BGer 6B_738/2012 | |||
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BGer 6B_738/2012 vom 18.07.2013 | |
{T 0/2}
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6B_738/2012
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Urteil vom 18. Juli 2013 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Mathys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Gerichtsschreiber Faga.
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Verfahrensbeteiligte | |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Arthur Zeller,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
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Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Fahrlässige Tötung; Willkür, rechtliches Gehör,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 16. Oktober 2012.
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Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
Erwägungen: |
Erwägung 1 | |
2.
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2.1. Die Beschwerdeführerin sieht Art. 117 StGB in Verbindung mit Art. 12 Abs. 3 StGB verletzt. Sie argumentiert, die gutachterliche Schlussfolgerung des "Dynamic Test Center" (nachfolgend: DTC), wonach sie den Motorradfahrer hätte sehen können, als sie 8.8 m vom Kollisionsort entfernt war, möge zutreffen. Jedoch blende die Vorinstanz die Komplexität der Kreuzung aus. Sie habe sehr wohl nach links geschaut. Wenn sie kurz vor dem fraglichen Zeitpunkt nach links geschaut habe, als der Motorradfahrer noch nicht sichtbar gewesen sei, und in der Folge ihren Blick nach rechts habe schweifen lassen, so sei die Kollision nicht vermeidbar gewesen. Sie habe sich erst zum Losfahren entschieden, nachdem sie sich vergewissert habe, dass auf allen Spuren die Fahrzeuge stillgestanden hätten. Zudem sei die Adäquanz zu verneinen. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass der Motorradfahrer das Wechselklanghorn, das Blaulicht und die auf allen Spuren stehenden Fahrzeuge nicht wahrnehme. Auch habe er die signalisierte Höchstgeschwindigkeit missachtet. Sein Fahrverhalten sei die unmittelbarste Ursache der Kollision. Indem die Vorinstanz die Adäquanz bejahe, verletze sie Bundesrecht (Beschwerde S. 4 ff.).
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2.2. Die Vorinstanz erwägt, teilweise unter Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil, der Sorgfaltsmassstab richte sich unter anderem nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes und dem Merkblatt des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) vom 6. Juni 2005 zur Verwendung von Blaulicht und Wechselklanghorn. Danach müsse bei der Einfahrt in eine Verzweigung so langsam gefahren werden, dass noch rechtzeitig angehalten werden könne, falls andere vortrittsberechtigte Verkehrsteilnehmer die besonderen Warnsignale übersehen oder nicht beachten. Die Beschwerdeführerin habe, nachdem sie die von den Fahrzeugen gebildete Gasse passiert habe, die Geschwindigkeit auf 19 km/h erhöht und die Verzweigung ohne zu bremsen überfahren. Dies sei sorgfaltswidrig. Sie hätte sich vergewissern müssen, dass von links kein Fahrzeug nahen würde respektive die jeweiligen Verkehrsteilnehmer auf den drei Fahrspuren auf der Dättwilerstrasse (gemeint: Badenerstrasse) sie gesehen hätten und sich korrekt verhalten würden. Bei einer allfälligen Ungewissheit nach dem Überfahren der Haltelinie hätte sie mindestens noch einmal abbremsen müssen. Die Vorinstanz legt in der Folge dar, dass auch der Motorradfahrer unaufmerksam gewesen sei, seine Fahrweise jedoch an der Voraussehbarkeit des Erfolgseintritts nichts ändere (Entscheid S. 14 ff.).
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Erwägung 2.3 | |
2.3.1. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung gemäss Art. 117 StGB setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Fehlen solche, kann auf analoge Regeln privater oder halbprivater Vereinigungen abgestellt werden, sofern diese allgemein anerkannt sind. Dies schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64; 127 IV 62 E. 2d S. 64 f.; je mit Hinweisen). Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen).
