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Informationen zum Dokument  BGer 1C_580/2013  Materielle Begründung
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BGer 1C_580/2013 vom 22.10.2013
 
{T 0/2}
 
1C_580/2013
 
 
Urteil vom 22. Oktober 2013
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Werner Meier,
 
gegen
 
1. Y.________,
 
2.  Unbekannte Funktionäre der Stadtpolizei Zürich,
 
Beschwerdegegner,
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 2. Mai 2013 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 3. Januar 2013 erstattete X.________ bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) Strafanzeige gegen Y.________, Angehöriger der Stadtpolizei Zürich (nachfolgend: Stadtpolizei), sowie gegen weitere unbekannte Funktionäre der Stadtpolizei wegen Körperverletzung, Nötigung und anderer strafbarer Handlungen (Amtsmissbrauch, Sachbeschädigung). Die Anzeige steht im Zusammenhang mit einem Einsatz der Stadtpolizei vom 22. Dezember 2012, anlässlich welchem X.________ auf Grund eines angeblichen Ladendiebstahls und Hausfriedensbruchs in einer Coop-Filiale in Zürich verhaftet und auf die Regionalwache City verbracht worden war.
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Die Akten wurden am 8. Februar 2013 via Leitung der Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (nachfolgend: Oberstaatsanwaltschaft) an das Obergericht des Kantons Zürich überwiesen mit dem Antrag, es sei über die Erteilung bzw. Nichterteilung der Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft stellte sich dabei auf den Standpunkt, die Ermächtigung sei zu verweigern, da nach summarischer Prüfung des Falles kein deliktswesentlicher Verdacht vorliege. Mit Beschluss vom 2. Mai 2013 lehnte es das Obergericht ab, die Ermächtigung zur Strafverfolgung der angezeigten Personen zu erteilen.
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B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 6. Juni 2013 an das Bundesgericht lässt X.________ das Rechtsbegehren stellen, in Aufhebung des angefochtenen obergerichtlichen Beschlusses sei die Staatsanwaltschaft zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Y.________ sowie unbekannte weitere Polizeifunktionäre zu ermächtigen. Ferner sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) zu gewähren.
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C. Das Obergericht, die Oberstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Stellungnahme. X.________ lässt sich nicht vernehmen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung steht nicht die Beschwerde in Strafsachen, sondern diejenige in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272). Die Beschwerdegegner als Mitarbeitende der Stadtpolizei gehören nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG nicht greift (vgl. BGE 137 V 269 E. 1.3.2 S. 272 f.).
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1.2. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO in Verbindung mit § 148 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG/ZH; LS 211.1) entscheidet das Obergericht über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinn von Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Vergehen oder Verbrechen (zur Bundesrechtskonformität der entsprechenden zürcherischen Regelung: BGE 137 IV 269 E. 2 S. 275 ff.). Mit dem angefochtenen Beschluss hat es das Obergericht abgelehnt, die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung der angezeigten Personen wegen Amtsmissbrauchs zu ermächtigen. Damit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens, womit das Verfahren abgeschlossen ist (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272 mit Hinweisen). Angefochten ist damit ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist. Der Beschwerdeführer, der am kantonalen Verfahren als Partei beteiligt war und dessen Strafantrag nicht mehr weiterbehandelt werden kann, ist zu deren Erhebung befugt (Art. 89 Abs. 1 BGG).
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2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürfen im Ermächtigungsverfahren grundsätzlich nur strafrechtliche und keine politischen Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Es ist insbesondere unzulässig, über die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach Opportunität zu entscheiden. Das schliesst aber nicht aus, für die Erteilung der Ermächtigung ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen. Durch das Ermächtigungserfordernis sollen Behördenmitglieder und Beamte namentlich vor mutwilliger Strafverfolgung geschützt und es soll damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sichergestellt werden. Dass eine Behörde einen unliebsamen Entscheid gefällt hat oder nicht wunschgemäss im Sinne einer gesuchstellenden Person aktiv wird, begründet noch keine Pflicht, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu gewähren. Vielmehr darf dafür vorausgesetzt werden, dass eine Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheint, mithin genügende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_382/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 3.1 mit weiteren Hinweisen).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Vorfall vom 22. Dezember 2012, aus welchem der Beschwerdeführer ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Beschwerdegegner ableitet, hat sich gemäss seiner, im obergerichtlichen Beschluss detailliert wiedergegebenen Sichtweise wie folgt zugetragen: Er sei zu Unrecht eines Ladendiebstahls bezichtigt worden, wobei die Verhaftung durch die Polizei schwerwiegende Folgen für ihn gehabt habe. Es sei ohne sein Zutun ein "komplettes Wirrwarr" entstanden. Er habe fürchterliche körperliche Schmerzen erleiden müssen und sei in seiner Mobilität eingeschränkt gewesen. Seine Kleider seien ihm vom Leib gerissen und zerrissen worden, woraufhin er sich nackt und schutzlos auf den kalten Boden habe hinlegen müssen.
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Der Ablauf des entsprechenden Polizeieinsatzes gestaltete sich laut gleichentags erstellter Dokumentation (Verhaftsrapport und Journal der Stadtpolizei, Kurzbericht des anwesenden SOS-Arztes) folgendermassen: Der Beschwerdeführer habe sich bereits bei Eintreffen der Polizei im Eingangsbereich des Ladens gegenüber dem Sicherheitspersonal äusserst renitent verhalten. Da er sich nicht habe ausweisen wollen, absolut keine Kooperationsbereitschaft gezeigt und wild um sich geschlagen habe, sei er mit der nötigen Körpergewalt zu Boden geführt und arretiert worden. Auf die Regionalwache City verbracht, habe er auch weiterhin keiner Aufforderung Folge geleistet, weshalb er einer Leibesvisitation unterzogen worden sei. Nachdem sich weder der Verdacht des Ladendiebstahls noch derjenige des Hausfriedensbruchs erhärtet habe, habe man ihn angewiesen, sich anzukleiden und zu gehen. Er habe indessen nicht reagiert, sondern weiterhin auf dem Boden gelegen und bei jedem leichten Anfassen heftig geschrien. Eine sprachliche Kommunikation sei ausgeschlossen gewesen. Infolge seiner psychischen Verfassung habe er im Anschluss in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden müssen.
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Erwägung 3.2
 
