündliche Angabe betreffend die Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen. Sie setzt sich auch mit den Ausführungen der Vorinstanz, wonach aufgrund der durchgeführten Röntgenuntersuchungen objektivierbare Veränderungen klar erkennbar seien, in keiner Weise auseinander, sondern wiederholt bloss, die somatischen Beschwerden seien nicht objektiv belegt. Willkür in der Beweiswürdigung lässt sich so nicht aufzeigen.
 
4.
 
Damit ist die Beschwerde insgesamt abzuweisen, soweit angesichts der ungenügenden Begründung überhaupt darauf einzutreten ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig. Dem Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Prozessführung kommt damit nur im Falle der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung Bedeutung zu. Da davon nicht auszugehen ist, erübrigen sich weitere Ausführungen zur Bedürftigkeit der Beschwerdegegners.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. April 2013
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Luczak
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).