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2.3.2. Nach Art. 100 Ziff. 4 SVG ist der Führer eines Feuerwehr-, Sanitäts- oder Polizeifahrzeugs auf einer dringlichen Dienstfahrt wegen Missachtung der Verkehrsregeln und der besonderen Anordnungen für den Verkehr nicht strafbar, sofern er die erforderlichen Warnsignale gibt und alle Sorgfalt beobachtet, die nach den besonderen Verhältnissen erforderlich ist. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass das Mass der zu beachtenden Sorgfalt umso grösser ist, je wichtiger die verletzte Verkehrsregel für die Verkehrssicherheit ist. Der Fahrzeuglenker, der die ordentlichen Vortrittsregeln missachtet, muss die durch die Umstände gebotenen Vorsichtsmassnahmen beachten, insbesondere seine Geschwindigkeit reduzieren (Urteil 6S.162/2003 vom 4. August 2003 E. 3.1 mit Hinweis). Das Merkblatt des UVEK vom 6. Juni 2005 zur Verwendung von Blaulicht und Wechselklanghorn verlangt höchste Sorgfalt, wenn eine Verzweigung bei roter Lichtsignalanlage befahren wird. Bei der Einfahrt in eine Verzweigung, bei der andere Strassenbenützer normalerweise den Vortritt haben, muss der Führer so langsam fahren, dass er noch rechtzeitig anhalten kann, falls andere Verkehrsteilnehmer die besonderen Warnsignale übersehen oder nicht beachten (vgl. Ziffer 4 des genannten Merkblatts).
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2.4.
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2.4.1. Die Beschwerdeführerin befand sich auf einer dringlichen Dienstfahrt und kündigte ihre Fahrt durch Blaulicht und Wechselklanghorn an (vgl. Art. 27 Abs. 2 SVG und Art. 16 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11). Zu prüfen ist, ob sie die durch die Umstände gebotene Vorsicht beachtet hat.
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2.4.2. Ein die Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts unterbrechendes Selbstverschulden des Motorradfahrers, mit dem die Beschwerdeführerin schlechthin nicht zu rechnen hatte, liegt nach den zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen nicht vor. Zwar ist dem Motorradfahrer, der das Wechselklanghorn, das Blaulicht und die bei Grünlicht auf der rechten Fahrbahn stehenden Fahrzeuge nicht bemerkte, eine unaufmerksame Fahrweise vorzuwerfen. Selbst wenn er das Ambulanzfahrzeug allenfalls nicht rechtzeitig sehen konnte (vgl. Gutachten S. 10), so wurde gleichwohl die Notstandsfahrt mindestens durch die Sirene der Ambulanz angekündigt. Dass aber Verkehrsteilnehmer und Fussgänger das durch die Sanität etc. auf einer dringlichen Dienstfahrt beanspruchte Vortrittsrecht missachten, weil sie die besonderen Warnsignale nicht oder zu spät wahrnehmen oder nicht (adäquat) reagieren, kann nicht als aussergewöhnlich bezeichnet werden. Die Vorinstanz erwägt zutreffend, dass deshalb unter anderem die Weisungen des UVEK ein Fehlverhalten in diesem Sinne thematisieren. Ebenso wenig reichen für die Verneinung der Adäquanz die übersetzte Geschwindigkeit des Motorradfahrers (maximal 71 km/h bei einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h) und ein aufgrund von Art. 47 Abs. 3 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) allfällig zu bejahendes Selbstverschulden aus, zumal es im Strafrecht keine Schuldkompensation gibt (BGE 106 IV 58 E. 1 S. 59). Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist kein ganz aussergewöhnlicher Umstand, mit dem schlechthin nicht gerechnet werden musste und der derart schwer wiegt, dass er als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheint und so das Fahrverhalten der Beschwerdeführerin in den Hintergrund drängt (vgl. zum Massstab der Adäquanz BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen).
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2.4.3. Der Schuldspruch der fahrlässigen Tötung verletzt kein Bundesrecht (Art. 117 und Art. 12 Abs. 3 StGB).
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Erwägung 3 |
Erwägung 4 |
Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 18. Juli 2013
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Mathys
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Der Gerichtsschreiber: Faga
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