3.2.1. Auf Grund der geschilderten Aktenlage gelangte das Obergericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer sich den polizeilichen Aufforderungen widersetzt und sich insbesondere nicht habe ausweisen wollen. Wenn die Beschwerdegegner sich in dieser Situation dazu veranlasst gesehen hätten, den Beschwerdeführer zu Boden zu bringen und festzuhalten, liege darin ein durch die polizeilichen Amtspflichten gerechtfertigtes Vorgehen. Eine weniger intensiv wirkende Massnahme sei in Anbetracht der heftigen Gegenwehr des Beschwerdeführers als offensichtlich nicht erfolgsversprechend verworfen worden. Das Gleiche gelte für die anschliessend vorgenommene Personendurchsuchung. Auch hier hätten die Beschwerdegegner wegen des andauernden renitenten bzw. passiven Verhaltens des Beschwerdeführers keine andere Möglichkeit erblickt, als diesen zu entkleiden. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer darüber hinaus erniedrigend oder unmenschlich behandelt worden sei, bestünden keine und würden auch nicht konkret und glaubhaft geltend gemacht. Es liege daher kein hinreichender Anfangsverdacht vor, dass die zur Anzeige gebrachten Taten in Überschreitung der amtlichen Befugnisse erfolgt seien und die Beschwerdegegner sich einer einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB), einer Nötigung (Art. 181 StGB) oder einer anderen strafbaren Handlung (Amtsmissbrauch [Art. 312 StGB], Sachbeschädigung [Art. 144 StGB]) schuldig gemacht hätten. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung der Beschwerdegegner bezüglich des Vorfalles vom 22. Dezember 2012 sei mangels der erforderlichen Voraussetzungen folglich nicht zu erteilen.
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3.2.2. Letztinstanzlich wird gegen die Ausführungen der Vorinstanz nichts Grundsätzliches vorgebracht. Der Beschwerdeführer lässt im Wesentlichen einwenden, allein gestützt auf die Angaben eines Polizeirapports - ohne weitergehende Untersuchungen - sei das Obergericht im Rahmen des vorliegenden strafrechtlichen Vorentscheidverfahrens nicht in der Lage zu beurteilen, ob das polizeiliche Vorgehen verhältnismässig gewesen sei. Dabei verkennt er, dass Entscheidungsbasis nicht nur der vom Beschwerdegegner visierte Verhaftsrapport vom 22. Dezember 2012 bildete, sondern das Obergericht zusätzlich auf das von einem anderen Polizeifunktionär erstellte Journal sowie das vom vor Ort anwesenden SOS-Arzt ausgefüllte Einweisungsformular betreffend Fürsorgerische Freiheitsentziehung abgestellt hat. Im Lichte dieser Akten war es ohne Weiteres möglich, den Hergang der Ereignisse vom 22. Dezember 2012 zu rekonstruieren und damit das Verhalten der im Einsatz stehenden Polizeikräfte hinsichtlich einer strafrechtlichen Relevanz objektiv einzuschätzen. Überdies hat nur Anspruch auf eine wirksame und vertiefte amtliche Untersuchung, wer in vertretbarer Weise behauptet, von einem Polizeibeamten erniedrigend behandelt worden zu sein und dies konkret dartut (Urteil des Bundesgerichts 1C_69/2012 vom 3. August 2012 E. 2.2). Entsprechende Hinweise ergeben sich jedoch, wie im angefochtenen Beschluss einlässlich erwogen wurde, aus den vorhandenen Unterlagen keine. Zudem legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern die erwähnten Abklärungen keine hinreichende Grundlage für den Ermächtigungsentscheid bildeten bzw. welche weiteren konkreten Abklärungen dafür notwendig gewesen wären.
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Bei dieser Sachlage durfte das Obergericht ohne Rechtsverletzung annehmen, es fehle an einem genügenden Tatverdacht für die angezeigten Straftatbestände, und die Ermächtigung zur Anhandnahme einer Strafuntersuchung verweigern.
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4. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG entschieden. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Auf eine Kostenauflage kann indessen verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Es werden keine Kosten erhoben.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Oktober 2013
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl
 
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